Kronenindri (Lichanotus mitratus)

[245] Der Kronenindri (Lichanotus mitratus), die erwähnte zweite Art, möglicherweise nur Spielart des Indri, steht diesem in der Größe wenig nach: seine Länge beträgt 75 Centim., wovon 4,5 Centim. auf den Schwanz kommen. Das Haar ist seidig-wollig, die Färbung außerordentlich schön, obschon grelle Farben nicht vorhanden sind.


Kronenindri (Lichanotus mitratus). 1/8 natürl. Größe.
Kronenindri (Lichanotus mitratus). 1/8 natürl. Größe.

Die nackte schwarze Schnauze und die sehr schwach mit grauen Haaren bekleideten Wangen werden eingerahmt von einer breiten, fahlgrauen, nach hinten schwarz begrenzten Binde, welche sich über die Stirn und die Gesichtsseiten zieht, an der Kehle vereinigt und das ganze Gesicht umgibt. Unmittelbar an sie schließt sich ein blendend weißer Flecken an, welcher den Scheitel und die äußere Ohrmuschel einnimmt und in den längs der Kopf- und Halsseiten verlaufenden graulichweißen Streifen übergeht. Ohren, Nacken, Schultern, Oberarm, Rücken bis zur Kreuzgegend, Oberbrust und Brustmitte, Vorderseite der Ober- und Innenseite der Unterschenkel bis gegen die Füße hin, Hände und vorderer Theil der Füße sind schwarz, die einzelnen Haare am Grunde grau oder grauschwarz, ein auf dem Unterrücken als Mittelstreifen beginnendes, nach dem Gesäß zu sich verbreiterndes länglich dreieckiges Feld und [245] die Innenseiten der Arme und Oberschenkel weiß, Gesäß und Schwanz röthlich isabellfarben, die Haare des letzteren an der Spitze aschgrau, Unterarme und Außenseite der Oberschenkel aschgrau, Außenseite der Unterschenkel bis zur Fußmitte, Füße und behaarter Theil der Sohlen lichtgrau.

Die Heimat dieser Art oder Abart fällt mit der des Indri zusammen.

Sonnerat, welcher uns mit dem Babakoto bekannt machte, erzählt, daß dieser wie seine Verwandten, flink und gewandt sich bewege, überaus rasch von einem Baume zum anderen springe, beim Fressen aufrecht wie ein Eichhörnchen sitze und seine hauptsächlich aus Früchten bestehende Nahrung mit den Händen zum Munde führe, eine, dem Weinen eines Kindes gleichende Stimme habe, sehr sanftmüthig, gutartig und deshalb leicht zähmbar sei, in den südlichen Gegenden der Insel von den Eingeborenen aufgezogen und wie unsere Hunde zur Jagd abgerichtet werde. Erst durch Pollen erfahren wir mehr, leider aber nicht das Ergebnis eigener Beobachtungen, sondern nur das durch Hörensagen von ihm Erkundete. »Bis jetzt«, so berichtet unser Forscher, »trifft man diesen großen Lemur nur im Innern der östlichen Theile Madagaskars und zwar ausschließlich im Nordwesten der Insel; wenigstens versicherten mir die Eingeborenen, daß sie ihn nirgends anders gefunden hätten. Vinson wurde beim Durchreisen des großen Waldes von Alanamasoatrao zwei Tage lang von dem vereinigten Geschrei der Babakoto's fast betäubt, und bemerkt, daß die Thiere in anscheinend zahlreichen, leider unsichtbaren Banden in den Dickichten des Waldes vereinigt gewesen seien. Die Eingeborenen verehren den Babakoto wie ein übernatürliches Wesen und betrachten ihn als ein heiliges Thier, weil sie glauben, daß ihre Eltern nach dem Tode sich in diese Lemuren verwandeln. Aus diesem Grunde sind sie auch der festen Meinung, daß die Bäume, auf denen Babakotos sich aufhalten, unfehlbare Arzneimittel gegen unheilbare Krankheiten hervorbringen, und tragen Sorge, von einem Baume, auf welchem sich ein Lemur dieser Art bewegt hat, Blätter abzupflücken und aufzunehmen, um sie gelegentlich gegen Krankheiten zu verwenden. Ebenso behaupten die Eingeborenen, daß es sehr gefährlich sei, einen Babakoto mit Lanzen anzugreifen, weil er diese im Fluge aufzufangen wisse, im eigentlichen Sinne des Wortes den Spieß umdrehe und ihn mit größter Sicherheit auf den Angreifer zurückschleudere. Die Weibchen sollen nach einer anderweitigen, allgemein geglaubten Erzählung ihre Jungen sofort nach der Geburt dem auf einem benachbarten Baume sitzenden Männchen zuwerfen und sie von ihm sich wieder zuschleudern lassen, um zu erproben, ob diese ihrer würdig seien oder nicht. Denn wenn sie trotz solcher gefährlichen, ein Dutzend Mal wiederholten Uebungen nicht zu Boden fielen, nähmen die Eltern sie auf und pflegten sie mit größter Sorgfalt, während sie, wenn das Gegentheil der Fall wäre, die Jungen im Stiche ließen und sich gar nicht die Mühe gäben, sie wieder aufzuheben.« Ich brauche wohl kaum zu versichern, daß solche Erzählungen eben nichts anderes als die große Unkenntnis der Eingeborenen über das Leben und Treiben des seltsamen Thieres beweisen können. »In gewissen Theilen Madagaskars«, fährt Pollen fort, »richtet man den Babakoto zur Vogeljagd ab. Man sagt, daß er hierbei ebenso gute Dienste leiste wie der beste Hund; denn er verschmäht, obgleich er Fruchtfresser ist, keineswegs kleine Vögel und versteht dieselben mit größter Geschicklichkeit zu fangen, um sich einen Leckerbissen von ihm, Vogelgehirn, zu erbeuten.«

So viel mir bekannt, ist der Babakoto oder überhaupt einer der Indri's bis jetzt lebend noch nicht nach Europa gebracht worden. Es muß uns dies um so mehr Wunder nehmen, als doch der erstgenannte auf Madagaskar gewissermaßen zum Hausthiere geworden ist und seine Erhaltung keine Schwierigkeiten haben kann.


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Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. CCXLV245-CCXLVI246.
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