Kängururatte (Hypsiprymnus murinus)

[598] Die Kängururatte (Hypsiprymnus murinus, H. setosus, apicalis und myosurus, Potorous murinus, Macropus minor) ist an ihrem länglichen Kopfe, den kurzen Läufen und dem Rattenschwanze zu erkennen. Ihre Leibeslänge beträgt 40 Centim., die Länge des Schwanzes 25 Centim. Der Leib ist kurz und untersetzt, der Hals dick, der Schwanz lang, flach, ziemlich stark geringelt und geschuppt und noch spärlich mit einigen kurzen, steifen Haaren bedeckt, ein Theil desselben ganz nackt; die Vorderfüße haben getrennte Zehen, während an den Hinterfüßen die zweite und dritte Zehe bis zum letzten Gliede mit einander verwachsen sind. Der lange, lockere, schwach glänzende Pelz ist oben dunkelbraun, mit schwarzer und blaßbrauner Mischung, auf der Unterseite schmutzig- oder gelblichweiß. Die Haare haben dunkle Wurzeln und die der Oberseite schwarze Spitzen; zwischen ihnen stehen aber kürzere, gelbspitzige. Der Schwanz hat an der Wurzel und oben bräunliche, längs der Seiten und unten schwarze Färbung.

Neusüdwales und Vandiemensland sind die Heimat der Kängururatte; bei Port Jackson ist sie häufig. Sie liebt spärlich mit Büschen bestandene Gegenden und meidet offene Triften. Auf ihren Wohnplätzen gräbt sie sich zwischen Grasbüscheln eine Vertiefung in den Boden, kleidet diese mit trockenem Grase und Heu sorgfältig aus und verschläft in ihr, gewöhnlich in Gesellschaft anderer ihrer Art, den Tag; denn auch sie ist ein echtes Nachtthier, welches erst gegen Sonnenuntergang zum Vorscheine kommt. Das Lager wird ebenso geschickt angelegt wie das der beschriebenen Verwandten.

[598] In ihren Bewegungen unterscheidet sich die Kängururatte sehr wesentlich von den Springbeutelthieren. Sie läuft nach eigenen Beobachtungen ganz anders und weit leichter als diese, mehr nach Art der Springmäuse, d.h. indem sie einen der Hinterfüße nach dem andern, nicht aber beide zu gleicher Zeit bewegt. Dieses Trippeln, wie man es wohl nennen kann, geschieht ungemein rasch und gestattet zugleich dem Thiere eine viel größere Gewandtheit, als die satzweise springenden Kängurus sie an den Tag legen. De Kängururatte ist schnell, behend, lebendig und gleitet und huscht wie ein Schatten über den Boden dahin. Ein geübter Hund fängt sie ohne besondere Mühe, der ungeübte Jäger bedroht sie vergeblich, wenn sie einmal ihr Lager verlassen hat. In diesem wird sie auch von dem Menschen leicht gefangen, da sie ziemlich fest schläft oder ihren ärgsten Feind sehr nahe an sich herankommen läßt, ehe sie aufspringt. Hinsichtlich der Nahrung unterscheidet sie sich von den bisher beschriebenen Verwandten.


Kängururatte (Hypsiprymnus murinus). 1/6 natürl. Größe.
Kängururatte (Hypsiprymnus murinus). 1/6 natürl. Größe.

Sie gräbt hauptsächlich nach Knollen, Gewächsen und Wurzeln und richtet deshalb in den Feldern manchmal empfindlichen Schaden an.

Seit dem Bestehen der Thiergärten kommt die Kängururatte nicht selten lebend nach Europa. Sie hält sich vortrefflich bei sehr einfacher Nahrung und bedarf durchaus keines besondern Schutzes. Eine mit Heu ausgepolsterte Kiste oder ein kleines Erdhäuschen genügt ihr; gibt man ihr keine Behausung, so gräbt sie sich selbst ein Lager und füttert dieses, wie in ihrer Heimat, sorgfältig mit Gras, Blättern und Heu aus. Das Lager ist fast kugelrund, oben enger als in der Mitte, sehr glatt ausgekleidet und oben so geschickt bedeckt, daß man unter dem Bündel trockenen Grases schwerlich eine Thierwohnung vermuthen würde. Erst wenn man die obere Decke weghebt, sieht man sie in sich zusammengerollt oder mit anderen ihrer Art verschlungen liegen, doch nur einen Augenblick lang; denn sobald das eindringende Licht sie erweckt, stürmt sie mit einem Satze ins Freie und eilt dann so schnell als möglich davon. Obwohl durchaus Nachtthier, weiß sie doch auch bei Tage sehr geschickt sich zu bewegen und Hindernissen verschiedenster Art gewandt und sicher auszuweichen. Zwischen Gitterwänden hindurch huscht, über dieselben springt sie mit bewunderungswürdiger Leichtigkeit.

Gefangene erscheinen in den Sommermonaten anderthalb Stunden vor Sonnenuntergang, im Herbste und Winter verhältnismäßig später und huschen und springen dann äußerst lustig in ihrem Gehege umher. So unwillig sie bei Tage über jede Störung sind, so neugierig kommen sie abends herbei, um den zu betrachten, welcher an das Gitter ihres Wohnplatzes herantritt. Sie lassen sich dann gern berühren, während sie bei Tage jede derartige Freundschaftsbezeigung durch [599] ein unwilliges Knurren, plötzliches Entgegenspringen und im Nothfalle durch Bisse zurückweisen. Englische Berichterstatter, welche die Kängururatten in Australien beobachteten, behaupten, daß sie sehr furchtsam wären, ich kann nach meinen Erfahrungen dies nicht bestätigen, sondern finde eher, daß sie muthiger sind als die großen Springbeutelthiere. Namentlich die Männchen können geradezu kühn genannt werden und sind ebenso sehr bösartig. Sie fürchten sich gar nicht vor dem Menschen, sondern gehen ihm mit der Unverschämtheit der Nager zu Leibe, wenn er sich ihnen in unerwünschter Weise aufdrängt. Gegen die eigenen Jungen zeigt sich das Männchen oft boshaft, plagt namentlich die jungen Männchen aus Eifersucht auf alle Weise und zuweilen so arg, daß sie der ewigen Quälerei erliegen.

Die Brunst scheint bei den Kängururatten sehr heftig zu sein. Das Männchen jagt dann das ihm beigegebene Weibchen die ganze Nacht hindurch im Gehege umher, wirft es über den Haufen und beißt und mißhandelt es, wenn es sich nicht gutwillig fügen will. Ein von mir gepflegtes Weibchen wurde nebst seinen schon ziemlich großen Jungen im Beutel bei solcher Gelegenheit von dem erhitzten Männchen getödtet, wahrscheinlich, weil es dieses nicht zulassen wollte.

Die Fortpflanzung erfolgt drei- oder viermal im Laufe des Jahres; denn die Jungen wachsen außerordentlich schnell heran. Ein von mir gepflegtes Pärchen brachte durchschnittlich alle drei Monate ein Junges, woraus also hervorgeht, daß Trächtigkeitsdauer und Entwickelung des Jungen im Beutel nur kurze Zeit beanspruchen. Nach Verlauf eines halben Jahres haben die Jungen die Größe der Alten erlangt und sind damit fortpflanzungsfähig geworden. So viel mir bekannt, bringen Kängururatten regelmäßig nur ein Junges zur Welt, nicht aber deren zwei, wie man in einzelnen Naturgeschichten angegeben findet.

Vielleicht würde es sich belohnen, wenn man den Versuch machen wollte, dieses sonderbare und anziehende Thier bei uns einzubürgern. In einem großen umhegten Garten könnte man sich einen Stamm heranziehen, welchen man dann aussetzte und einige Zeit sich selbst überließe. Man würde ein sehr harmloses und wenig schädliches Wild gewinnen, dessen Jagd unzweifelhaft alle Verehrer Dianens schon aus dem Grunde aufs höchste begeistern müßte, weil Sonntagsschützen sicherlich Gelegenheit fänden, viel Pulver und Blei los zu werden.

Nach meiner und Anderer Beobachtung darf angenommen werden, daß unser Klima den Kängururatten nicht gefährlich oder doch in viel geringerem Grade als den Kängurus beschwerlich wird. Selbst starker Schneefall ficht sie wenig an, und strengere andauernde Kälte ertragen sie aus dem Grunde leichter als ihre Verwandten, als sie, um zu schlafen, sich in ihr wärmehaltiges Nest zurückziehen. Somit erfüllen sie eigentlich die meisten Bedingungen, welche man an ein bei uns einzubürgerndes Thier stellen kann. Ihr Wildbret dürfte allerdings dem des Hasen nachstehen, aber doch wohl dem unseres Wildkaninchens annähernd gleichkommen, während sie wahrlich weniger Schaden verursachen würden als die beiden genannten Nager.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Zweiter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Dritter Band: Hufthiere, Seesäugethiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 598-600.
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