Rotifer vulgaris

Rückenauge (Notomata myrmeleo) von der Seite. (Nach dem Leben von Simroth) 200mal vergrößert.
Rückenauge (Notomata myrmeleo) von der Seite. (Nach dem Leben von Simroth) 200mal vergrößert.

[111] Unter ihnen zeichnet sich die Gattung Rüsselrädchen (Rotifer) durch zwei auf einer Art von Stirnrüssel befindliche Augen und einen gabelartig endenden Fuß aus, welcher, wie in der ganzen Familie, nach Art eines Fernrohres ein- und ausgezogen werden kann. Zumeist an Rotifer vulgaris knüpfen sich die in anderthalb Jahrhunderten unzählig wiederholten Angaben von den laufenden Rädchen und von dem wunderbaren Aufleben nach jahrelangem Tode. Der eigentliche Aufenthalt des Thieres sind stehende[111] Gewässer, in denen es sich zwischen den Wasserfäden und Algen so anhäufen kann, daß es die kleinen Pflanzen wie ein Schimmel überzieht. Wie aber tausende von Organismen beim Austrocknen ihrer Standorte mit dem sie umgebenden Staube durch die Winde allerwärts hin ausgestreut und über ganze Erdtheile verbreitet werden, so auch das gemeine Räderthierchen. Trocknen die dasselbe beherbergenden Tümpel und Lachen ein, so ziehen sich die Rotiferen zu einer Kugel zusammen und trocknen endlich, an ein Sandkorn, ein Pflanzentheilchen angeklebt, zu einem undurchsichtigen, unförmlichen Stäubchen ein. Sie werden ein Spiel der Winde und sind in der That durch dieselben über das ganze trockene Land zerstreut. Zwischen den Flechten und dem Moose auf Baumrinden, vorzüglich aber in dem Dachmoose, sind sie überall zu finden, sie bewohnen die ärmste Hütte, wie den Königspalast, sobald nur die Dächer alt genug geworden, um ihre Moosvegetation zu erhalten.


Blumenthierchen (Floscularia ornata). 200mal vergrößert.
Blumenthierchen (Floscularia ornata). 200mal vergrößert.

Bei trockener, regenloser Witterung feiert das Leben der Rotiferen; ist es feucht und regnet es, so begehen sie ihre Auferstehung. Du siehst unter dem Mikroskope das ungeschlachte, eckige Körnchen einigermaßen anschwellen und sich runden. Jetzt werden einzelne Stellen etwas durchsichtig, das Naß durchtränkt den Körper, dessen Organe, je mehr er sich voll Wasser saugt, immer deutlicher werden. Das Fußfernrohr streckt sich um einige Glieder hervor, wie um sich vorsichtig zu orientiren, bis endlich nach einem bemerkbaren inneren Wirbeln der Kopf mit dem Räderwerke sich ausstülpt und das Thier nach langem oder auch kurzem Schlummer zu neuem Dasein erweckt ist. War das Thier todt, wenn es nach monatelangem Eintrocknen wieder neu aufleben kann? Gewiß nicht. Das Leben war nur unterbrochen, allerdings in sehr eingreifender Weise. Es war aber von keiner Zersetzung oder chemischen Umwandlung die Rede, und es ist nicht weniger begreifbar, daß trotz einer vielleicht absoluten Austrocknung die feinen Gewebsbestandtheile des Körpers einer Fortsetzung des Lebens fähig sind, als daß Frösche und Fische vollständig einfrieren können, ohne zu sterben. Sie werden eben nur in eine den gewöhnlichen Verlauf der Lebensprocesse unterbrechende Starrheit versetzt, nach deren Aufhebung das Lebensrad weiter schnurrt.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 111-112.
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