Crania anomala

[104] Wenn wir ferner die Sippe Crania mit in unsere Betrachtung hineinziehen, so geschieht es auch nicht, weil ihre Lebensverrichtungen interessante Momente böten, sondern weil ihre geologische und gegenwärtige Verbreitung dazu auffordert. Sie ist so abweichend, daß sie für sich allein eine Familie bildet. Ihre Schale ist nämlich an unterseeische Körper mit der Bauchklappe aufgewachsen. Die Rückenklappe ist deckelförmig, und beide werden nicht durch ein Schloß oder [104] Einlenkungsfortsätze, sondern lediglich durch Muskeln aneinander gehalten. Auch stützen sich die fleischigen Spiralarme nur auf einen nasenförmigen Fortsatz im Mittelpunkte der Bauchklappe. Die bekannteste der vier lebenden Arten ist Crania anomala aus unseren nördlichen Meeren, welche fast stets in Gesellschaft von Terebratula caput serpentis gefunden wird, derselben jedoch weder in das boreale Nordamerika noch in das Mittelmeer folgt. Man kennt sie noch nicht im fossilen Zustande, und Sueß hat daher vermuthet, »daß ihre Entstehung in eine jüngere Zeit falle, und sie jene Erscheinungen nicht erlebt habe, welche es der Terebratula caput serpentis möglich gemacht haben, nach Nordamerika zu kommen, und welche in einem fortlaufenden Uferrande oder einer zusammenhängenderen Inselkette zwischen diesem Welttheile und dem unserigen bestanden zu haben scheinen. Dagegen deutet ihr Auftreten in der Vigo-Bucht (Spanien) darauf hin, daß sie den allmählichen Rückzug der nördlichen Bevölkerungen aus dem mittleren Europa wenigstens theilweise mitgemacht habe«.

Die Cranien der früheren Schöpfungsperioden treten nie in bedeutender Menge auf, ihre Reihe setzt sich aber von der ältesten Silurzeit ununterbrochen fort. Unsere Museen enthalten noch zu wenig Material, um die Uebergänge dieser Arten evident zu machen, gerade aber in dieser Richtung der vergleichenden Forschung hat die Zukunft eine reichen Lohn versprechende Aufgabe.

Wir dürfen sogar hinzufügen, daß schon jetzt zur Lösung dieser Aufgabe sehr schöne Anfänge gemacht sind, indem einer unserer jüngeren Forscher, Kayser, im Jahre 1871 in seinen Untersuchungen über die Muschelwürmer der devonischen Schichten der Eifel eine fortlaufende Bestätigung des Angelpunktes der Abstammungslehre, der Veränderlichkeit der Arten, fand.


Crania anomala. Oberklappe mit dem Thiere. Vergrößert.
Crania anomala. Oberklappe mit dem Thiere. Vergrößert.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 104-105.
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