Gemeiner Krake (Octopus vulgaris)

[193] Die gemeinste, am weitesten verbreitete Art, welche auch die größten Dimensionen erreicht, ist der gemeine Krake (Octopus vulgaris), von weißgrauer Farbe, die im Zustande der Aufregung in braune, rothe und gelbe Tinten übergeht. Dabei bedeckt sich die ganze obere Seite des Körpers mit warzigen Hervorragungen. Das wichtigste Artzeichen sind drei große Fühler auf jedem Augapfel. Seine Verbreitung erstreckt sich nicht bloß über das ganze Mittelmeer, er kommt auch an allen Küsten des Atlantischen Oceans, an den west- und ostindischen Inseln und bei Ile de France vor. Er hält sich auf felsigem Grunde auf und verbirgt sich gewöhnlich in Löchern und Spalten, in welche sein geschmeidiger und elastischer Körper mit Leichtigkeit eindringt. Dort lauert er auf die Thiere, von denen er sich nährt. Sobald er sie bemerkt, verläßt er vorsichtig sein Versteck, stürzt sich pfeilgeschwind auf sein Opfer, umstrickt es mit den Armen und hält es mit den Saugnäpfen fest. Er schwimmt auf seine Beute los, mit dem Hintertheile voran; unmittelbar davor dreht er sich mit einer Geschwindigkeit, die man kaum mit den Augen verfolgen kann, um und öffnet die Arme zum Umklammern. Mitunter schlägt er seinen Wohnsitz in einiger Entfernung vom felsigen Terrain auf Sandgrund auf und richtet sich dann ein Versteck her. Er schleppt mit Hülfe der Arme und Saugnäpfe Steine zusammen und häuft sie zu einem Krater an, in welchem er hockt und geduldig auf das Vorübergehen eines Fisches oder Krebses wartet, dessen er sich geschickt bemächtigt. Verany hat mehrere solcher Wegelagerer bei Villafranca beobachtet, und sehr leicht und bequem kann man sich über diese Verhältnisse und Gewohnheiten im Aquarium in Neapel unterrichten, von wo uns meine Zeichnerin ein sehr charakteristisches Bild gibt. Wir lassen Collmann reden. »Einer der Kraken im Aquarium hatte sich aus den in den Wasserstuben umherliegenden Steinen ebenfalls ein Versteck gebaut; es glich einem Neste, die Oeffnung war nach oben gekehrt. Der Steinhügel befand sich dem Fenster des Bassins zunächst. Die Größe der Steine wechselte von der eines Apfels bis zu der eines ansehnlichen Pflastersteines von ungefähr funfzehn Centimeter in der Diagonale. In diesem Neste war der Körper des Thieres meist ganz verborgen, nur der Kopf ragte hervor, die Arme lagen wie ein Kranz von Schlangen über der Oeffnung. Dieses Lager schien dem Thiere äußerst behaglich; ich habe nur einmal gesehen, daß es verlassen wurde, als ein Theil der Steine weggenommen worden war. Da stieg der Krake zornig heraus, um sie aufs neue zusammenzufügen. Man hatte die theilweise Zerstörung deshalb vornehmen lassen, um zu sehen, wie dieser weiche, knochenlose Molluske schwere Steine herbeischleppe, und hatte namentlich einige der großen Steine in die Mitte der anstoßenden Wasserstube, also ziemlich seitwärts, gelegt. Das Thier ging, sobald die Zerstörer sich entfernt hatten, an die Arbeit. Es umklammerte jeden Stein, als wollte es ihn verschlingen, drückte ihn fest an sich, so daß er zwischen den Armen beinahe verschwand. Nachdem er eine hinreichend feste Lage zu haben schien, lösten sich ein paar Arme, stemmten sich gegen den Boden und drückten den Körper sammt seiner Last zurück. Faustgroße Steine wurden schnell und ohne viele Anstrengung fortgebracht. Die größeren erforderten ein anderes Verfahren. Sie wurden an der schmalsten Ecke gefaßt und gegen die Mundöffnung gedrückt. Gleichzeitig schob sich der Körper unter die Last, um den Felsblock, denn so erschien er zur Größe des Thieres, in die Unterstützungslinie zu bringen. Er wurde emporgehoben und balancirt. War das Gleichgewicht endlich hergestellt, dann lösten sich wieder ein paar Arme und drückten die unförmliche Masse von Stein und Thier weiter.«

Im Sommer nähern sich die Jungen auch den mit Rollsteinen bedeckten Ufern, und mitunter begegnet man ihnen auch auf Schlammgrund. Man fischt sie gewöhnlich mit der Schnur, aber ohne Angelhaken, indem man an dessen Stelle irgend einen auffallenden, weißen Köder, beschwert mit einem Steinchen, bindet.


Gemeiner Krake (Octopus vulgaris). Kleines Exemplar.
Gemeiner Krake (Octopus vulgaris). Kleines Exemplar.

Der Fischer hält in jeder Hand eine Leine und zieht sie langsam über den seichteren Steingrund. Der Octopus hat den Köder kaum bemerkt, so stürzt er sich darauf und läßt sich langsam an die Oberfläche ziehen, von wo er mit einem kleinen Netze in das Boot[193] genommen wird. Die größten Exemplare pflegen aber die Fischer zu fangen, welche des Nachts beim Scheine der Kienfackel der Jagd auf allerhand Gethier obliegen, wie ich eine solche Scene [194] früher von der dalmatischen Küste beschrieben habe. In Nizza, wo die jungen Octopoden sich im Sommer dem aus Rollsteinen bestehenden Strande nähern, war ich auch Zeuge einer anderen Fangart. An der mit einem Bleie beschwerten Schnur ist ein mit mehreren Angelhaken bespickter Kork, den man mit einem Stücke zerfaserten rothen Tuches bedeckt. Man wirft die Schnur möglichst weit und zieht sie gemächlich zu Land. Der Octopus fällt darüber her und wird durch ein schnelles Anziehen, wenn man ihn bemerkt, in der Regel fest gemacht. Betteljungen und Reiche liegen an schönen Sommerabenden diesem Sport ob. Da die Thiere, wenn sie aus dem Wasser genommen sind, längere Zeit sehr behend und lebendig bleiben und geschickt zu entweichen suchen, so muß man sie auf der Stelle tödten. Den kleineren beißt der Fischer den Kopf entzwei, den großen nimmt er durch einen Messerstich das Leben. Die Jungen geben eine leckere Speise; die älteren und größeren, über ein Pfund wiegenden Thiere bekommen aber ein zähes Fleisch, welchem das der Sepia und des Calmars weit vorgezogen wird. Das größte Exemplar, welches bei Nizza von einem Fischer mit außerordentlicher Anstrengung bewältigt wurde, war ungefähr drei Meter lang und wog funfzig Pfund. Exemplare von dreißig Pfund sind nicht selten.

Wie gesagt, nähern sich besonders die jüngeren Thiere der Küste, so daß sie auch unter den bei der Ebbe frei werdenden Steinen zurückbleiben. Grube beschreibt den Fang derselben bei St. Malo. »Während ich, von einem der Bootsleute unterstützt, ohne besonderen Erfolg Blöcke umwälzte, konnte sich der andere nicht versagen, umherzustreichen, um Poulpen nachzuspüren. Ich selbst überraschte einen solchen Octopoden, der sich versteckt hatte, dessen Arme jedoch noch theilweise unter dem Felsstücke hervorragten. Aber wie arg wurde ihm mitgespielt! Rasch ergriffen und vom Boden gerissen, dem er sich mit aller Gewalt anzuklammern suchte, ward er von meinem Gefährten mit wahrer Wuth auf den Felsen geschleudert, drei-, viermal, bis er sich kaum noch regte, dann sein Körpersack umgewendet, daß die Kiemen nach außen zu liegen kamen, alles Eingeweide ausgeschnitten, der Leib durchbohrt und so auf einem spitzigen Stock den schon erbeuteten Exemplaren angereiht. In der Zeit der Ebbe sieht man einen Mann wohl vier bis fünf solcher Dintenfische fangen; doch scheinen sie hier mehr als Köder für die Angelschnur, als wie in Italien zum Essen zu dienen.«

Ueber das Verhalten des Octopus vulgaris im großen Aquarium in Arcachon an der französischen Küste hat Fischer sehr interessante Beobachtungen veröffentlicht. Im Sommer 1867 befanden sich sieben Stück im Aquarium und den Abtheilungen der großen Fischbehälter, wo man für jeden aus den Felsstücken eine Höhle ausgeschnitten hatte. Sie nahmen davon Besitz. Wenn einer sein Versteck verließ und das von einem anderen mit Beschlag belegte Loch untersuchen wollte, nahm der letztere es sehr übel, wechselte die Farbe und suchte mit einem der Arme des zweiten Paares den Eintritt zu verhindern. Es kam jedoch nie zu einem ernsteren Kampfe. Das zweite Armpaar, das längste, wird besonders zum Angriffe oder zur Vertheidigung gebraucht, mit den Armen des ersten Paares untersucht und tastet das Thier. Ueber Tag bewegen sich die Octopoden wenig; mitunter aber führen sie ein sehr eigenthümliches Manöver aus, indem sie ihre Arme heftig im Kreise schütteln, wodurch sie sich einrollen und verflechten.

Die Farbenveränderungen traten, wie es schien, zeitweise, ohne besondere Veranlassungen, auf. Einmal sah der Beobachter, wie ein Octopus auf der ganzen einen Seite des Körpers und Kopfes intensiv braunroth wurde, während die andere Hälfte grau blieb.

Die sehr gefräßigen Gefangenen füttert man mit Muscheln, indem man ihnen täglich ein bestimmtes Maß der eßbaren Herzmuschel (Cardium edule) vorlegt. Sie bemächtigten sich derselben und führten sie zum Munde, indem sie dieselben mit den Armen und der zwischen ihnen ausgespannten Haut verbargen. Nach unbestimmter Zeit, längstens nach einer Stunde, warfen sie die geöffneten und entleerten Muschelschalen wieder von sich; die Schalen waren völlig unbeschädigt. Da die Herzmuscheln nicht vollkommen schließen, so war die Möglichkeit vorhanden, daß sie nach und nach ausgesogen werden konnten. Um sich hierüber Gewißheit zu verschaffen, reichte Fischer den [195] Octopoden eine andere Muschel, einen großen Pectunculus, welcher äußerst fest und hermetisch schließt. Die Octopoden benahmen sich damit wie mit den Herzmuscheln, und nach Dreiviertelstunden waren auch die Pectunkeln entleert und die Schalen unbeschädigt. Da hiermit also nicht zum Ziele zu kommen war, wurde nun den Octopoden ihre Lieblingsnahrung, Krabben, vorgelegt. Sobald der Octopus die Krabbe (den Carcinus maenas) sich seiner Höhle nähern sieht, stürzt er sich über sie und bedeckt sie vollständig mit den ausgebreiteten Armen und der Armhaut. Die Arme strecken sich um das Opfer, so daß es sich nicht vertheidigen kann. Etwa eine Minute lang sucht der unglückliche Krebs seine eingebogenen Beine zu bewegen, dann wird er ganz ruhig und der Octopus schleppt ihn in sein Versteck. Man sieht dann durch die Armhaut hindurch, daß die Krabbe in verschiedene Lagen gebracht wird, und nach einer Stunde ist die Mahlzeit beendet. Der Rückenpanzer ist leer und von den an dem Bruststücke haftenden Eingeweiden getrennt; die Beine sind fast alle am Grunde abgebrochen; die Beinmuskeln und ein Theil der Eingeweide sind verzehrt, aber kein Theil des Hautskeletts verletzt. Wie denn eigentlich der Octopus seine Beute tödtet, wurde auch durch die Fütterung mit Krabben nicht klar. Nach der Mahlzeit wirft er, wie gesagt, die Reste vor seine Wohnung und bedeckt zum Theile den Eingang damit, indem er sie mit den Saugnäpfen heranzieht. Nur die Augen ragen über diesen Schutzwall hervor und spähen auf neue Beute.

Die Heftigkeit und Geschwindigkeit, womit die Octopus ihre Opfer ergreifen und an sich reißen, der Wechsel der Farbe während des Angriffs, die Warzen, welche auf der Haut erscheinen, verleihen diesen Thieren ein wahrhaft wildes Aussehen. Wenn sie jedoch gesättigt sind, lassen sie die Krabben neben sich herumgehen und sich sogar von ihnen berühren. Diese im Gegentheile sind offenbar in Schrecken und haben ihre gewöhnliche Keckheit eingebüßt; es scheint, als ob sie sich in ihr Schicksal ergeben und als ob sie unter jenem Zauberbanne ständen, welcher kleinere Thiere ihren Feinden gegenüber bestrickt.

Eine höchst lebendige Schilderung des gemeinen Octopus oder Kraken nach den Exemplaren in Dohrns Aquarium hat uns Collmann gegeben: »Ich war sehr begierig, die Natur dieser Thiere kennen zu lernen. Steckt wirklich (nach den Sagen vom Kraken) etwas wildes, kühnes, raubgieriges in ihrem Wesen, haben sie wirklich etwas von der Natur des Tigers? Oder ist das gerade Gegentheil der Fall? Ich gestehe, ich war geneigt, das letztere anzunehmen, denn der weiche Leib und namentlich der Anblick der todten Thiere bestärkte meinen Skepticismus. Der frisch getödtete Krake, der, im Korbe oder an der Erde liegend, zum Verkaufe angeboten wird, macht nicht den geringsten Eindruck. Der Leib ist glatt und die Arme liegen in weichen Biegungen in einander verschlungen. Sie scheinen ganz und gar ungefährlich. Aber durch die Beobachtung der lebenden Thiere ist meine Geringschätzung völlig in das Gegentheil umgeschlagen. Ja, in der That, sie sind vielleicht die kampflustigsten und muthigsten Thiere, die Wasser athmen; kühn, schnell und verwegen im Angriffe, von einer überraschenden Vielseitigkeit der Bewegungen und von einer Riesenkraft in ihren weichen, knochenlosen Armen.

Ich will eine jener Geschichten erzählen, die ich vor den Wasserstuben des Aquariums erlebt habe. Es war ein großer Hummer zu den Kraken aus einem anderen Bassin gesetzt worden. Er kam gleichsam in die Verbannung. Vorher hatte er sich in dem größten Bassin des Aquariums befunden, aber durch einen abscheulichen Mord, freilich begangen im Zustande der Nothwehr, sich die Ungnade der Aufsichtsbehörde zugezogen. In jenem großen Bassin befanden sich neben Haien, Zitterrochen und anderen auch vier prächtige Exemplare von Seeschildkröten. Die Seeschildkröten lieben Austern und Hummer in hohem Grade; die eine, von der Größe eines Tellers, schien Appetit zu verspüren nach jenem Hummer, sie hatte, vielleicht noch unerfahren, die Waffen des Krusters entschieden unterschätzt. Der Kopf der Schildkröte wurde von der einen Schere des Hummers erfaßt und buchstäblich zerdrückt. Nun weiß jeder, daß der Schädel dieser Thiere ein sehr festes Knochengerüste besitzt, und man kann daraus entnehmen, wie groß die Kraft in den Scheren dieser [196] Thiere ist. Unser Hummer war freilich auch ein kolossales Exemplar, aber trotzdem bleibt die Art der mit Erfolg gekrönten Nothwehr eine respektable Leistung seiner Scheren.

Dieser Hummer wurde in die Behausung der Kraken gesetzt. Der Eindringling ward mit der größten Aufmerksamkeit betrachtet und dann in weitem Bogen umkreist. Dabei verrieth das ganze Wesen der Thiere etwas Herausforderndes. Vorsichtig, als ob sie einen Feind beschleichen wollten, näherten sie sich, schwangen dann die Füße über ihn, wie Peitschen, und gingen, wenn er den knochenharten Brustschild oder die gewaltigen Zangen wies, allerdings zögernd zurück.

Nach und nach legte sich die Aufregung, aber ein Krake suchte immer näher zu kommen. Auch er schien sich endlich eines anderen zu besinnen und verhielt sich vollkommen theilnahmlos. Der Hummer zog sich etwas zurück und überließ sich einer beschaulichen Ruhe, leider zu früh: im nächsten Augenblicke war er schon von dem Kraken gefaßt, umklammert, festgeschnürt und völlig wehrlos. Da, im selben Moment, sprang der Wärter herbei, packte den Knäuel, der recht wüthenden Schlangen glich, und befreite den Hummer wieder.

Der Diener, ein Vollblutneapolitaner, behauptete mit der größten Bestimmtheit, begleitet von der lebhaftesten Mimik, jenen graziösen Gesten und rhetorischen Phrasen, welche vor allem den Süditaliener charakterisiren, der Krake hätte jedenfalls den Hummer zerrissen, wenn er nicht rettend eingesprungen wäre. Ich hatte aber meine Vorurtheile über diese Kraken, diese weichen, durchsichtigen, beinahe gallertigen Massen: sie schienen mir einmal nicht gefährlich. Trotz der Sagen über die Gefährlichkeit dieser Thiere und des eben beobachteten Kampfspieles blieb ich ungläubig, obwohl der Wärter die haarsträubendsten Dinge zu berichten wußte. Um den weiteren Verlauf zu beobachten, kehrte ich öfters zu dem Bassin zurück. Schon nach einer Stunde schien mir bei einem der Kraken wieder die Kampflust zu erwachen, und in der That, bald darauf geschah ein neuer Angriff. Leider ließ sich nicht konstatiren, ob derselbe es war, der den Kampf erneuerte – gleichviel, es wurde gekämpft. Ich war zufällig allein im Aquarium und hütete mich in den Kampf einzugreifen. Mich interessirte die Art des Kampfes und das Ende desselben; welchen von diesen seltsamen Gladiatoren das Geschick vernichtete, war mir völlig gleichgültig. Wieder wie das letztemal sah ich die Füße des Kraken mit krampfhaften Windungen den Hummer umschließen, dort löste sich einer, um an einer anderen Stelle helfend den übrigen beizustehen. Alles schien Krake, vom Hummer waren nur kleine Partien sichtbar. Die Kämpfenden rollten am Grunde umher und wühlten den Kies auf; plötzlich löste sich der Knäuel und der Krake fuhr quer durch das Wasser, den Krebs mit sich schleppend, aber nicht als Sieger. Der Krebs hatte einen Fuß des Kraken tief am Ansatze beim Kopf gefaßt und sich festgeklemmt. Ich fürchtete, es würde sofort zu einer Amputation kommen, denn der Hummer preßte seine Zange zusammen, daß der Arm schon völlig abgeschnürt erschien. Aber zu meiner Ueberraschung hielt die derbe, an Elasticität dem Kautschuk ähnliche Substanz des Fußes den furchtbaren Druck aus. Unterdessen schwamm der Krake, von Schmerz gepeinigt, hin und her und suchte den Gegner von sich zu schleudern. Der Hummer flog bei den schnellen Wendungen ein paar Mal gegen die Steine, aus denen die Wände felsenhöhlenartig gefügt sind, und das bewog ihn, schließlich seine Beißzange zu öffnen. Darauf zogen sich beide nach verschiedenen Ecken des Bassins zurück. Der Krebs saß ruhig beobachtend in einem dunkeln Winkel, der Krake klammerte sich an einen der steinigen Vorsprünge und begann das nie ruhende Spiel mit seinen Füßen, die sich bald zusammenrollen, oder, langsam ausgreifend, bald hier, bald dorthin tasten.

Selbst der tief eingeschnürte Fuß, der von dem Drucke der Scheren gepackt war, bewegte sich, zu meiner Ueberraschung. Ich hatte, analog der Natur eines Wirbelthieres, völlige Lähmung erwartet. Aber es war keine Spur davon zu bemerken. Diese Organismen haben sehr merkwürdige Eigenschaften an ihren Blutgefäßen, welche den höheren Thieren vollkommen in diesem Grade mangeln. Jeder Theil des Gefäßsystems ist nämlich kontraktil, so daß auch ohne Herz dennoch ein Kreislauf der Säfte möglich ist. Aus dieser Beschaffenheit läßt es sich allein erklären, daß schon nach wenigen Tagen jede Spur des Kampfes verschwunden war.

[197] Die Art, wie übrigens der Kampf von dem Kraken aufgenommen, und die Behendigkeit, mit welcher er trotz des nachtheiligen Ausganges geführt worden war, hatte doch meine frühere geringschätzende Ansicht etwas geändert. Ich konnte vor allem dem Muthe der Thiere meine Anerkennung nicht versagen, und dann war die Schnelligkeit der Bewegungen doch höchst anerkennenswerth gewesen. Unterdessen dauerte der Krieg gegen den Fremdling beständig fort; der Wärter war in den nächsten Tagen wiederholt eingesprungen und hatte die Kämpfenden von einander getrennt. Es kämpfte immer nur ein Krake, die übrigen verhielten sich vollkommen passiv; aber einmal gelang die Trennung erst, nachdem der Hummer die eine seiner Scheren verloren.

Um der beständigen Verfolgung ein Ende zu machen, wurde der Hummer in das zunächst anstoßende Bassin gebracht. Es ist von den beiden vorhergehenden, zwischen denen ein Einschnitt in der Wand ein weites Thor offen läßt, durch eine solide Cementmauer getrennt, welche ungefähr zwei Centimeter über den Wasserspiegel hervorragt. Die Hoffnung, den Krebs hier einmal vor den rauflustigen Kraken zu schützen, war eitel. Noch im Laufe des Tages setzte einer von ihnen über die Mauer, attakirte den arglos dasitzenden Hummer und riß ihn nach kurzem Kampfe buchstäblich in der Mitte entzwei. Der Ueberfall war gelungen, und in kaum vierzig Sekunden hatte der Sieger nicht allein den Kampf aufgenommen und vollendet, sondern sich auch schon daran gemacht, den Feind zu verzehren.

Mir war dieses Benehmen des Kraken im höchsten Grade interessant. Dieser letzte Akt des Kampfes zeigte eine weit über den Instinkt hinausreichende Thätigkeit des Gehirns, er zeigte Intellekt. Der Krake hatte vielleicht gesehen, daß der Hummer von dem Wärter in das nächste Bassin gesetzt worden war, oder er hatte durch das cirkulirende Wasser Witterung von der nahen Beute erhalten, gleichviel, der Krake schließt von einem Sinneseindrucke auf eine Beute, die er nicht sieht, und führt endlich einen Sprung durch die Luft nach jener Richtung hin aus. Auf eine sichtbare Beute zu stürzen, wäre ein Akt des Instinktes, aber auf einen Feind losstürzen, der nicht im Gesichtskreise ist, und unter den eben erwähnten erschwerenden Umständen, scheint mir unzweifelhaft mehr, ist unzweifelhaft Intellekt.

Um diese Erscheinung richtig zu würdigen, kommt jedoch noch folgendes in Betracht. Seit der Eröffnung des Aquariums leben die Kraken mit zwei Hummern zusammen und stehen mit ihnen auf ganz gutem Fuße. Sie zeigen sich gegen diese alten Stubengenossen also verträglich, ebenso gegen einige kleine Fische, die in jener ersten Zeit zu Mitbewohnern wurden. Der dritte Hummer hat auf sie nun einen entschieden anderen Eindruck gemacht; er erschien als Eindringling, und jeder neue Mitbewerber, der ihnen Luft und Raum streitig machen will, erregt ihren Zorn und ihren tödtlichen Haß. Sie verhalten sich gegen jedes Thier genau ebenso, wie gegen diesen Hummer, und wäre es selbst der nächste Verwandte. Während meines Aufenthaltes wollte man die beiden Wasserstuben noch mit mehreren Kraken, also mit Individuen derselben Species, bevölkern, aber der Versuch mißlang vollständig. Jeder wurde erwürgt und aufgezehrt. Und in jedem Kampfe, den die älteren Hausbewohner selbst mit überlegenen Gegnern aufnahmen, blieben sie Sieger. Der Eindringling ist den bereits seßhaften Thieren gegenüber immer im Nachtheile, immer in der ungünstigsten Lage. Sie sind die Herren des Schauplatzes, muthig, unternehmend, durch die wiederholten Erfolge nur um so verwegener, und kennen vollkommen das Terrain; der Ankömmling findet sich allein in fremdem Gebiete zahlreichen Angreifern gegenüber, deren Art des Kampfes ihm völlig neu ist. Naturgemäß ist er deshalb ängstlich, zieht sich zurück und ist stets mehr auf Flucht bedacht als auf Gegenwehr. Daher der unglückliche Ausgang des Kampfes. Die Kraken hassen jeden, der ihren Raum mitbewohnen will. Es ist nicht der Hunger, der sie treibt, denn sie werden reichlich gefüttert, es ist der Haß, der überall, aller Orten durch den Kampf ums Dasein er regt wird. Es ist auch Haß und Mord nicht der Grundzug ihres Wesens, wie eine andere Seite ihres Naturells zur Genüge beweist. Sie kennen z.B. ihren Wärter nicht nur ganz genau und unterscheiden ihn von anderen Personen, sie lieben ihn sogar. Sie umfassen mit weichen und schmeichelnden Windungen [198] seine Hand und den nackten Arm und suchen den leckeren Bissen langsam zu erhaschen, den er neckend nur zu lange ihnen vorenthält.«

Da auch das Farbenspiel und das Benehmen gegen die Mitgefangenen von Collmann genauer, als von Fischer beobachtet worden, lassen wir auch diesen Theil der so anziehenden Schilderung noch folgen. »Das Thier hat die Fähigkeit, von dem hellsten Grau bis zu dem tiefsten Braun zu wechseln; die Farbe ändert sich dabei schnell, oder sie bleibt in irgend einer Nüance stehen; sie kann ferner nur am Körper auftreten oder an den Armen, kurz der Krake scheint sein Kolorit vollständig beherrschen zu können. Bei jenen oben erwähnten Angriffen auf den Hummer war die ganze Haut dunkel, namentlich während des Kampfes. Wenn er den Feind kampflustig beschleicht, oder dem Wärter einen Krebs zu entreißen sucht, oder wenn sie sich neckend verfolgen, dann wird die ganze Herrschaft über die Farbe in raschem Wechsel sichtbar. – Dieser Farbenwechsel ist für die Thiere jedenfalls eine vortreffliche Waffe, um Feinde zu täuschen. Halten sich die Kraken in grauem Gesteine auf, dann nehmen sie selbst die graue Farbe an, ob willkürlich oder durch Reflexvorgänge in den Nerven, ist schwer zu sagen. Dann gleicht das Thier mit den eingezogenen Armen und dem gekrümmten Rücken selbst einem verwitterten Steine. Sie werden auf diese Weise ihren Feinden leicht entgehen.

Der Farbenwechsel ist gleichzeitig ein treffliches Mittel, um die Mimik dieser Thiere zu unterstützen. Die Kraken sind vielleicht die lebhaftesten Thiere des Meeres. Sie sind immer in Bewegung1 und übertreffen an Lebendigkeit weit die Dintenfische und die Calmare. Bei der Durchsichtigkeit der Haut, bei der Nacktheit des ganzen Körpers lassen sich die Erregungszustände dieses Thieres leicht verfolgen, und man wird bald bemerken, daß sie eine sehr deutliche Mimik haben und eine große Reihe von Gemüthsstimmungen ausdrücken können. Für solche Beobachtungen eignete sich namentlich jener Krake, der in seinem steinernen Neste beständig dicht am Fenster saß. Nahte sich einer der Brüder, so ließ er je nach der Nähe mehrere vollkommen unterscheidbare Aeußerungen des Unwillens bemerken.

Erst erhoben sich die Spitzen einiger Arme nach jener Gegend hin, woher der Besuch kam, langsam aber doch entschieden ausgreifend. Heftiger war die Drohung, wenn ein paar Arme wie eine Peitsche hin ausgeschleudert wurden. Dann erhob er sich gleichzeitig etwas aus der Tiefe seines Steinbaues, gleichsam zur Gegenwehr bereit. Dabei wurde das Thier dunkler an einigen Stellen; die braunen Schatten flogen über Körper und Arme um ebenso schnell wieder zu verschwinden. Wenn diese Zeichen des Unwillens die zudringlichen Gesellen nicht verscheuchten, oder wenn ein Zuschauer, wie ich das oft that, nach ihm greifend mit der Hand an die Glasscheibe schlug, dann stieg der Körper bis zur Hälfte aus der Höhle empor, die Hügel, welche die Augen umfassen, schwollen an, die Farbe wurde dunkel bis in die Iris hinein, ein paar Arme erhoben sich, während die anderen, über die Steine hinweggleitend, ihre Saugnäpfe bald hier, bald dort festklammerten, um sie im nächsten Augenblicke heftig loszureißen. Diese drohenden Geberden waren stets von tiefen gewaltsamen Athembewegungen begleitet, und das Wasser wurde in größerer Menge in den Mantel eingesaugt, dieser schwoll dadurch zu größerem Umfange auf und erhöhte das Drohende der ganzen Haltung, ebenso wie das heftige Ausstoßen des Wassers, das durch den Trichter wie aus einer Spritze herausfuhr.«

Fußnoten

1 Das ist nicht so zu verstehen, als ob sie fortwährend umherschweiften. Sie sitzen vielmehr stunden- und tagelang auf einem Flecke, beobachten aber höchst aufmerksam, was um sie vorgeht, und verrathen ihre Theilnahme durch kleine Armbewegungen, etwa wie die lauernde Katze mit dem Schwanze zuckt. O.S.


Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 193-199.
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