Schwimmbeutler (Chironectes variegatus)

[562] Die zweite Sippe der Familie wird durch das einzige bis jetzt bekannte Beutelthier, welches vorzugsweise im Wasser lebt, den Schwimmbeutler (Chironectes variegatus, Ch. minimus und Yapok, Lutra sarcovienna), vertreten. Ihn unterscheidet der Fußbau von seinen Verwandten. Die nacktsohligen Vorder- und Hinterfüße sind fünfzehig, diese aber merklich größer als jene und durch große Schwimmhäute, welche die Zehen verbinden, sowie durch starke, lange und sichelförmige Krallen vor den Vorderfüßen ausgezeichnet. Die Zehen der letzteren tragen bloß kleine, schwache und kurze Krallen, welche so in den Ballen eingesenkt sind, daß sie beim Gehen den Boden nicht berühren. Der Daumen ist verlängert, und hinter ihm befindet sich noch ein knöcherner Fortsatz, aus einer Verlängerung des Fersenbeines herrührend, gleichsam als sechste Zehe. Der sehr lange Schwanz ist bloß an der Wurzel kurz und dicht behaart, im übrigen mit verschoben-vierseitigen Schüppchen bekleidet. Der Kopf ist verhälnismäßig klein, die Schnauze lang und zugespitzt, der Pelz weich. Das Weibchen hat einen vollständigen Beutel, das Männchen einen dicht und pelzig behaarten Hodensack. Im Zahnbaue ähnelt der Schwimmbeutler den eigentlichen Beutelratten fast vollständig.

Unser Thier hat im allgemeinen ungefähr das Aussehen einer Ratte. Die Ohren sind ziemlich groß, eiförmig gerundet, häutig und nackt, die Augen klein. Große Backentaschen, welche sich [562] weit rückwärts in die Mundhöhle öffnen, lassen das Gesicht oft dicker erscheinen, als es wirklich ist. Der gestreckte, walzenförmige, aber eher untersetzte als schlanke Leib ruht auf kurzen Beinen mit breiten Füßen, deren vorderes Paar vollkommen getrennte, sehr lange und dünne Zehen hat, während die Hinterfüße sich als starke Ruder kennzeichnen.


Schwimmbeutler (Chironectes variegatus). 1/4 natürl. Größe.
Schwimmbeutler (Chironectes variegatus). 1/4 natürl. Größe.

Der Schwanz ist fast von gleicher Länge mit dem Körper und ein Rollschwanz, obgleich er wohl nicht als Greifwerkzeug benutzt wird. Der weiche, glatte, anliegende Pelz, welcher aus zerstreuteren, längeren Grannen und dichtem Wollhaare besteht, ist auf dem Rücken schön aschgrau gefärbt und sticht scharf ab von der weißen Unterseite. Auf dem grauen Grunde des Rückens liegen sechs schwarze, breite Querbinden, und zwar zieht sich davon eine über das Gesicht, eine über den Scheitel, eine über die Vorderbeine, die vierte über den Rücken, die fünfte über die Lenden und die sechste über das Kreuz. Längs der Rückenlinie verläuft ein dunkler Streifen von einer Binde zur andern. Die Ohren und der Schwanz sind schwarz, die Pfoten oben hellbraun, die Sohlen dunkelbraun. Ausgewachsene Thiere haben bei etwa 40 Centim. Leibeslänge einen beinahe ebenso langen Schwanz.

Der Schwimmbeutler ist über einen großen Theil von Südamerika verbreitet. Er findet sich von Rio de Janeiro an durch das ganze Küstenland Südamerikas bis nach Honduras, scheint aber überall selten vorzukommen oder wenigstens schwer zu erlangen zu sein und wird daher auch noch in den wenigsten Sammlungen gefunden. Natterer, welcher siebzehn Jahre in Brasilien sammelte, erhielt das Thier bloß dreimal und auch nur zufällig. So darf es uns nicht Wunder nehmen, daß wir von seiner Lebensweise noch kaum etwas wissen. Man hat erfahren, daß er hauptsächlich in den Wäldern, an den Ufern kleiner Flüsse und Bäche sich aufhält und nach Art der meisten Wassersäugethiere hauptsächlich in Uferlöchern sich versteckt oder mitten im Strome herumschwimmt, somit aber gewöhnlich der Beobachtung entgeht. Er soll sowohl bei Tage als bei [563] Nacht nach Nahrung ausgehen, mit größter Leichtigkeit schwimmen und sich auch auf dem Lande rasch und behend bewegen können. Die Nahrung besteht, wie man angibt, in kleinen Fischen oder in anderen kleinen Wasserthieren und in Fischlaich; doch deuten die großen Backentaschen wohl darauf hin, daß der Schwimmbeutler nebenbei auch Pflanzenstoffe nicht verschmäht. Man sagt, daß das Thier, wenn es diese Vorrathskammern mit Nahrung gefüllt hat, nach dem Lande zurückkehre, um dort zu speisen.

Das Weibchen wirft etwa fünf Junge, trägt sie im Beutel aus, führt sie dann schon ziemlich frühzeitig ins Wasser und unterrichtet sie hier längere Zeit im Schwimmen, Tauchen und im Erwerbe der Nahrung. Ob die Jungen bei Gefahr in den Beutel zurückkehren, an der Mutter sich festklammern oder in Uferlöcher sich verstecken, ist nicht bekannt.

Die Jagd und der Fang des Schwimmbeutlers scheinen dem Zufalle unterworfen zu sein. Nur sehr selten soll man eins der Thiere zum Schuß bringen, wenn es in der Mitte des Flusses sich zeigt. Gewöhnlich erhält man die wenigen, welche man überhaupt in seine Gewalt bekommt, beim Aufheben der Fischreusen, in denen sie sich verwirrt und den Tod durch Erstickung gefunden hatten.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Zweiter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Dritter Band: Hufthiere, Seesäugethiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 562-564.
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