Riesengalago (Otolicnus crassicaudatus)

[271] Der größte bis jetzt bekannte Ohrenmaki, welchen wir Riesengalago nennen wollen (Otolicnus [Otolemur] crassicaudatus), kommt einem Kaninchen an Leibesumfang beinahe gleich: seine Leibeslänge beträgt 30 bis 32, die Schwanzlänge 40 bis 42 Centimeter. Das dichte, wollige Fell, welches namentlich den Schwanz buschig bekleidet und nur auf dem Rücken der Hände und Füße sich verkürzt und anlegt, ist auf dem Oberkopfe rothbraun, auf dem Rücken granlichrostfarben, auf der Unterseite grau oder gelblichweiß, auf dem Schwanze rostbräunlichroth, auf den Fingern und Zehen schwarzbraun, jedes einzelne Haar an der Wurzel blau- oder schwarzgrau, an der Spitze silbergrau, schwarz und braun geringelt oder auch ganz schwarz.


Stellungen des Riesengalago.
Stellungen des Riesengalago.

Das Verbreitungsgebiet erstreckt sich über einen ziemlich großen Theil Ostafrikas, von Mosambik an bis zum Djuba herab; über das Freileben des Thieres aber wissen wir noch so gut als gar nichts. Dagegen gelangen neuerdings gerade Galagos nicht allzu selten lebend in unsere Käfige und haben hier auch mir zu Beobachtungen Gelegenheit gegeben, aus denen hervorgeht, daß der Riesengalago im wesentlichen sich von den Verwandten nicht unterscheidet. Wie diese ist er ein vollkommenes Nachtthier, welches den ganzen Tag verschläft, die ganze Nacht aber munter und lebhaft sich umhertreibt und erst morgens, nachdem es vollkommen licht geworden, sein Lager sucht. Ueber Tags ruht er in sehr zusammengerollter Haltung, halb liegend, halb kauernd in der dunkelsten Ecke seines Käfigs. Er legt dabei seinen Kopf zwischen die Vorderhände, umhüllt ihn dicht mit seinem buschigen Schwanze und packt diesen mit den beiden Hinterhänden, welche er vorschiebt, so weit die langen Beine es gestatten. Auf diese Weise versteckt er den Kopf so vollständig, daß man außer den Ohren, welche niemals bedeckt werden, nicht das geringste sieht. Eine Schwanzbiegung schließt gewöhnlich das eine Ohr ein und verdeckt dabei zugleich die Augen. Die Ohren werden in der Regel eingerollt und erscheinen dabei schlaff und zerknittert. Ungefähr um fünf Uhr abends erwacht er, dehnt und reckt sich und schaut spähend in die Runde, wobei er den Kopf abwechselnd [272] vorschiebt und wieder zurückzieht. Dann putzt er sich, und nun endlich beginnt er zu klettern. Seine Bewegungen sind stets langsam und bedächtig, die Tritte vollkommen unhörbar. Die Finger werden beim Auftreten weit gespreizt; der Schwanz schleift auf dem Boden nach. Er klettert langsam, aber äußerst geschickt, kopfoberst und kopfunterst, hängt sich an einem Vorder- oder an einem Hinterbeine fest und schaukelt sich dann, geht an der Decke seines Käfigs hin usw. Seine Kost besteht in Milchbrod, Fleisch und Früchten. Feigen und Rosinen frißt er leidenschaftlich gern; auf Kerbthiere und deren Larven oder Puppen ist er erpicht. Er faßt die ihm vorgehaltene Nahrung mit dem Munde oder mit den Händen; ihm noch Unbekanntes pflegt er leckend zu betasten. Lebende Vögel betrachtet er mit lüsternem, vielsagendem Auge. Auf seinen Wegen beschnuppert er zunächst jeden Gegenstand; dann erst betastet er ihn mit der Zunge. Er ist gutmüthig und läßt es sich gern gefallen, wenn man ihn kraut; nur wenn man ihn aufhebt, pflegt er zu beißen. Sein Aussehen deutet auf Verstand; die hübschen, braunen, stark gewölbten Augen sehen klug ins Weite. Bei Tage ist der Stern bis auf eine sehr kleine, schmale Ritze zusammengezogen, nachts erweitert er sich bedeutend. Kurz nach dem Erwachen stößt das Thier gewöhnlich seinen eigenthümlichen Ruf aus, welcher an das Rucksen mancher Tauben erinnert. Er beginnt mit dem leise hervorgestoßenen dumpfen Laut »Du«, steigert sich dann und endet mit dem schwächeren, miauenden »Dju«. Der ganze Ruf klingt ungefähr wie »du, tu tu, tu, tu tui, dju dju«, sehr dumpf und hohl.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. CCLXXI271-CCLXXIII273.
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