Wauwau (Hylobates agilis)

[95] Der Wauwau (Hylobates agilis, Pithecus variegatus) endlich, welcher demselben Vaterlande entstammt, hat ein nacktes blauschwarzes, beim Weibchen ins Bräunliche spielendes Gesicht und langen reichen Pelz, dessen Färbung am Kopfe, auf dem Bauche und den Innenseiten der Arme und Schenkel dunkelbraun ist, über den Schultern und nach dem Halse zu unmerklich heller wird und auf den Weichen ins Blaßbraune übergeht, während die Aftergegend bis zu den Kniekehlen weiß und röthelfarbig gemischt erscheint. Hände und Füße sind dunkelbraun. Das Weibchen ist lichter, der Backenbart minder lang als bei dem Männchen, obschon immer noch groß genug, so daß der Kopf breiter als hoch erscheint. Die Jungen sind einfarbig gelblichweiß.

Ihre ganze Ausrüstung weist die Langarmaffen zum Klettern an. Sie besitzen jede Begabung, welche zu einer raschen, anhaltenden und gewandten Kletter-oder Sprungbewegung erforderlich ist. Die volle Brust gibt großen Lungen Raum, welche nicht ermüden, nicht ihren Dienst versagen, wenn das Blut durch die rasche Bewegung in Wallung geräth; die starken Hinterglieder verleihen die nöthige Schnellkraft zu weiten Sprüngen, die langen Vorderglieder unerläßliche Sicherheit zum Ergreifen eines Astes, welcher zu neuem Stützpunkte werden soll, mit kürzeren Armen aber leicht verfehlt werden könnte. Wie lang im Verhältnis diese Arme sind, wird am deutlichsten klar, wenn man vergleicht. Ein Mensch klaftert, wie bekannt, ebenso weit, als er lang ist: der Gibbon aber klaftert fast das Doppelte seiner Leibeslänge; ein aufrecht stehender Mann berührt mit seinem schlaff herabhängenden Arme kaum sein Knie, der Gibbon hingegen seinen Knöchel. Daß solche Arme als Gehwerkzeuge fast unbrauchbar sind, ist erklärlich: sie eignen sich bloß zum Klettern. Deshalb ist der Gang der Langarmaffen ein trauriges Schwanken auf den Hinterfüßen, ein schwerfälliges Dahinschieben des Leibes, welcher nur durch die ausgestreckten Arme im Gleichgewichte erhalten werden kann, das Klettern und Zweigtanzen der Thiere aber ein lustiges, köstliches Bewegen, scheinbar ohne Grenzen, ohne Bewußtsein des Gesetzes der Schwere. Die Gibbons sind auf der Erde langsam, tölpisch, ungeschickt, kurz fremd, im Gezweige jedoch das gerade Gegentheil von alldem, ja wahre Vögel in Affengestalt. Wenn der Gorilla der Herkules unter den Affen ist, sind sie der leichte Merkur: trägt doch einer von ihnen, Hylobates Lar, seinen Namen zur Erinnerung an eine Geliebte des letzteren, an die schöne, aber schwatzhafte Najade Lara, welche durch ihre rastlose Zunge Jovis Zorn, durch ihre Schönheit aber zu ihrem Glücke noch Merkurs Liebe erweckte und hierdurch dem Hades entrann.

Am schwerfälligsten bewegt sich, seiner Gestalt entsprechend, der Siamang, da er nicht bloß langsam geht, sondern auch etwas unsicher klettert und nur im Springen seine Behendigkeit bekundet. Aber auch die übrigen vermögen auf dem Boden nur schwer fortzukommen. »Im Zimmer oder auf ebener Erde« sagt Harlan vom Hulock, »gehen sie aufrecht und halten das Gleichgewicht ziemlich gut, indem sie ihre Hände bis über den Kopf erheben, ihre Arme an dem Handgelenke und im Elnbogen leise biegen und dann rechts und links wankend ziemlich schnell dahinlaufen. Treibt man sie zu größerer Eile an, so lassen sie ihre Hände auf den Boden reichen und helfen sich durch Unterstützung schneller fort. Sie hüpfen mehr als sie laufen, halten den Leib jedoch [95] immer ziemlich aufrecht.« Von den übrigen wird gesagt, daß es aus sehe, als ob der Leib nicht allein zu lang, sondern auch viel zu schwer sei für die kurzen und dünnen Schenkel, sich deshalb vorn überneige, und daß ihre beiden Arme beim Gehen gleichsam als Stelzen benutzt werden müßten. »So kommen sie ruckweise vorwärts, vergleichbar einem auf Krücken humpelnden Greise, welcher eine stärkere Anstrengung fürchtet.« Ganz das Gegentheil findet statt, wenn sie sich kletternd bewegen. Alle Berichterstatter sind einstimmig in ihrer Bewunderung über die Fertigkeit und Geschicklichkeit, welche die Langarmaffen im Gezweige bekunden.

Mit unglaublicher Raschheit und Sicherheit erklettert der Wauwau, laut Duvaucel, einen Bambusrohrstengel, einen Baumwipfel oder einen Zweig, schwingt sich auf ihm einige Mal auf und nieder oder hin und her und schnellt sich nun, durch den zurückprallenden Ast unterstützt, mit solcher Leichtigkeit über Zwischenräume von zwölf bis dreizehn Meter hinüber, drei-, viermal nach einander, daß es aussieht, als flöge er wie ein Pfeil oder ein schief abwärts stoßender Vogel. Man vermeint es ihm anzusehen, daß das Bewußtsein seiner unerreichbaren Fertigkeit ihm großes Vergnügen gewährt. Er springt ohne Noth über Zwischenräume, welche er durch kleine Umwege leicht vermeiden könnte, ändert im Sprunge die Richtung und hängt sich an den ersten besten Zweig, schaukelt und wiegt sich an ihm, ersteigt ihn rasch, federt ihn auf und nieder und wirft sich wieder hinaus in die Luft, mit unfehlbarer Sicherheit einem neuen Ziele zustrebend. Es scheint, als ob er Zauberkräfte besäße und ohne Flügel gleichwohl fliegen könne: er lebt mehr in der Luft als in dem Gezweige. Was bedarf solch begabtes Wesen noch der Erde? Sie bleibt ihm fremd, wie er ihr; sie bietet ihm höchstens die Labung des Trunkes, sonst stößt sie ihn zurück in sein luftiges Reich. Hier findet er seine Heimat; hier genießt er Ruhe, Frieden, Sicherheit; hier wird es ihm möglich, jedem Feinde zu trotzen oder zu entrinnen; hier darf er leben, erglühen in der Lust seiner Bewegung.

Diese Lust zeigte sich recht deutlich an einem weiblichen Wauwau, welchen man lebend nach London brachte. Man wollte an ihm die Bewegungsfähigkeit seiner Sippschaft prüfen und richtete ihm deshalb einen großen Raum besonders her. Hier und da, in verschiedenen Entfernungen, setzte man Bäume ein für das Kind der Höhe, im seinen wundervollen Bewegungen Spielraum zu gewähren. Die größte Weite von einem Aste zum anderen betrug nur sechs Meter – wenig für einen Affen, welcher in der Freiheit das Doppelte überspringen kann, viel, sehr viel für ein Thier, welches, seiner Freiheit beraubt, in ein ihm fremdes und feindseliges Klima gebracht und seiner ursprünglichen Nahrung entwöhnt worden war, welches eben erst eine so lange, entkräftende Seereise überstanden hatte. Doch trotz all dieser mislichen Umstände gab der Gibbon derartige Beweise seiner Bewegungsfähigkeit zum besten, daß, wie mein Gewährsmann sagt, »alle Zuschauer vor Erstaunen und Bewunderung geradezu außer sich waren«.

Es war ihm eine Kleinigkeit, sich von einem Aste auf den anderen zu schwingen, ohne die geringste Vorbereitung dazu bemerklich werden zu lassen, und er erreichte das erstrebte Ziel mit unwandelbarer Sicherheit. Er konnte seine Luftsprünge lange Zeit ununterbrochen fortsetzen, ohne dazu einen neuen ersichtlichen Ansatz zu nehmen; den zum Sprunge nöthigen Abstoß gab er sich während der augenblicklichen Berührung der Aeste, welche er sich zum Auffußen erwählt hatte. Ebenso sicher wie seine Bewegungen waren bei ihm Auge und Hand. Die Zuschauer belustigten sich, ihm während seiner Sprünge Früchte zuzuwerfen: er fing sie auf, während er die Luft durchschnitt, ohne es der Mühe werth zu achten, deshalb seinen Flug zu unterbrechen. Er hatte sich stets und vollkommen in seiner Gewalt. Mitten im schnellsten Sprunge konnte er die begonnene Richtung ändern; während des kräftigsten Dahinschießens erfaßte er einen Zweig mit einer seiner Vorderhände, zog mit einem Rucke die Hinterfüße zu gleicher Höhe empor, packte mit ihnen den Ast und saß nun einen Augenblick später so ruhig da, als wäre er nie in Bewegung gewesen.

Es läßt sich denken, daß der Gibbon in der Freiheit noch ganz andere Proben seiner Beweglichkeit bieten kann, und die Erzählungen der Beobachter dürfen deshalb wohl auch allen Glauben [96] verdienen, obgleich sie uns übertrieben zu sein scheinen. Die Berichterstatter vergleichen die Bewegungen der freilebenden Langarmaffen mit dem Fluge der Schwalben!

Die Beobachtung der Thiere im Freileben hat übrigens ihre Schwierigkeiten, weil fast alle Arten den Menschen meiden und nur selten an die Blößen in den Waldungen herankommen. »Meist leben sie«, sagt Duvaucel vom Siamang, »in zahlreichen Herden, welche von einem Anführer geleitet werden, nach Versicherung der Malaien von einem Unverwundbaren ihres Geschlechtes. Ueberrascht man sie auf dem Boden, so kann man sie auch gefangen nehmen; denn entweder hat der Schreck sie stutzig gemacht, oder sie fühlen selbst ihre Schwäche und erkennen die Unmöglichkeit zu entfliehen. Die Herde mag so zahlreich sein, als sie will, stets verläßt sie den verwundeten Gefährten, es sei denn, daß es sich um einen ganz jungen handelt. In solchem Falle ergreift die Mutter ihr Kind, versucht zu fliehen, fällt vielleicht mit ihm nieder, stößt dann ein heftiges Schmerzensgeschrei aus und stellt sich dem Feinde mit aufgeblasenem Kehlsacke und ausgebreiteten Armen drohend entgegen. Die Mutterliebe zeigt sich aber nicht bloß in Gefahren, sondern auch sonst bei jeder Gelegenheit. Es war ein überraschendes Schauspiel, wenn es manchmal bei äußerster Vorsicht gelang, zu sehen, wie die Mütter ihre Kleinen an den Fluß trugen, sie ungeachtet ihres Geschreies abwuschen, darauf wieder abwischten und trockneten und überhaupt eine Mühe auf ihre Reinigung verwendeten, welche man manchen Menschenkindern wünschen möchte. Die Malaien erzählten Diard, und dieser fand es späterhin bestätigt, daß die noch nicht bewegungsfähigen Jungen immer von demjenigen Theile ihrer Eltern getragen und geleitet werden, welcher ihrem Geschlechte entspricht, und zwar die männlichen Kleinen vom Vater, die weiblichen von der Mutter. Ebenso berichten sie, daß die Siamangs öfter den Tigern zur Beute würden, und zwar durch dieselbe Veranlassung, wie kleine Vögel oder Eichhörnchen Beute der Schlangen, nämlich durch Bezauberung, was, wenn die Geschichte überhaupt wahr ist, nichts anderes sagen will, als daß die Todesangst gedachte Affen vollständig sinnlos gemacht hat.

Ueber die Hulocks liegen ebenfalls ziemlich ausführliche Berichte vor. Diese Affen halten sich, laut Harlan, vorzüglich auf niedrigen Bergen auf, da sie Kälte nicht ertragen können. Ihre Nahrung besteht aus Früchten, welche in den Bambuswäldern dieser Gegend vorkommen, namentlich aus Früchten und Samen des heiligen Propulbaumes. Sie verzehren aber auch gewisse Gräser, zarte Baumzweige u. dergl., kauen dieselben aus und verschluckenden Saft, während sie die ausgekaute Masse wegwerfen. Nach Owen, welcher fast zwei Jahre lang im Wohngebiete der Hulocks lebte, vereinigen sich diese in ihren Wäldern zu Gesellschaften von hundert bis hundert und fünfzig Stücken. Gewöhnlich bemerkt man sie in den Wipfeln der höchsten Olung- und Makkoibäume, auf deren Früchte sie sehr erpicht sind; manchmal aber kommen sie auf Fußpfaden aus dem dichten Walde heraus in die offenen Lichtungen. Eines Tages begegnete Owen plötzlich einer Gesellschaft von ihnen, welche sich fröhlich belustigten, bei seiner Annäherung aber sogleich Lärm schlugen und in das Dickicht der Bambus entflohen; ein andermal hingegen sah er sich, während er auf einer neu angelegten Straße einsam einherschritt, unvermuthet von einer großen Gesellschaft unserer Affen umgeben, welche zwar überrascht, noch mehr jedoch erzürnt schienen über das Eindringen eines fremdartig gekleideten Menschen in das Bereich ihrer Herrschaft. Die Bäume ringsum waren voll von ihnen, und sie drohten von oben hernieder mit Grimassen und wildem Geschrei, als Owen vorüberging. Ja, einige von ihnen stiegen hinter ihm von den Bäumen herab und folgten ihm auf der Straße, so daß sie bei ihm die Meinung erweckten, sie wollten einen Anfall machen. Auf der ebenen Straße gelang es freilich bald, den Verfolgern zu entkommen. Bei seiner Rückkehr in die Behausung fragte unser Berichterstatter seinen Dolmetscher, ob es gewöhnlich sei, daß man von diesen Affen feindlich angegriffen werde, und erfuhr, daß vor wenigen Tagen eine Gesellschaft von Nagas, auf einem vielbogigen Pfade durch die Bambusgebüsche hintereinander gehend, von Hulocks angegriffen wurde, ja wahrscheinlich getödtet worden wäre, hätten nicht die übrigen ihrem Vordermanne Hülfe leisten können.« [97] »In der That«, bemerkt Owen, »kann ich versichern, daß sie kräftige Kämpfer sind, da auch ein gezähmtes Weibchen des Wauwau einmal plötzlich seinen Wärter ergriff, auf ihn sprang, mit allen vier Händen kratzte und ihn in die Brust biß, wobei es noch ein Glück für den Mann war, daß es seine Eckzähne verloren hatte.« Ich muß bemerken, daß ich letztere Geschichte nicht glauben kann; denn alle übrigen Berichte widersprechen der Mittheilung Owens geradezu; namentlich wird hervorgehoben, daß Langarmaffen bei Annäherung des Menschen so eilig als möglich fliehen, aus diesem Grunde auch nur äußerst selten einmal gesehen werden. Sie sind, wie mir Haßkarl mittheilt, ebenso vorsichtig als neugierig, und erscheinen deshalb nicht selten am Rande eines freien, zum Feldbau entholzten Platzes, namentlich da, wo sie noch nicht durch Jäger scheu gemacht worden sind, verschwinden aber im Augenblicke, sobald sie bemerken, daß man sie beobachtet oder sich ihnen nähert, und werden dann so leicht nicht mehr gesehen.

Um so öfter hört man sie. Bei Sonnenauf- und -Untergang pflegen sie ihre lautschallenden Stimmen zu einem so furchtbaren Geschrei zu vereinigen, daß man taub werden möchte, wenn man nah, und daß man wahrhaft erschrickt, wenn man die sonderbare Musik nicht gewohnt ist. Sie sind die Brüllaffen der alten Welt, die Wecker der malaiischen Bergbewohner und zugleich der Aerger der Städter, denen sie den Aufenthalt in ihren Landhäusern verbittern. Man soll ihr Geschrei auf eine englische Meile weit hören können. Von gefangenen Langarmaffen hat man es auch oft vernommen, und zwar von denen, welche Kehlsäcke besitzen, ebenso gut wie von denen, welchen diese Stimmverstärkungstrommeln fehlen. Ein guter Beobachter, Bennett, besaß einen lebenden Siamang und bemerkte, daß dieser, wenn er irgendwie erregt war, jedesmal die Lippen trichtermäßig vorstreckte, dann Luft in die Kehlsäcke blies und nun lospolterte, fast wie ein Truthahn. Er schrie ebenso wohl bei freudiger als bei zorniger Aufregung. Auch das Unko weibchen in London schrie zuweilen laut, und zwar in höchst eigenthümlicher, tonverständiger Weise. Man konnte das Geschrei sehr gut in Noten wiedergeben. Es begann mit dem Grundtone E und stieg dann in halben Tönen eine volle Oktave hinauf, die chromatische Tonleiter durchlaufend. Der Grundton blieb stets hörbar und diente als Vorschlag für jede folgende Note. Im Aufsteigen der Tonleiter folgten sich die einzelnen Töne immer langsamer, im Absteigen aber schneller und zuletzt außerordentlich rasch. Den Schluß bildete jedesmal ein gellender Schrei, welcher mit aller Kraft ausgestoßen wurde. Die Regelmäßigkeit, Schnelligkeit und Sicherheit, mit welcher das Thier die Tonleiter herschrie, erregte allgemeine Bewunderung. Es schien, als ob die Aeffin selbst davon im höchsten Grade aufgeregt werde; denn jede Muskel spannte sich an, und der ganze Körper gerieth in zitternde Bewegung. Ein Hulock, welchen ich vor geraumer Zeit lebend im Londoner Thiergarten sah, ließ ebenfalls sehr gern seine Stimme erschallen, und zwar zu jeder Tageszeit, sobald er von dem Wärter angesprochen oder von sonst Jemand durch Nachahmung seiner Laute hierzu angereizt wurde. Ich darf behaupten, daß ich niemals die Stimme eines Säugethieres, den Menschen ausgenommen, gehört habe, welche volltönender und wohllautender mir in das Ohr geklungen hätte als die des gedachten Langarmaffen. Zuerst war ich erstaunt, später entzückt von diesen aus tiefster Brust hervorkommenden, mit vollster Kraft ausgestoßenen und durchaus nicht unangenehmen Tönen, welche sich vielleicht durch die Silben hu, hu, hu einigermaßen wiedergeben lassen. Andere Arten sollen einen viel weniger angenehmen Ruf ausstoßen. So beginnt der Wauwau, wie mir Haßkarl mittheilt, mit einigen vereinzelt ausgestoßenen Lauten: ua, ua; hierauf folgt schneller: ua, ua, ua; dann: ua, uua, ua, ua, und zuletzt wird der Ruf immer kläglicher und rascher, das u kürzer, so daß es fast wie w klingt, das a länger, und nunmehr fällt die ganze Gesellschaft mit gleichen Lauten in den Vortrag des Sängers ein.

Ueber die geistigen Fähigkeiten des Langarmaffen sind die Meinungen der Beobachter getheilt. Duvaucel stellt dem Siamang ein sehr schlechtes Zeugnis aus. »Seine Langsamkeit, sein Mangel an Anstand und seine Dummheit«, drückt er sich aus, »bleiben dieselben. Zwar wird er, unter Menschen gebracht, bald so sanft wie er wild war, und so vertraulich wie er vorher scheu war, [98] bleibt aber immer furchtsamer, als die anderen Arten, deren Anhänglichkeit er niemals erlangt, und seine Unterwürfigkeit ist mehr Folge seiner unbeschreiblichen Gleichgültigkeit als des gewonnenen Zutrauens. Er bleibt derselbe bei guter und schlechter Behandlung; Dankbarkeit oder Haß scheinen fremdartige Gefühle für ihn zu sein. Seine Sinne sind stumpf. Besieht er etwas, so geschieht dies ohne Empfindung, berührt er etwas, so thut er es ohne Willen. So ist er ein Wesen ohne alle Fähigkeiten, und wollte man das Thierreich nach der Entwickelung seines Verstandes ordnen, so würde er eine der niedrigsten Stufen einnehmen müssen. Meistens sitzt er zusammengekauert, von seinen eigenen langen Armen umschlungen, den Kopf zwischen den Schenkeln verborgen, und ruht und schläft. Nur von Zeit zu Zeit unterbricht er diese Ruhe und sein langes Schweigen durch ein unangenehmes Geschrei, welches weder Empfindung noch Bedürfnisse ausdrückt, also ganz ohne Bedeutung ist. Selbst der Hunger scheint ihn aus seiner natürlichen Schlaftrunkenheit nicht zu erwecken. In der Gefangenschaft nimmt er seine Nahrung mit Gleichgültigkeit hin, führt sie ohne Begierde zum Munde, und läßt sie auch ohne Unwillen sich entreißen. Seine Weise, zu trinken, stimmt ganz überein mit seinen übrigen Sitten. Er taucht seine Finger ins Wasser und saugt dann die Tropfen von ihnen ab.« Auch diese Schilderung halte ich nicht für richtig, weil die übrigen Beobachter, wenn auch nicht das gerade Gegentheil sagen, so doch weit günstiger über unseren Affen berichten. Bennett brachte einen Siamang mit sich fast bis nach Europa herüber, und dieser gewann sich in sehr kurzer Zeit die Zuneigung aller seiner menschlichen Reisegefährten. Er war sehr freundlich gegen die Matrosen und wurde bald zahm, war auch keineswegs langsam, sondern zeigte große Beweglichkeit und Gewandtheit, stieg gern im Takelwerke umher und gefiel sich in allerlei harmlosen Scherzen. Mit einem kleinen Papuamädchen schloß er zärtliche Freundschaft und saß oft, die Arme um ihren Nacken geschlungen, neben ihr, Schiffsbrod mit ihr kauend. Wie es schien, hätte er mit den übrigen Affen, welche sich am Bord befanden, auch gern Kameradschaft gehalten; doch diese zogen sich scheu vor ihm zurück und erwiesen sich ihm gegenüber als sehr ungesellig: dafür rächte er sich aber. Sobald er nur immer konnte, fing er einen seiner mitgefangenen Affen und trieb mit dessen Schwanze wahren Unfug. Er zog den armen Gesellen an den ihm selbst fehlenden Anhängsel oft auf dem ganzen Schiffe hin und her oder trug ihn nach einer Raae empor und ließ ihn von dort herunterfallen, kurz machte mit ihm, was er wollte, ohne daß das so gepeinigte Thier jemals im Stande gewesen wäre, sich von ihm zu befreien. Er war sehr neugierig, besah sich alles und stieg auch oft an dem Maste in die Höhe, um sich umzuschauen. Ein vorüberziehendes Schiff fesselte ihn immer so lange auf seinem erhabenen Sitze, bis es aus dem Gesichtskreise entschwunden war. Seine Gefühle wechselten sehr rasch. Er konnte leicht erzürnt werden und geberdete sich dann wie ein unartiges Kind, wälzte sich, mit Verrenkung der Glieder und Verzerrung des Gesichts, auf dem Verdecke herum, stieß alles von sich, was ihm in den Weg kam, und schrie ohne Unterlaß »ra! ra! ra!« – denn mit diesen Lauten drückt er stets seinen Aerger aus. Er war lächerlich empfindlich und fühlte sich durch die geringste Handlung gegen seinen Willen sogleich im Tiefinnersten verletzt: seine Brust hob sich, sein Gesicht nahm einen ernsten Ausdruck an, und jene Laute folgten bei großer Erregung rasch auf einander, wie es schien, um den Beleidiger einzuschüchtern. Zum Bedauern der Mannschaft starb er, noch ehe er England erreichte.

Auch Wallace stellt den Siamang in günstigerem Lichte dar. »Ich kaufte«, sagt er, »einen kleinen Langarmaffen dieser Art, welchen Eingeborene gefangen und so fest gebunden hatten, daß er dadurch verletzt worden war. Zuerst zeigte er sich ziemlich wild und wollte beißen; als wir ihn aber losgebunden, ihm zwei Stangen unter dem Vorbau unseres Hauses zum Turnen gegeben und ihn vermittels eines kurzen Taues mit lose über den Stangen liegendem Ringe befestigt hatten, so daß er sich leicht bewegen konnte beruhigte er sich bald, wurde zufrieden und sprang mit großer Behendigkeit umher. Zuerst bekundete er gegen mich eine Abneigung, welche ich dadurch zu beseitigen suchte, daß ich ihn immer selbst fütterte. Eines Tages aber biß er mich beim Füttern so stark, daß ich die Geduld verlor und ihm einen tüchtigen Schlag versetzte. Dies mußte ich bereuen, [99] da er von nun an mich noch weniger leiden konnte. Meinem malaiischen Knaben erlaubte er, mit ihm zu spielen, und gewährte uns dadurch und durch seine eigene Beschäftigung, durch die Leichtigkeit und Gewandtheit, mit der er sich hin und her schwang, eine stete Quelle der Unterhaltung. Als ich nach Singapore zurückkam, zog er die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich. Er aß fast alle Arten Früchte und Reis, und ich hatte gehofft, ihn mit nach England bringen zu können; allein er starb gerade, ehe ich abreiste.« Dies lautet ganz anders als der Bericht von Duvaucel und steht auch mit dem, was wir von anderen Langarmaffen wissen, vollkommen im Einklange. Ein Hulock, welchen Harlan fünf Monate lebendig besaß, wurde in weniger als einem Monate so zahm, daß er sich an der Hand seines Gebieters festhielt, und mit ihm umherging, wobei er sich mit der anderen Hand auf den Boden stützte. »Auf meinen Ruf«, erzählt Harlan, »kam er herbei, setzte sich auf einen Stuhl zu mir, um mit mir das Frühstück einzunehmen, und langte sich ein Ei oder einen Hühnerflügel vom Teller, ohne das Gedeck zu verunreinigen. Er trank auch Kaffee, Chokolade, Milch, Thee usw., und obgleich er gewöhnlich beim Trinken nur die Hand in die Flüssigkeit tauchte, so nahm er doch darauf, wenn er durstig war, das Gefäß in beide Hände und trank nach menschlicher Weise daraus. Die liebsten Speisen waren ihm gekochter Reis, eingeweichtes Milchbrod, Bananen, Orangen, Zucker u. dergl. Die Bananen liebte er sehr, fraß aber auch gerne Kerbthiere, suchte im Hause nach Spinnen und fing die Fliegen, welche in seine Nähe kamen, geschickt mit der rechten Hand. Wie die Inder, welche des Glaubens halber Fleischwaaren verweigern, so schien auch dieser Gibbon gegen die letzteren Widerwillen zu haben, verzehrte jedoch einmal einen gebratenen Fisch und ein wenig Hühnerfleisch.

Mein Gefangener war ein außerordentlich friedfertiges Geschöpf und gab seine Neigung zu mir und seine Anhänglichkeit an mich in jeder Weise zu erkennen. Wenn ich ihn früh besuchte, begrüßte er mich mit fröhlichem lautschallenden Wau! Wau! Wau! welches er wohl fünf bis zehn Minuten lang wiederholte und nur unterbrach, um Athem zu holen. Erschöpft legte er sich nieder, ließ sich kämmen und bürsten und bekundete deutlich, wie angenehm ihm das war, indem er sich bald auf die eine, bald auf die andere Seite legte, bald diesen, bald jenen Arm hinhielt, und wenn ich mich stellte, als ob ich fortgehen wollte, mich am Arme oder Rocke festhielt und mich wieder an sich zog. Rief ich ihn aus einiger Entfernung, und erkannte er mich an meiner Stimme, so begann er sogleich sein gewöhnliches Geschrei, bisweilen in klagender Weise, sobald er mich sah, aber sogleich in gewöhnlicher Stärke und Heiterkeit. Obwohl männlichen Geschlechtes, zeigte er doch keine Spur von jener Geilheit der Paviane. Leider ging er bald zu Grunde, und zwar infolge eines Schlages in die Lendengegend, welchen er unversehens von einem meiner Diener in Kalkutta erlitten hatte. Ein junges Weibchen derselben Art, welches ich ebenfalls pflegte, starb auf dem Wege nach Kalkutta an einem Lungenleiden. Während der Krankheit litt es augenscheinlich große Schmerzen. Ein warmes Bad schien ihm Erleichterung zu verschaffen und that ihm so wohl, daß es, herausgenommen, sich von selbst wieder in das Wasser legte. Sein Benehmen war ungemein sanft, etwas schüchtern, Fremden gegenüber sogar scheu. An mich aber hatte es sich bereits nach einigen Tagen derartig gewöhnt, daß es schnell zu mir zurückgelaufen kam, wenn ich es an einen freien Platz gesetzt hatte, in meine Arme sprang und mich umhalste. Niemals zeigte es sich boshaft, niemals biß es, ja selbst gereizt vertheidigte es sich nicht, sondern verkroch sich lieber in einen Winkel.«

Auch das vorhin erwähnte Weibchen des Unko war sehr liebenswürdig in seinem Betragen und höchst freundlich gegen Alle, denen es seine Zuneigung ein mal geschenkt hatte. Es unterschied mit richtigem Gefühle zwischen Frauen und Männern. Zu ersteren kam es freiwillig herab, reichte ihnen die Hand und ließ sich streicheln; gegen letztere bewies es sich mistrauisch, wohl infolge früherer Mishandlungen, welche es von einzelnen Männern erlitten haben mochte. Vorher beobachtete es aber Jedermann prüfend, oft längere Zeit, und faßte dann auch zu Männern Vertrauen, wenn diese ihm dessen würdig zu sein schienen.

[100] Man sieht übrigens die Gibbons selten in der Gefangenschaft, auch in ihrem Vaterlande. Sie können den Verlust ihrer Freiheit nicht ertragen; sie sehnen sich immer zurück nach ihren Wäldern, nach ihren Spielen, und werden immer stiller und trauriger, bis sie endlich erliegen.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. XCV95-CI101.
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