Ameisenbeutler (Myrmecobius fasciatis)

[553] Der Ameisen- oder Spitzbeutler (Myrmecobius fasciatis, M. diemensis) vertritt die letzte Sippe der Familie. Sein Körper ist lang, der Kopf sehr spitz, die Hinterfüße sind vierzehig, die Vorderfüße fünfzehig, die Hinterbeine etwas länger als die Vorderbeine, die Sohlen behaart, die Zehen getrennt. Der Schwanz ist schlaff, lang und zottig. Das Weibchen hat keine Tasche, aber acht in einem Kreise stehende Zitzen. Auffallend ist das reiche Gebiß; denn die Anzahl der Zähne beträgt mehr als die irgend eines Säugethiers, mit alleiniger Ausnahme des Armadills und einiger Walthiere, nicht weniger als zweiundfunfzig, da sich, außer vier Schneidezähnen oben und drei unten, je ein Eckzahn, drei Lück- und oben fünf, unten sechs Backenzähne finden.

Man darf den Ameisenbeutler mit Recht als eins der schönsten und auffallendsten Beutelthiere betrachten. In der Größe ähnelt er ungefähr unserem gemeinen Eichhörnchen. Die Länge seines Leibes beträgt 25 Centim., die des Schwanzes 18 Centim. Ein reichlicher Pelz bedeckt den Körper, der Kopf ist kurz, der Schwanz dagegen lang, schwarz und zottig behaart. Unter dem langen, ziemlich rauhen Grannenhaar liegt dichtes, kurzes Wollhaar, Schnurren stehen an den Seiten der Oberlippen und Borstenhaare unterhalb der Augen. Die Färbung ist höchst eigenthümlich. Das Ockergelb des vordern Oberkörpers, welches durch eingemengte weiße Haare lichter erscheint, geht nach hinten zu allmählich in ein tiefes Schwarz über, welches den größten Theil der hintern [553] Körperhälfte einnimmt, aber durch neun weiße oder graulichweiße Querbinden unterbrochen wird. Die ersten beiden dieser Binden sind undeutlich und mit der Grundfarbe vermischt, die beiden folgenden rein gefärbt, die vier nächsten wieder durch die Grundfarbe getrübt, die neunte ist wieder vollständig rein; doch trifft man bisweilen auch Abänderungen in Bezug auf die Anordnung und Färbung der Binden. Die ganze Unterseite ist gelblichweiß, die Weichen sind blaß fahlgelb, die Beine an der Außenseite blaß bräunlichgelb, an der Vorderseite weiß. Auf dem Kopfe bringen schwarze, fahlgelbe und einige weiße Haare eine bräunliche Färbung zu Stande.


Ameisenbeutler (Myrmecobius fasciatis). 1/3 natürl. Größe.
Ameisenbeutler (Myrmecobius fasciatis). 1/3 natürl. Größe.

Die Schwanzhaare sind schwarz, weiß und ockergelb durch einander, unten an der Wurzel fahlgelb, oben schwarz, immer mit weißlicher Spitze. Nase, Lippen und Krallen sind schwarz. Das Wollhaar ist weißlich grau.

Ungeachtet dieser merklich von einander abstechenden Farben macht das Thier einen angenehmen Eindruck, und dieser wird noch bedeutend erhöht, wenn man es lebend sieht. Es ist ebenso beweglich wie die vorhergehenden. Wenn es in die Flucht gescheucht wird, eilt es mit kleinen Sprüngen ziemlich rasch davon und trägt dabei den Schwanz ganz nach Art und Weise unseres Eichhorns. Die Schnelligkeit seines Laufes ist nicht eben groß, aber seine Gewandtheit und Schlauheit ersetzen reichlich, was ihm in dieser Beziehung abgeht. In dem von der Menschenhand unberührten Walde, seinem hauptsächlichsten Aufenthalte, findet sich überall eine Höhlung, sei es in einem Stamme oder unter dem Gewurzel oder aber eine Kluft im Gesteine, und solche Zufluchtsorte weiß der Ameisenbeutler auch während der ärgsten Verfolgung auszuspähen und mit ebensoviel Geschick und Ausdauer zu behaupten. Nicht einmal der Rauch, das gewöhnliche Hülfsmittel des tückischen Menschen, um ein verstecktes Thier an das Tageslicht zu bringen, soll auf unsern Spitzbeutler die beabsichtigte Wirkung hervorbringen, und jedenfalls ermüdet der Mensch weit eher in der Mühe, welche die Ausräucherung verursacht, als jener in seiner [554] Ausdauer, den athmungsbeschwerenden, luftverpestenden Rauch zu ertragen. Die Hauptnahrung des Ameisenbeutlers ist durch seinen Namen ausgedrückt. Man findet ihn auch vorzugsweise in solchen Waldgegenden, wo es Ameisenarten in Menge gibt. Seine Ausrüstung, zumal die scharfen Krallen und die lange Zunge, scheinen ihn besonders auf solches Futter hinzuweisen. Die Zunge streckt er ganz nach Art des Ameisenbären unter die wimmelnde Schar und zieht sie dann, wenn sich eine Masse der erbosten Kerfe an ihr festgebissen, rasch in den Mund zurück. Außerdem soll er auch andere Kerbthiere und unter Umständen das Manna, welches aus den Zweigen der Eucalypten schwitzt, ja selbst Gras verzehren.

Im Gegensatze zu den Sippen der erwähnten Raubbeutler ist der Ameisenbeutler im höchsten Grade harmlos. Wenn er gefangen wird, denkt er nicht daran, zu beißen oder u kratzen, sondern gibt seinen Unmuth einzig und allein durch schwaches Grunzen kund. Findet er, daß er nicht entweichen kann, so ergibt er sich ohne Umstände in die Gefangenschaft, ein Schicksal, welches ihm, weil der Mensch das nöthige Futter in hinreichender Menge nicht herbeischaffen kann, gewöhnlich bald verderblich wird. Die Anzahl der Jungen soll zwischen fünf und acht schwanken.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Zweiter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Dritter Band: Hufthiere, Seesäugethiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 553-555.
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