Murex trunculus

[277] Die artenreiche Sippe Murex, Leistenschnecke, hat den Außenrand mit einem Umschlage oder Wulste umgeben, der beim Wachsthume auf den Windungen in Gestalt wulstiger, faltiger oder zackiger Längsbinden zurückbleibt. Mindestens drei Reihen solcher Wülste verlaufen bis zur Spitze des Gewindes. Von den lang bestachelten Arten und mit sehr langem Kanale ist Murex brandaris im Mittelmeere gemein. Er lebt auf Schlammboden und wird in großen Massen gesammelt und zu Markte gebracht. Einen mäßig langen, gebogenen Kanal und nur stumpfe Höcker auf den Wülsten hat Murex trunculus, ebenfalls eine der häufigsten, auf felsigem Grunde lebenden Schnecken des Mittelmeeres.

Bei Gelegenheit der Murices oder Stachelschnecken kommt Rumph auf die sogenannten Meernägel oder Onyxe, nämlich die Schalendeckel, zu sprechen. Wir wollen der Kuriosität [277] halber einige Anführungen machen, woraus die sonderbaren Geschmacksrichtungen alter Zeiten hervorgehen. »Man nennet einen solchen Unguis oder Nagel einen Onyx marina, und ist durch ganz Indien ein bekanntes Räucherwerk, indem es zu allen Räucherpulvern die Hauptingredienz ausmacht. Ich rede von solchen Räucherpulvern, welche bei den Aerzten Thymiamata genannt werden, und womit man auf glühenden Kohlen räuchert. Unter solchen nun macht der Unguis die Hauptingredienz aus, wie die Aloë unter den Pillen. Es hat zwar der Meernagel an und für sich keinen angenehmen Geruch; denn wenn man ihn in grobe Stücken zerbricht und auf Kohlen leget, so gibt er erstlich einen Geruch, wie die gebratene Garneele, bald hernach aber neiget sich der Geruch auf Bernstein, oder, wie Dioscorides will, auf Bibergail, mithin ist doch der Geruch, so lange man ihn alleine räuchert, nicht gar zu lieblich; menget man ihn hingegen unter ander Räucherwerk, so gibt derselbe erst den anderen Sachen eine männliche Kraft und Dauer. Denn da mehrentheils alles Räucherwerk aus solchen Hölzern, Harzen und Säften bestehet, welche einen süßen, blumenartigen und starken widerigen Geruch haben, so muß man den Meernagel darunter mengen, um den Geruch kräftig und dauerhaft zu machen. Man möchte also diesen Meernagel mit dem Baß in der Musik vergleichen, welcher, so lange er allein gehört wird, nicht angenehm klinget, aber unter anderen Tönen eine reizende Uebereinstimmung gibt, und die Töne standhaft macht.« Wenn wir unter den vielen Recepten noch das auswählen, daß die indischen Quacksalber ein Wenig vom Onyx des Murex ramosus auf einen Stein reiben, »und geben solches wider die Kolik und Bauchgrimmen zu trinken, auch gebrauchen sie den Rauch davon wider die Mutterbeschwerung, jedoch muß man sie im letzteren Falle etwas hart braten oder brennen« – so werden wir uns glücklich schätzen, heute die Schneckendeckel weder als Parfüm noch als Medicin gebrauchen zu müssen.

Ein viel wichtigerer und interessanterer Gegenstand, welcher sich an die Naturgeschichte von Purpura und Murex anknüpft, ist die Purpurfarbe, über deren Gewinnung und Eigenthümlichkeiten eine ganze Literatur existirt, ohne daß es zu einer genügenden Klarheit gekommen wäre, bis vor längerer Zeit Lacaze-Duthiers die Angelegenheit durch seine ausgezeichneten Untersuchungen zu einem Abschlusse gebracht hat. Als dieser Naturforscher im Sommer 1858 im Hafen von Mahon mit Hülfe eines Fischers allerlei Seethiere aufsuchte, bemerkte er, daß sein Gehülfe seine Kleidungsstücke zeichnete. Er machte die rohen Buchstaben und Figuren mit einem Stückchen Holz, die Züge erschienen zuerst gelblich. »Es wird roth werden«, sagte der Fischer, »sobald die Sonne wird darauf geschienen haben.« Dabei tauchte er das Holz in die zähe Absonderung des Mantels, den er von einer Schnecke abgerissen hatte, und welche sogleich als Purpura haemastoma zu erkennen war. Der Zoolog ließ auch seine Kleider auf der Stelle zeichnen und machte alsbald die weitere Bemerkung, daß bei Einwirkung der Sonnenstrahlen sich ein höchst unangenehmer und penetranter Geruch entwickelte und eine sehr schöne violette Farbe zum Vorscheine kam. Dies war die Veranlassung zu weiteren von dem schönsten Erfolge gekrönten Nachforschungen, denen wir folgen.

Bekanntlich hat man schon längst aufgehört, sich des von Schnecken gelieferten Purpurs als Färbemittel zu bedienen. Dagegen wissen wir aus den Schriftstellern der Griechen und Römer, daß die Purpurgewinnung ein großer Industriezweig war, und daß nur die Großen und Reichen sich wegen der Kostbarkeit des Stoffes den stolzen Namen der Bepurpurten (purpurati) beilegen konnten. Heute sehen wir nur an ab gelegenen Inseln und Küsten einzelne arme Leute ihre Wäsche mit dem unauslöschlichen Purpur zeichnen, der im Alterthume, als die metallischen und anderen Farben der modernen Chemie unbekannt waren, einen um so höheren Werth haben mußte, als seine Tinten und seine Eigenschaft der Unauslöschlichkeit eben von der Sonne hervorgerufen und bedingt wurden. Im Anfange des vorigen Jahrhunderts beschäftigte sich der berühmte Beobachter der Insekten, Réaumur, an der Küste von Poitou mit den Purpurschnecken. Auch er fand, daß die Substanz violett färbe, erkannte aber merkwürdigerweise nicht, daß das Hervortreten[278] der Farbe vom Lichte abhänge, sondern glaubte, daß der Luftzug dabei im Spiele sei. Aehnliche und andere Irrthümer begingen andere Schriftsteller, unter deren Mittheilungen sich sogar die Angabe findet, daß die Purpurfarbe von einem Fische herstamme, während ein anderer aussagt, eine von den Hirten gefundene Muschel gebe sie. Was die Eigenthümlichkeiten der Purpurmaterie angeht, so ist sie, wenn man sie aus dem Organe nimmt, worin sie sich findet, und welches unten näher beschrieben werden soll, weiß oder blaßgelblich; die einzelnen Arten von Purpura und Murex variiren darin. Den Sonnenstrahlen ausgesetzt, wird sie anfänglich citronengelb, dann grünlichgelb; dann geht sie in Grün über und wandelt sich endlich in Violett, welches mehr und mehr dunkelt, je mehr es der Sonneneinwirkung ausgesetzt wird.


Murex brandaris, ohne Schale. Mantel zwischen Kieme und Purpurdrüse aufgeschnitten und zurückgeschlagen. b' Nebenkieme. Natürliche Größe.
Murex brandaris, ohne Schale. Mantel zwischen Kieme und Purpurdrüse aufgeschnitten und zurückgeschlagen. b' Nebenkieme. Natürliche Größe.

Es hängt von dem Auftragen, also von der Menge der Substanz ab, welche Farbennüance des Violetts man haben will; der geschickte Färber hat also alle Grade der Schattirungen in der Gewalt. Um die Substanz zu erhalten, bedient man sich am besten eines etwas steifen Pinsels, mit welchem man von der betreffenden Stelle des Mantels sie abstreicht, um sie unmittelbar auf die zu färbenden Stoffe aufzutragen. Lacaze-Duthiers, nicht bloß Zoolog, sondern auch Künstler, sah, daß die Purpurmaterie nach unseren modernen Erfahrungen ein im höchsten Grade brauchbarer photographischer Stoff sei. Er stellte darauf hin eine Reihe sehr gelungener Versuche an, von denen mir, während ich dies schreibe, mehrere Proben vorliegen. Natürlich hat die Purpurfärbung keine neue Zukunft, allein der Pariser Zoolog glaubt doch, daß die Uebertragung von Photographien mittels des Purpurs auf Batiste und feine Seidenstoffe, auf Fächer und andere Luxusartikel wegen der außerordentlichen Zartheit der Tinten der Mühe werth sei.

Wir haben uns nun nach dem Organe umzuthun, in welchem der Purpur abgeschieden wird. Um mit Bequemlichkeit dasselbe vor Augen legen zu können, muß man das Gehäuse zerschlagen und das Thier, wie überhaupt jede Schnecke, welche man zerlegen will, herausnehmen. Es bleibt, wie wir gesehen haben, vollkommen unversehrt, sobald der sich an die Spindel ansetzende Muskel durchschnitten ist. Das Herausziehen aus dem unzerschlagenen Gehäuse gelingt nie; die Schnecken lassen sich eher den ganzen Fuß und Kopf abreißen. Man sieht nun am nackten Thiere, wie der Mantelrand sich über die Nackengegend hinweglegt. Zur Linken befindet sich die rinnenartige Verlängerung, durch welche das Wasser zur Kieme tritt. Hinter derselben sieht man schon ohne jegliche Präparation die Kieme (b) durchscheinen, etwas weiter rechts von ihr ein grüngelbliches Band (p). Schneidet man nun, wie in unserer Abbildung zu sehen, den Mantel von vorn nach hinten auf, längs der rechten Seite der Kieme, so liegen beim Umschlagen der Mantellappen die Theile, um welche es sich handelt, zu Tage, wobei auch neben der gelblichen Drüse der Mastdarm und neben ihm der Ausführungsgang der Fortpflanzungsorgane zum Vorscheine kommen. Will man nun die Purpursubstanz haben, so hat man weiter nichts zu thun, als mit dem steifen Pinsel über die gelbliche Drüse hinzufahren. Sie allein liefert dieselbe und ist mithin mit dem Namen Purpurdrüse zu belegen. Indessen macht unser Gewährsmann darauf aufmerksam, daß die meisten, vielleicht alle Schnecken aus dem Mantel eine schleimige Flüssigkeit absondern können, [279] welche ihrem Ursprunge nach mit der Purpursubstanz sich vergleichen läßt, während nur bei einigen Sippen, den eigentlichen Purpurschnecken, die Eigenschaft hinzutritt, unter dem Einflusse des Sonnenlichtes in Violett überzugehen. Hier kommen also kleine Differenzen der chemischen Zusammensetzung ins Spiel, welche so fein sind, daß sie in Wort und Ziffer kaum ausgedrückt werden können und nur in der äußersten Verschiedenheit des Effektes sich zeigen.

Obschon wir oben die Farbe, um die es sich handelt, als ein Violett kennen gelernt, folgen wir doch nochmals den Auseinandersetzungen von Lacaze-Duthiers über die Eigenthümlichkeiten derselben und darüber, was die Alten darunter verstanden. Diese Verständigung ist scheinbar sehr unnöthig, indem jedermann eine bestimmte Farbenvorstellung hat, wenn er angibt: das und das Ding ist purpurn. Als der Pariser Naturforscher seine Zeichnungen und Photographien vorwies, sagte man: das ist Violett, und der Purpur der Alten war roth, der tyrische Purpur blutroth. Und wenn man den römischen Purpur von heute bezeichnen will, spricht man von einem lebhaften Roth, »was man herstellen würde durch einen zinnoberrothen Grund, gedeckt mit Karmin«. Mehrere Maler, welche ersucht wurden, die Farbe eines römischen Purpurgewandes anzugeben, gingen darin gänzlich auseinander. Da nun die untersuchten Schneckenarten ohne Ausnahme ein Violett, wenn auch in verschiedenen Stufen, gaben, so kam es darauf an, an der Hand dieser unumstößlichen Thatsachen die Nachrichten zu vergleichen, welche in den alten Schriftstellern über den Purpur aufbewahrt sind. Da findet sich denn auch, wie nicht anders zu erwarten, daß ihnen die ganze Stufenleiter von Tinten bekannt war, die sich zuletzt im Violett fixirt, und daß auch die aus der Mischung der Stoffe verschiedener Schneckenarten und unter der fabrikmäßigen Behandlung gewonnenen Farben, welche man alle unter dem Sammelnamen des Purpurs begriff, nur durch die größere oder geringere Intensität des Violetts und des Glanzes und sonstige die Grundfarbe nicht betreffende Eigenschaften von einander abweichen. Eine beliebte Mischung war die der Farbstoffe der Purpura- und der Murex-Arten, welche als Amethystfarbe hoch geschätzt wurde. Es kam jedoch sehr auf die Mode an, nach welcher die Färber sich zu richten hatten, und dieselbe, von dem natürlichen Violett ausgehend, mag vorzugsweise auf künstliche, dem Roth sich nähernde Varietäten gerichtet gewesen sein. »In meiner Jugend«, sagt ein Römer, »war der violette Purpur Mode, wovon das Pfund hundert Denare (851/2 Mark) galt; kurze Zeit darauf der rothe tarentinische. Dann kam der tyrische Doppelpurpur, den man das Pfund mit über tausend Denaren bezahlen mußte.« Die Doppelpurpur-Gewänder – Dibapha – waren der äußerste Luxus; sie wurden zweimal gefärbt, und damit ihre Pracht und Kostbarkeit erhöht. Lacaze-Duthiers kommt, indem er seine Untersuchungen zusammenfaßt, zu folgendem Resultate: »Indem ich die Bedeutung des Wortes Purpur als Farbe bestimmen wollte, wendete ich mich an die Malerei. Ich besah Bilder von Meistern, ich ersuchte ebenso geschickte als unterrichtete Maler, mir den Ton, die Tinte anzugeben, die sie anwenden würden, um purpurne Draperien darzustellen. Immer gab es große Verlegenheit und Schwierigkeit, jedoch immer sah ich das Roth vorherrschen. Ich ziehe die Literatur der Malerei zu Rathe und begegne hinsichtlich des Purpurs derselben Unsicherheit. Hält man sich nun aber an die Experimente und die damit verglichenen Nachrichten aus den alten Schriftstellern, so ist es augenscheinlich, daß die Maler, welche Purpur malen wollen, den Ton nach den verschiedenen Perioden ändern müssen. Je weiter man in das Alterthum hinabsteigt, um so mehr ist die vorherrschende Tinte das Violett; je mehr man sich hingegen der Zeit des Plinius (um 80 nach Christo) nähert, um so mehr herrscht Roth vor. Bis zu dem Zeitpunkte aber, wo man sich nicht mehr des von Schnecken gewonnenen Purpurs bediente, mußte ganz gewiß der Grundton der Farbe mehr oder weniger violett sein.

Vergißt man nicht, daß ich auf einigen mit der Purpursubstanz der verschiedenen Schnecken ausgeführten Bildern bläuliche und röthliche Töne und Reflexe erhielt; vergißt man ferner nicht, daß die Alten gar sehr die schillernden Purpurgewänder liebten, so wird man bei der Darstellung von Gewandungen immer auf den verschieden nüancirten violetten Grund Roth und Blau auflegen [280] müssen, was sicher jenen lebhaften und schillernden Tönen entsprechen wird, von denen Plinius und Seneca sprechen«.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 277-281.
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