Gemeiner Crangon (Crangon vulgaris)

[27] Von den übrigen Garneelen unterscheidet sich die Gattung Crangon mit einigen ihr nahestehenden, indem bei ihr die vier Fühlhörner in einer Linie eingelenkt sind, während bei jenen die inneren über den äußeren stehen. Die sandigen, flachen Küstenstrecken, besonders der Nordsee und des britischen Seegebietes, werden von unzählbaren Scharen des gemeinen Crangon bevölkert (Crangon vulgaris, Garnate, Granate, Shrimp der Engländer, Crevette der Franzosen). Mit den übrigen Arten hat er die unvollkommenen Scheren des ersten dickeren Fußpaares gemein. Ausgezeichnet ist er durch den fast ganz glatten Körper. Nur auf dem Kopfbrustschilde finden sich drei Stacheln. Eine lebendige Schilderung des Fanges der Thierchen, die uns auch mit seinen Eigenthümlichkeiten näher vertraut macht, hat Gosse gegeben. »Laßt uns sehen, womit jener Fischer so eifrig beschäftigt ist, und was das Pferd thut, das er bis bauchtief in die See hinein und zurück gehen läßt, von einem Ende des Strandes bis zum anderen seine Schritte so lenkend, als sollte der Sand gepflügt werden. Und warum beobachtet der Fischer das Pferd so aufmerksam? Horch! Was sagt er? Er ruft dem kleinen, das Pferd reitenden Buben zu, heran zu kommen, und nun geht er selbst eilig an den Strand, wie das Thier und sein kleiner Reiter ans Ufer kommen. Wir wollen gehen und sehen.

Der Mann ist höflich und mittheilsam und weiht uns in das ganze Geheimnis ein, das in der That sogleich offenbar wird, sobald wir an Ort und Stelle ge kommen. Das Pferd zieht ein Netz hinter sich her, dessen Mündung über einen länglichen, eisernen Rahmen gespannt ist. Nach hinten läuft das Netz spitz zu, ist aber nicht zugestrickt, sondern bloß mit einer Schnur zugebunden. Der Eisenrahmen hält die Netzmündung offen und kratzt den Seeboden ab, während das Pferd, mit dessen Geschirr es durch eine Leine verbunden, vorwärts geht. Nun ist der Sandgrund gerade hier mit einer Art eßbarer Krebse belebt, der Garneele (Shrimp) oder, wie das Volk hier sagt, der Sand-Garneele, um sie von der Felsen-Garneele (Palaemon serratus) zu unterscheiden. Das Maß dieser Sand-Garneelen wird, wie der Fischer sagt, zu einem Schilling an die Fischhändler verkauft.

Das Pferd, welches im leichten Sande und 1 Meter tief im Wasser waten und den schweren Apparat nach sich ziehen muß, hat schwere Arbeit und kommt offenbar gern aufs Trockene, wo es, sobald das Schleppnetz am Ufer, angehalten wird. Nachdem der Fischer ein Tuch auf dem Sande ausgebreitet, bindet er die Schnur auf und schüttelt das Gewimmel auf das Tuch. Es sind mehr als zwei Maß, und da der Fischer deshalb in guter Laune und außerdem von Natur höflich, wagen wir es, einen Handel vorzuschlagen. Für eine kleine Münze dürfen wir uns allen Wegwurf [27] auflesen, nämlich alles, was nicht Garneele ist. Letztere sind sehr schön. Bell gibt ihre Länge auf 6 Centimeter an, von dieser ist die Mehrzahl länger als 8 Centimeter. Die meisten sind Weibchen, die ihre Eier zwischen den Afterfüßen ihres Hinterleibes tragen. Das Thier ist weniger zierlich als manche andere Garneelen. Seine Farbe ist ein blasses, ins Grün spielendes Braun; untersucht man es aber genau, so findet man eine Anhäufung von schwarzen, graubraunen und orangenen Flecken, von denen bei starker Vergrößerung viele sternförmig erscheinen.

Sehr lustig ist es, zu sehen, wie schnell und gewandt die Garneele sich im Sande placirt. Wenn das Wasser einen oder zwei Zoll tief ist, läßt sich das Thier ruhig zu Boden fallen. Dann sieht man auf einen Augenblick, wie eine kleine Staubwolke sich auf beiden Seiten erhebt, und der Körper sinkt so tief ein, bis sein Rücken fast in einer Ebene mit dem ihn umgebenden Sande liegt. Nun wird der Nutzen der eigenthümlichen Färbung offenbar: die dicht bei einander stehenden Flecken in verschiedenen Tinten von Braun, Grau und Roth gleichen den Farben des Sandes so vollkommen, daß man die Garneele, die man noch eben sich hat vergraben sehen, im nächsten Augenblicke nicht mehr unterscheiden kann. Nur die an der Spitze des Kopfes, wie die Dachstubenfenster auf den holländischen Häusern, angebrachten Augen stehen wie ein paar Wachtposten leuchtend hervor, und so liegt das Thier ruhig und vor den meisten Feinden sicher, wenn nicht die eiserne Lippe des Schleppnetzes den Sand aufrührt und die armen Garneelen aufstört und in die Mündung des Netzes treibt.«


1 Pontonia tyrrhena. 2 Typton spongicola. Natürliche Größe.
1 Pontonia tyrrhena. 2 Typton spongicola. Natürliche Größe.

Aehnlich wie der Fang der Granaten an der englischen Küste ist er natürlich überall, nur daß in der Regel die armen Fischer ihn nicht so großartig mit Hülfe eines Rosses betreiben, sondern ihre kleineren, über eiserne oder hölzerne Rahmen gespannten Netze selbst schieben oder ziehen.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 27-28.
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