Gemeiner Calmar (Loligo vulgaris)

[208] Außer Sepia ist in der uns eben beschäftigenden Abtheilung die Gattung Calmar (Loligo) die wichtigste. Der fleischige, nackte, cylindrische Körper ist verlängert und hinten zugespitzt, und die auf dem Rücken sich vereinigenden Flossen geben dem Hinterende meist die Gestalt einer geflügelten Pfeilspitze. Im Rücken ist ein biegsamer horniger Schulp von pfeilförmiger Gestalt enthalten. Die gemeinste Art ist auch von der Systematik als solche bezeichnet, der gemeine Calmar, Loligo vulgaris, Calamaro der Italiener. Seine Flossen bilden ein Rhomboid, welches sich über zwei Drittel des Rumpfes erstreckt. Das erste Armpaar ist das kürzeste, dann folgen nach der Länge das vierte, zweite und dritte. Die Greifarme sind anderthalbmal so lang wie der Körper und ihre verdickten Enden mit vier Reihen sehr ungleicher Näpfe besetzt. Die specielle Eigenthümlichkeit der Färbung besteht im Vorherrschen eines sehr brillanten karminrothen Kolorits.

Im Mittelmeere und Ocean sehr allgemein verbreitet, trifft man den Calmar zu allen Jahreszeiten, am zahlreichsten im Herbste, wo er in großen Zügen streift. Mitunter wird er in großer Menge in den für die Tunfische aufgestellten Netzen gefangen, bei Nacht auch mit dem »Mugeliera« genannten Netze. Von den schlammigen und sandigen Gründen bringt ihn das Zugnetz das ganze Jahr hindurch herauf, am reichlichsten bei Vollmond. Mit der Lanze und dem Angelhaken ist ihm schwer beizukommen. Die Wanderungen des Calmars richten sich besonders nach den Zügen kleinerer Fische, von denen er sich nährt. Er erreicht nicht selten ein Gewicht von zwanzig Pfund; es kommen jedoch auch größere Riesen vor, während die mittlere Länge, mit Ausschluß der Greifarme, 20 Centimeter beträgt. Die Weibchen werden etwas größer als die Männchen. Jene kolossalen Exemplare findet man in der Regel nur, wenn sie auf den Strand gerathen und gestorben sind, wodurch Verany in den Besitz einer Rückenfeder von fünfundsiebzig Centimeter Länge kam. Die mittelgroßen Exemplare werden den übrigen verkäuflichen größeren Cephalopoden wegen ihres guten Geschmackes und zarteren Fleisches vorgezogen, namentlich der Sepia.

Auch der gemeine Calmar war während meines Aufenthaltes in Neapel ein häufiger, wenn auch nicht ausdauernder Gast des Aquariums und zeigte, als ein Bewohner des offenen Meeres, ein von dem duckmäuserischen Hocken seiner oben besprochenen Vettern völlig abweichendes Benehmen. Da Loligo vulgaris, wie verschiedene andere Loliginen, gesellig lebt, so werden sie in den Fischernetzen gewöhnlich in größerer Anzahl gefangen. Wenigstens wurden wiederholt Trupps von zehn bis sechzehn Stück gebracht und in das große Bassin gesetzt. Hier harren sie leider nur wenige Tage, und zwar in ununterbrochener, einförmiger Bewegung aus, die ganze Herde bei einander hin- und her schwimmend, immer im Lichte zwischen dem äußeren Fenster und der Glaswand. Die Bewegung ist ein zierliches, flugähnliches Rudern der Flossen; rückwärts helfen die Stöße des Trichters mit. Die Arme werden horizontal ausgestreckt gehalten. Beim Vorwärtsschwimmen, [208] steht der Kopf höher als der Rumpf, umgekehrt bei der entgegengesetzten Bewegung. Sie vermeiden sorgfältig die Berührung mit den Wandungen des Behälters, und die ganze Herde wechselt fast im selben Augenblicke die Richtung. Während die Octopoden und Sepien sich im Aquarium für viele Monate häuslich einrichten und, wie ich an den Octopoden wahrnahm, selbst [209] auf die Fortpflanzung bedacht sind, fühlen sich die Loligo augenscheinlich recht unbehaglich.


Gemeiner Calmar (Loligo vulgaris), daneben der hornige Rückenschulp. Natürliche Größe.
Gemeiner Calmar (Loligo vulgaris), daneben der hornige Rückenschulp. Natürliche Größe.

Weder in Arcachon noch in Neapel ist ihre Fütterung gelungen. Nach achtundvierzig Stunden ruhelos verbrachter Gefangenschaft werden die Bewegungen langsamer und schwankender, sie verlieren die Orientirung, stoßen sich und sterben ab.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 208-210.
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