Budeng (Semnopithecus maurus)

[106] Unsere Gruppe hat noch andere merkwürdige Mitglieder. Ein sehr schöner Affe ist der Budeng der Javanesen (Semnopithecus oder Presbytis maurus). Er ist im Alter glänzend schwarz, im Gesichte und an den Händen wie Sammet, auf dem Rücken wie Seide. Der Unterleib, welcher spärlicher behaart ist als der Oberleib, zeigt einen bräunlichen Anflug. Der Kopf wird von einer eigenthümlichen Haarmütze bedeckt, welche über die Stirn hereinfällt und zu beiden Seiten der Wangen vortritt. Neugeborene Junge sehen goldgelb aus, und nur die Haarspitzen des Unterrückens, der Oberseite des Schwanzes und der Schwanzquaste sind dunkler. Bald aber verbreitet sich das Schwarz weiter, und nach wenigen Monaten sind die Hände, die Oberseite des Kopfes und die Schwanzquaste schwarz, und von nun an geht das Kleid mehr und mehr in das des alten Thieres über. Die Gesammtlänge dieses schönen Affen beträgt 1,5 Meter, wovon mehr als die Hälfte auf den Schwanz kommt.

»Der Budeng«, sagt Horsfield, »lebt in großer Menge in den ausgedehnten Wäldern Java's. Man findet ihn in zahlreichen Gesellschaften auf den Wipfeln der Bäume, nicht selten in Trupps von mehr als fünfzig Stücken zusammen. Es ist wohl gethan, solche Scharen aus einiger Entfernung zu beobachten. Sie erheben bei Ankunft des Menschen ein lautes Geschrei und springen [106] unter entsetzlichem Lärme so wüthend in den Zweigen umher, daß sie oft starke Aeste von den absterbenden Bäumen brechen und diese herab auf ihre Verfolger schleudern.

Mehr als der Budeng ist der Lutung, ein jenem nahe verwandter, aber rother Affe, vielleicht bloß eine Abart, ein Liebling der Eingeborenen. Wenn die Javanesen diesen einfangen, geben sie sich die größte Mühe, ihn zu zähmen und behandeln ihn mit vieler Liebe und Aufmerksamkeit. Der Budeng dagegen wird vernachlässigt und verachtet. Er verlangt viel Geduld in jeder Hinsicht, ehe er das mürrische Wesen ablegt, welches ihm eigenthümlich ist. In der Gefangenschaft bleibt er während vieler Monate einst und murrköpfig, und weil er nun nichts zum Vergnügen der Eingeborenen beiträgt, findet man ihn selten in den Ortschaften. Dies geschieht nicht etwa aus Abneigung von Seiten der Javanesen gegen die Affen überhaupt; denn die gemeinste Art der Ordnung, welche auf der Insel vorkommt, wird sehr häufig gezähmt und nach der beliebten Sitte der Eingeborenen mit Pferden zusammen gehalten.


Budeng (Semnopithecus maurus). 1/10 natürl. Größe.
Budeng (Semnopithecus maurus). 1/10 natürl. Größe.

In jedem Stalle, vom prinzlichen an bis zu dem eines Mantry oder Schultheißen, findet man einen jener Affen: der Budeng aber gelangt niemals zu solcher Ehre.«

Hier und da auf Java leben Budengs auch im halbwilden Zustande, gehegt und gepflegt von den Eingeborenen. »Ich besuchte«, erzählt Jagor, »die Quelle des Progo, welcher die Provinz Kadu, den Garten von Java, bewässert und in das indische Weltmeer fließt. Die schöne Quelle, welche klar und sehr wasserreich aus einer mit Farn dicht bewachsenen Lava hell hervorbricht, genießt bei den Javanern hohe Verehrung. Kaum waren wir angekommen, als von den umliegenden Bäumen eine Anzahl Affen und zwar Budengs herabstiegen und zutraulich-dreist uns umringten. Wir fütterten sie mit Mais. Diese Ansiedelung halbzahmer Affen besteht, nach der später noch mehrfach bestätigten Aussage des mich begleitenden Häuptlings, schon seit alter Zeit und überschreitet nie die Anzahl von fünfzehn. Heute waren ihrer zwar eigentlich sechszehn, da eine alte Aeffin ein junges trug, welches unter dem Bauche der Mutter hing und den Kopf ängstlich hervorstreckte. Ist aber das Junge herangewachsen, so wird es gezwungen, die Gesellschaft zu verlassen, wenn es selbst nicht ein anderes, schwächeres Stück derselben zum Austritte zwingen kann. Niemals werden mehr als ihrer fünfzehn geduldet; so wenigstens erzählte man mir allgemein.« Ich brauche wohl kaum hervorzuheben, daß die Angabe der Eingeborenen eine irrthümliche ist. [107] Wie bei den meisten anderen Affen werden einzelne Männchen von den übrigen weggebissen, schwerlich aber dürfte dies immer zur Folge haben, daß die Anzahl der Herde mathematisch genau dieselbe bleibt, und widerspricht dem auch schon die vorstehende Mittheilung des sorgfältig beobachtenden Horsfield.

»Ungeachtet der Verehrung, welche der Budeng im allgemeinen seitens der Eingeborenen genießt, wird er von diesen gejagt, weil sie sein Fell benutzen. Bei diesen Jagden, welche gewöhnlich von den Häuptlingen angeordnet und befehligt werden, greift man die Thiere mit Schleuder und Stein an und vernichtet sie oft in großer Anzahl. Die Eingeborenen wissen die Felle auf einfache Weise, aber sehr gut zuzubereiten und verwenden sie dann, wie auch die Europäer thun, zu Satteldecken und allerlei Heerschmuck, namentlich werden jene geschätzt, welche ganz schwarz von Farbe sind und schöne, lange Seidenhaare besitzen.

In der Jugend verzehrt der Budeng zarte Blätter von allerlei Pflanzen, im Alter wilde Früchte aller Art, welche in so großer Menge in seinen unbewohnten Wäldern sich finden.« Thierische Stoffe wird er wohl auch nicht verschmähen.

Als ich den Budeng im Tiergarten von Amsterdam zum ersten Male lebend sah, erkannte ich ihn nicht. Horsfield hat ein trauriges Zerrbild des Affen gegeben; Pöppig und selbstverständlich auch Giebel haben es ihm nachgedruckt; die ausgestopften, welche ich in Museen fand, waren ebenfalls nur Schatten des lebenden Thieres: kurz, ich konnte, trotz aller Berichtigungen, welche ich den Misgestalten in Büchern und Museen hatte angedeihen lassen, unmöglich ein so schönes Thier vermuthen, als ich jetzt vor mir sah. Dieser Affe erregte die allgemeine Aufmerksamkeit aller Beschauer, obwohl er nicht das Geringste that, um die Blicke der Leute auf sich zu ziehen. Ich möchte sein stilles Wesen nicht so verdammen, wie Horsfield es gethan hat; denn ich glaube nicht, daß man ihn eigentlich »mürrisch« nennen kann. Er ist still und ruhig, aber nicht übellaunisch und ungemüthlich. Das Paar, welches in Amsterdam lebte, hielt stets treu zusammen. Gewöhnlich saßen beide dicht an einander gedrängt in sehr zusammengekauerter Stellung, die Hände über der Brust gekreuzt, auf einer hohen Querstange ihres Käfigs und ließen die langen, schönen Schwänze schlaff herabhängen. Ihr ernsthaftes Aussehen wurde vermehrt durch die eigenthümliche Haarmütze, welche ihnen weit in das Gesicht hereinfällt. Wenn man ihnen Nahrung vorhielt, kamen sie langsam und vorsichtig herunter, um sie wegzunehmen, blieben dabei aber ruhig und bedächtig, wie immer. Der Gesichtsausdruck deutete entschieden auf große Klugheit hin; doch fehlte das Leben in den Augen.

Sehr eigenthümlich benahmen sich die Budengs zwei Mohrenpavianen (Cynocephalus niger) gegenüber. Diese, wie alle ihre Verwandten, höchst übermüthige Gesellen, machten sich ein wahres Vergnügen daraus, die armen Budengs zu foppen und zu quälen. Bei Tage wurden die ungezogenen Schwarzen gewöhnlich in das große Affenhaus gesteckt: dann hatten die harmlosen Javaner Ruhe und konnten sich ihres Lebens freuen; sobald aber ihre Nachtgenossen zu ihnen kamen, ging der Lärm und die Unruhe an. Beide Budengs krochen jetzt dicht zusammen und umklammerten sich gegenseitig mit ihren Händen. Die Paviane sprangen auf sie, ritten auf ihnen, maulschellirten sie, gaben ihnen Rippenstöße, zogen sie an dem Schwanze und machten sich ein besonderes Vergnügen daraus, ihre innige Vereinigung zu stören. Zu diesem Ende kletterten sie auf den armen Thieren herum, als wenn diese Baumzweige wären, hielten sie am Haare fest und drängten sich endlich, den Hintern voran, zwischen die ruhig Sitzenden, bis diese schreckensvoll auseinander fuhren und in einer anderen Ecke Schutz suchten. Geschah dies, so eilten die Quälgeister augenblicklich hinter ihnen drein und begannen die Marter von neuem. Man sah es den Budengs an, wie außerordentlich unangenehm ihnen die zudringlichen Gesellen waren, wie sehr sie sich vor ihnen fürchteten. Sobald die schwarzen Teufel nur in den Käfig kamen, blickten jene angstvoll nach ihnen herab, wie es die südamerikanischen Affen zu thun pflegen, wenn sie in große Furcht gerathen. Während sie unter den Fäusten ihrer Peiniger litten, schrien sie oft jammervoll auf; [108] aber das vermehrte nur die Wuth der Paviane: sie wurden um so frecher und grausamer, je leidender sich jene verhielten.

In Antwerpen lebte ein Budeng unter kleinen Meerkatzen und Makaken. Alle Mitbewohner seines Käfigs waren kaum halb so groß als er, und trotzdem war auch hier wiederum er der Gequälte und Gefoppte. Eine kaum ein Jahr alte Meerkatze spielte zur Zeit, in welcher ich den Garten besuchte, hier die Rolle des Mohrenpavians, und auch gegen diesen frechen Afrikaner verhielt sich der Javaner leidend und unterthänig. Es sah sehr komisch aus, wenn das kleine Geschöpf den großen Affen so zu sagen nach seiner Pfeife tanzen ließ; es meisterte ihn vollständig und maßregelte ihn durch Püffe, Ohrfeigen, durch Kneipen und Raufen in wahrhaft jämmerlicher Weise. Man konnte nicht in Zweifel bleiben, daß Gutmüthigkeit der Hauptzug des Budenggeistes ist; man vermißte in ihm förmlich jene Affenniederträchtigkeit, welche andere seines Geschlechts so sehr auszeichnet. – Auch der Budeng scheint von unserem nordischen Klima viel zu leiden. Ob dieses die alleinige Ursache seiner grenzenlosen Gutmüthigkeit ist, wage ich nicht zu entscheiden. Aber man sieht es ihm an, wie wohl ihm jeder Sonnenblick thut, wie glücklich er ist, wenn er nur einen Strahl des belebenden Gestirnes auffangen kann, dessen Glut seiner schönen Heimat alle Pracht und Herrlichkeit der Wendekreisländer verlieh.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. CVI106-CIX109.
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