1. Sippe: Herzmuscheln (Cardium)

[381] Die Cardiaceen umfassen unter den lebenden Muscheln fast nur die allerdings sehr artenreiche und von den Konchyliologen wieder in mehrere Unterabtheilungen gebrachte Sippe Herzmuschel, Cardium, davon benannt, daß das Gehäuse von hinten oder vorn herzförmig aussieht. Es hat hervorragende, eingerollte Wirbel, von welchen aus strahlenartig Rippen nach dem Rande sich erstrecken.

Das Thier hat den Mantel vorn bis über die Hälfte der Länge gespalten. Hinten ist er mit zahlreichen langen Fransen besetzt und läuft in zwei kurze, ebenfalls mit Fransen besetzte Röhren aus. Der Fuß ist sehr groß, rund und mit einem Knie gebogen. Eine, wenn auch mit manchen Ungehörigkeiten ausgeschmückte Schilderung einer englischen Küstenstrecke mit ihren Herzmuscheln gibt Gosse: »Wollen wir heute den Sand untersuchen? Eine breite, der See gut ausgesetzte Sandfläche ist für den Naturforscher kein ungünstiger Jagdgrund, so leer er scheint und so sprichwörtlich seine Unfruchtbarkeit, – leer wie der Sand an der Seeküste. Dann besonders kann man auf Beute rechnen, wenn, wie es oft der Fall ist, die weite Fläche gelben Sandes von einer oder mehreren Stellen rauher Felsen unterbrochen wird. Der Goodrington-Sand in der Bai von Torquay (Südküste von Devonshire) erfüllt gerade diese Bedingungen; und dahin wollen wir am heutigen Aprilmorgen unsere Schritte lenken.

Wir verfolgen unseren Weg auf der staubigen Hauptstraße, welche der Küste entlang von Torquay südwärts führt, indem wir dann und wann auf die Felsen und die zurückweichende Ebbe unsere Blicke werfen. Wilde Hyacinthen schauen zwischen dem üppigen Blattwerke der Arums und Nesseln hervor; überall Farnkräuter und Schlüsselblumen, die entweder in zusammenhängenden Massen sprossen oder nur wie einzelne Sterne die grüne Fläche besetzt halten; das lichte Himmelsröschen lächelt, und der immer liebliche Gamander-Ehrenpreis, die lichteste, süßeste aller Frühlingsblumen, erfreut uns da und dort, gleich Engelsaugen, wie unsere Landleute poetisch diese schön hellblauen Blumen nennen. Nachdem wir uns nochmals nach den amphitheatralischen Hügeln von Torquay umgesehen, gelangen wir zu dem lang hingestreckten Dorfe Paington, das malerisch mitten in Obstgärten steckt. Die Häuser sind so in den Aepfelbäumen begraben, daß nur die braunen, vom Alter gefleckten Strohdächer hier und dort hervorragen, wie Inseln in einem Meere röthlicher Blüten. Auf der anderen Seite aber dehnen sich Weidedickichte aus, wo die jungen zartgrünen Schößlinge, die Hoffnung des Herbstes, dicht von den ungeschlacht abgekappten Stumpfen sich erheben, während das stille Wasser rings um ihre Wurzeln erglänzt. Wir biegen durch eine [381] enge Gasse zur Linken ab und befinden uns nach einem Augenblicke auf einer moosigen, blumigen, mit Farn bedeckten Fläche. Durch das offene Thor einer Villa sehen wir wieder auf einen schönen Garten, dessen zahlreiche alte Tamarisken, die über und über mit ihren gefiederten Blättern beladen sind, den Seewall bedecken. Endlich eröffnet sich uns die ganze Ausdehnung von Küste und See und die Wagenräder sinken plötzlich sechs Zoll tief in den feuchten Sand ein. Wie glänzt und flimmert die weite Silbersee unter der aufsteigenden Sonne. Kaum kräuselt ein leichter Wind ihre Spiegelfläche. Doch weiter draußen in der offenen See lassen tiefblaue Linien und Streifen erkennen, daß ab- und zukommende Windstöße das Wasser erregen.


Stachelige Herzmuschel (Cardium echinatum). Natürliche Größe.
Stachelige Herzmuschel (Cardium echinatum). Natürliche Größe.

Wir sind am Goodrington-Sand. Denn hier zur Linken befindet sich der vorgestreckte steile Abfall von rothem, horizontal geschichteten Sandstein, bekannt unter dem Namen ›Roundham Kopf‹; jenseit desselben sehen wir ›Hope's Nase‹ und die beiden sie bewachenden Inselchen. Auf der anderen Seite erstreckt sich der lange mit dem ›Berry Kopf‹ endigende Landwall ebensoweit vor, und wir befinden uns am Rande der tiefen Bucht ungefähr gleich weit von beiden Landspitzen. Unmittelbar vor der Mündung des grünen Heckenganges, der in einiger Entfernung vom Strande beginnt und sich bis zur See erstreckt, liegt eine niedrige schwarze Felsmasse, besetzt mit Meereicheln (Balanus). Sie ist sehr zerrissen, und enge, gewundene, mit Sand bedeckte Gänge durchschneiden sie in allen Richtungen, und überall sind in den Höhlungen seichte ruhige Wassertümpel zurückgeblieben. Das sind kleine niedliche Seegärten, diese Tümpel. Hellgrüne Blätter von Ulva schwimmen im Wasser; Knorpeltangbüschel erglänzen in stahlblauem, edelsteinähnlichem Widerscheine; lange und breite Blätter des gesättigt dunkelrothen Tanges geben einen schönen Kontrast zum grünen Seelattig; und alle zusammen geben Tausenden von wachsamen, unruhigen, vergnügten Lebewesen ein geräumiges Obdach. Man hat schwer Gehen; der Boden ist sehr uneben und der Widerschein der Sonne auf dem Wasser erschwert einem zu sehen, wohin man treten soll, während das Kommen und Gehen der kleinen Wellen auf dem Sande dazwischen dem verwirrten Gehirne den Eindruck macht, als ob unter dem Fuße alles in Bewegung sei.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 381-382.
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