Gemeine Steindattel (Lithodomus lithophagus)

[364] Zu diesen im Alter den Byssus verlierenden Mytilaceen gehört auch die Gattung Lithodomus. Das beinahe cylindrische Gehäuse ist an beiden Enden abgerundet und mit einer sehr starken Oberhaut überzogen. Alle Arten leben in selbstgemachten Löchern in Steinen, Korallen, auch in dicken Konchylien. Am bekanntesten ist die im Mittelmeere gemeine Steindattel (Lithodomus lithophagus). Sie ist eine sehr beliebte Speise, kommt aber, obschon sie fast überall an den Kalksteinküsten zu finden, nie in großen Mengen auf den Markt, da das Herausholen aus ihren Höhlungen viel Zeit und Mühe kostet. Sie gehört demnach zu den sogenannten bohrenden Muscheln, obschon dieser Name, sofern er die Thätigkeit anzeigen soll, durch welche die Steindattel in den Felsen gelangt, ein sehr ungeeigneter ist. Wir werden weiter unten sehen, daß einige Muscheln allerdings sich ihre Höhlungen in Holz und Stein wenigstens zum Theile ausraspeln und bohren.


Steindattel (Lithodomus lithophagus). Natürliche Größe.
Steindattel (Lithodomus lithophagus). Natürliche Größe.

Die Steindattel hat aber hierzu gar keine Ausrüstung. Die ganze Oberfläche der Schale und namentlich auch Vorderende und Vorderrand sind glatt, ohne jede Spur von Zähnchen, welche allenfalls als Raspel benutzt werden könnten. Auch findet man die meisten Exemplare mit völlig unversehrter Oberhaut, welche doch jedenfalls beim Reiben an den dem Drucke am meisten ausgesetzten Stellen abgenutzt werden müßte. Kleine, mikroskopische Stiftchen und Zähnchen, welche man bei anderen bohrenden Muscheln im Fuße und den vorderen Manteltheilen entdeckt haben will, und welche die unsichtbaren steinzerstörenden Instrumente sein sollten, kommen bei der Steindattel unbedingt auch nicht vor. Man hat daran gedacht, ob nicht die regelmäßige, durch die Flimmerorgane der Kiemen und des Mantels unterhaltene Wasserströmung – gutta cavat lapidem – die Höhlung zu erweitern geeignet sei. Allein wer, gleich mir, viele Dutzende von Steindatteln aus dem härtesten, hier und da marmorähnlichen Kreidekalk herausgehämmert hat, kann bei aller Achtung vor der Macht der kleinen ununterbrochen wirkenden Gewalten an solche Thaten der Flimmerströmungen nicht glauben. Um auf den rechten Weg geführt zu werden, ist es nicht genug, die Steindattel mit den übrigen bohrenden Muscheln zusammen zu betrachten. Im Gegentheile, da jene unter anderen Verhältnissen bohren, macht dies eher rathlos. Dieselben harten Gesteine, in welchen die Steindattel ihre mehrere Zoll langen Gänge höhlt, werden auch von Thieren aus anderen Klassen durchbohrt, von den Bohrschwämmen und einigen Sipunculoïden [365] (s. oben Seite 115). Obwohl die Bohrschwämme unzählige scharfe mikroskopische Kieselkörperchen in sich haben, ist doch nicht daran zu denken, daß die Wirkung dieser die Zerbröckelung des Steines herbeiführte. Auch Phascolosoma und andere Sipuncoloïden haben keine zum Bohren ausreichende Bewaffnung. Es bleibt gar nichts übrig, als die Anlage und Erweiterung der Wohngänge aller dieser Thiere der auflösenden Kraft irgend einer Absonderung ihres Körpers zuzuschreiben, deren Erzeugungsstelle und Natur, das heißt chemische Beschaffenheit wir aber noch nicht kennen. Wir dürfen uns nur daran erinnern, daß viele Schnecken im Stande sind, während ihres Wachsthumes gewisse Wülste und andere Theile ihres Gehäuses wieder aufzulösen; wir brauchen nur an die scharfe Säure zu denken, welche die Faßschnecke in ihren Nebenspeicheldrüsen abscheidet, um auch für die Erklärung, wie die Höhlenbildung der Steindattel zu Stande kommt, einen wahrscheinlichen Anhaltepunkt zu gewinnen. Der Einwand, daß eine den Kalkfelsen auflösende Säure nothwendig auch das Kalkgehäuse des Thieres angreifen müsse, fällt wenigstens für Lithodomus weg, da, wie wir gesehen, die Kalklagen der Schale durch eine dicke, gegen die chemischen Reagentien der verschiedensten Art sehr unempfindliche Oberhaut geschützt sind. Bei anderen Muscheln (Saxicava) scheint auf andere Weise für die Sicherung des Gehäuses gegen die eigenen Ausscheidungen gesorgt zu sein.

Eine Gesellschaft von Steindatteln ist durch ihre Thaten weltberühmt geworden, weil sie einen der am meisten in die Augen leuchtenden Beweise für die Theorie der Hebung und Senkung ganzer Küstenstriche und Länder geliefert haben. An dem klassischen Strande von Puzzuoli (Puteoli) unweit Neapel ragen aus den Ruinen eines Tempels drei Säulen empor. In einer Höhe von zehn Fuß über dem Meeresspiegel beginnt an ihnen eine sechs Fuß breite Zone von Bohrlöchern der Steindatteln. Die Küste mit dem Serapistempel ist mithin, man weiß nicht zu welcher Zeit, einmal tief unter Wasser getreten und hat sich später, als die Steindatteln ihr Höhlenwerk vollendet, wieder, und zwar wohl ziemlich plötzlich, bis zur heutigen Höhe gehoben.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 364-366.
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