Kalong (Pteropus edulis)

[306] Die größte aller bekannten Arten, der Kalong, fliegende Hund oder fliegende Fuchs (Pteropus edulis, P. assamensis, P. javanicus?), klaftert bei 40 Centim. Leibeslänge bis 1,5 Meter. Die Färbung des Rückens ist tief braunschwarz, des Bauches rostigschwarz, des Halses und Kopfes rostiggelbroth, der Flatterhaut braunschwarz.

Der Kalong lebt auf den indischen Inseln, namentlich auf Java, Sumatra, Banda und Timor, wie alle seine Familienglieder entweder in größeren Wäldern oder in Hainen von Fruchtbäumen, welche alle Dörfer Java's umgeben, hier mit Vorliebe die magerechten Aeste des Kapok (Eriadendron) und des Durian (Durio zibethinus) zu seinem Ruhesitze sich erwählend. Unter Umständen bedeckt er die Aeste so dicht, daß man sie vor Kalongs kaum noch unterscheiden kann. Einzelne Bäume sind buchstäblich mit Hunderten und Tausenden behangen, welche hier, so lange sie ungestört sind, ihren Tagesschlaf halten, gestört aber scharenweise in der Luft umherschwärmen. Gegen Abend setzt die Masse sich in Bewegung, und einer fliegt in einem gewissen Abstande hinter dem[306] anderen her; doch kommt es auch vor, daß die Schwärme in dichterem Gedränge gemeinschaftlich einem Orte zufliegen. So erzählt Oxley, daß ein Schwarm dieser Thiere mehrere Stunden brauchte, um über das die in der Straße von Malakka vor Anker liegende Schiff fortzuziehen. Logan sah die Kalongs zu Millionen in den Mangrovesümpfen am Nordrande der Insel Singapore hängen und abends die Luft durch ihre Menge verdunkeln. »Dichtgedrängte Schwärme«, schreibt mir Haßkarl dagegen, »sah ich nie fliegen, sondern stets nur einzelne, diese aber allerdings in großer Anzahl, des Abends bei Batavia meist strandeinwärts sich wendend.« Unter Bäumen, welche sie eine Zeitlang als Schlafplätze benutzt haben, sammelt sich ihr Koth in Massen an, und sie verbreiten dann einen so heftigen Geruch, daß man sie oft eher mittels der Nase als durch das Auge wahrnimmt. Ihre Nahrung besteht aus den verschiedensten Früchten, insbesondere mehrerer Feigenarten und der Mango, denen zu Liebe sie massenhaft in die Fruchtgärten auf Java einfallen, hier oft erheblichen Schaden anrichtend.


Kalong (Pteropus edulis). 1/4 natürl. Größe.
Kalong (Pteropus edulis). 1/4 natürl. Größe.

Doch begnügen sie sich keineswegs einzig und allein mit pflanzlicher Nahrung, stellen im Gegentheile auch verschiedenen Kerfen und selbst kleinen Wirbelthieren nach. So hat sie neuerdings Shortt zu seiner Ueberraschung als Fischräuber kennen gelernt. »Als ich«, sagt er, »in Konlieveram mich aufhielt, wurde meine Aufmerksamkeit auf einen Regenteich [307] gezogen, welcher einem vor kurzem gefallenen Regenschauer sein Dasein verdankte und buchstäblich mit kleinen Fischchen besäet schien, welche im Wasser spielten und über die Oberfläche desselben emporsprangen. Diese Erscheinung, das plötzliche Auftreten von Fischen in zeitweilig vertrocknenden und dann wieder mit Wasser sich füllenden Regenteichen war nichts neues für mich; meine Aufmerksamkeit wurde vorerst auf eine Anzahl großer, etwas schwerfällig fliegender Vögel gerichtet, welche über dem Wasser rüttelten, mit ihren Füßen dann und wann einen Fisch ergriffen und hierauf mit ihrer Beute sich nach einigen Tamarindenbäumen begaben, um dort sie zu verzehren. Bei genauer Untersuchung fand ich, daß die vermeintlichen Vögel Kalongs waren. Durch die eintretende Dunkelheit des Abends verhindert, konnte ich sie nur kurze Zeit beobachten, kehrte aber am nächsten Abend eine Stunde früher zu dem Teiche zurück und bemerkte dasselbe. Nunmehr forderte ich meinen Gefährten Watson auf, sein Gewehr zu holen und einige der Thiere zu schießen, um mich vollständig zu überzeugen. Watson schoß zwei oder drei von ihnen während sie fischten, und stellte es somit außer allen Zweifel, daß ich es mit Kalongs zu thun hatte. Bei einem späteren Besuche beobachtete ich wiederum dasselbe.«

Hier und da werden Kalongs verfolgt, weniger des von ihnen verursachten Schadens halber, als um sie für die Küche zu verwenden. Der Malaie bedient sich zu ihrer Jagd in der Regel des Blasrohres, zielt auf ihre Fittige, den empfindlichsten Theil des Leibes, betäubt sie und bringt sie so in seine Gewalt; der Europäer wendet erfolgreicher das Feuergewehr an. Während des Fluges sind sie ungewöhnlich leicht zu schießen, denn ihre Flügel verlieren augenblicklich das Gleichgewicht, wenn auch nur ein einziger Fingerknochen durch ein Schrotkorn zerschmettert worden ist. Schießt man aber bei Tage auf sie, während sie schlafend an den Aesten hängen, so gerathen sie, wenn sie flüchten wollen, in eine solche Unordnung, daß einer den anderen beirrt und die Getroffenen, welche ihre Flügel dann nicht entfalten können, gewöhnlich so fest an die Zweige sich klammern, daß sie auch, nachdem sie verendet sind, nicht herabfallen. »Ich sah«, bemerkt Haßkarl noch, »daß Liebhaber vom Schießen in eine Masse dicht aufeinander und nebeneinander hängender Kalongs feuerten. Es fielen jedoch nur einige herunter, die übrigen flogen, obgleich sie sehr beunruhigt schienen, nicht weg, sondern krochen nur dichter auf- und übereinander, mit ihren langen Flügeln sich festhaltend.« Jagor dagegen erzählt, daß eine durch Schüsse gestörte Gesellschaft von Kalongs nur zum Theile auf den Aesten hängen blieb, während andere Scharen in der Luft umherschwirrten. Das Fleisch wird übrigens keineswegs aller Orten und am wenigstens von Europäern gegessen. Wallace hebt als für die Bewohner von Batschian bemerkenswert hervor, daß sie fast die einzigen Menschen im Archipel seien, welche fliegende Hunde essen. »Diese häßlichen Geschöpfe«, sagt er, »werden für eine große Leckerei gehalten, und man stellt ihnen deshalb sehr nach, wenn sie im Anfange des Jahres in großen Flügen auf der Insel erscheinen, um hier Fruchternte zu halten. Sie können dann während ihrer Tagesruhe leicht gefangen oder mit Stöcken heruntergeschlagen werden: man trägt sie oft korbweise nach Hause. Ihre Zubereitung erfordert eine große Sorgfalt, da Haut und Fell einen ranzigen, stark fuchsartigen Geruch haben. Aus diesem Grunde kocht man sie meist mit viel Gewürz und Zuthaten, und so zubereitet schmecken sie in der That vortrefflich, ähnlich wie ein gut gebratener Hase.« Gefangene fügen sich rasch in den Verlust ihrer Freiheit, werden auffallend bald zahm und lassen sich auch sehr leicht erhalten. So wählerisch sie in der Freiheit sind, wo sie sich nur die saftigsten Früchte auslesen, so anspruchslos zeigen sie sich in der Gefangenschaft. Hier fressen sie jede Frucht, welche man ihnen bietet, besonders gern aber auch Fleisch.

Roch brachte einen männlichen Kalong lebend nach Frankreich. Er hatte ihn hundert und neun Tage am Bord des Schiffes ernährt, anfangs mit Bananen, später mit eingemachten Früchten, dann mit Reis und schließlich mit frischem Fleische. Einen todten Papagei fraß er mit großer Gier, und als man ihm Rattennester aufsuchte und ihm die Jungen brachte, schien er sehr befriedigt zu sein. Schließlich begnügte er sich mit Reis, Wasser und Zuckerbrod. Bei der Ankunft in Gibraltar [308] erhielt er wieder Früchte, und fortan fraß er kein Fleisch mehr. Nachts war er munter und plagte sich sehr, aus dem Käfige zu kommen; am Tage verhielt er sich ruhig und hielt sich wie unsere Fledermäuse an einem Fuße, eingehüllt in seine Flügel, in denen er selbst den Kopf verbarg. Wenn er seines Unraths sich entleeren wollte, hing er, ebenso wie die Fledermäuse, auch mit den Vorderklauen sich auf und brachte seinen Körper so in eine wagerechte Lage. Er gewöhnte sich bald an die Leute, welche ihn pflegten; namentlich seinen Besitzer kannte er vor Allen, ließ sich von ihm berühren und das Fell krauen, ohne zu beißen. Ebenso hatte er sich gegen eine Negerin betragen, welche auf der Insel Moritz seine Pflegerin gewesen war. Ein anderer, jung eingefangener Kalong wurde bald gewöhnt, Jedermann zu liebkosen, leckte die Hand wie ein Hund und war auch ebenso zutraulich.

Um so lächerlicher ist es, wenn Thierbudenbesitzer das harmlose Geschöpf heute noch in der abscheulichsten Weise verleumden. Die »Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen« in der großen »Hauptstadt der Bildung« brachte unter den übrigen wissenschaftlichen Nachrichten noch im Jahre 1858 ihrem Leserkreise die überraschende Nachricht, daß der berüchtigte Vampir oder Blutsauger zum ersten Male lebend in Berlin sei, und daß dieses entsetzliche Thier in der Nacht lebendes Vieh morde und Blut sauge. Die Milch und Semmel, welche in dem Käfige des Ungeheuers aufgestellt war, um ihm als Nahrung zu dienen, wurde bei dieser Anzeige klüglich nicht erwähnt. Das treue Hundegesicht und die große Sanftmuth des Thieres strafte den haarsträubenden Bericht allerdings Lügen, und kennzeichnete diesen unzweifelhaft als einen, wie er aus der Feder solcher Thierbesitzer hervorzugehen pflegt, welche es für nöthig halten, ihre Sehenswürdigkeiten den Leuten in der pomphaftesten Weise anzupreisen. Daß selbst unwissende Menschen noch hartnäckig der Naturwissenschaft entgegentreten, darf uns nicht wundern; um so trauriger aber ist es, daß man heute noch trotz aller wissenschaftlichen Werke und Anstalten, welche wir besitzen, durch so plumpe Lügen sich täuschen oder herbeilocken läßt.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. CCCVI306-CCCIX309.
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