Terebella conchilega

[77] Bei der vorstehend abgebildeten Art sind es drei zierlich verzweigte Bäumchen. Die oberen Fußstummel aller Terebellen tragen Büschel von Haarborsten. Alle verwenden Material aus ihrer Umgebung, um es zu ihren Wohnröhren zusammenzukitten. Terebella emmalina, aus der Bai von Biscaya, baut aus Muschelstückchen und Sand sehr zerbrechliche Röhren. Von ihrer Vorliebe für Muschelfragmente zu ihrem Baue hat die in allen mitteleuropäischen Meeren gemeine Terebella conchilega ihren Namen. Daß sie jedoch auch mit anderem Materiale bauen, lehren die neuerlichen Beobachtungen von Ehlers. Die Röhren sind vorn mit zahlreichen hohlen Fortsätzen zur Bergung der Fühlfäden versehen. Ehlers erzählt: »Auf der unweit Spiekerooge gelegenen, zur Ebbezeit freilaufenden ›Krabbenplate‹, einer Bank, welche fast ganz von den Bauten der Sabellaria spinulosa bedeckt ist, desgleichen am Watt-Strande ragen solche Röhren mit ihren sehr mannigfaltig gestalteten Anhängen mehr oder minder hoch, gerade aufrecht gerichtet über die Oberfläche des Bodens hervor, scheinbar leer; gräbt man aber vorsichtig den Grund, aus welchem sie hervorragen, auf, so befördert man die sehr tief in den Boden dringenden Röhren heraus und erhält damit den meist bis in den Grund der Röhre zurück gezogenen Insassen, die Lanice (Terebella) conchilega.

In einem kleinen, gut durchlüfteten Aquarium ließen sich dann die in den Röhren eingeschlossenen Thiere sehr gut am Leben erhalten, und gaben mir Gelegenheit, die Art und Weise zu beobachten, in welcher die Würmer ihre Röhren bauen.


Vorderende der Röhre der Terebella conchilega. 31/2mal vergrößert.
Vorderende der Röhre der Terebella conchilega. 31/2mal vergrößert.

Insofern allerdings unterschied sich der Anbau, welchen die beobachteten Thiere an ihren Röhren machten, von den Verhältnissen im Freien, daß im Aquarium, in welchem die Röhren ihrer ganzen Länge nach freilagen, die Thiere bisweilen an beiden Eingängen in die Röhre fadenförmige Anhänge anbauten, während im Freien nur der über den Boden vorragende Theil solche Anhänge erhält. Gelegentlich baute auch einmal [77] ein Wurm eine cylindrische Röhre wieder über die mit Anhängen besetzte Mündung hinaus; das geschieht im Freien wie im Aquarium. – In der Wahl der Stoffe, welche die Würmer zum Baue verwenden, waren sie im Aquarium nicht wählerisch, während an allen Wurmröhren, welche ich ausgrub, der im Boden steckende Theil der Röhre ausschließlich von Sandkörnchen zusammengesetzt, und nur das frei vorragende Stück mit den verschiedenartigsten Fragmenten bekleidet war.

Die Thiere streckten aus der einen Oeffnung der Röhre die langen Fühler hervor und suchten mit diesen nach dem zum Baue zu verwendenden Materiale. Gab ich dem Wurme nun ein etwas größeres Stückchen, ein Steinchen oder ein Bruchstück einer Muschel – Glasscherben wurden meistens verschmäht –, so wurde dieses mit einer mehr oder minder großen Zahl von Fühlern ergriffen und in die Röhre hinein, zu dem in dieser verborgenen Thiere gezogen, wobei meistentheils sämmtliche Fühler mit eingezogen wurden. Nach einer kurzen Zeit quoll dann die ganze Masse der Fühler aus der Röhre hervor, und ihr folgte das Vorderende des Thieres; dieses trug dann das vorher eingezogene Stückchen zum Theile mit dem Kopflappen, besonders aber mit den wie eine Sohle abgesetzten Bauchschildern der vorderen Segmente, auf denen das Stückchen meistens derartig auflag, daß die Ränder der Schilder es zum Theile umfaßten. Nun hob sich wie tastend der Wurm an den Rand der Röhre und setzte das Stückchen an den erwählten Ort; es erfolgte ein meist ruckweises Loslassen des Stückchens, und wie sich der Wurm nun schnell in die Röhre zurückzog, sah man das Stückchen fest an seinem Platze angekittet. In solcher Weise wurden Sandkörnchen und kleinere Fragmente am Umfange des Röhreneinganges in der mannigfaltigsten Weise aufgekittet; in selteneren Fällen, wie es schien dann, wenn die aufgekittete Scherbe nicht genügend befestigt war, schob sich der Wurm zu wiederholten Malen mit dem Kopflappen und den vorderen Bauchschildern über die neuangebaute Strecke, augenscheinlich um durch Auflagerung neuer Kittmassen der Verbindung der Theilchen größere Festigkeit zu geben.

Wurde dem Wurme aber ein Stück geboten, welches zu groß war, als daß es in die Röhre hineingezogen werden konnte, etwa eine halbe Muschelschale, so trat das Vorderende des Wurmes an dieses durch die Fühler an den Röhreneingang herangezogene Stück, strich mit der ventralen Fläche des Vorderkörpers über dasselbe, und danach klebte das Stück an der Röhre fest.

Aus meinen Beobachtungen geht hervor, daß bei dem Baue der Röhren die Fühler, welche über ihre ganze Länge eine flimmernde Rinne tragen, nur insofern verwendet werden, als der Wurm mit ihnen das zum Baue zu verwendende Material aufsucht und ausliest, wie man das besonders erkennt, wenn das Thier mit ihnen einzelne Sandkörner aus feinem Schlamme heraussucht, und ferner mit ihnen das erwählte Stück ergreift und an das Kopfende des Wurmes heranbringt. Zum weiteren eigentlichen Bauen werden die Fühler nicht verwendet. Vielmehr vollführt das Ankitten der einzelnen Theilchen das Thier in der Weise, daß es zunächst einen klebenden und schnell erhärtenden Stoff, der mit der Grundlage der fertigen Röhre übereinstimmt, auf das ergriffene Stück bringt. Der Stoff ist das Sekret von Hautdrüsen, welche besonders zahlreich auf den flimmernden Flächen des Kopflappens und der Seitenlappen der anderen Segmente, dann auch auf den Bauchschildern und an den Fühlern sich finden. Er wird wahrscheinlich unter Mitwirkung der den Mundeingang umgebenden Lippen auf das ergriffene Stück gebracht, während dieses vom Kopflappen gefaßt ist. Davon überzeugte ich mich, indem ich einen aus der Röhre herausgenommenen Wurm, der dann eifrigst bestrebt ist, sich eine neue Umhüllung zu verschaffen, ein Stückchen Dickglas bot und sah, wie dasselbe vom Kopflappen ergriffen und gegen die Mundöffnung gedrückt wurde, und wie das selbe, als ich es sofort von dort entfernte, einen häutigen Ueberzug trug, der mit dem beim Baue benutzten Kitte übereinstimmt und den vom Thiere bereiteten Theil der Röhrenwand darstellt. Das mit Kitt versehene Stück aber wird von den Bauchschildern und dem Kopflappen an die vom Wurme erwählte Stelle eingesetzt, sei es, daß der Rand des Röhreneinganges im ganzen vergrößert oder mit fadenförmigen Anhängen besetzt wird, sei es, daß Verletzungen in der Röhre, wie ich solche durch Ausschneiden kleiner Strecken herstellte, auszubessern sind«.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 77-78.
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