Weizenälchen (Anguillula tritici)

[123] Aber nicht bloß Thierschmarotzer finden sich unter den Aelchen, die wichtigsten, weil schädlichsten, unter ihnen sind diejenigen Pflanzenparasiten, auf welche Schneider den systematischen Namen Anguillula beschränkt wissen will. Das seit 1743 bekannte Weizenälchen (Anguillula tritici) erzeugt eine eigenthümliche Krankheit des Weizens, das sogenannte Gichtigwerden [123] oder den Faulbrand. »In den erkrankten Aehren«, sagt Kühn, »sind die Körper zum Theil oder gänzlich mißgebildet; sie sind kleiner, zugerundet, schwarz und bestehen aus einer dicken, harten Schale, deren Inhalt eine weiße Substanz bildet. Diese Substanz ist von staubartiger Beschaffenheit und geht beim Befeuchten mit Wasser zu feinen Körperchen auseinander, die sich unter dem Mikroskope als Anguillulen ausweisen, auf dieselbe Weise, wie andere unter ähnlichen Bedingungen allmählich zum Leben gelangen, und sich lebhaft zu bewegen beginnen. Die in dem völlig ausgebildeten kranken Getreidekorne enthaltenen Würmchen sind geschlechtslos. Kommt das Korn in den feuchten Boden, so erweicht und fault es; die darin enthaltenen, vorher eingetrockneten Würmchen aber gelangen durch die Feuchtigkeit zur Lebensthätigkeit, und die erweichte, verfaulte Hülle gestattet ihnen, sich aus ihr zu entfernen und sich im Boden zu verbreiten. Gelangen sie zu einer jungen Weizenpflanze, so kriechen sie an derselben hinauf, halten sich bei trockener Witterung in den Blattscheiden ohne Bewegung und Lebenszeichen auf, suchen aber bei einfallendem Regen mit dem Emporwachsen des Halmes immer weiter nach oben zu kommen, und gelangen so zu einer Zeit schon in die oberste Blattscheide und somit zu der sich bildenden Aehre, in welcher dieselbe noch in ihrer ersten Entwickelung begriffen ist. Durch die eingedrungenen Würmchen wird nun eine abnorme Entwickelung der Blütentheile in ähnlicher Weise veranlaßt, wie wir die Galläpfel durch Insektenlarven entstehen sehen, es bildet sich aus ihnen ein gerundeter Auswuchs, in dessen Mitte sich die Würmchen befinden. Diese entwickeln sich hier rasch zur normalen Ausbildung.


Weizenälchen (Anguillula tritici). Vergrößert.
Weizenälchen (Anguillula tritici). Vergrößert.

Die Weibchen legen eine große Menge Eier und sterben dann, wie auch die Männchen, bald ab. Währenddem wächst der Auswuchs, bis er zur Zeit der beginnenden Reife des Weizens fast die Größe eines normalen Kornes erreicht hat. Die alte Generation der Anguillulen ist dann schon ausgestorben, aus den Eiern sind die Embryonen längst ausgekrochen und bilden nun als geschlechtslose Larven den staubig faserigen Inhalt des Gallengewächses. Dieses trocknet mit den scheinbar leblosen Würmchen zu dem sogenannten Gicht- oder Radenkorn des Weizens zusammen. Gelangt dasselbe mit den gesunden Weizenkörnern in den feuchten Ackerboden, so wiederholt sich der Kreislauf.«

Auch in einigen anderen, wild wachsenden Gräsern rufen Anguillulen ähnliche Erscheinungen hervor, wie denn auch als Ursache der als Kernfäule bezeichneten Krankheit der Weberkarde von Kühn eine Anguillula erkannt worden ist. Der Lebenslauf der letzteren scheint durchaus derselbe zu sein, wie derjenige des Weizenälchens, derselbe Scheintod der Würmchen in den trockenen Blütentheilen, sofortiges Aufleben bei Befeuchtung. Da nasse Witterung das Aufsteigen der Aelchen am Stengel befördert, so erklärt es sich, warum die Kernfäule besonders in nassen Jahren sich ausbreitet. Auch unter den verschiedenen Feinden der Zuckerrübe befindet sich eine Anguillula, nach den anderen Benennungen ein Tylenchus. Es sollten, nach früheren Angaben, nur Weibchen sein, welche sich an die Wurzelfasern ansaugen und zu eiförmigen Säckchen von dreiviertel Linie Länge und fast einer halben Linie Breite anschwellen. Allein Bütschli theilt nach den Untersuchungen von Th. Stein folgendes mit: »Eigentlich sind es nur diese Bläschen, die bis jetzt gesehen wurden, [124] und in welchen man nach Schneider vom Darme, der Muskulatur, den Gefäßen und dem speciellen Baue der Eierstöcke nichts mehr soll unterscheiden können. Junge Thiere sind bis jetzt noch nicht gesehen worden, und fragt es sich daher sehr, ob diese Bläschen wirklich einen aufgeblähten ganzen Nematoden darstellen, oder vielleicht nur einen Theil eines solchen. Nach Steins Beobachtung findet sich nun in einem jeden dieser Bläschen ein kleiner Wurm, der durch den Mundstachel ganz entschieden als ein Tylenchus zu erkennen ist, und dessen Ausrüstung mit den beiden Spiculi der Tylenchen ihn uns als das Männchen vorstellt. Stein will nie mehr als ein derartiges Männchen beobachtet haben, und es liegt demnach hier vielleicht ein höchst interessanter Fall vor, der sich dem von Leuckart bei Trichosomum crassicauda gefundenen als zweiter anschließen würde, nämlich das Vorkommen des Männchens im Inneren des Weibchens«.

Es ist wiederholt von dem Wiederaufleben der Rotiferen und der mikroskopischen Fadenwürmer die Rede gewesen, es wird aber nicht unzweckmäßig sein, diese merkwürdige Erscheinung noch etwas weiter zu besprechen. Der berühmte Needham, der Entdecker des Weizenäl chens, hatte dem englischen Naturforscher Baker 1744 einige der Weizengallen gegeben und noch nach siebenundzwanzig Jahren, 1771, gelang es Baker, die Weizenälchen daraus wieder durch Anfeuchten zum Leben zu bringen. Das Wiederaufleben nach zwanzig Jahren der Eintrocknung ist bestätigt worden. Sicher kommt das meiste auf die Art und Sorgfalt der Aufbewahrung an. Einer der größten Gegner der sogenannten freiwilligen oder Urzeugung im vorigen Jahrhundert, der scharfsinnige Spallanzani, wußte schon, daß eine der wesentlichsten Bedingungen der im Dachmoose befindlichen Räderthiere und Anguillulen die sei, daß ihr Körper mehr oder weniger vom Moose oder Sande bedeckt sei. Er trocknete oder befeuchtete dieselben Thierchen mit gleichem Erfolge, nur wurde die Zahl der wieder auflebenden immer geringer, und bis zum sechzehnten Aufleben brachte es keines. In der That halten die Thierchen ganz außerordentliche Vexationen aus. Davaine, welcher die Naturgeschichte des Weizenälchens aufgeklärt hat, legte drei Jahre alte Larven unter die Luftpumpe, nachdem er auch für absolute Austrocknung der Luft gesorgt, und ließ sie fünf Tage im luftleeren Raume. Die meisten der Larven lebten dann auf, nachdem sie drei Stunden in reinem Wasser zugebracht hatten. Ganz anders als die Larven verhalten sich aber die ausgewachsenen Weizenälchen, die nur in geringem Grade jene Lebenszähigkeit besitzen, und im allgemeinen ist diese Eigenschaft nur bei denjenigen Anguilluliden zu finden, deren Wohnorte überhaupt dem Wechsel des Austrocknens und Feuchtwerdens ausgesetzt sind. Ein Hauptgrund, weshalb man, um günstige Erfolge zu erzielen, die Aelchen beim Trocknen mit feinen Sandkörnern umgeben muß, liegt nach meiner Ansicht darin, daß die Thierchen bei der Unregelmäßigkeit der Oberfläche und der davon abhängigen, unregelmäßigen Vertheilung des Wassers Zeit haben, der allmählich verschwindenden Feuchtigkeit nachzugehen und sich selbst allmählich zusammenzuziehen. Will man sie dagegen auf einem glatten Glase nach Verdunstung eines Tropfen reinen Wassers trocknen, so geht, wenn man in einem warmen Raume den Versuch anstellt, das letzte Stadium der Verdunstung so schnell vor sich, daß die Würmchen (und Räderthiere) plötzlich wie angeleimt sind, und bei weiterem Fortschreiten der Austrocknung die Haut und andere Organe reißen müssen.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 123-125.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Brachvogel, Albert Emil

Narziß. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

Narziß. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

Albert Brachvogel zeichnet in seinem Trauerspiel den Weg des schönen Sohnes des Flussgottes nach, der von beiden Geschlechtern umworben und begehrt wird, doch in seiner Selbstliebe allein seinem Spiegelbild verfällt.

68 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon