Taenia mediocanellata

[165] Es ist jedermann geläufig, an dem Bandwurme, wie er im Menschen und in vielen Thieren sich aufhält, den »Kopf« mit einem kurzen, fadenförmigen »Halse« und die »Glieder« zu unterscheiden, wobei man sich keine Rechenschaft gibt, was man denn eigentlich mit dem Ausdrucke »Glied« bezeichnet. Der Kopf des Bandwurmes trägt bei einer Abtheilung von Arten einen Kranz von Haken auf einem kleinen rüsselartigen Vorsprunge, die ihm natürlich zur größeren Sicherung und Befestigung im Darme seines unfreiwilligen Gastgebers dienen. Man würde jedoch sehr irren, zu meinen, daß die nicht mit dem Hakenkranze versehenen Arten darum weniger hartnäckig sind. Den besten Beleg dazu gibt der hakenlose Bandwurm des Menschen, die Taenia mediocanellata, der man im allgemeinen stärker zusetzen muß, um sie »abzutreiben«, als der bestachelten Taenia solium. Rings um den Kopf sind vier Saugnäpfe angebracht, welche als Haftorgane wie die Bauchnäpfe der Trematoden wirken. Nach einer Mundöffnung sowie nach einem Darmkanale suchst du beim Bandwurme vergeblich; er ist in derselben glücklichen Lage wie die Kratzer, nicht einmal essen zu brauchen und sich doch mittels der durch seine ganze Oberfläche vor sich gehenden Aufsaugung gut zu nähren. Es finden sich nämlich in der obersten Hautschicht, der sogenannten Cuticula, zahllose feine Röhrchen oder Porenkanäle, aus welchen zarte Protoplasmafäden der darunter liegenden Zellenschicht hervorragen. An diesen Fäden vorbeigleitet die den Bandwurm ernährende Flüssigkeit, welche er seinem Wirte entnimmt, erfüllt mit Fettkörnchen, und verbreitet sich bei einigen Bandwürmern direkt durch den Körper. Bei anderen scheint ein zur Aufnahme und Weiterführung des Nahrungssaftes bestimmtes Gefäßsystem vorhanden zu sein.

Aufsaugung von Flüssigkeiten durch die Haut ist zwar bei den höheren Thieren kaum nachweisbar, bei den niederen aber nach der Beschaffenheit ihrer Körperbedeckungen vielfach vorhanden. [165] Wir werden die Vorstellung nicht abweisen können, daß die Vorfahren der Bandwürmer, indem sie allmählich Parasiten wurden, die Aufnahme der Nahrung durch den Mund mit der unwillkürlichen Aufsaugung durch die Haut vertauschten, und daß der Darmkanal nicht nur nach und nach außer Dienst gesetzt wurde, sondern auch zum vollständigen Schwunde kam.

Man pflegt, wie oben gesagt, den unmittelbar aus dem Kopfe hervorgehenden, gänzlich ungegliederten Körpertheil »Hals« zu nennen. Wir werden sehen, daß er aufs engste zum Kopfe gehört. Auf den Hals folgen die sogenannten »Glieder«.


Bestachelter Bandwurm (Taenia solium). a Natürliche Größe, b Kopf vergrößert.
Bestachelter Bandwurm (Taenia solium). a Natürliche Größe, b Kopf vergrößert.

Die unmittelbar am Halse sitzenden sind kaum andeutungsweise von einander getrennt, sie scheiden sich, je mehr sie sich entfernen, immer schärfer und hängen am Ende des »Bandwurmes«, wo sie, wie man sagt, »reif« werden, nur noch lose an einander, so daß sie einzeln oder auch zu zweien und dreien verbunden, aus dem Wirte ausgestoßen werden. Es ist jedem, der mit dem Bandwurme eine Erfahrung gemacht hat, klar, daß die Glieder sich loslösende Knospen des vorderen Endes des Bandwurmes, namentlich des Kopfes und Halses, sind, daß alles Abtreiben des Thieres nichts hilft, so lange der Kopf nicht zum Vorscheine gekommen, der die ganze Kette aufs neue sprossen läßt. Man nahm aber Anstand, den Bandwurm als einen Thierstock aufzufassen, da gerade die »Glieder« der am häufigsten zur Beobachtung kommenden Arten so wenig den Eindruck selbständiger thierischer Individuen machen. Sie bewegen sich kaum oder nicht anders als losgelöste Organe, sie haben ebensowenig wie das ganze Gebilde, von dem sie sich losreißen, einen Mund und Verdauungskanal, sie erscheinen mitunter, z.B. beim Frosch-Bandwurme, als bloße Eierschläuche. Etwas anders verhält es sich bei manchen Bandwurmgattungen der Fische, wo die losgelösten Glieder tagelang unter lebhaften Bewegungen fortleben. Aller Zweifel wird aber gehoben, wenn man diese sogenannten Glieder in der Kette der ganzen Entwickelung betrachtet und dieselbe mit dem Generationswechsel vieler anderen Thiere und besonders auch der Saugwürmer vergleicht. Es ergibt sich dann, daß der Bandwurm aus zwei ganz verschiedenen Sorten von Individuen besteht.

Bei den Saugwürmern lernten wir die Generation der schlauchförmigen Amme und die von ihnen abstammende zweite Generation der Cercarien kennen, welche sich direkt in die reifen Thiere umwandeln. Die Cercarien entstehen als innere Keime oder Knospen. Hier beim Bandwurme ist die eine, die Ammengeneration, der Kopf mit seinem ungegliederten Halse, dessen Herkommen wir bald verfolgen werden, und welcher eine Zeit hindurch isolirt besteht, das heißt ohne Knospen. Nachdem aber die Bandwurmamme sich bei ihrem Wirte häuslich eingerichtet und mit dem Kopfe fixirt hat, schreitet sie zur Bildung einer Nachkommenschaft, die sie als Knospen nach und nach aus dem Hinterende sprossen läßt; und diese sogenannten Bandwurmglieder, so wenig selbständig sie auch oft erscheinen, repräsentiren in jedem Falle die Geschlechtsthiere, die höchste Form, mit welcher der Kreis der Zeugung und Entwickelung abschließt. Die freiwilligen Lebensäußerungen der Bandwürmer sind auf allen Stufen der Entwickelung so gering und beschränkt, daß es in der That nur des Willens bedarf, sich von einer althergebrachten Ansicht loszusagen, um nicht mehr das ganze Bandwurmgebilde, sondern das reife Glied desselben als ein Individuum zu betrachten. Die Thätigkeit des Bandwurmes geht über gemeinschaftliche Verlängerung, Verkürzung, eine sich über alle Glieder fortsetzende Wellenbewegung nicht hinaus. Der Kopf, als ein Individuum niederer Ordnung der Erzeuger der Gliederkette, ist zugleich als eine Art von Organ im Dienste des Stockes, der mithin aus zweierlei Individuen von verschiedener Gestalt und Leistung zusammengesetzt ist und in dieser Vereinigung allerdings auch eine Einheit bildet. Diese Anschauung, mit der man sich [166] zum Verständnis vieler Vorkommnisse der niederen Thierwelt vollkommen vertraut machen muß, läßt sich durch den Hinweis auf die Thiergesellschaften der Bienen und anderer Hautflügler illustriren. Das Bienenwesen, der »Bien«, wie man es auch genannt hat, ist eine Einheit, zu welcher mehrere Sorten von Individuen in ganz verschiedener Thätigkeit beitragen. Von dieser in seinen Gliedern mehr freiheitlichen Gemeinschaft steigt die Vorstellung leichter zu jenen organisch verbundenen Kolonien der »Bandwürmer« und vieler polypenartigen Wesen herab, wo das Individuum mehr der Idee nach als in Wirklichkeit besteht, und statt der freien, selbständigen Wesen sehr unvollkommene, unselbständige Surrogate derselben uns entgegentreten. Wir erinnern uns denn auch bei diesem geringen Anlasse an des Dichters Worte:


Immer strebe zum Ganzen, und kannst du selber kein Ganzes

Werden, als dienendes Glied schließ an ein Ganzes dich an.


Allen jenen thierischen, vielgestaltigen Gemeinschaften fehlt »die angeborene Farbe der Entschließung«, welche die höhere staatliche Ordnung charakterisiren soll. Allein wohin gerathen wir doch vom Bandwurme! Wir stehen bei seinen »dienenden Gliedern«, insofern sie, zur Reife gelangt, durch eine äußerst ergiebige Eiproduktion für die Erneuerung des Entwickelungskreises sorgen, in welchem die Art sich bewegt.

Man sieht in den ersten platten Bandwurmgliedern gewöhnlich schon mit bloßem Auge den Eihalter, der aus einem mittleren Stamme und nach beiden Seiten abgehenden, unregelmäßigen Aesten besteht. Dieses Organ ist dicht mit Eiern erfüllt. Durch die dicke, oft doppelte Schale derselben erkennt man ein kleines, kugeliges Wesen, welches mit drei Paar Häkchen bewaffnet ist.


Sechshakiger Bandwurm-Embryo. Vergrößert.
Sechshakiger Bandwurm-Embryo. Vergrößert.

Wenn jemand, mit der Kenntnis der Entwickelungsgeschichte der übrigen Eingeweidewürmer ausgerüstet, an die ihm bisher unbekannten Bandwürmer käme, er würde aus der Festigkeit der Eihüllen und der Bewaffnung der Embryonen und aus der Beobachtung, daß diese Eier massenhaft ins Freie gelangen, den Verdacht hegen, daß auch die Bandwürmer allen Unbilden der Witterung, der Nässe und Trocknis, der Berührung mit gährenden und faulenden Substanzen ausgesetzt sein können, ohne diese Einflüsse bis zu ihrem Inhalte gelangen zu lassen, daß sie bestimmt sind, durch einen jener tausend möglichen Zufälle in ein Thier zu gerathen, daß dann der sechshakige Embryo frei wird und mit Hülfe seiner sechs Spießchen sich in seinem Wirte nach einem bestimmten Organe hin auf die Wanderung begibt. So ist es. In den Kreis dieser Entwickelung, zu welcher die eingewanderten, sechshakigen Larven fortschreiten, gehören nun jene Zustände und Formen, welche man fast ein Jahrhundert hindurch unter dem Namen der »Blasenwürmer« als selbständige Thiergattungen im Systeme verzeichnet hatte, die auch dem Laien bekannten Finnen und Quesen. Blasenwürmer nannte man sie, weil ihr Leib blasenförmig durch eine wässerige Flüssigkeit aufgetrieben ist, und über ihre sehr nahe Verwandtschaft mit den Bandwürmern gab die oberflächlichste Vergleichung ihrer Köpfe längst Aufschluß, die eben nichts anderes, als wahre Bandwurmköpfe sind. Als man vor dreißig Jahren anfing, den Wanderungen der parasitischen Würmer auf die Spur zu kommen, verfiel man auf die Vermuthung, die so offenbar mit den Bandwürmern verketteten Blasenwürmer seien nichts anderes, als verirrte, auf ihrer Wanderung in unrechte Organe gelangte Individuen, welche dort krank und wassersüchtig geworden. Die Finnen also, die bekanntesten aller, seien statt in den Darmkanal in das Fleisch gelangt, wo sie eigentlich eine recht elende Existenz hätten und ihren Lebenszweck vollständig verfehlten. Es ist das Verdienst Küchenmeisters, die Frage über das Verhältnis der Blasenwürmer zu den Bandwürmern in das rechte Geleis gebracht und durch überzeugende Nachweise und Experimente dahin entschieden zu haben, daß die Blasenwurmform der normale, einer ganzen Reihe von Bandwürmern eigenthümliche [167] Entwickelungszustand sei. Daß Mißgriffe, zum Theil tragikomischer Natur, unterliefen, ist nicht zu verwundern. Als unser Freund Küchenmeister auf der Naturforscherversammlung in Gotha im Jahre 1851 mit dem Fanatismus der Ueberzeugung seine Theorie vortrug, nachdem es ihm schon wiederholt gelungen war, die Finne des Kaninchens im Darme des Hundes zu einem schönen Bandwurme zu erziehen, erbot er sich zu demselben Experimente während der Tage der Versammlung.


a Blasenwurm. b Ausgestülpter Bandwurmkopf. 4mal vergrößert.
a Blasenwurm. b Ausgestülpter Bandwurmkopf. 4mal vergrößert.

Mit noch einem jüngeren Naturforscher hatte ich die Ehre, Küchenmeister zu assistiren. Kaninchen-Finnen waren da, aber kein Hund. Küchenmeister meinte, es würde wohl auch mit einer Katze gehen, und einen ungeheueren, sehr störrischen Kater in einem Sacke, begaben wir uns in einen Keller des Theaters, dessen Räume den Naturforschern zur Disposition standen, um diesem Kater die Finnen beizubringen. Der Kater hatte eine Ahnung, daß er nicht der rechte Wirt sei, kratzte und biß und spuckte wiederholt die Finnen aus, die wir ihm ins Maul gesteckt. Endlich gelang die gewaltsame Fütterung; nach zwei Tagen wurde das Opfer der Wissenschaft geschlachtet, aber von Finnen und beginnenden Bandwürmern keine Spur in ihm gefunden. Natürlich that dieser unbedeutende Zwischenfall dem Fortschritte der richtigen Erkenntnis dieser Verhältnisse keinen Eintrag. Man sah eben ein, daß gewisse Finnen nur in gewissen Thieren ihre Ausbildung zum Bandwurme erlangen.

Die durch Küchenmeister angeregten Versuche, welche die in der Natur mehr oder weniger dem Zufalle anheimgegebenen Vorgänge unter die Kontrolle und Leitung des Beobachters stellen, wurden nun hundertfältig nach beiden Richtungen hin fortgesetzt. Einmal galt es, sich zu überzeugen, in dem Darme welches Thieres sich der in einem anderen Thiere lebende Blasenwurm zur Bandwurmkolonie erhebt, und umgekehrt hatte man den Weg zu erforschen, welchen die sechshakigen Larven bis zur Verwandlung in die Blasenwurmform durchmachen. Im Freien kommen die in den Eiern eingeschlossenen Jungen nicht aus. Diese Eier müssen vielmehr in den Magen eines bestimmten Thieres, z.B. die Eier des Katzenbandwurmes in den Magen der Maus, die eines der Hundebandwürmer in den Magen des Kaninchens oder Hasen gelangen, um hier unter dem Einflusse der Magensäure binnen wenigen Stunden sich zu öffnen und den sechshakigen Embryo ausschlüpfen zu lassen. Diese nunmehr freien Larven machen sich aber sehr bald auf die Wanderung, durchbohren die Magenwände und gelangen nach und nach in den verschiedensten Organen an, wo eine Umwandlung mit ihnen vorgehen soll. Am häufigsten ist das Ziel dieser Wanderung die Leber. Einzelne dringen bis in die Knochen, und z.B. die Quese der Schafe dringt regelmäßig bis in das Gehirn vor. Angekommen am Ziele, umgibt sich das winzige Thierchen, nachdem es die nunmehr unnütz gewordenen Haken abgeworfen, mit einer Kapsel, in welcher es ungefähr ein zehntel Millimeter mißt. Es ist damit in eine zweite Lebensperiode getreten, in welcher es zum sogenannten Blasenwurme sich umbildet. Im Inneren des rundlichen Körpers (Fig. a) sammelt sich eine Flüssigkeit, wodurch der Körper mehr und mehr zu einer Blase aufgetrieben wird, auf deren Wand als Zeichen lebhaften organischen Processes sich ein Netz wasserklarer Gefäße entwickelt.

Bald zeigt sich, nach dem Inneren der Blase ragend, ein Zapfen, die Anlage des Bandwurmkopfes. Derselbe ist von außen sehr hohl; man kann sich ihn also vergegenwärtigen durch einen in die Faust des Handschuhes eingestülpten Handschuhfinger, und in dieser Höhlung liegen die Saugnäpfe und der Stachelkranz, so daß beim Ausstülpen des Zapfens diese Theile nach außen treten, und daß also natürlich die Oberfläche des einwärts gekehrten Zapfens dann zur Axe wird. Wird nun dieses Gebilde umgestülpt, was jedoch selten an dem Aufenthaltsorte der Finnen geschieht, so besteht es aus dem Bandwurmkopfe mit dem ungegliederten, aber oft gerunzelten [168] Halse und der daran hängenden Blase (Fig. b). Bei einigen Arten hat es aber sein Bewenden nicht mit der Bildung nur eines Bandwurmkopfes an der Blase; es können zahlreiche Kopfknospen entstehen, oder auch nur Blasen sich bilden, deren jede Köpfe hervorbringt. Wir werden diese Erzeugungen bei den betreffenden Arten näher ins Auge fassen. In dem Blasenwurmzustande verharrt der Wurm so lange, als er an der Bildungsstätte der Blase bleiben muß. Die Finne des Schweines geht in den Muskeln, wo sie sich aufhält, durchaus keine weiteren Veränderungen ein. Die Finne des Kaninchens in der Leber oder im Gekröse erfüllt ihre eigene Lebensaufgabe nicht, wenn das Kaninchen eines natürlichen Todes stirbt. Wird aber das inficirte und von der Marktpolizei nicht beanstandete Schweinefleisch roh oder sehr unvollkommen zubereitet vom Menschen genossen, wandert das Kaninchen in den Magen eines Hundes, die ebenfalls mit einem eigenen Blasenwurme gesegnete Maus in den Magen einer Katze, so findet nun der Ueber gang des Blasenwurmes in den eigentlichen Bandwurm statt. Die erste Veränderung ist das völlige Hervortreten des Kopfes, welcher sehr bald die zweite, das Abfallen der Schwanzblase, folgt, welche einfach verdaut wird. Der Kopf mit seinem Halse ist nun ein eigenes, selbständiges Wesen, die Zwischengeneration der Amme, welche aus dem Magen des Wohnthieres bis zu einer gewissen Stelle des Darmkanales hinabgleitet, wo sie sich fixirt und die Schlußgeneration, die Geschlechtsthiere unter der Form von Knospen und Gliedern, hervorbringt. Es folgen sich also, um das Bisherige nochmals kurz zusammenzufassen, im Leben des Bandwurmes folgende mit wiederholtem Wohnungswechsel verbundene Zustände: der sechshakige Embryo, der Blasenwurm, der Bandwurmkopf ohne Glieder, der eigentliche Kettenwurm und das isolirte Glied oder Geschlechtsthier; da jedoch die sechshakige Larve direkt in die Blase übergeht, der Bandwurmkopf an dieser als Knospe entsteht und dieser der Boden ist, aus welchem die Glieder hervorwachsen, so sind im Grunde drei Generationen zu unterscheiden, von denen aber nur die letzte geschlechtlich entwickelt ist, während die beiden vorhergehenden die vorbereitenden Stufen sind.

Nach diesen unumgänglichen Erörterungen werden wir nun die Verhältnisse, unter welchen eine Reihe Arten der Gattung Bandwurm (Taenia) vorkommt, leicht auffassen. Wir betrachten zuerst mehrere, deren Blasenwurmform, früher mit den Namen Cysticercus, Finne, bezeichnet, aus einer Blase mit einem einzigen Kopfe besteht. Die wichtigsten darunter für uns sind natürlich diejenigen, welche am häufigsten im Menschen sich ansiedeln. Am längsten und genauesten ist die Taenia solium bekannt. Sie erreicht eine Länge von 2 bis über 3 Meter. Der Kopf gleicht etwa dem Knopfe einer mittelgroßen Stecknadel. Auf dem Stirnvorsprunge steht ein Kranz von zweierlei Haken, welche sich durch ihre gedrungene Form von denen anderer Tänien, die man mit dem menschlichen Bandwurme in eine Art hat zusammenreihen wollen, gut unterscheiden. Der Hals ist ungefähr 15 Millimeter lang, und die Zahl der die Kette bildenden unreifen und reifen Glieder beläuft sich auf siebenhundert bis achthundert und mehr. Die Gestalt der Glieder ist in den verschiedenen Strecken sehr verschieden. Erst in der letzten Strecke nehmen sie eine entschieden längliche Form an, indem zugleich auch mit zunehmender Dicke der Eischalen der verzweigte Eihalter durchscheint. Man braucht nur ein solches reifes Glied zu sehen, um mit Gewißheit sagen zu können, ob das mit dem Bandwurme behaftete Individuum die Taenia solium oder eine andere Art beherbergt. Der Eihalter der Taenia solium hat nämlich jederseits nur sieben bis zehn Aeste, welche sich weiter verzweigen.

Daß der Mensch in die Erziehung dieses einen seiner Bandwürmer sich mit dem Schweine theilt, ist eine jetzt wohl allgemein bekannte Thatsache. Sie ist nicht nur durch die Vergleichung der Haken und anderen Kopfbestandtheile des Bandwurmes mit denen der Schweinefinne, sondern auch durch zahlreiche, immer mit demselben Erfolge sich wiederholende Versuche ganz außer Zweifel gestellt. Nicht wenige Ferkel und Schweine wurden seit den funfziger Jahren geopfert, um, nachdem [169] man ihnen eine Anzahl reifer Glieder der Taenia solium eingegeben, ihr Finnigwerden zu beobachten.


a Kopf und b Glied von Taenia . c Kopf und d Glied von Taenia mediocanellata.
a Kopf und b Glied von Taenia . c Kopf und d Glied von Taenia mediocanellata.

Ungefähr zwei und ein halber Monat verstreichen nach dem Einführen der Eier in das Schwein, bis die Finnen in den Muskeln ihre Entwickelung abgeschlossen haben. Außer im Schwein sollen auch noch in einigen anderen Thieren, Affe, Hund und anderen, die Blasenwürmer der Taenia solium gefunden worden sein. Ganz sicher ist nur, daß auch im Menschen selbst, wenn er durch irgend einen Zufall die Eier verschluckt hat, die Finnen sich regelmäßig in den Muskeln entwickeln, außerdem aber auch im Herzen und ziemlich oft im Auge und im Hirn vorkommen können.

Um positive Gewißheit zu erlangen, daß im gegebenen Falle die Schweinefinne im Menschen zur Taenia solium werde, konnte man unfreiwillig oder freiwillig Finnen verschlucken lassen und die Folgen beobachten. Der um die Naturgeschichte der Bandwürmer so hoch verdiente Küchenmeister kam auf den Gedanken, zum Tode verurtheilten Verbrechern, ohne daß sie es ahnten, in einer guten Suppe und mit Wurstsemmeln die Finnen beizubringen und bei der Sektion der Delinquenten das Vorhandensein der Finnen und den Beginn der Umwandlung zu konstatiren. Ein anderer Forscher fand für mäßiges Geld einen armen Schlucker, der sich nach Anweisung den Bandwurm anaß; und endlich bewog die Liebe zur Wahrheit und Wissenschaft mehrere Zoologen, sich selbst als Versuchsmenschen aufs innigste mit Finnen und Bandwurm zu befreunden. Von der Einführung der Finne in den Magen bis zur Abstoßung der ersten reifen Glieder scheinen drei bis drei und ein halber Monat nöthig zu sein. Sein Alter bringt der Bandwurm auf zehn bis zwölf Jahre, ja bei gehöriger Pflege scheint er noch älter zu werden.

Ein zweiter den Menschen bewohnender Bandwurm ist Taenia mediocanellata, der 4 Meter lang wird und dicker, stärker und beweglicher als der andere ist, mit dem wir uns eben beschäftigt. Zu unterscheiden sind sie sehr leicht, da der Kopf der T. mediocanellata ohne Hakenkranz ist und also nur die vier sehr kräftigen Saugnäpfe trägt. Aber auch jedes reife Glied läßt ihn erkennen, indem der Eihalter zwanzig bis fünfunddreißig dicht nebeneinanderlaufende Seitenzweige hat. Die Verbreitung dieses Thieres scheint eine ebenso große, als die der anderen Art zu sein. Man wußte schon länger, daß die Abessinier sehr von einem Bandwurme geplagt würden und zwar nach den Berichten älterer und neuerer Reisenden infolge der Sitte, das Fleisch roh zu genießen. Die Mohammedaner und Europäer, welche sich dieses Genusses enthalten, werden vom Bandwurme verschont, der sich sogleich einstellt, wenn sie die abessinische Gewohnheit mitmachen. Nun ist aber das Fleisch, welches die Abessinier genießen, kein Schweinefleisch, sondern dasjenige von Schafen und Rindern. Andere ärztliche Berichte, wonach Kinder nach dem Genusse geschabten Rindfleisches mit dem Bandwurme behaftet wurden, brachten Leuckart auf die Vermuthung, die Finne der Taenia mediocanellata wohne in den Muskeln des Rindes, und die darauf angestellten Versuche gaben den Beweis dafür. Vor dem Genuß rohen Rindfleisches muß daher ebenso nachdrücklich, wie vor dem des Schweinefleisches gewarnt werden. Ganz finnige Rinder und Kälber scheinen sehr selten vorzukommen, wohl der Hauptgrund, warum der Blasenwurmzustand des hakenlosen Menschenbandwurmes bis vor wenigen Jahren verborgen bleiben konnte. Die Nahrungsweise der Wiederkäuer bringt es mit sich, daß sie der Gefahr des Verschlingens ganzer Bandwurmglieder mit tausenden von Eiern viel weniger ausgesetzt sind. Um so größere Sorgfalt ist nöthig. In [170] Graz, wo ich früher lebte, ist Taenia mediocanellata offenbar die häufigere Form des Bandwurmes; Schweinefleisch in Form von Wurst und Bratwurst, wie in Thüringen, ißt man wenig oder gar nicht, aber ein den Import jener Art im höchsten Grade begünstigendes Gericht habe ich kennen gelernt: gehacktes rohes Rindfleisch, bloß mit Gewürzen und Essig und Oel angemacht.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 165-171.
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