Trichine (Trichina spiralis)

[131] Kein Eingeweidewurm hat seit dem Jahre 1860 so viel von sich reden gemacht, als der gefährlichste von allen, die Trichine (Trichina spiralis), welche mit einigen anderen Gattungen, darunter dem ebenfalls unter den Schmarotzern des Menschen vertretenen Peitschenwurme, die Familie der Trichotracheliden bildet. Der Lebensgang der Trichine weicht zwar in einem wichtigen Punkte – daß sie nämlich als junges Thier nicht erst ins Freie gelangt, um sich weiter zu entwickeln, sondern gleich aus dem Darme des Menschen oder des Thieres, welchen sie bewohnt, in die Muskeln überwandert – in diesem Punkte, sage ich, weicht die Trichine von den bisher behandelten Nematoden ab; im wesentlichen aber reihen sich ihre Lebensverhältnisse in das allgemeine Bild ein, welches man sich aus den vorausgegangenen Darstellungen hat entwerfen können. Die Gefahr, vor der sich plötzlich alle Welt durch die Trichine bedroht sah, trug vorzüglich dazu bei, jene Scheu zu überwinden, welche man vor der näheren Betrachtung und Kenntnisnahme der Eingeweidewürmer hegte. Man kann dreist behaupten, daß eine Zeitlang, nächst dem Wetter, die Trichinen zu den am häufigsten gepflogenen Tisch- und Bierhausgesprächen herhalten mußten. Eine Reihe Trichinenepidemien entrollten wahre Schreckbilder menschlichen Leidens, und das bisher fast unbeachtet gebliebene Thier wurde nun durch die eifrigsten Nachforschungen über seine Natur und Entwickelung und die Art, wie man sich praktisch vor ihm schützen könnte, zum genau bekanntesten seiner Klasse. Es erschienen mehrere wissenschaftliche Monographien, unter denen wir die von Leuckart und Pagenstecher obenan zu stellen haben, populäre Abhandlungen zur Beruhigung und Belehrung der Menge, darunter eine vortreffliche von Virchow, wurden in vielen Tausenden von Exemplaren verbreitet, die Regierungen erließen Instruktionen zur Ueberwachung des Fleischhandels, sogar ein neues Amt, das des »Trichinenbeschauers«, wurde in mehreren mitteldeutschen Staaten gegründet, zum Besten vieler Dorfschullehrer, denen die Trichinen – das einzige Gute, was man ihnen nachrühmen kann, – zu einer Gehaltszulage für die fleißige Beschau der im Dorfe geschlachteten Schweine verholfen haben.

Sichere Fälle von dem Vorkommen der Trichinen im Zustande der Einkapselung in den Muskeln des Menschen sind erst etwa vierzig Jahre alt, und der Name Trichina spiralis wurde ihnen 1836 von dem englischen Naturforscher Owen gegeben. Er deutet auf die Aehnlichkeit des in der Kapsel zusammengerollt liegenden Würmchens mit einem spiraligen Härchen, von dem griechischen Worte Thrix, Trichos, das Haar. Die Parasiten, obschon in großer Anzahl vorkommend, erschienen unschädlich, wie denn in der That mit der Einkapselung die Krankheit überwunden werden kann. Erst acht Jahre später kam man zur Erkenntnis, daß jene Trichinen der Jugendzustand eines Rundwurmes seien; ihr Vorkommen im Menschen erschien jedoch als eine »Verirrung«; man übertrug auf sie eine Ansicht, die eine Zeitlang auch für andere Eingeweidewürmer des Menschen und der Thiere gegolten, daß sie nämlich in einem gewissen Stadium ihrer [131] Entwickelung oft den rechten Weg verfehlten, in unrechte Wirte und ihrem weiteren Wachsthume nicht zusagende Organe gelangten, darum ausarteten und eingekapselt würden. Daß die Trichinen ihre Kapsel selbst ausschwitzen, erfuhr man dabei. Auch stellte sich später durch eigens zu diesem Zwecke angestellte Versuche heraus, daß sowohl im Darme der Mäuse als in dem der Hunde die mit dem Fleische eingeführten Trichinen ihre Kapsel verließen, wuchsen und in kurzer Zeit geschlechtsreif wurden; ferner ergab sich die für die Ansteckung mit Trichinen wichtigste Thatsache, daß die im Darmkanale des Wohnthieres geborenen Trichinen nicht nach außen wandern, sondern die Muskeln des Wirtes heimsuchen. Der erste eklatante Fall einer tödtlich verlaufenden Trichinenkrankheit beim Menschen wurde am 27. Januar 1860 in Dresden bekannt und vom Professor Zenker in seiner ganzen Bedeutung gewürdigt; die völlige Aufklärung folgte rasch, leider begünstigt durch eine ganze Reihe von Einzelfällen und schweren Epidemien, welche zahlreiche Opfer verlangten. Eine der am meisten berüchtigten ist die von Hettstädt, bei welcher auf hundertneunundfunfzig Erkrankungen achtundzwanzig Todesfälle kamen. Die große Verbreitung des Parasiten zeigte ein in Hamburg beobachteter Fall, durch welchen sich ergab, daß das die Ansteckung verursacht habende Schwein in Valparaiso gekauft und während der Ueberfahrt von der Schiffsmannschaft verzehrt worden war. Ueberhaupt aber wurde bald offenbar, daß die fast ausschließliche Quelle für die Importirung der Würmer in den Menschen das Schwein sei. Zu diesem werden wir zurückkehren, indem wir uns näher mit den Eigenschaften und Lebensverhältnissen der Trichine bekannt machen. Die geschlechtsreifen Trichinen oder die sogenannten Darmtrichinen leben nur im Darme des Menschen und verschiedener Säugethiere und Vögel, und sie vollenden dort ihr Wachsthum, pflanzen sich fort und gehen nach und nach zu Grunde.


Männchen von Trichina spiralis. Vergrößert.
Männchen von Trichina spiralis. Vergrößert.

Die Weibchen sind selten wenig länger als drei Millimeter, die Männchen anderthalb Millimeter lang. Das Wachsthum und die Reife gehen im Darmkanale so schnell vor sich, daß die neue Generation schon fünf Tage nach Einführung der alten gefunden wird. Die Würmchen sind also mit gutem Auge gerade noch zu erkennen. Bei beiden Geschlechtern liegt der Mund gerade am Vorderende, von wo aus der Körper bis über die Mitte sich gleichmäßig verdickt, um von da aus gegen das stumpf abgerundete Hinterende wieder etwas schmäler zu werden. Die Oeffnung, durch welche die schon im Eihalter auskriechenden Embryonen geboren werden, liegt nicht weit vom Vorderende; das Schwanzende des Männchens ist durch ein Paar zapfenförmige Hervorragungen ausgezeichnet. Die in den Darm des Menschen und gewisser Thiere versetzten Trichinengehen nie aus demselben in die Muskeln über, halten sich aber unter normalen Verhältnissen fünf Wochen und länger in demselben auf, und die von jedem Weibchen producirte Anzahl von Nachkommen kann auf einige Tausende geschätzt werden. In dem unteren Theile des längeren Schlauches, in dessen oberem Theile die Eizellen sich bilden, liegen die Embryonen dicht gepackt aneinander und erreichen die zum Austritte reifen eine Länge von etwa dem zehnten Theile eines Millimeter. Sie verweilen nur ganz kurze Zeit im Aufenthaltsorte ihrer Eltern, und ihr Biograph kann das über ihre erste Jugendzeit handelnde Kapitel überschreiben:

[132] Die Trichinen auf der Wanderung. Der Inhalt dieses Kapitels ist aber ein sehr unsicherer. In die Blutgefäße scheinen sie nur ausnahmsweise zu gelangen, um von dem Blutstrome weiter fort in entferntere Körpertheile getragen zu werden. Ihr Weg dürfte vielmehr vornehmlich ein freiwilliger in dem sogenannten Bindegewebe sein, welches die Muskeln umkleidet und durchsetzt. Je reicher die Muskeln vom Bindegewebe umgeben sind, desto größer ist die Anzahl der einwandernden Trichinen. Jedoch gilt allgemein, daß die Einwanderung in die vom Rumpfe entfernteren Theile eine viel geringere ist als in die näheren. Am meisten heimgesucht sind das Zwerchfell, die Kaumuskeln, kurz solche Muskelgruppen, welche beim Athmen und Kauen gebraucht und beständig oder fast beständig beschäftigt sind. Man darf annehmen, daß die Bewegung der Muskeln selbst zum Vorwärtskommen der wandernden Trichinen beiträgt. Mit dem Ende der Wanderschaft beginnt die Periode der

Muskeltrichinen. Wir lassen über dieselbe und die damit verbundene Einkapselung Virchow reden. »Wenn eine junge Trichine in eine Muskelfaser hineingekrochen ist, so bewegt sie sich, wie es scheint, in der Regel eine gewisse Strecke fort. Sie durchbricht dabei die feineren Bestandtheile des Faserinhaltes und wirkt wahrscheinlich schon dadurch zerstörend auf die innere Zusammensetzung der Faser. Aber es läßt sich auch nicht bezweifeln, daß sie von dem Inhalte derselben selbst Theile in sich aufnimmt. Sie hat Mund, Speiseröhre und Darm; sie wächst im Laufe weniger Wochen um ein Vielfaches; sie muß also Nahrung aufnehmen, und diese kann sie nicht anders woher beziehen, als aus der Umgebung, in der sie sich befindet. Wenn sie auf diese Weise die Muskelsubstanz, den Fleischstoff, unmittelbar angreift, so wirkt sie zugleich reizend auf die umliegenden Theile.

Um diese Wirkungen zu verstehen, muß man sich die Zusammensetzung der Muskeln vergegenwärtigen. Schon für das bloße Auge besteht alles Fleisch aus kleinen, parallel nebeneinander gelagerten und durch ein zartes Bindegewebe zusammengehaltenen Faserbündeln. Jedes Bündel läßt sich mit feinen Nadeln leicht in kleinere Bündelchen und diese wieder in einzelne Fasern zerlegen. Mikroskopisch zeigt sich auch die einzelne Faser wieder zusammengesetzt. Außen besitzt sie eine strukturlose cylinderische Hülle; in dieser liegt der eigentliche Fleischstoff, der seinerseits aus kleinsten Körnchen besteht. Die Körnchen sind der Länge nach in Form von allerfeinsten Fäserchen (Primitivfibrillen), der Breite nach in Form von Plättchen (Fleischscheiben) angeordnet. Zwischen ihnen befinden sich in kleinen Abständen gewisse, mit Kernen versehene Gebilde, die sogenannten Muskelkörperchen. Die zerstörende Wirkung, welche die Trichinen ausüben, gibt sich nun hauptsächlich an dem eigentlichen Fleischstoffe und zwar wesentlich an den Körnchen, Primitivfibrillen und Scheiben kund. Diese Verschwinden im größten Theile der Faser mehr und mehr, und die letztere magert in dem Verhältnisse dieses Schwindens ab. Die reizende Wirkung hingegen tritt am meisten an der Hülle und an den Muskelkörperchen hervor, am stärksten an der Stelle, wo das Thier dauernd liegen bleibt. Die Hülle verdickt sich hier allmählich, die Kerne der Muskel körperchen vermehren sich, die Körperchen selbst vergrößern sich, zwischen ihnen lagert sich eine derbere Substanz ab, und so entsteht nach und nach um das Thier herum eine festere und dichtere Masse, an welcher man noch lange die äußere Hülle und die innere Wucherung unterscheiden kann.

Je größer das Thier wird, um so mehr rollt es sich ein, indem es Kopf- und Schwanzende einkrümmt und wie eine Uhrfeder spiralförmig zusammengewickelt liegt. Diese Vorgänge bilden sich hauptsächlich in der dritten bis fünften Woche nach der Einwanderung aus. Von da an nimmt die Dicke der Kapsel mehr und mehr zu, und zwar verdichtet sich insbesondere der Inhalt, weniger die Hülle. Der mittlere Theil der Kapsel, wo eben das aufgerollte Thier liegt, erscheint bei mäßiger Vergrößerung wie eine helle, kugelige oder eiförmige Masse, in welcher man das Thier deutlich wahrnimmt. Ueber und unter dieser Stelle finden sich in der Regel zwei Anhänge, welche bei durchfallendem Lichte dunkler, bei auffallendem Lichte weißlich erscheinen und sich allmählich verdünnen, um in einiger Entfernung mit einem abgerundeten oder abgestumpften Ende aufzuhören. [133] Häufig haben sie die größte Aehnlichkeit in der Form mit dem Ausschnitte des inneren Augenwinkels. Sie sind von sehr verschiedener Länge und auch an derselben Kapsel nicht selten ungleich. Zuweilen fehlen sie ganz und die Kapsel bildet ein einfaches Oval, oder sie ist an den Enden abgestumpft oder selbst eingedrückt. Diejenigen Theile der früheren Muskelfaser, welche über sie hinaus liegen, verkümmern inzwischen, dagegen sieht man in dem umliegenden Bindegewebe manchmal eine starke wie entzündliche Wucherung, selbst mit Entwickelung neuer Gefäße.

Ueber diesen Umwandlungen vergehen Monate, und bei noch längerer Zeit nach der Einwanderung geschehen weitere Veränderungen an den Kapseln. Die gewöhnlichste ist, daß sich Kalksalze ablagern, oder, wie man wohl sagt, daß die Kapseln verkreiden. Nimmt die Kalkmasse sehr zu, so überzieht sie endlich das ganze Thier, und man kann auch unter dem Mikroskope von demselben nichts mehr wahrnehmen, selbst wenn es ganz unversehrt ist. Es steckt dann in einer Kalkschale, wie ein Vogelei.«

Wie lange die Trichine in diesem vollkommenen Zustande der Einkapselung verharren kann, ohne die Fähigkeit zu verlieren, in einen passenden Darmkanal versetzt, sich fortzupflanzen, ist ungewiß.


Trichinenkapsel. Vergrößert.
Trichinenkapsel. Vergrößert.

Jedenfalls Jahre, vielleicht Jahrzehnte. Menschen und Thiere, welche die stürmische und schmerzhafte Krankheit, von der eine massenhafte Einwanderung von Trichinen begleitet ist, überstanden haben, und bei denen die zerstörten Muskelfasern durch Neubildungen ersetzt sind, haben von den von ihnen beherbergten Gästen keine weiteren Unbilden zu erdulden. Ein höchst interessanter, hierher gehöriger Fall ist der folgende. Im Jahre 1845 frühstückten nach einer Schulvisitation in einer Provinzialstadt Sachsens die sieben dabei betheiligten Personen in einem Gasthause. Wurst, Schinken, Weiß- und Rothwein usw. waren aufgetischt. Alle sieben erkrankten sehr heftig, vier starben, und da einer achten Person, welche nur ein Glas Rothwein getrunken, nichts zugestoßen war, glaubte man an eine Vergiftung durch den anderen Wein. Es kam nichts heraus, doch war der Verdacht gegen den Wirt so groß, daß derselbe sich zur Auswanderung genöthigt sah. Als einer der Genesenen 1863 sich eine Geschwulst am Halse operiren ließ, erkannte Professor Langenbeck in dem bloßliegenden Muskel eine Masse eingekapselter Trichinen, und die Krankheitserscheinungen bei der vermeintlichen Vergiftung lassen kaum eine andere Deutung als auf Trichinose (die Trichinenkrankheit) zu.

Soll die Muskeltrichine zur Ge schlechtsreife gelangen, so ist, womit unsere Darstellung begann, die Versetzung in den Darmkanal des Menschen oder gewisser Thiere nothwendig. Nach den bisherigen Beobachtungen und Versuchen tritt diese letzte Entwickelungs- und Lebensperiode in folgenden Thieren ein: Schwein, Kaninchen, Hase, Meerschweinchen, Maus, Ratte, Katze, Hund, Igel, Kalb, Eichelhäher, Taube, Truthahn, Haushuhn. Diese Liste wird wahrscheinlich sich noch sehr vermehren lassen. Jedoch findet bei keinem Vogel eine Einwanderung der jungen Brut in die Muskeln statt; von den Säugethieren aber sind die dem Menschen regelmäßig zur Nahrung dienenden Kaninchen, Hasen und Rinder natürlich nur unter ganz besonderen Umständen der Trichinose ausgesetzt und können füglich als eine Quelle der Ansteckung für den Menschen nicht angesehen werden. Alle Welt weiß, daß die Vorsichtsmaßregeln auf das Schwein zu koncentriren sind, für dieses aber scheinen Maus und Ratte, welche gelegentlich gefressen werden, häufig die Vermittler der Ansteckung zu sein.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 131-134.
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