Sattelrobbe (Phoca groenlandica)

[631] Die Sattelrobbe, »Sattelrücken« oder »Harfenseehund« der Engländer, »Schwarzseite« der Norweger und Dänen, »Blaudruselur« der Isländer, »Atak« der Grönländer, »Kadolik« und »Neitke« der Eskimos (Phoca groenlandica, Ph. oceanica, semilunaris, dorsata, lagura, albicauda, Muelleri, Desmarestii, Pilayi, Pagophilus groenlandicus, Calocephalus groenlandicus und oceanicus), Vertreter der gleichnamigen Untersippe (Pagophilus), erreicht kaum die Größe des Seehundes, da die Länge des Männchens nur in seltenen Fällen 1,9 Meter beträgt und gewöhnlich merklich hinter diesen Maßen zurückbleibt. Die Färbung des dichten, kurzen, groben, glatt anliegenden und glänzenden Felles, welchem die Unterwolle gänzlich fehlt, unterscheidet sich nicht allein je nach dem Geschlechte, sondern auch nach dem Alter. Beim alten Männchen ist ein bald lichteres, bald dunkleres lohfarbenes Grau, welches zuweilen in das Stroh- oder Ledergelbe, zuweilen in das Röthlichbraune übergeht, die vorherrschende Färbung der Oberseite, wogegen Brust und Bauch eine verschossene, rostigsilbergraue Färbung zeigen; hiervon heben sich das dunkelchokoladen- bis schwarzbraun gefärbte Vordergesicht, Stirne, Wangen und Schnauze in sich begreifend, und ebenso die mehr oder weniger scharf begrenzte und dunklere, länglich hufeisen- oder leierförmige Rückenzeichnung lebhaft ab. Diese Zeichnung, auf welche sich der englische und [631] deutsche Name begründet, beginnt unterhalb des Nackens, schweift seitlich und rückwärts aus, zieht sich längs der Seite bis zu den Hinterschenkeln hinab und wendet sich hier wieder etwas nach innen, zwei Spitzen gegen einander kehrend.


Sattelrobbe (Phoca groenlandica). 1/16 natürl. Größe.
Sattelrobbe (Phoca groenlandica). 1/16 natürl. Größe.

Bei einzelnen Stücken ist der Sattel bandartig schmal, bei anderen merklich verbreitert, bei einzelnen auch wohl in der Mitte durch ein mehr oder minder scharf ausgesprochenes Querband verbunden, bei anderen erscheint er eben nur angedeutet. Das kleinere Weibchen unterscheidet sich auch in der Färbung so erheblich vom Männchen, daß man es als besondere Art angesehen und beschrieben hat. Seine vorherrschende Färbung ist ein düsteres Gelblichweiß oder Strohgelb, welches auf dem Rücken bis zum Lohfarbenen dunkelt, aber bald mehr ins Röthliche, bald mehr ins Bläuliche und selbst ins Dunkelgraue spielt, und auf der Unterseite dieselbe Färbung wie beim Männchen zeigt; von der leierförmigen Rückenzeichnung bemerkt man nichts: höchstens finden sich an ihrer Stelle einzelne eiförmige dunkle Flecken in verschiedener Anzahl und Größe, welche von dem gelblich- ober röthlichbraunen Grunde sich abheben. Das schneeweiße Kleid der jungen Sattelrobben geht im Laufe mehrerer Jahre allmählich in das ihrer Eltern über.

Das Verbreitungsgebiet der Sattelrobbe beschränkt sich auf die höchsten Breitengrade des Nordens, reicht aber wahrscheinlich durch die Behringsstraße bis in das nördliche Stille Weltmeer hinüber. Einzelne Stücke sind zwar wiederholt an den Küsten Lapplands und Norwegens und selbst Großbritanniens beobachtet worden, immer aber als verschlagene anzusehen, da die südliche Grenze des Verbreitungsgebietes kaum diesseit des 67. Breitengrades angenommen werden darf. Von hier aus nach Norden hin trifft man sie überall im Eismeere an, je nach der Jahreszeit aber bald in diesem, bald in jenem Theile desselben in besonderer Häufigkeit. Im Gegensatze zum Seehunde meidet sie das feste Land und hält sich fast ausschließlich nur auf Eisblöcken auf. Hier sieht man sie oft in außerordentlicher Menge gelagert, zuweilen, so weit das bewaffnete Auge reicht, [632] die Eisfelder bedeckend, hunderte neben hunderten, tausende neben tausenden; niemals aber begegnet man ihr weit entfernt vom Rande des Eises, vielmehr stets an den Rändern der krystallenen Decke, welche der Winter alljährlich über einen großen Theil ihres heimischen Meeres breitet. Während der Fortpflanzungszeit sucht sie mit Vorsicht dicke Eisschollen auf, um ihre in der ersten Jugend unbehülflichen Jungen nicht zu gefährden.

Mehr als die meisten Verwandten wird die Sattelrobbe durch die Wahl ihres Aufenthaltes zum Wandern gezwungen: mit dem im Sommer schmelzenden Eise zieht sie nach Norden, mit dem im Winter sich bildenden nach Süden; ebenso aber unternimmt sie auch Wanderungen in westlicher und östlicher Richtung. So verläßt sie die grönländischen Küsten zweimal im Laufe des Jahres, das erstemal im März, das zweitemal im Juli, wandert bis in die nördlichsten Theile der Davisstraße und erscheint im Mai wieder in sehr abgemagertem Zustande, treibt es wie zuvor, tritt eine neue Wanderung an und kehrt im September zurück, um den Winter an der grönländischen Küste zu verbringen. Die Frühlingswanderung entführt in der Regel sämmtliche Stücke, wogegen bei der Herbstwanderung einzelne von ihnen zurückzubleiben pflegen, ohne daß man dafür einen Grund anzugeben vermöchte. Wie weit hinauf nach Norden die wandernden Thiere sich wenden, weiß man nicht, ebensowenig als es bis jetzt hat gelingen wollen, die tieferen Ursachen der Wanderungen zu ergründen. Einzelne Schiffer haben sie mitten im Meere in zahlreichen Scharen dahinschwimmen sehen, eine ziemlich gerade Linie bildend, welche eilfertig in gleicher Richtung sich weiter bewegte, andere sie gänzlich unerwartet an Küstentheilen oder auf Eisfeldern getroffen, welche sie sonst nicht zu besuchen pflegen. Die Wanderungen ändern mannigfaltig ab, je nach der herrschenden Wärme der Jahreszeit, in welcher sie stattfinden, dürften also durch jene wenigstens theilweise bestimmt werden, ebenso wie das zeitweilige Auftreten gewisser Seethiere, welche ihnen zur Nahrung dienen, Einfluß ausüben mag. Für letzteres scheint zu sprechen, daß die Sattelrobben, wie schon bemerkt, das erstemal in außerordentlich magerem Zustande ankommen, wogegen sie beim zweiten Erscheinen im September feister sind als je: sie haben sich also offenbar in der Zwischenzeit reicher Beute erfreut und gemästet. Vielleicht hängen auch ihre Wanderungen mit der Fortpflanzungszeit zusammen. Die Geburt der Jungen fällt in die ersten Frühjahrsmonate, von der Mitte des März an bis zur Mitte des April, je nachdem der Winter milder oder strenger war. Um diese Zeit gerade sammeln sie sich auf einzelnen Eisfeldern zu jenen ungeheuren Scharen, welche selbst die an Massen gewöhnten Robbenschläger in Erstaunen versetzen. Nachdem die Weibchen passende Eisfelder ausgesucht haben, werden sie von den Männchen verlassen. Diese treiben sich anfänglich längs der Eisränder im Meere umher, kommen dem Beobachter aber bald aus dem Auge, weil sie allmählich von hier verschwinden und unbekannten Gegenden sich zuwenden. Um welche Zeit die Paarung stattfindet, scheint bis jetzt noch nicht mit Sicherheit festgestellt zu sein, obwohl die meisten Beobachter meinen, daß die Brunstzeit in den Monat Juli fällt, die Trächtigkeitsdauer demnach auf acht bis neun Monate angenommen werden darf. Für die Wahrscheinlichkeit dieser Berechnung spricht das erbärmliche Aussehen der Sattelrobben während gedachter Zeit; gleichwohl dürfte die Annahme, daß sie unmittelbar, nachdem die Weibchen geboren haben, mit diesen sich wieder paaren, nicht gänzlich ausgeschlossen sein. Nach Angabe Browns soll das Weibchen in der Regel ein, nicht selten aber zwei Junge, nach Versicherung erfahrener Robbenschläger zuweilen sogar deren drei zur Welt bringen; letzteres erscheint jedoch sehr unwahrscheinlich und wird sich, wenn überhaupt begründet, möglicherweise auf einen Beobachtungsfehler zurückführen und dadurch erklären lassen, daß ein und dasselbe Weibchen mehrere verwaiste Jungrobben bemutterte. Die Jungen werden ebenso wie die Verwandten in sehr entwickeltem Zustande geboren und sind die niedlichsten und hübschesten Mitglieder ihrer Familie. Ihr erstes weißes Jugendkleid wetteifert an Reinheit der Farbe mit dem fleckenlosen Schnee der höheren Breiten, nimmt aber bald eine wundervolle gelbliche Färbung an, welche ihm jedoch leider ebenfalls nicht lange bleibt. Wie so viele andere Seehunde sind die jungen Sattelrobben in den ersten Tagen ihres [633] Lebens sehr hülflos und vollkommen unfähig, in das Wasser zu gehen, liegen deshalb saugend und schlafend auf dem schneebedeckten Packeise und genießen durch ihr Kleid denselben Schutz wie andere Schneethiere, indem sie den Augen ihrer Feinde entrückt werden. Ihre Mütter behandeln sie mit größter Zärtlichkeit, vertheidigen sie auch muthiger, als andere Robben es zu thun pflegen, gegen die Seehundsjäger, welche gerade derartige Junge eifrig verfolgen. Wenn nicht ein besonderes Unheil sie heimsucht, beispielsweise, wie es im Jahre 1862 geschah, ein schwerer Sturm sie von den Eislagern herab in das Meer fegt, in welchem sie sich nicht zu bewegen verstehen und jämmerlich ertrinken müssen, wachsen sie rasch heran und tauschen bald das erste Jugendkleid mit einem zweiten gefleckten und gesprenkelten um, welches die Robbenschläger veranlaßt hat, sie mit Hasen zu vergleichen und so zu nennen. Sobald sie besagtes Kleid erhalten haben, werden sie von der Mutter in das Wasser geführt und nach und nach in allen Leibesübungen unterrichtet und ausgebildet. Im Laufe des ersten Sommers ändert sich das zweite Jugendkleid wiederum, insofern die Grundfärbung in ein dunkles Blau auf dem Rücken und ein dunkles Silberweiß auf Brust und Bauch übergeht. In dieser Tracht werden sie von den Grönländern »Aglektok« genannt. Der nächste Wechsel des Kleides nähert dieses nunmehr der Alterstracht, welche die Sattelrobbe im dritten oder, wie andere wollen, im vierten bis fünften Jahre anlegt.

Obwohl unsere Robbe in ihren Sitten und Gewohnheiten ihren Verwandten sehr ähnelt, unterscheidet sie sich doch in mehr als einer Hinsicht und namentlich durch ihre Bewegungen von ihnen. Ihr Gang ist, wie Gefangene des Londoner Thiergartens belehrt haben, gewissermaßen ein Mittelding zwischen dem Watscheln der Ohrenrobbe und dem Bauchkriechen des Seehundes, da sie, obschon in vielen Fällen ebenfalls nach Art des letzteren sich fördernd, beim Gehen regelmäßig die Vorderflossen zu Hülfe nimmt und als Gehfüße benutzt. Ihre Bewegungen im Wasser zeichnen sich durch eine überraschende Schnelligkeit und besondere Gewandtheit, insbesondere aber durch rasch nach einander wiederholte Sprünge aus, welche ihren ganzen Körper über das Wasser schleudern und die Seeleute berechtigen, sie »Springer« zu nennen. Newton glaubt, daß man die von Zeit zu Zeit immer wieder auftauchenden Berichte über riesenhafte Seeschlangen, welche Schiffer mit Bestimmtheit gesehen haben wollen, wohl auf sie zurückführen darf. Wie bereits oben bemerkt, ordnen sich die Gesellschaften, denen man auf hohem Meere begegnet, fast regelmäßig in einer geraden Linie, indem eine Sattelrobbe hinter der anderen herschwimmt und alle einem Leitthiere folgen. Wenn nun das letztere, wie es gern zu thun pflegt, sich einmal um sich selbst dreht oder einen Luftsprung ausführt, welcher es über die Oberfläche des Wassers wirft, verfahren alle übrigen, wenn sie an derselben Stelle angekommen sind, genau in gleicher Weise. Der Gedanke an die Seeschlange drängte sich Newton mit unwiderstehlicher Gewalt auf, so oft er Sattelrobben dahinschwimmen sah, und es schien ihm durchaus begreiflich, daß jeder andere, als ein gegen alle Romantik abgestumpfter Naturforscher, fest überzeugt sein könne, in der vor seinen Augen dahinziehenden Schlangenlinie das vielbesprochene fabelhafte Ungeheuer des Meeres zu erkennen. Durch dieses spielende Treiben und seine wundervolle Beweglichkeit kennzeichnet sich der Springer, bestimmter noch als durch seinen eiförmigen Kopf, in jeder Entfernung von anderen Verwandten. Seine höheren Begabungen stehen mit denen des Seehundes annähernd auf gleicher Stufe: so wenigstens läßt das Betragen der freilebenden wie der gefangenen schließen.

Hinsichtlich der Jagd und Nutzung der Sattelrobbe gilt dasselbe, was bei Schilderung des Seehundes bemerkt wurde. Für die Grönländer ist gerade sie von besonderer Bedeutung. Ein erwachsenes Männchen wiegt, nach Brown, hundertundfunfzehn Kilogramm, wovon funfzig Kilogramm auf Fell und Fettschicht, fünfundvierzig bis achtundvierzig auf das Fleisch, das übrige auf Knochen, Blut und Eingeweide zu rechnen sind. Fell und Haut werden in Grönland nicht so hoch geschätzt wie die des Seehundes und selbst das Fleisch dem des letztgenannten nachgestellt; demungeachtet wirft der Fang dieser Robbe, des Thranes wegen, immer noch einen ziemlich erheblichen Gewinn ab. Innerhalb der dänischen Niederlassungen in Grönland werden alljährlich [634] etwa sechsunddreißigtausend Sattelrobben erbeutet, im übrigen Eismeere vielleicht die doppelte Anzahl, keineswegs aber so viele, daß der Bestand dieser Thiere dadurch in besorgniserregender Weise sich vermindern sollte.


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Aus der Reihe der übrigen in verschiedene Sippen und selbst Unterfamilien vereinigten Robben verdienen mehr als andere die Blasenrobben (Cystophora) hervorgehoben zu werden, und zwar hauptsächlich wegen der eigenthümlichen Schmuckzeichen, welche die alten Männchen in Gestalt von absonderlichen Hautblasen und Rüsseln tragen. Das Gebiß besteht aus zwei spitzkegelförmigen Schneidezähnen in jedem Ober- und einem einzigen in jedem Unterkiefer, dem sehr entwickelten Eckzahne und fünf kleinen, getrennten, einwurzeligen, von vorn nach hinten an Größe zunehmenden Backenzähnen in jedem Kiefer oben und unten.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Dritter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Zweiter Band: Raubthiere, Kerfjäger, Nager, Zahnarme, Beutel- und Gabelthiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 631-635.
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