Vierte Ordnung: Die Hinterkiemer[304] (Opistobranchia)

Wir kehren von den Kielfüßern und ihren Tummelplätzen auf offenem Meere wieder an die Küsten zurück und finden in denselben Revieren, welche von den meisten Vorderkiemern bewohnt werden, namentlich aber auf den bunten Wiesen der faden- und baumförmigen Algen, der blätterigen Algen und der gröberen Tange, auf dem reizenden, unter Wasser getauchten Pflanzenteppich, der unser Auge schon so oft entzückte, wenn wir von dem langsam vorwärtsgetriebenen Boote aus den Meeresgrund betrachteten; dort finden wir noch andere Scharen von Weichthieren, welche meist durch ihren nackten Körper an unsere Wegeschnecke erinnern, aber gewöhnlich auch durch zierlicheren Bau, vielgestaltige, als Kiemen dienende Anhänge sowie durch Farbenschmuck den Preis vor jenen erringen.

Obwohl die Anzahl der bekannten Arten der Hinterkiemer, über welches Namens Bedeutung gleich zu reden sein wird, kaum tausend betragen dürfte, zeigt der Bau ihres Körpers, ihre Form und Lebensweise doch sehr beträchtliche Unterschiede und Abstufungen, da einerseits höchst vollständig entwickelte Sippen zu ihnen zählen, welche an die früher abgehandelten Ordnungen sich eng anschließen, anderseits in ihnen der Weichthiertypus sich seiner Eigenheiten mehr oder weniger entäußert und unter anderem Uebergänge zu den Plattwürmern mit gänzlichem Mangel innerer und äußerer Kiemen nicht zu den Seltenheiten gehören.

Indem ich der trefflichen Zusammenstellung Bronns folge, gebe ich zunächst im wesentlichen seine allgemeine Charakteristik der Ordnung. Wir haben dafür schon so manche Anknüpfungspunkte aus dem Vorangegangenen gewonnen.

Die Hinterkiemer sind Meeresschnecken, deren wesentlichste und beständigste Merkmale in der Wasserathmung, in der Lage der Vorkammer und des von den Kiemen das Blut bringenden Gefäßstammes hinter der Herzkammer und in ihrem Zwittergeschlechte beruhen. Fast ausnahmslos sind sie von gestreckter Form und nackt. Nur bei einem kleinen Theile werden wir schildförmige oder gedrehte, aber nie die Vollständigkeit des Gehäuses der Vorderkiemer erreichende Schalen finden. Sie tragen fast ausnahmslos ein Paar Fühlhörner und am Munde ein Paar Lippentaster oder auch eine, dem Segel der Larven gleichwerthige Hautausbreitung. Von der inneren Organisation ist für uns zum Verständnis der jetzt fast allgemein gültigen systematischen Benennung ein etwas näheres Eingehen auf die Kreislaufs- und Gefäßsystems-Ver hältnisse angezeigt. Die beistehende Figur ist der meisterhaften anatomischen Beschreibung des Pleurobranchus von Lacaze-Duthiers entnommen und stellt zur Versinnlichung des Gefäßsystems einen senkrechten Durchschnitt jenes Thieres dar, dessen nähere Bekanntschaft wir unten machen werden. Ohne Weiteres ergibt sich p als die Sohle. Die Mundöffnung ist a, bedeckt von einem segelförmigen Lappen (c), über welchem der Fühler. Die lang gestrichelten Adern sind die Venen (v), welche das Blut zur Kieme bringen; aus dieser fließt es in das Herz. Diese Lage nun ist die entgegengesetzte von der, welche die Vorderkiemer charakterisirte, und folgt daraus die Bezeichnung der neuen Abtheilung als Hinterkiemer von selbst. Wir können auch gleich hier noch einer anatomischen Eigenthümlichkeit gedenken, welche unsere Ordnung mit den meisten anderen Weichthieren gemein hat, und von welcher die an einem Individuum oft so sehr wechselnde äußere Erscheinung abhängt: des direkten Zusammenhanges des Blutgefäßsystems mit der Außenwelt. Auf der schematischen Abbildung des Pleurobranchus ist mit g die Oeffnung eines Ganges bezeichnet, welcher dem Blute direkt Wasser zuführt, und wodurch die gleich den Höhlungen eines Schwammes den Rücken [304] und Fuß durchziehenden Blutgefäße nach Belieben des Thieres gefüllt und entleert werden können. Obwohl nun dies das Grundschema des Kreislaufes der meisten Hinterkiemer ist, so entfernt sich doch ein Zweig der Ordnung gar sehr davon, indem er gar kein besonderes Athmungswerkzeug mehr besitzt und die bloße nackte Rückenhaut dessen Stelle zu vertreten hat.

Das Nervensystem ist in der Regel wohl entwickelt. Der wichtigste Theil, der Schlundring, besteht meist aus drei durch Nervenstränge verbundenen Ganglienpaaren, von denen die Hauptnerven für die Sinneswerkzeuge, die Mantel- und Fußpartie abgehen, und mit denen in der Regel noch einige kleine Nervenknötchen in Verbindung stehen, von wo aus die inneren Mundtheile und der Verdauungskanal mit den sie beeinflussenden feinen Nervenfädchen versorgt werden. In der Entwickelung der Augen treten die Hinterkiemer sowohl gegen die Lungenschnecken und die meisten Vorderkiemer, als gegen die Kielfüßer zurück, wie es mit ihrer kriechenden und auf die Pflanzennahrung gerichteten Lebensweise zusammenhängt. Nur bei wenigen Arten werden wir die Befähigung zum Schwimmen mittels flossenartiger Ausbreitungen des Fußes finden. Die Fortpflanzungsorgane sind zwitterig. Die Eier werden zahlreich in einer schleimigen Hüllmasse abgesetzt. In dieser durchlaufen die Eier ihre Furchung und bleibt der mit Hülfe von Wimpern kreisende Embryo bis zur Larvenform. Diese ist durch das uns bekannte Wimperse gel, eine das ganze Thierchen aufnehmende, auch bei den später nackten Schnecken vorhandene Spiralschale und einen Deckel tragenden Fuß ausgezeichnet.


Kreislauf von Pleurobranchus aurantiacus.
Kreislauf von Pleurobranchus aurantiacus.

So beschaffen tritt die Larve aus dem Laiche hervor, schwimmt frei herum, wirft dann Deckel und Schale ab und beginnt nun ihren Fuß zu gebrauchen, der allmählich zur breiten Sohle wird und im Anfange gesondert ist, später mehr oder weniger mit dem übrigen Körper verschmilzt.

In Bronns Verzeichnis der Hinterkiemer sind nicht weniger als einhundertzweiundzwanzig Gattungen, auf sechsundzwanzig Familien vertheilt, aufgeführt, wobei natürlich das Bedürfnis nach Uebersicht auf eine Theilung der Ordnung in Unterordnungen dringt. Es liegt auf der Hand, daß man bei der Wichtigkeit der Athmungswerkzeuge, und weil ihre Lage und Form leicht zu konstatiren sind, immer und immer wieder behufs systematischer Verwerthung auf sie zurück kommt. »Diese Schneckengruppe«, sagt Bronn, »bietet in sich eines der schönsten Beispiele einer aufsteigenden Reihe durch Trennung der Arbeit, Entwickelung selbständiger Organe, Koncentrirung und Internirung ihrer Stellung bei fortschreitender Vervollkommnung der Organisation, zumal in den Kiemen dar. Den Anfang bildet die scheiben-, kiemen-, gefäß- und selbst herzlose Rhodope. Zuerst funktionirt die Rückenhaut, dann vergrößert sie ihre Berührungsfläche mit der Luft durch Bildung verschiedenartiger Anhänge; diese verästeln und verzweigen sich selbst noch weiter und werden zu wirklichen Kiemen, indem sie im Inneren regelmäßige Zuleitungs- und Ableitungs-Gefäße und Gefäß-Netze aufnehmen; die über den ganzen Rücken vertheilten Kiemen koncentriren sich um den After, suchen dann unter dem Mantelrande Schutz, zuerst längs beider Seiten des [305] Körpers und beschränken sich dann auf die rechte Seite, wo sich allmählich eine Vertiefung zu ihrer Aufnahme, eine seichte Kiemenhöhle mit noch weiter Oeffnung bildet. Anderntheils entwickelt sich die Spiralschale zum Schutze und zur Aufnahme des Thieres immer mehr, indem sie aus einer rudimentären, inneren hornigen eine äußere wird.«

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 304-306.
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