Conus textilis

[283] Einige nun folgende Schneckenfamilien werden als Pfeilzüngler zusammengefaßt, indem die Zunge zwei Reihen langer, hohler, zuweilen mit Widerhaken versehener Zähne trägt, deren jeder an seiner Basis mit einem langen Muskelfaden versehen ist. Natürlich dienen diese Zähne zum Aufspießen der Nahrung, wie die Zunge aber in diesem besonderen Falle eigentlich gebraucht wird, scheint noch niemand direkt beobachtet zu haben. Unter ihnen nimmt die Familie der Kegelschnecken (Conoidea) den ersten Platz ein, nicht nur wegen der Menge der Arten, deren jetzt an vierhundert bekannt sein mögen, sondern auch wegen der Schönheit der Gehäuse, welche zu den besonderen Lieblingen der Schneckenhaussammler gehören. Für ein Exemplar des Conus cedonulli wurden einst dreihundert Guineen angesetzt. Das Gehäuse der Kegelschnecke ist allgemein bekannt. Es ist eingerollt, meist verkehrt kegelförmig. Das Gewinde ist nämlich so kurz, daß es oft nur ganz unmerklich über den hinteren Theil oder den Umgang der letzten Windung hervorragt. Die Mündung ist eine schmale Längsspalte mit einfacher geradliniger Außenlippe und oben mit einer Spur von einem Kanale. Dem entsprechend hat das Thier einen langen, schmalen Fuß, welcher einen kleinen, schmalen nagelförmigen Deckel trägt. Der Kopf ist klein und schnauzenförmig, die Fühler klein und cylindrisch. Nicht weit von ihrer Spitze sitzen die Augen. Die Athemröhre ist bald kurz, bald halb so lang wie die Schale. Bei den Kegelschnecken liegen, wie bei den übrigen eingerollten Schnecken (Oliva, Cypraea), die Umgänge so eng über einander, daß, wenn dieselbe die anfängliche Dicke beibehielten, für die Eingeweide nicht hinreichender Platz wäre. Man kann sich aber an Durchschnitten und durch Vergleichung älterer mit jüngeren Exemplaren überzeugen, daß die in den jüngeren Thieren gleich dick angelegten Schalenwände zum großen Theile wieder von beiden Seiten aufgelöst werden. Von den anatomisch nachweisbaren drei Schalenschichten bleibt nur die innere übrig1.

Die Beobachtungen über die in ziemlichen Tiefen, meist auf Schlammgrund wohnenden Thiere sind so sparsam, daß man nicht einmal weiß, was sie fressen. »Sie sollen sich von Pflanzen nähren«, sagt Philippi, »was mit der Bewaffnung ihrer Zunge nicht übereinzustimmen scheint.« Rumph [283] gibt von mehreren Arten an, daß sie gegessen würden; dasselbe geschieht mit dem Laich von Conus marmoratus: »er bestehet in einem Klumpen, der wie verwirrter Zwirnfaden aussieht, und ist weiß, roth, knorpeligt und gut zu essen, eben wie das Thier selbst auch«. Derselbe alte Schriftsteller macht Mittheilungen über artige Schmucksachen, die aus den genannten und ähnlichen Konchylien in Ostindien einst angefertigt wurden. »Man suchet sie sehr häufig zusammen, um Ringe daraus zu machen, die nicht allein von den indischen, sondern auch holländischen Weibern an den Fingern getragen werden. Diese Ringe werden mit großer Mühe verfertigt, und zwar ohne Werkzeug. Denn sie schleifenden Kopf der Schale auf einem rauhen Steine ab, bis man inwendig alle Höhlen der Gewinde zu sehen bekommt. Den Hintertheil der Schnecke schlagen sie dann mit Steinen herunter oder sägen ihn mit einer dünnen Feile ab. Das Uebrige aber wird so lange geschliffen, bis ein Ring daraus wird. Aus jeder Schnecke können nicht mehr als zwei dergleichen Ringe gemacht werden. Diese Ringe sind weiß, glatt und glänzend wie Elfenbein, denn die schwarzen Flecken der Schnecke dringen nicht durch und können abgeschliffen werden.


Kegelschnecke (Conus textilis). Natürliche Größe.
Kegelschnecke (Conus textilis). Natürliche Größe.

Etliche machen diese Ringe glatt, andere schneiden sie aus, daß sie mit Körnern und Laubwerk besetzt sind; wiederum andere wissen sie so künstlich zu bearbeiten, daß sie ein erhabenes Häuschen mit einem schwarzen Flecken daran lassen, als ob es ein ordentlicher Ring mit einem eingefaßten Steine wäre.«

Der berühmte Muschelsammler und Kenner Chemnitz zählt in einem Zusatze zu dem betreffenden Abschnitte aus Rumphs Raritätenkammer noch eine Reihe seltener Kegelschnecken sammt ihren glücklichen Besitzern auf. Der »mehrgemeldete« Bürgermeister d'Aquet in Delfft war damals (1766) der alleinige Besitzer des »Orangen-Admirals«. Vor diesem aber war der »Ober-Admiral« die allervornehmste Schnecke. Für den »eigentlichen Admiral« hat man fruchtlos fünfhundert Gulden angeboten. – »Alle diese beschriebenen Tuten sind nun vom ersten Range, und wenn man ein Kabinet haben will, das werthgeschätzt wird, so muß man vorzüglich diese zu besitzen trachten, wiewohl sie sehr beschwerlich zu bekommen sind. Inzwischen gibt es nicht allein unter den Tuten, sondern auch unter den anderen Geschlechtern rare Schnecken.« Wir entnehmen aus diesen Proben, wie diesen fleißigen und durch ihre Sammelwerke nützlich gewordenen Dilettanten der vorigen Jahrhunderte eigentlich jede höhere Weihe abging. Auch dem unserigen fehlen diese nüchternen Krämerseelen von Naturfreunden nicht, über ihnen aber stehen die Millionen, welche mit der Kenntnis der Naturprodukte sich auch das Verständnis zu erringen suchen. Und das ist der Fortschritt, den die Menschheit seitdem auf diesem Gebiete gemacht hat.

Fußnoten

1 In dem von uns vielfach benutzten und äußerst reichhaltigen Werke von Johnston (Einleitung in die Konchyliologie), ist Seite 500 die Vermuthung ausgesprochen, daß auch einige Bernhard-Krebse die Fähigkeit besäßen, die von ihnen bewohnten Schneckenschalen aufzulösen. Dies ist entschieden nicht der Fall, sondern die allerdings sehr häufig zu beobachtende Zerstörung der Schalensubstanz geht fast immer von einem Schwamme (Suberites domuncula) aus, welcher sich auf den von den Krebsen bewohnten Schneckengehäusen ansiedelt. Man vergleiche oben Seite 18. Auch ein actinienartiger, geselliger Polyp wirkt auflösend.


Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 283-284.
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