Menschenaffen (Antropomorpha)

[55] In der zweiten Familie der Hochthiere, welche die Altweltsaffen (Catarrhini) umfaßt, mag man die Menschenaffen (Antropomorpha) als besondere Unterfamilie von den übrigen trennen und hat dann für sie folgende Merkmale anzugeben. Der Leib ist menschenähnlich gebildet; die Vorderglieder aber sind länger, die hinteren kürzer als bei den Menschen. Das Gesicht erscheint namentlich durch den Bau und die Stellung der Augen und Ohren menschenähnlicher als das aller übrigen Affen. Ein Schwanz fehlt gänzlich. Das Haarkleid besteht aus langen, jedoch ziemlich dünn stehenden, schlichten Grannenhaaren, welche bloß das Gesicht und die Zehen frei lassen; Gesäßschwielen sind meist nicht vorhanden. Das Gebiß ähnelt dem des Menschen bis auf die Eckzähne, welche bei alten Männchen thierische Größe erreichen. Alle hierher gehörigen Affen bewohnen die Alte Welt und zwar Asien und Afrika, ersteres in größerer Anzahl als letzteres.

Vor mehr als zweitausend Jahren rüsteten die Karthager eine Flotte zu dem Zwecke aus, Ansiedelungen an der Westküste von Afrika zu gründen. Auf sechzig großen Schiffen zogen ungefähr dreißigtausend Männer und Frauen zu diesem Behufe von Karthago aus, versehen mit Nahrung und allen Gegenständen zur Ansässigmachung. Der Befehlshaber dieser Flotte war Hanno, welcher seine Reise in einem kleinen, aber wohlbekannten Werke (dem »Periplus Hannonis«) der damaligen Welt beschrieb. Im Verlaufe der Reise gründete die Mannschaft jener Schiffe sieben Ansiedelungen, und nur der Mangel an Nahrungsmitteln zwang sie, früher als man wollte, zurückzukehren. Doch hatten die kühnen Seefahrer die Sierra Leone bereits hinter sich, als dieses geschah. Jener Hanno nun hinterließ uns in seinem Berichte eine Mittheilung, welche auch für uns von Wichtigkeit ist. Die betreffende Stelle lautet: »Am dritten Tage, als wir von dort gesegelt waren und die Feuerströme durchschifft hatten, kamen wir zu einem Busen, das Südhorn genannt. Im Hintergründe war ein Eiland mit einem See und in diesem wieder eine Insel, auf welcher sich wilde Menschen befanden. Die Mehrzahl derselben waren Weiber mit haarigem Körper, und die Dolmetscher nannten sie Gorillas. Die Männchen konnten wir nicht erreichen, als wir sie verfolgten; sie entkamen leicht, da sie Abgründe durchkletterten und sich mit Felsstücken vertheidigten. Wir erlangten drei Weibchen; jedoch konnten wir dieselben nicht fortbringen, weil sie bissen und kratzten. Deshalb mußten wir sie tödten; wir zogen sie aber ab und schickten das abgestreifte Fell nach Karthago.« Die Häute wurden dort später, wie Plinius berichtet, im Tempel der Juno aufbewahrt.

Es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß Hanno unter den wilden behaarten Menschen nur einen Menschenaffen meinen kann, und wenn er auch vielleicht den Schimpanse vor Augen gehabt hat, sind wir doch berechtigt, den riesigsten aller Affen Gorilla zu nennen.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. LV55.
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