Beutelwolf (Thylacinus cynocephalus)

Geripp des Beutelwolfes. (Aus dem Berliner anatomischen Museum.)
Geripp des Beutelwolfes. (Aus dem Berliner anatomischen Museum.)

[544] Der Beutelwolf, Zebra- oder Beutelhund (Thylacinus cynocephalus, Didelphys, Dasyurus und Peracyon cynocephalus), der einzige jetzt lebende Vertreter einer besondern Sippe, trägt seinen Namen nicht mit Unrecht; denn er scheint in der That ein wilder Hund zu sein. Sein gestreckter Leib, die [544] Gestalt des Kopfes, die stark abgesetzte Schnauze, die aufrechtstehenden Ohren und die Augen sowie der aufrechtgetragene Schwanz erinnern an letztern; nur sind die Glieder verhältnismäßig kurz, und das Gebiß weicht wesentlich von dem der Hunde ab. In jedem obern Kiefer finden sich vier, im untern drei Schneidezähne, außerdem oben wie unten je ein Eckzahn, drei Lück- und vier Backen-, zusammen also sechsundvierzig Zähne. Die Beutelknochen werden nur durch sehnige Knorpel vertreten.

Der Beutelwolf ist das größte aller fleischfressenden Beutelthiere. Seine Leibeslänge beträgt über 1 Meter, die Länge des Schwanzes 50 Centim., alte Männchen sollen, wie man behauptet, noch merklich größer werden und im ganzen etwa 1,9 Meter in der Länge messen. Der kurze, locker anliegende Pelz ist graubraun, auf dem Rücken zwölf- bis vierzehnmal quergestreift. Die Rückenhaare sind am Grunde dunkelbraun und vor der dunklen Spitze auch gelblichbraun, die Bauchhaare blaßbraun an der Wurzel und bräunlichweiß an der Spitze. Der Kopf ist hellfarbig, die Augengegend weißlich; am vordern Augenwinkel findet sich ein dunkler Flecken und über dem Auge eine Binde. Die Krallen sind braun. Nach dem Hintertheile zu verlängern sich die Rückenhaare und erreichen auf dem Schenkel ihre größte Entwickelung. Das Fell ist nicht eben fein, sondern kurz und etwas wollig. Der Schwanz ist bloß an der Wurzel mit weichen, sonst aber mit steifen Haaren bedeckt. Der Gesichtsausdruck des Thieres ist ein ganz anderer als beim Hunde, und namentlich das weiter gespaltene Maul sowie das größere Auge fallen auf.

Der Beutelwolf bewohnt Tasmanien oder Vandiemensland. In den ersten Tagen der europäischen Ansiedelung fand er sich sehr häufig, zum größten Nachtheile und Aerger der Viehzüchter, deren Schafherden und Geflügelbeständen er fleißig Besuche abstattete. In der Folge vertrieb ihn das Feuergewehr mehr und mehr, und gegenwärtig ist er in das Innere zurückgedrängt worden. In den Hampshire- und Woolnorshbergen findet man ihn noch immer in hinreichender Anzahl, am häufigsten in einer Höhe von etwa tausend Meter über dem Meere. Felsspalten in dunklen, dem Menschen fast unzugänglichen Schluchten, natürliche oder selbstgegrabene tiefe Höhlen bilden seine Zufluchtsorte während des Tages, und von hier aus unternimmt er seine Raubzüge. Er ist ein nächtliches Thier und scheut das helle Licht im hohen Grade. Die außerordentliche Empfindlichkeit seiner Augen gegen die Tageshelle verräth das unaufhörliche Zucken der Nickhaut: [545] keine Eule kann das Auge sorgsamer vor dem widerwärtigen Glanze des Lichtes zu schützen suchen als er. Wahrscheinlich wegen dieser Empfindlichkeit ist er bei Tage langsam und ungeschickt, bei Nacht dagegen munter, rege und sogar wild und gefährlich; denn er scheut den Kampf nicht und geht meistens als Sieger hervor, weil seine einzigen Feinde eben bloß Hunde sein können. Wenn er auch nicht der wildeste aller Raubbeutler ist, übertrifft er doch seine sämmtlichen Familienverwandten an Stärke und Kühnheit und verdient schon aus diesem Grunde seinen Namen. Er ist wirklich ein echter Wolf und richtet im Verhältnisse zu seiner Größe ebensoviel Schaden an wie sein nördlicher Namensvetter.


Beutelwolf (Thylacinus cynocephalus). 1/10 natürl. Größe.
Beutelwolf (Thylacinus cynocephalus). 1/10 natürl. Größe.

Die Nahrung des Zebrahundes besteht aus allen kleineren Thieren, welche er erlangen und überwältigen kann, und zwar aus Wirbelthieren ebensowohl wie aus wirbellosen, von den Kerbthieren und Weichthieren an bis zu den Strahlenthieren herab. Wo die Gebirge bis an die Seeküsten reichen und die Ansiedler noch nicht festen Fuß gefaßt haben, streift er zur Nachtzeit am Strande umher, schnüffelt und sucht die verschiedenartigsten Thiere zusammen, welche die Wellen ausgeworfen haben. Muschel- und andere Weichthiere, welche so häufig gefunden werden, scheinen die Hauptmasse seiner Mahlzeiten zu bilden, falls ihm das Glück nicht wohl will und ihm die See ein Leckergericht bereitet, indem sie ihm einen halbverfaulten Fisch oder Seehund an den Strand wirft. Aber der Beutelwolf unternimmt auch schwierigere Jagden. Auf den grasreichen Ebenen und in den niedrigen, parkähnlichen Waldungen verfolgt er das schnelle Buschkänguru und in den Flüssen und Tümpeln das Schnabelthier, trotz dessen Schwimm- und Tauchfertigkeit. Wenn er besonders hungrig ist, verschmäht er keine Speise und läßt sich nicht einmal von dem spitzigen Kleide des Ameisenigels zurückschrecken. So unglaublich es auch scheint, daß ein Raubthier eine Beute verzehren kann, deren Haut mit nadelscharfen Stacheln besetzt ist, so gewiß weiß man dies [546] von dem Beutelwolfe; denn man hat Ueberreste des Stachelfelles der Ameisenigel in seinem Magen gefunden.

Man fängt das Thier, wenn es seine Raubzüge bis zu den Ansiedelungen ausdehnt, in Fallen oder jagt es mit Hunden. Letzteren gegenüber versteht es sich gut zu vertheidigen und zeigt dabei eine Wildheit und Bösartigkeit, welche mit seiner geringen Größe in keinem Verhältnisse steht. Im Nothfalle kämpft es wahrhaft verzweifelt und macht einer ganzen Hundemeute zu schaffen.

Ueber das Gefangenleben des Beutelwolfes ist wenig zu berichten. Wie seine ganze Verwandtschaft dumm und geistlos, vermag er kaum mehr als flüchtige Theilnahme zu erregen.


Teufel (Dasyurus ursinus). 1/10 natürl. Größe.
Teufel (Dasyurus ursinus). 1/10 natürl. Größe.

Frisch gefangene sollen sich im Anfange sehr trotzig und widerspenstig geberden, mit Katzenbehendigkeit in ihrem Käfige oder im Gebälke eines Hauses umherklettern und Sätze von zwei bis drei Meter Höhe ausführen. Bei langer Gefangenschaft legt sich wie die Beweglichkeit so auch das wilde Wesen angesichts eines Menschen; doch befreunden sich Beutelwölfe niemals wirklich mit ihrem Wärter, lernen denselben nur mangelhaft kennen und kaum von anderen Leuten unterscheiden, verhalten sich ihm gegenüber auch vollkommen gleichgültig und gerathen höchstens angesichts des ihnen dargereichten Fleisches einigermaßen in Aufregung. Im übrigen laufen sie stundenlang in ihrem Käfige umher, ohne um die Außenwelt sich viel zu kümmern, oder liegen ruhend und schlafend ebenso theilnahmlos auf einer und derselben Stelle. Ihr klares, dunkelbraunes Auge starrt dem Beobachter leer entgegen und entbehrt vollständig des Ausdrucks eines wirklichen Raubthierauges. Jedem Wildhunde und jeder Katze leuchtet das Wesen aus dem Auge hervor, in dem des Beutelwolfes dagegen vermag man nichts zu lesen als Geistlosigkeit und Beschränktheit. In dieser Hinsicht wird das Auge allerdings auch bei ihm zum Dolmetscher des Geistes.


*


Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Zweiter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Dritter Band: Hufthiere, Seesäugethiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 544-547.
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