1. Sippe: Cristatella

[178] Die Mehrzahl der Moosthierchen des süßen Wassers gehören der Ordnung der sogenannten Phylactolaemata an, deren Mund mit einem zungenförmigen Deckel versehen ist. Ihre Kiemen sind hufeisenförmig, am Grunde von einer kelchförmigen Haut umwachsen. Die Zellen sind entweder ganz weich, oder hornig und kommen daher im fossilen Zustande nicht vor. Eine sehr merkwürdig sich verhaltende Sippe ist Cristatella. Sie bildet scheibenförmige Kolonien, welche nicht festwachsen, sondern, dem Lichte nachgehend, langsam kriechend sich fortbewegen. Dabei wird die Frage angeregt, wie ein so vielköpfiges Geschöpf es zu Stande bringe, alle Einzelwillen nach einer Richtung zu vereinigen. Denn wenn auch der äußere Anreiz, wie zum Beispiel der des Lichtes, alle Einzelthiere in der Regel in derselben Richtung treffen wird, so erscheint er doch kaum ausreichend, um in eine solche Kolonie einen gewissen einheitlichen Willen und danach eine einheitliche Bewegung zu bringen, ohne daß ein diese Einheit vermittelndes Organ vorhanden ist. Und dieses ist vorhanden. Wir holen hier nach, daß jedes Einzelthier einen Nervenknoten zwischen Schlund und After und Nerven für seinen eigenen Bedarf hat. Daneben besteht aber in den Kolonien der Moosthiere noch ein besonderes Nervensystem, welches mit dem der Einzelthiere in Verbindung steht, aber von Nachbar zu Nachbar geht durch Oeffnungen, durch welche auch die [178] Leibesflüssigkeit des einen den übrigen zu Statten kommt, ein Kommunismus idealster Art. Es besteht also ein Kolonial-Nervensystem, durch welches ohne Zweifel auch die Kolonialbewegungen geregelt werden.


a Cristatella mucedo. Doppelte Größe. b Statoplast der Cristatella mucedo mit drei jungen Thieren. Vergrößert.
a Cristatella mucedo. Doppelte Größe. b Statoplast der Cristatella mucedo mit drei jungen Thieren. Vergrößert.

Außer den Eiern entstehen in der Leibeshöhle der Cristatella und überhaupt der meisten Phylactolämen eigenthümliche, ungefähr linsenförmige Körper, die sogenannten Statoplasten, welche im Herbste, wenn die Stöcke zu Grunde gehen, frei werden und auf dem Boden der Gewässer im Schlamme überwintern. Im Frühjahre füllen sich die Zellen, welche den den Umkreis der Linse bildenden Wulst zusammensetzen, mit Luft, die Statoplasten erscheinen an der Oberfläche, und aus ihnen bricht bei einigen Sippen ein junges Thier, bei unserer Cristatella aber ein Drilling hervor. Damit ist der Anfang eines neuen reichen Sommerlebens gemacht.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 178-179.
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