Barrigudo (Lagothrix Humboldtii)

[195] Der Barrigudo oder Capparo, Caridagueres, Schieferaffe usw. (Lagothrix Humboldtii, Simia lagotricha, Cebus lagothrix, Lagotricha Caparo), steht, ausgewachsen, dem Brüllaffen an Größe kaum oder nicht nach: Bates gibt die Leibeslänge eines von ihm gemessenen Männchens, des zweitgrößten amerikanischen Affen, den er gesehen, zu 70 Centim., die Schwanzlänge zu 68 Centim. an. Ein lebendes etwas über halbwüchsiges Männchen, welches ich maß, war von der Nasenspitze bis zur Schwanzwurzel 51 Centim., sein Schwanz 60 Centim, Arm und Bein je 29 Centim., Hand und Fuß je 11,5 Centim. lang. Das weiche, wollige Haar verlängert sich auf dem Schwanze, den Schenkeln, den Oberarmen und dem Bauche und entwickelt sich auf der Brust zu einer förmlichen Mähne, läßt aber Bauchmitte und Weichengegend fast unbedeckt, sieht auf dem Kopfe wie geschoren aus, obwohl es nicht viel kürzer als das des Rückens ist, und hat den Strich außen an den Vorderarmen von unten nach oben, innen von oben nach unten, auf den Schenkeln dagegen nur von oben nach unten. Gesicht, Hand- und Fußrücken, Hand- und Fußsohlen, die nackte Stelle am Schwanze und die Zunge sind negerfarbig, also bräunlichschwarz, die Augen dunkelbraun, mit stark getrübtem Weiß; der Pelz des Oberkopfes ist mattschwarz, an der Haarwurzel grauschwarz, des Nackens etwas lichter, der Bauchmitte mattschwarz, der Oberseite dunkelgrau, jedes Haar hier licht an der Wurzel, hierauf breit dunkel geringelt und an der Spitze weißlich; auf den Vorderarmen [195] und Unterschenkeln trübt sich diese Färbung, innen bis zum Schwarzgrau dunkelnd; in der Spitzenhälfte des Schwanzes geht sie in Dunkelbräunlichfahl über. Alte Stücke sehen ebenso aus.

Nach Tschudi bewohnt der Barrigudo truppweise die Waldungen; doch findet man ihn zuweilen auch einzeln. »Wenn sich eine Schar auf ihrer Wanderung einen Ruheplatz ausgewählt hat, ertönt plötzlich ihr einförmiges halb unterdrücktes dumpfes Geheul, welches aber nicht so unangenehm und störend ist wie das der Brüllaffen. Ein jeder sucht sich dann auf seine Art die Zeit zu vertreiben: die meisten setzen sich bequem zwischen die Zweige und sonnen sich, andere brechen Früchte, wieder andere spielen und zanken.


Barrigudo oder Schieferaffe (Lagothrix Humboldtii). 1/9 natürl. Größe.
Barrigudo oder Schieferaffe (Lagothrix Humboldtii). 1/9 natürl. Größe.

Wir haben überhaupt bei diesen Affen nicht das sanfte Wesen bemerkt, welches Humboldt ihnen zuschreibt, fanden sie im Gegentheile bösartiger, frecher und unverschämter als alle übrigen Arten. Sehr oft sind sie so dreist, daß sie lange Strecken Weges die Indianer verfolgen, welche aus den am Rande der Urwälder gelegenen Pflanzungen Früchte holen, um sie in den höher gelegenen Thälern zu verkaufen. Nicht selten geschieht es, daß sie Baumzweige und Früchte nach diesen Indianern werfen, welche sich gegen den feindseligen Angriff mit Steinen zur Wehre setzen. Wir waren mehrmals Augenzeugen davon und haben durch einen Schuß diesen drolligen Gefechten ein Ende gemacht. Sie klettern langsamer als die Rollangsamer [196] sogar als die Klammeraffen; ihre Bewegungen sind schwerfällig und abgemessen. Besonders auffallend ist dies, wenn sie mit ihrem Wickelschwanze an einem Baume hangen und sich lange hin und her schaukeln, ehe sie einen anderen Ast erreichen, um weiter zu greifen. Angeschossen fallen sie schnell auf die Erde, wahrscheinlich wegen ihrer bedeutenden Schwere; die dürren, leichteren Klammeraffen dagegen fallen selten; denn im Todeskampfe klammern sie sich krampfhaft mit dem Schwanze an einen Ast und bleiben, wenn auch todt, noch tagelang hangen. Der Wollaffe flieht auf der Erde nicht, sucht vielmehr seinen Rücken durch einen Baumstamm zu schützen und vertheidigt sich mit Händen und Zähnen aufs äußerste, obschon er den übermächtigen Kräften des Jägers natürlich bald unterliegen muß. Sehr oft stößt ein so hartbedrängter Affe einen grellen Schrei aus, welcher wahrscheinlich ein Hülferuf an seine Gefährten sein soll; denn diese schicken sogleich sich an, niederzusteigen, um ihrem bedrängten Kameraden beizustehen. Aber ein zweiter, vom ersten sehr verschiedener Schrei, kurz, kräftig und dumpfer, ein Schrei des Todeskampfes, erfolgt bald, die ganze Hülfebringende Schar stäubt auseinander, und jeder sucht sein Heil in der schleunigsten Flucht.

Das Fleisch schmeckt unangenehm und ist trocken und zähe; wir haben es jedoch unter Umständen als Leckerbissen genossen.« Bates, welcher Tschudi's Schilderung nicht zu kennen scheint, bemerkt, daß der Barrigudo von den Indianern lebhaft verfolgt werde, und zwar gerade wegen der ausgezeichneten Güte seines Fleisches. »Nach den Mittheilungen eines durch mich beschäftigten Sammlers«, sagt er, »welcher lange Zeit unter den Tukanaindianern in der Nähe von Tabatinga gelebt hat, darf ich annehmen, daß die etwa zweihundert Köpfe zählende Horde gedachter Indianer alljährlich mindestens zweitausend Wollaffen erlegt und verzehrt.« Das Thier ist aber auch sehr häufig in den Waldungen des höheren Landes und nur in der Nähe der Ortschaften selten geworden, wie sich dies durch die ihm geltende, seit langer Zeit fortgesetzte Verfolgung erklärt.

»Sein Betragen in der Gefangenschaft«, fügt Bates Vorstehendem hinzu, »ist ernst, sein Wesen mild und vertrauensvoll wie das der Klammeraffen. Entsprechend diesen Eigenschaften wird der Barri gudo von Thierfreunden sehr gesucht; es fehlt ihm jedoch die Zählebigkeit der Klammeraffen, und er übersteht die Reise flußabwärts bis Para nur selten.« Noch seltener gelangt er einmal lebend nach Europa. In den Verzeichnissen des Londoner Thiergartens finde ich ihn bloß einmal aufgeführt; in anderen Thiergärten habe ich ihn viele Jahre hindurch vergeblich gesucht. Um so größer war meine Freude, ihn endlich von Angesicht zu Angesicht kennen zu lernen, einigermaßen beobachten und nach dem Leben zeichnen lassen zu können.

Ich habe niemals ein liebenswürdigeres Mitglied der ganzen Familie kennen gelernt als ihn. Um ihn zu messen, trat ich in seinen Käfig und wurde sofort auf das allerfreundlichste empfangen. Mich treuherzig fragend anblickend, als wolle er erkunden, weß Geistes Kind ich sei, kam er langsam und bedächtig auf mich zugeschritten, warf noch einen Blick auf mein Gesicht und kletterte sodann, unter thätiger Mithülfe des Schwanzes, an mir bis zu dem Arme empor, ließ sich, halb sitzend, halb liegend, hier nieder, schmiegte den Kopf an meine Brust und nahm nun mit ersichtlicher Freude und willenloser Hingebung meine Liebkosungen entgegen. Ich durfte ihn streicheln, sein Haar auseinander legen, Gesicht, Ohren, die Zunge, Hände und Füße untersuchen, ihn drehen und wenden: er ließ sich alles gefallen, ohne auch nur mit einer Wimper zu zucken. Alle liebenswürdigen Eigenschaften der Klammeraffen, ihre Anhänglichkeit und Hingebung kamen bei ihm zur Geltung, nur in weit höherem Maße; er bewies durch sein Gebaren in unverkennbarer Weise, wie unendlich wohlthuend es für ihn war, einmal wieder anstatt mit anderen Affen, seinen Käfiggenossen, mit Menschen zu verkehren. Gegen seine Gesellen, Meerkatzen und Rollaffen, zeigte er sich zwar ebenfalls wohlwollend, ließ gutmüthig allerlei von ihnen sich anthun, selbst auch zum Spielen mit ihnen bewegen, schien sie aber doch als ihm untergeordnete Geschöpfe zu betrachten, während er in mir, dem Menschen, unverkennbar ein höheres Wesen erblickte und sogleich die Rolle eines gehätschelten Lieblings annahm.

[197] Der Ernst und die ruhige Würde, welche das ganze Auftreten dieses Affen bekunden, spricht sich auch in seinen Bewegungen aus. Sie sind überlegt und gemessen, niemals hastig und ungestüm, aber auch durchaus nicht langsam, schwerfällig und ungeschickt. Der Wollaffe klettert mit größter Sicherheit, vergewissert sich, wenn er einen Platz verlassen will, vorher eines anderen sicheren Standortes und gebraucht seinen Wickelschwanz in ausgiebigster Weise, ist aber sehr wohl im Stande, weite Sprünge zu machen und rasch einen bestimmten Raum zu durcheilen, zeigt auch eine Anmuth, Gewandtheit und Behendigkeit, welche man ihm nicht zugetraut hätte. Dabei scheint ihm jede erdenkliche Stellung recht und bequem zu sein: ob er sich mit dem Schwanze allein, mit ihm und den Füßen oder Händen, mit diesen oder jenen festhält, ob er kopfunterst oder kopfoberst sich bewegt – ihm bleibt es vollkommen gleich. Allerliebst sieht es aus, wenn er, nachdem er sich am Schwanze aufgehängt hat, sich mit Händen und Füßen beschäftigt, sei es, daß er mit irgend welchem Gegenstande spielt, sei es, daß er mit einem seiner Käfiggenossen sich abgibt. Beim Ruhen, vielleicht auch beim Schlafen sitzt er zusammengekauert wie andere Wickelschwanzaffen, legt sich aber auch gern auf die Seite, seinen Schwanz über die Beine weg und seinen Kopf auf die zusammengerollte Schwanzspitze, wie auf ein Kopfkissen, verhüllt dann sein Gesicht mit dem Arme, indem er es zwischen Ober- und Unterarm in das Elnbogengelenk einschmiegt, und schließt behaglich die Augen. Im Gegensatze zu den Klammer- und Rollaffen, welche ununterbrochen winseln und sonstige Laute von sich geben, verhält er sich sehr schweigsam; der einzige Laut, welchen ich von ihm vernommen, war ein scharfes »Tschä«, welches nicht wiederholt wurde.

An das Futter scheint er besondere Ansprüche nicht zu stellen; seine Nahrung ist die aller Affen. Seine ungemein große Gutmüthigkeit und Verträglichkeit zeigt sich auch am Futternapfe und verkürzt ihn eher, als sie ihn begünstigt. Demungeachtet scheint er seinen habsüchtigen Genossen durchaus nicht zu zürnen.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. CXCV195-CXCVIII198.
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