Geoplana subterranea

[153] Der Armut an diesen Formen bei uns gegenüber »haben uns«, sagt Max Schultze, »die Reisen des englischen Forschers Charles Darwin mit einer reichen Fauna von Landplanarien in den feuchten Urwaldregionen Südamerikas bekannt gemacht. Mußte zunächst die Eigenthümlichkeit des Vorkommens überraschen, daß Würmer aus der Ordnung der Turbellarien, die wir in unseren Gegenden nur im Wasser zu finden gewohnt sind, und welche ihres äußerst weichen, zarten und aller festen Stützen entbehrenden Körperparenchyms willen ausschließlich in diesem Medium zu leben bestimmt zu sein scheinen, in zahlreichen Arten als Landbewohner auftreten, so wurde nicht weniger unser Interesse in Anspruch genommen durch die Angaben über die ansehnliche Größe dieser Thiere, den bunten Farbenschmuck, die nemertinenartige Gestalt, verbunden mit der inneren Organisation der Planarien unserer süßen Gewässer«. Das Verlangen nach näheren Mittheilungen über die Naturgeschichte dieser Urwaldbewohner wurde, soweit es ihm unter den beschränkten Verhältnissen eines mit der Art sich ansässig machenden Auswanderers möglich war, durch unseren Freund Fr. Müller befriedigt, der dreizehn Arten der merkwürdigen Landplanarien theils in der Nähe der Kolonie Blumenau, theils in Desterro beobachtete. Sie lieben mäßig feuchte Orte, unter Holz, Rinde, Steinen, zwischen Blättern der Bromeliaceen, doch nicht in dem daselbst angesammelten Wasser. Am Tage scheinen sie zu ruhen, nachts umherzuschweifen. Der deutsche Doktor der Medicin und Philosophie im Urwalde wollte sich vergewissern, ob die Landplanarien, wie ihre Verwandten im Wasser, auf der Körperoberfläche Flimmerhaare tragen. »In Ermangelung eines Mikroskopes«, schrieb er, »bestreute ich, eines Experimentes in F. Müllers physiologischen [153] Vorlesungen mich erinnernd1, ein recht großes Exemplar der Geoplana rufiventris mit ein wenig Arrowrootmehl und sah nun dieses auf dem Rücken sich konstant vorwärts und dabei bisweilen auf der Bauchseite etwas nach hinterwärts sich fortbewegen, wodurch die Existenz der Flimmerhaare außer Zweifel gestellt scheint.« Ein ganz besonderes Interesse bot die unterirdisch lebende Geoplana subterranea, »indem sie den Kreis der Lebensbedingungen, unter denen dieser Thierform zu bestehen gestattet ist, aufs neue erweitert zeigt. Nachdem man Plattwürmer in dem klaren Quellwasser der Gebirge, unter den Steinen der Seeküste, wie an den flutenden Tangen mitten im Weltmeere gefunden, nachdem sich die Aussicht auf eine reiche Landplanarienfauna eröffnet hat, die in feuchtem Moose, unter Steinen und Rinden sich birgt und bis in die Wipfel des Urwaldes aufsteigt, wo sie zwischen den stacheligen Blättern der Bromelien ein stets feuchtes Asyl findet – so kommen nun auch Erdplanarien zum Vorscheine, Genossen der Regenwürmer und Engerlinge. In bezeichnendem Gegensatze zu ihren über der Erde lebenden farbigen, augenreichen Gattungsgenossen ist diese im Dunkeln hausende Geoplana ohne Farbenschmuck und Farbensinn, milchweiß und augenlos. Im Habitus entfernt sich diese Art mehr als irgend eine von der typischen Planarienform. Ihr gleichmäßig schmaler, sehr langer, an den Enden abgerundeter Körper, der bei einer Länge von 6 bis 8, selbst bis 11 Millimeter kaum die Breite von 11/2 Millimeter erreicht, gibt ihr vollständig das Ansehen einer Nemertine.


Geodesmus bilineatus. 2mal vergrößert.
Geodesmus bilineatus. 2mal vergrößert.

Das Thier lebt besonders in lockerem, sandigem, aber auch in schwerem zähen Lehmboden in Gesellschaft eines Regenwurmes (Lumbricus corethrurus). Es mag befremden, daß ein so weiches Thierchen, das kaum leise Berührung verträgt, in diesem Medium existiren und sich Wege bahnen könne. Diese Schwierigkeit lösen die Regenwürmer, die den Boden so durchwühlen, daß er wie ein Schwamm von glatten Gängen verschiedener Weite in allen Richtungen durchsetzt ist. Zum Dank dafür werden die Regenwürmer von dem Plattwurm aufgefressen oder vielmehr ausgesogen. Diese Nahrung war aus der Farbe des Darminhaltes unschwer zu erschließen. Ich habe aber auch Geoplanen getroffen, die eben einen jungen Regenwurm mit dem vorgestülpten Rüssel gepackt hielten, und deren Darm sich mit frischem Blute zu füllen begann.«

Auch in den feuchten Waldungen Ceylons sind Landplanarien entdeckt, unter denen sich die der Gattung Bipalium angehörigen Arten durch das Vermögen auszeichnen, an einem aus der schleimigen Absonderung ihrer Körperoberfläche gezogenen Faden sich aufzuhängen. Das gewisse Seeplanarien im Wasser solche Fäden spinnen, wußten wir aus den älteren Beobachtungen von Dalyell.

Fußnoten

1 Wer es nachmachen will, nehme einen beliebigen Frosch her, sperre ihm das Maul weit auf und streue, ihn mit dem Bauche nach oben haltend, ihm eine winzige Prise feinen Farbstoffes auf den Gaumen, welche alsbald nach den hinteren Regionen des Rachens durch die unsichtbare Thätigkeit der Flimmerhaare befördert wird.

(Der Verfasser).


Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 153-154.
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