Testacella scutulum

[240] Diese Lebensweise ist von entsprechenden Veränderungen in der Organisation begleitet. Ihr Körper ist mehr walzenförmig, als der der Wegeschnecke; statt eines nur auf einen Theil des Halses beschränkten Mantelschildes ist der ganze Körper in eine dicke lederartige Haut eingeschlossen, um ihn vor zufälligem Drucke zu schützen und hinreichende Kraft beim Graben zu gewähren. Die ausgeprägteste Verschiedenheit aber findet man in den Verdauungsorganen. Im Munde ist keine hornartige, gezähnte Kinnlade, noch eine häutige, dornige Zunge; aber zwischen zwei senkrechten Lippen entspringt ein sehr kleiner walzenförmiger Rüssel, und zu dessen Bewegung ist ein Muskel vorhanden, welcher den merkwürdigsten Theil in der Zusammensetzung dieses Geschöpfes ausmacht. Groß und walzenförmig und sich längs des ganzen Bauches erstreckend, ist er an der linken Seite des Rückens durch ein Dutzend sehr deutlicher fleischiger Streifen befestigt, fast senkrecht zum Hauptmuskel des Körpers. Die Größe und Stärke dieses Muskels zeigt seine vorzügliche Wichtigkeit an, und seine Thätigkeit ist zweifacher Art. Wenn die Testacella die Nähe einer Beute gewahr wird, so ist es nothwendig, dieselbe zu überraschen und unerwartet zu ergreifen. Denn der Regenwurm, einmal in Bewegung gesetzt, ist weit schneller als sein Feind. Aber der Vortheil des letzteren besteht darin, daß er mittels jenes Muskels den Rüssel plötzlich auszuschnellen im Stande ist, welcher in einem Augenblicke an dem Gegenstande seiner Absicht festsitzt. Er wird dann durch dieselbe Muskelvorrichtung zurückgezogen, indem er das sich zerarbeitende Opfer seiner Wildheit festhält. Ein Beobachter, Sowerby, war erstaunt, wie Testacella scutulum, ein Thier, das im allgemeinen in seinen Bewegungen so langsam ist, nach Entdeckung seiner Beute mittels der Fühler aus seinem weiten Munde sogleich [240] eine weiße, kerbige, zurückgezogen Zunge (Rüssel) hervorstieß und außerordentlich rasch damit einen Regenwurm, viel größer und von anscheinend stärkerer Kraft, als es selbst, ergriff und festhielt, so daß er auch mit der äußersten Anstrengung ihm nicht mehr zu entgehen im Stande war.


Testacella haliotidea. Natürliche Größe.
Testacella haliotidea. Natürliche Größe.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 240-241.
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