2. Sippe: Carinaria

[300] [300] Carinaria ist eine in manchen Beziehungen sich an Atlanta anschließende, in wichtigen anderen aber den Uebergang zur dritten Hauptform der Kielfüßer bildende Gattung. Auch Carinaria hat ein Gehäuse. Dasselbe ist überaus dünn, glasartig und sehr rasch in einer Ebene aufgewunden, so daß die letzte Mündung an Umfang und Raum weit das Gewinde überwiegt. Es ist darin aber nur für den sogenannten Kern Platz, der aus der Leber und dem Eingeweideknäuel besteht, während die Kiemen über den Rand hervorragen. Der größte Theil des Körpers bildet eine spindelförmige Masse, von welcher der vordere Theil dem Kopfe der Atlanta und der hintere demjenigen Fußtheile der Atlanta entspricht, welcher den Deckel trägt. Am Grunde des Kopfes sieht man zwei lange spitze Fühlfäden, hinter welchen die Augen liegen. In dem runden Anfange am Bauche erkennt man sogleich den Kiel oder die Flosse mit dem Saugnapfe. »Die nach oben gekehrte Flosse«, sagt Keferstein, »bewegt durch Hin- und Herschlagen, wobei sie sich windschief biegt das Thier langsam, aber stetig fort. Der Schwanz schlägt hin und her, der ganze Körper ist, soweit es seine Festigkeit zuläßt, ebenfalls in ähnlicher Thätigkeit, und hierdurch wird das Thier hin-und hergeworfen, wobei es allerdings fortrückt, aber in seiner Bewegung zugleich alles Zierliche einbüßt. Wie aus dieser Beschreibung schon hervorgeht, ist es dem Thiere fast gleich bequem, sich vorwärts oder rückwärts zu bewegen, und man beobachtet auch wirklich beide Richtungen des Ortswechsels.«


Pterotrachea scutata. Natürliche Größe. a Schild, b Rüssel, c Mund, d Flosse, e Saugnapf, f Schwanzende, g Eingeweidesack, h Kiemen; i Wimperrinne zu k, den Begattungsorganen; l Darmkanal, m Auge.
Pterotrachea scutata. Natürliche Größe. a Schild, b Rüssel, c Mund, d Flosse, e Saugnapf, f Schwanzende, g Eingeweidesack, h Kiemen; i Wimperrinne zu k, den Begattungsorganen; l Darmkanal, m Auge.

Können sich die Atlanten durch gänzliches Zurückziehen in die Schale noch einigermaßen, namentlich vor den Angriffen kleinerer nagender Krebschen schützen, so sind die Carinarien in ihrer fast gänzlichen Nacktheit und Hülflosigkeit den vielfachsten Angriffen der nach ihnen lüsternen Krebse, Fische und der eigenen Verwandtschaft ausgesetzt. Diese Feinde scheinen es am öftersten auf den Eingeweidekern abgesehen zu haben, was sich sehr leicht aus der fast vollständigen Durchsichtigkeit des übrigen Körpers erklärt. Auch die Angabe, daß nicht selten außer dem Kerne auch der Kopf fehle, in welchem Zustande der Verstümmelung das übrig gebliebene Wrack noch lange sich fortbewegt, wird in den den Feinden als glänzende und gefärbte Kügelchen auffallenden Augen ihre Erklärung finden. Da, wie gesagt, die verstümmelten Exemplare lange, tagelang fortleben und nach geschlossenen Wundrändern noch ihre Bewegungen ausführen, so wird der Irrthum einiger Naturforscher begreiflich, welche solche verunglückte halbe und Viertelskörper als neue Gattungen begrüßten.

Zahlreiche Carinarien, welche Gegenbaur im März einfing, legten massenhaft Eier, so daß er die von einem einzigen Weibchen binnen vierundzwanzig Stunden gelieferten auf mehrere Tausende berechnet. Die Eier werden in Schnüren abgesetzt, die aus einer eiweißartigen Substanz [301] bestehen und äußerlich eine etwas erhärtete und daher spröde Schicht besitzen. Diese Schnüre sind drehrund, einen bis zwei Millimeter dick, auf ihrer Oberfläche vollkommen glatt und enthalten die Eier, in einer einzigen Reihe meist sehr nahe bei einander liegend. Schon achtzehn Stunden nach dem Legen dreht sich der Embryo mit Hülfe der Wimpern im Eie; auch konnte Gegenbaur die Weiterentwickelung bis zur Bildung des in zwei Lappen ausgedehnten Segels verfolgen, welches Stadium etwa am dritten Tage sich zeigt, aber dann gingen jedesmal, so oft er auch die sorgfältigste Pflege versuchte, die Embryonen zu Grunde.

Unter den ehemals im höchsten Preise stehenden Konchylien figurirt auch eine indische Carinarie, welche hundert Guineen gegolten hat.


Phyllirhoe bucephala, im Dunkeln, mit Hervorhebung der leuchtenden Stellen. 1/5 natürl. Größe.
Phyllirhoe bucephala, im Dunkeln, mit Hervorhebung der leuchtenden Stellen. 1/5 natürl. Größe.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 300-302.
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