Thecidium mediterraneum

[103] Auf der Grenze unserer Familie steht die Gattung Thecidium, ausgezeichnet durch eine ganz eigenthümliche Entwickelung des kalkigen Armgerüstes. Sie ist in der heutigen Welt nur durch eine einzige Art vertreten, das im Mittelmeere lebende Thecidium mediterraneum, welches Lacaze-Duthiers in einer seiner ausgezeichneten Monographien behandelt hat. Die Rückenklappe bildet für die weit größere Bauchklappe einen fast flachen Deckel, von welchem die Armschleife sich nirgends frei abhebt. Sie bleibt vielmehr mit ihm durch ein Kalknetz verbunden. An der Durchschnittsfigur B sehen wir in der Rückenklappe die Angelgrube angedeutet, um welche sich die Klappe dreht. Durch die hinter ihr liegenden Muskeln (b), welche vom Grunde der Bauchklappe nach einem nach rückwärts gerichteten Fortsatze der Rückenklappe gehen, wird das Gehäuse geöffnet, die davor liegenden Muskeln (a) schließen es. Wir bringen nun die Mittheilungen des genannten Forschers aus dem französischen Originale.

»Die Schale des Thecidium befestigt sich auf unterseeischen Körpern. Ich fand sie in beträchtlicher Menge auf Gegenständen, welche die Netze der Korallenfischer auf der Strecke vom Golfe von Bona bis zum Kap Rosa vom Meeresgrunde heraufbrachten.


Thecidium mediterraneum. A Natürliche Größe. B Durchschnitt durch das Gehäuse.
Thecidium mediterraneum. A Natürliche Größe. B Durchschnitt durch das Gehäuse.

Die Tiefe, in welcher es gefischt wurde, betrug zwischen vierzig bis funfzig Faden. Da ich schon viel Material für die Kenntnis der Thierwelt der Korallengründe von Corsica gesammelt hatte und meine Beobachtungen auf die Küsten von Algier, dann auf Sardinien und die Balearen ausdehnen wollte, war ich überrascht durch die kleine Anzahl von Terebrateln im Gegensatze zur großen Menge des Thecidium. Ich fand mitunter auf einem zwei Faust großen Steine zwanzig bis dreißig Stück. Die Beobachtung der lebenden Thiere ist sehr leicht; ich erhielt sie anderthalb Monate hindurch am Leben und bloß dadurch, daß ich täglich das Wasser der Gefäße wechselte, worin sie waren. Unumgänglich nöthig ist es jedoch, sie von den Körpern, worauf sie sich angesiedelt haben, loszumachen, denn diese sind von allem möglichen Gethier bewohnt: Schwämmen, Würmern, kleinen Krustern usw. welche bald absterben und, indem sie das Wasser des Aquariums verderben, auch den Tod der Thecidien herbeiführen.

In den ersten Tagen, nachdem sie gefischt waren, klafften die Thecidien in den großen Fässern, worein man die Steine gelegt hatte, sehr weit; nachdem sie aber isolirt und in die kleineren Gefäße gethan waren, öffneten sie sich nicht so weit. Die kleine Rückenklappe erhebt sich bis zu einem rechten Winkel zur ersten, fällt aber bei der geringsten Bewegung, die man macht, blitzschnell wieder zu. – Ohne Zweifel sind die Thecidien für das Licht empfänglich. Eines Tages sah ich in einem großen Gefäße mehrere Thecidien mit offener Klappe. Ich näherte mich sehr vorsichtig und machte, indem ich mich, um genauer zu sehen, vorbeugte, mit meinem Kopfe Schatten; augenblicklich schlossen sich die, welche vom Schatten getroffen wurden. An einem geöffneten Thecidium unterscheidet man, eben wegen der großen Entfernung der Klappen von einander, alle Theile, und man sieht die Fransen und Arme sehr genau. Die Innenfläche der [103] Schale aber, auf welcher der Mantel liegt, ist so blendend weiß und der letztere so durchsichtig, daß man die Kalkschleifen und die Erhabenheiten der Klappen vollkommen klar unterscheidet, ohne den Mantel zu bemerken. Es überraschte mich dies so, daß ich mich fragen mußte, ob denn in der That noch ein weicher Ueberzug die Kalktheile, welche ich beobachtete, bekleidete.

Aeußerlich ist die Schale selten weiß und glatt, sondern gewöhnlich überzogen mit darauf angesiedelten Pflanzen oder Thieren. Es versteht sich aber von selbst, daß die angewachsenen Schalen sich bezüglich der Entwickelung von Parasiten wie jede andere Unterlage verhalten. Aber nicht nur die Außenseite wird von solchen Wesen eingenommen; die Klappen werden vielmehr in allen Richtungen durchbohrt von parasitischen Algen, welche mitunter dem Gehäuse ein grünliches Aussehen verleihen.« Diese letzte Bemerkung von Lacaze-Duthiers möchte ich dahin berichtigen, daß nicht Algen, sondern vorzugsweise die sogenannten Bohrschwämme in die Klappen der Thecidien wie in die der Weichthiere eindringen.

Die Familie der Terebratuliden ist zwar nicht in den ältesten der sogenannten paläozoischen Schichten nachgewiesen, dagegen in denjenigen, welche den Namen der devonischen führen. Man kann es nun für eine merkwürdige Apathie oder auch Zähigkeit halten, daß einige Sippen, wie Terebratula und Waldheimia, durch alle Formationen hindurch bis in die heutige Welt unverändert hineinreichen, nicht die alleinigen Zeugen der Urwelt aus ihrer Klasse, sondern mit den Repräsentanten von noch vier Familien. Während diese letzteren aber, je jünger die Formationen werden, um so mehr aussterben, und, wie der vorzügliche Kenner der Klasse, Sueß, sagt, die Gattungen Rhynchonella, Crania, Discina und Lingula als »die einzigen Vertreter ihrer Familien in allen mittleren und jüngeren Zeiten vereinzelt dastehen wie entblätterte Wipfel«, hat in der Familie der Terebratuliden das Umgekehrte stattgefunden, ihr Baum hat Zweige getrieben bis in die jüngsten Perioden der Erde, und sie zählt jetzt zehn Sippen, deren Verbreitungsbezirke sich über alle Meere erstrecken. Sie sind vorherrschend Bewohner größerer Tiefen und theilen diese Eigenschaft überhaupt mit allen Armfüßern, deren Gehäuse kalkhaltiger, dicker und undurchsichtiger ist.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 103-104.
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