1. Sippe: Schlammschnecken (Limnaeus)

[242] Mit der eben genannten Gattung theilen die Wasser-Lungenschnecken (Limnaeacea) die Eigenthümlichkeit, daß die Fühler, nur zwei, nicht hohl und einstülpbar sind und die Augen nicht auf der Spitze, sondern innen am Grunde derselben stehen. Die Gattung, nach welcher die ganze Abtheilung benannt, ist die Schlammschnecke (Limnaeus oder Limnaea). Am Thier, welches meist gelb punktirt ist, fallen die platt gedrückten dreieckigen Fühler auf. Das rechtsgewundene Gehäuse ist meist dünn und durchscheinend; seine Umgänge erweitern sich sehr schnell, und der letzte – der Bauch – ist meist der bedeutendste Theil des ganzen Gehäuses, das er zuweilen fast allein bildet. – Sie leben am liebsten und häufigsten in recht weichem Wasser mit schlammigem Boden, in welchem Wassergewächse verschiedener Art wuchern. Man sieht sie theils am Boden, theils an den Stengeln und Blättern der Pflanzen kriechen, häufig auch mit der Sohle unmittelbar an der Wasseroberfläche hängen, das Gehäuse nach unten gekehrt, und daran hingleiten. Sie haben diese Fähigkeit mit manchen anderen Bauchfüßern gemein. »Manche Bauchfüßer«, sagt Johnston, »können an die Oberfläche emporsteigen, wo sie in umgekehrter Haltung, mit Leib und Schale nach unten und mit dem Fuße nach oben gewendet, sich der Luft wie eines festen Pfades bedienen und darauf in derselben Art wie auf der Erde kriechen. Man kann die Aplysien und andere nacktkiemige Weichthiere oft abgesperrte Lachen an der Küste so durchwandern sehen. Jedoch sind es die Lungenschnecken unserer Süßwasser, welche die merkwürdige Bewegungsweise im vollkommensten Grade besitzen. Leicht kann man an einem Sommertage die Limnäen und Planorben so an der Oberfläche der Sümpfe und Teiche in leicht gebogenen Wellenlinien dahinkriechen oder hängen sehen. Während sie so hängen, geben sie jedoch diese Stelle oft plötzlich auf; sie sinken rasch zu Boden, von welchem sie sich gewöhnlich nur durch Emporkriechen an irgend einer festen Unterlage zur Oberfläche erheben. [242] Zuweilen habe ich sie aber auch geraden Weges durch das Wasser emporschweben sehen, eine Thatsache, die ich nur durch die Annahme erklären kann, daß sie das Vermögen besitzen, die Luft in ihrer Lungenhöhle zusammenzudrücken, wenn sie niedergehen, und daß sie derselben sich auszudehnen gestatten, um so ihren Körper zu erleichtern, wenn sie durch das Wasser aufsteigen wollen.« Ich halte diese Erklärung für eine befriedigende, zumal sie auch in den Verrichtungen der Schwimmblase der Fische, als eines hydrostatischen Apparates, eine Bestätigung findet. Was aber das Schweben der Limnäen und anderer Schnecken an der Grenzfläche zwischen Wasser und Luft betrifft, so ist mir keine die merkwürdige Erscheinung völlig plausibel machende Erläuterung bekannt. Man sieht auf der Fußsohle unbedeutende wellenförmige Bewegungen, die aber hier nicht in Betracht kommen können. Von Wichtigkeit ist die Bekleidung der Sohle mit Flimmerhärchen, wobei man aber nicht einsieht, wie das Thier sein Gleiten plötzlich hemmen kann. Am schwierigsten und gänzlich ungelöst ist aber das Haften an der Oberfläche selbst.


Große Schlammschnecke (Limnaea stagnalis). Natürliche Größe.
Große Schlammschnecke (Limnaea stagnalis). Natürliche Größe.

Es sieht genau so aus, als ob die Luftsäule eine Anziehung ausübe, und als ob vor dem Untersinken ein Losreißen stattfände. Es hat mir jedoch scheinen wollen, als ob die Sohle bei diesem Schweben an der Wasseroberfläche sich etwas, wie eine hohle Hand, vertiefte, so daß das Thier wie ein Boot getragen wird. Da das specifische Gewicht nur wenig über 1 ist, so genügt, um die Schnecke gerade am Wasserspiegel zu erhalten, eine geringe Konkavität; wird diese durch unmerkliche Kontraktionen des Fußrandes zur Ebene, so versinkt das Thier augenblicklich. Dies dürfte die einfachste und völlig ausreichende Er klärung sein.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 242-243.
Lizenz:
Kategorien: