Opossum (Didelphys virginiana)

[558] Unter diesen Thieren ist das Opossum (Didelphys virginiana, D. marsupialis) wohl das bekannteste. Weder die Färbung, noch irgend welche Anmuth oder Annehmlichkeit in seinen Sitten zeichnen es aus, und so gilt es mit Recht als ein höchst widriges Geschöpf. Die Leibeslänge des Opossums beträgt über 50 Centim., die des Schwanzes etwa 30 Centim. Der Leib ist wenig gestreckt und ziemlich schwerfällig, der Hals kurz und dick, der Kopf lang, an der Stirne abgeflacht und allmählich in eine lange, zugespitzte Schnauze übergehend; die Beine sind kurz, die Zehen von einander getrennt und fast von gleicher Länge, die Hinterfüße mit einem den übrigen Zehen entgegensetzbaren Daumen versehen; der ziemlich dicke, runde und spitzige Schwanz ist bloß an seiner Wurzel behaart und von da bis zu seinem Ende nackt und von seinen Schuppenhaaren umgeben, zwischen denen nur hier und da einige kurze Haare hervortreten. Das Weibchen hat einen vollkommenen Beutel. Das Gebiß weicht nicht von dem allgemeinen Gepräge ab.

Nordamerika, von Mejiko an bis in die kälteren Gegenden der nördlichen Vereinigten Staaten, bis Pennsylvanien und an die großen Seen Kanadas ist die Heimat des Opossums. In den mittleren Theilen dieses gewaltigen Landstrichs wird es überall häufig gefunden, und zwar keineswegs zur Freude der Menschen. Wälder und Gebüsche bilden seine Aufenthaltsorte, und je dichter dieselben sind, um so lieber hält sich das Opossum in ihnen auf.

»Mir ist«, sagt Audubon, »als sähe ich noch jetzt eines dieser Thiere über den schmelzenden Schnee langsam und vorsichtig dahintrippeln, indem es am Boden hin nach dem schnoppert, was seinem Geschmack am meisten zusagt. Jetzt stößt es auf die frische Fährte eines Huhnes oder Hasens, erhebt die Schnauze und schnüffelt. Endlich hat es sich entschieden und eilt auf dem gewählten Wege so schnell wie ein guter Fußgänger vorwärts. Nun sucht es und scheint in Verlegenheit, welche Richtung es weiter verfolgen soll; denn der Gegenstand seiner Verfolgung hat entweder einen beträchtlichen Satz gemacht oder wohl einen Haken geschlagen, ehe das Opossum seine Spur aufgenommen hatte. Es richtet sich auf, hält sich ein Weilchen auf den Hinterbeinen, schaut sich um, spürt aufs neue und trabt dann weiter. Aber jetzt, am Fuße eines alten Baumes, macht es entschieden Halt. Es geht rund um den gewaltigen Stamm über die schneebedeckten Wurzeln und findet zwischen diesen eine Oeffnung, in welche es im Nu hineinschlüpft. Mehrere Minuten vergehen, da erscheint es wieder, schleppt ein bereits abgethanes Erdeichhörnchen im Maule heraus und beginnt den Baum zu ersteigen. Langsam klimmt es empor. Der erste Zwiesel scheint ihm nicht anzustehen: es denkt wohl, es möchte hier allzusehr den Blicken eines bösen Feindes ausgesetzt sein, und somit steigt es höher, bis es die dichteren Zweige bergen können, welche mit Weinranken durchflochten sind. Hier setzt es sich zur Ruhe, schlingt seinen Schwanz um einen Zweig und zerreißt mit den scharfen Zähnen das unglückliche Eichhörnchen, welches es dabei immer mit den Vorderpfoten hält.

Die lieblichen Frühlingstage sind gekommen, und kräftig schossen die Blätter; das Opossum aber muß immer noch Hunger leiden und ist fast gänzlich er schöpft. Es besucht den Rand der Buchten und freut sich, einen jungen Frosch zu sehen, welcher ihm eine leidliche Mahlzeit gewährt. Nach und nach brechen Moosbeeren und Nesseln auf, und vergnügt schmaust es die jungen Stengel. Der Morgenruf des wilden Truthahns entzückt das Ohr des listigen Geschöpfes; denn es weiß sehr wohl, daß es bald auch die Henne hören und ihre Spur bis zum Neste ausfindig machen wird: dort gedenkt es dann mit Wonne die Eier auszuschlürfen. Auf seinen Reisen durch den Wald, bald auf dem Boden, bald in der Höhe von Baum zu Baum, hört es einen Hahn krähen, und sein Herz schwillt bei der Erinnerung an die saftige Speise, mit welcher es sich im vorigen [558] Sommer am benachbarten Meierhofe eine Güte that. Höchst vorsichtig jedoch rückt es vor und birgt sich endlich im Hühnerhaus selbst.

Biederer Bauer! Warum hast du vorigen Winter so viele Krähen weggeschossen und Raben dazu? Nun, du hast deinen Spaß gehabt: jetzt aber eile ins nahe Dorf und verschaffe dir hinreichenden Schießvorrath, putze deinen rostigen Kuhfuß, stelle deine Fallen auf und lehre deine trägen Köter, um dem Opossum aufzulauern. Dort kommt es! Die Sonne ist kaum schlafen gegangen, aber des Strolches Hunger ist längst wach. Hörst du das Kreischen deiner besten Henne, welche es gepackt hat? Das listige Thier ist auf und davon mit ihr. Jetzt ist nichts weiter zu thun; höchstens kannst du dich hinstellen und auch noch auf Füchse und Eulen anstehen, welche bei dem Gedanken frohlocken, daß du ihren Feind und deinen Freund, die arme Krähe, weggeputzt hast. Die werthvolle Henne, welcher du vorher so gegen ein Dutzend Eier untergelegt hast, ist diese jetzt glücklich losgeworden. Trotz all ihres ängstlichen Geschreies, trotz ihrer gesträubten Federn hat das Opossum die Eier verspeist, eins nach dem andern. Das kommt also von deinem Krähenschießen her. Wärst du barmherziger und gescheiter gewesen, so wäre das Opossum wohl im Walde geblieben und hätte sich mit einem Eichhörnchen begnügt oder mit einem Häslein, mit den Eiern des Truthahns oder mit den Trauben, welche so reichlich die Zweige unserer Waldbäume schmücken: aber ich rede dir vergeblich vor! Doch auch angenommen, der Bauer hätte das Opossum über der That ertappt, – dann spornt ihn sein Aerger an, das arme Thier mit Fußtritten zu mißhandeln. Dieses aber, wohlbewußt seiner Widerstandsunfähigkeit, rollt sich zusammen wie eine Kugel. Je mehr der Bauer rast, desto weniger läßt sich das Thier etwas von seiner Empfindung merken. Zuletzt liegt es da, nicht todt, aber erschöpft, die Kinnladen geöffnet, die Zunge heraushängend, die Augen getrübt, und so würde es daliegen, bis die Schmeißfliege ihre Eier auf den Pelz legte, wenn nicht sein Quälgeist fortginge. ›Sicherlich‹, sagt der Bauer, ›das Vieh muß todt sein.‹ Bewahre, Leser, es ›opossumt‹ ihm nur etwas vor. Und kaum ist sein Feind davon, so macht es sich auf die Beine und trollt sich wieder in den Wald.«


Opossum (Didelphys virginiana). 1/5 natürl. Größe.
Opossum (Didelphys virginiana). 1/5 natürl. Größe.

Das Opossum ist, wie seine ganze Ausrüstung beweist, ein Baumthier, auf dem Boden dagegen ziemlich langsam und unbehülflich. Es tritt beim Gehen mit ganzer Sohle auf. Alle [559] Bewegungen sind träge und selbst der Lauf fördert nur wenig, obgleich er aus einer Reihe von paßartigen Sprüngen besteht. In den Baumkronen dagegen klettert das Thier mit großer Sicherheit und ziemlich hurtig umher. Dabei kommen ihm der abgesonderte Daumen seiner Hinterhände, mit welchem es die Aeste umspannen und festhalten kann, und der Rollschwanz gut zu statten. Nicht selten hängt es sich an letzterem auf, und verbleibt stundenlang in dieser Lage. Sein schwerfälliger Bau hindert es freilich, mit derselben Schnelligkeit und Gewandtheit zu klettern, wie Vierhänder oder Nager es vermögen; doch ist es auf dem Baume so ziemlich vor Feinden geborgen. Unter seinen Sinnen ist der Geruch besonders ausgebildet und das Spürvermögen soll sehr groß sein. Gegen blendendes Licht zeigt es Empfindlichkeit und vermeidet es deshalb sorgfältig. Dies genügt also, um anzunehmen, daß auch das Gesicht ziemlich gut sein muß. Die anderen Sinne aber stehen unzweifelhaft auf einer sehr niedrigen Stufe.

In den großen, dunklen Wäldern schleicht das Opossum bei Tag und Nacht umher, obgleich es die Dunkelheit dem Lichte vorzieht. Da aber, wo es Gefahr befürchtet, ja schon da, wo ihm die Helle beschwerlich fällt, erscheint es bloß nachts und verschläft den ganzen Tag in Erdlöchern oder Baumhöhlungen. Nur zur Zeit der Paarung lebt es mit seinem Weibchen zusammen; im übrigen Jahre führt es ein einsames, ungeselliges Leben nach Art aller ihm nahe verwandten Thiere. Es hat keine bestimmte Wohnung, sondern benutzt jeden Schlupfwinkel, welchen es nach vollbrachter Nachtwanderung mit Anbruch des Morgens entdeckt. Ist ihm das Glück besonders günstig und findet es eine Höhlung auf, in welcher irgend ein schwacher Nager wohnt, so ist ihm das natürlich um so lieber; denn dann muß der Urbewohner einer solchen Behausung ihm gleich zur Nahrung dienen. Es verzehrt, wie wir aus Audubons Schilderung annehmen können, alle kleinen Säugethiere und Vögel, welche es erlangen kann, ebenso auch Eier, mancherlei Lurche, größere Kerfe, deren Larven und selbst Würmer, begnügt sich aber in Ermangelung thierischer Nahrung ebenso mit Baumfrüchten, z.B. mit Mais und nahrungshaltigen Wurzeln. Blut zieht es allen übrigen Speisen vor, und deshalb wüthet es da, wo es kann, mit unbeschreiblicher Mordgier. In den Hühnerställen tödtet es oft sämmtliche Bewohner und saugt dann bloß deren Blut aus, ohne ihr Fleisch anzurühren. Dieser Blutgenuß berauscht es, wie unsere Marder, so daß man es morgens nicht selten unter dem todten Geflügel schlafend antrifft. Im ganzen vorsichtig, wird es, so lange es seiner Blutgier fröhnen kann, blind und taub, vergißt jede Gefahr und läßt sich, ohne von seinem Morden abzustehen, von den Hunden widerstandslos erwürgen oder von dem erbosten Bauer todtschlagen.

Man hat durch Beobachtung an Gefangenen mit hinlänglicher Sicherheit festgestellt, daß das Weibchen ungefähr nach vierzehntägiger Tragzeit seine Jungen wirft oder, besser gesagt, aus dem Mutterleibe in den Beutel befördert. Die Anzahl der Jungen schwankt zwischen vier und sechszehn, die Keimlinge sind anfänglich noch ganz formlos und klein. Sie haben ungefähr die Größe einer Erbse und wiegen bloß fünf Gran. Augen und Ohren fehlen, nicht einmal die Mundspalte ist deutlich, obwohl sie natürlich hinlänglich ausgebildet sein muß, um als Verbindungsmittel zwischen ihnen und der Mutter zu dienen. Der Mund entwickelt sich auch viel eher als alle übrigen Theile des Leibes; denn erst viel später bilden sich die Augen und Ohren einigermaßen aus. Nach etwa vierzehn Tagen öffnet sich der Beutel, welchen die Mutter durch besondere Hautmuskeln willkürlich verengern oder erweitern kann, und nach etwa funfzig Tagen sind die Jungen bereits vollständig ausgebildet. Sie haben dann die Größe einer Maus, sind überall behaart und öffnen nun auch die Augen. Nach sechszig Tagen Saugzeit im Beutel ist ihr Gewicht mehr als das hundertfache des früheren gestiegen. Die Mutter gestattet unter keiner Bedingung, daß ihr Beutel geöffnet werde, um die Jungen zu betrachten. Sie hält jede Marter aus, läßt sich sogar über dem Feuer aufhängen, ohne sich solchem Verlangen zu fügen. Erst wenn die Jungen die Größe einer Ratte erlangt haben, verlassen sie den Beutel, bleiben aber auch, nachdem sie schon laufen können, noch bei der Mutter und lassen diese für sich jagen und sorgen.

[560] Wegen des Schadens, welchen das Opossum unter dem Hausgeflügel anrichtet, wenn es einmal in einen Meierhof einbricht, wird es überall gehaßt und schonungslos verfolgt. Zumal die Neger sind eifrige Feinde des Thieres und erlegen es, wann und wo sie nur können, wissen es auch am besten zu benutzen. Das Wildpret des Thieres, für europäische Gaumen ungenießbar, weil ein äußerst widriger, stark knoblauchartiger, aus zwei zu beiden Seiten des Mastdarms liegenden Drüsen stammender Geruch sich dem Fleische mittheilt und es verdirbt, behagt den Negern sehr und entschädigt sie für die Mühe des Fangens.

Das Gefangenleben des Opossums entspricht Voraussetzungen, zu denen man sich durch Audubons malerische Feder veranlaßt sehen könnte, durchaus nicht. Ich muß nach meinen Erfahrungen behaupten, daß dieses Thier noch langweiliger ist als alle Raubbeutler oder Beutelmarder. Regungslos in sich zusammengerollt liegt es den ganzen Tag über in seinem Käfige, und nur wenn man es reizt, bequemt es sich wenigstens zu einer Bewegung: es öffnet den Rachen so weit als möglich und so lange, als man vor ihm steht, gerade, als ob es die Maulsperre hätte. Von dem Verstande, welchen Audubon dem wildlebenden Thiere zuschreibt, bemerkt man keine Spur. Es ist träge, faul, schlafsüchtig und erscheint abschreckend dumm: mit diesen Worten ist sein Betragen in der Gefangenschaft am besten beschrieben.


*


Von den Beutelratten im engsten Sinne unterscheiden sich die Schupatis (Philander) hauptsächlich durch den unvollkommenen Beutel des Weibchens. Dieser wird nämlich nur durch zwei Hautfalten gebildet, welche sich über die an den Zitzen hängenden, noch unausgebildeten Jungen hinweglegen.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Zweiter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Dritter Band: Hufthiere, Seesäugethiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 558-561.
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