Beluga (Beluga catodon)

[694] Die Beluga, der Weißwal- oder Weißfisch, »Morskuja-Beljuge« der Russen, »Kelelluak« der Grönländer und Eskimos, »Viborga« der Samojeden, »Ghik« der Guräcken, »Satscha« der Kamtschadalen, »Petschuga« der Bewohner der Kurilen etc. (Beluga catodon, Physeter catodon, Delphinus leucas und albicans, Delphinapterus leucas und albicans, Beluga leucas), wird 4 bis 6 Meter lang; seine Brustfinne mißt 60 Centim. in die Länge und etwa die Hälfte in die Breite, und die starke Schwanzfinne erreicht etwa 1 Meter an Breite.


Beluga (Beluga catodon). 1/40 natürl. Größe.
Beluga (Beluga catodon). 1/40 natürl. Größe.

Der länglich runde Kopf ist verhältnismäßig klein, auf der Stirne stark gewölbt, das kleine Auge in einiger Entfernung hinter der Schnauze, das einfach halbmondförmige Spritzloch auf der Vorderseite der Stirn gelegen, der Leib lang gestreckt, die zweilappige Schwanzfinne in der Mitte tief eingeschnitten, die Haut glatt, ihre Färbung bei alten Thieren gelblichweiß, bei jungen bräunlich oder bläulichgrau, später lichter gefleckt, bis nach und nach das Jugendkleid in das der alten übergeht.

Der Verbreitungskreis der Beluga erstreckt sich über alle Meere rings um den Nordpol, dehnt sich aber nicht weit nach Süden aus. Ihre Heimat sind die Gewässer in der Nähe von Grönland, die Behringsstraße und das Behringsmeer, von wo aus sie alljährlich regelmäßige Reisen antritt. An der Küste von Dänisch-Grönland bemerkt man sie nur in den Wintermonaten; denn spätestens im Juni verläßt sie die Küste südlich des 72. Grades, um sich in die Baffinsbai und die westlichen Küsten der Davisstraße zu begeben; im Oktober begegnet man ihr auf der Wanderung nach Westen, im Winter sieht man sie, meist in Gesellschaft mit dem Narwal, zwischen oder unmittelbar an dem Eise. Erst im Oktober erscheint sie, laut Holböll, oft in Scharen von mehreren tausend Stück [694] in der Nähe von Gotteshafen unter dem 69. Grade, anfangs December beim Kap der Guten Hoffnung unter dem 64. Grade und etwas später zu Fischernes unter dem 63. Grade. Auf dieser Strecke hält sie sich in allen Buchten Südgrönlands während des ganzen Winters auf, begibt sich aber schon zu Ende des April oder mit Beginn des Mai langsam auf die Wanderung. In seltenen Fällen verirrt sie sich auch wohl nach südlichen Meeren, ist jedoch schon einige Male bis an die Küsten des mittleren Europa herabgekommen. So fand man im Jahre 1793 zwei junge, etwa zwei Meter lange Weißwale auf dem Strande von Pentland-Frith und hatte im Jahre 1815 Gelegenheit, mehrere Monate lang eine ziemlich erwachsene Beluga zu beobachten, welche sich während dreier Monate lustig im Golfe von Edinburg umhertrieb, täglich mit der Flut nach aufwärts zog, mit der Ebbe wieder in das Meer zurückkehrte und sich so vertraut machte, daß die Bewohner Edinburgs zum Golfe herauskamen, um sie zu betrachten. Leider wurde dem nordischen Fremdlinge sein Vertrauen schlecht vergolten: die Fischer glaubten sich, vielleicht nicht mit Unrecht, durch den Gast aus dem Eismeere in ihrem Lachsfange beeinträchtigt und stellten ihm mit allem Eifer nach. Dank seiner großen Geschwindigkeit und Geschicklichkeit entging er lange der Verfolgung, endlich machte das tückische Feuergewehr seinem Leben ein Ende. Glücklicherweise ging der nun getödtete Fisch für die Wissenschaft nicht verloren: gebildete Männer zergliederten ihn und gaben eine so genaue Beschreibung seines inneren Leibesbaues, wie wir sie von wenigen Seesäugethieren erhalten haben.

Nach Versicherung der Grönländer entfernt sich die Beluga selten weit vom Lande, gehört vielmehr, wie der Braunfisch, dem Küstengebiete an. Aus diesem Grunde steigt sie nicht allzu selten viele Meilen weit in den Flüssen auf, ist bei dieser Gelegenheit auch schon wiederholt tief im Lande, nach Dall im Jahre 1863 einmal bei Nulato im Yukonflusse, etwa siebenhundert englische Meilen von der See, gefangen worden. Kleine Fische, Krebse und Kopffüßler bilden ihre Nahrung; außer ihnen findet man auch regelmäßig Sand in ihrem Magen, was die Grönländer zu der scherzhaften Aeußerung veranlaßt hat, daß sie ohne Ballast nicht zu schwimmen vermöge.

In ihrem Auftreten und Wesen unterscheidet sich die Beluga in jeder Beziehung von den stürmischen Schwertfischen und ebenso von den Meerschweinen. Fast niemals sieht man sie einzeln, vielmehr regelmäßig in Gesellschaften, welche zu ungeheueren Scharen anwachsen können. Der Anblick einer solchen Herde soll, wie Faber sagt, ein wahrhaft prachtvolles Schauspiel gewähren, da die blendenden Thiere beim Athemholen bis zum halben Leibe aus den dunklen Meereswogen sich erheben und die See in unbeschreiblicher Weise schmücken. Nach Scammon halten sich in diesen Trupps, welche aus Weibchen und Männchen zu bestehen pflegen, in der Regel ihrer zwei oder drei, also wohl das Paar mit einem Jungen, dicht nebeneinander. Auch die Beluga schwimmt vorzüglich und gefällt sich unter Umständen ebenfalls in Gaukeleien, steht hinsichtlich ihrer Beweglichkeit aber doch weit hinter dem Schwertfische zurück. Bei ihren Jagden auf Bodenfische, beispielsweise Flunder, geschieht es nicht selten, daß sie in seichtes Wasser gelangt und in demselben kaum noch sich bewegen kann. Unter solchen Umständen benimmt sie sich jedoch sehr ruhig und unterläßt in der Regel jene heftigen Anstrengungen, welche bei ähnlichen Gelegenheiten ihre Verwandten in große Gefahr bringen. Beim Auf- und Niedertauchen vernimmt man ein eigenthümliches Tönen, welches nach Scammon an das schwache Brüllen eines Ochsen erinnert, nach Brown aber auch in ein förmliches Pfeifen übergehen kann, so daß man unwillkürlich an einen Vogel erinnert wird und den Seemann versteht, wenn er die Beluga scherzhafterweise »Seekanarienvogel« nennt.

Ueber die Fortpflanzung gibt der alte Steller eine wenig verbürgte Nachricht. »Das Weibchen«, sagt er, »führt seine Jungen auf dem Rücken mit sich fort und wirft dieselben, wenn es in Gefahr kommt, gefangen zu werden, sofort in die See.«

Alle Walfischfänger begrüßen den Weißfisch mit Freude, weil sie ihn als einen Vorläufer des Walfisches ansehen, segeln deshalb auch oft in seiner Gesellschaft weiter, ohne ihn zu belästigen. [695] Unter solchen Umständen kommt unser Delfin bis dicht an die Schiffe heran und gaukelt nach Behagen in unmittelbarer Nähe derselben auf und nieder, bleibt jedoch immer scheu und entflieht bei dem geringsten Geräusche. Walfischfänger jagen übrigens hauptsächtlich aus dem Grunde nicht auf das immerhin werthvolle Thier, weil die Beluga, dank ihrer Geschwindigkeit und Gewandtheit, Verfolgungen im offenen Meere oft zu vereiteln weiß, ihre Jagd auch viel zu viel Zeit er fordert, als daß sie für Europäer lohnend werden könnte. Anders verhält es sich hinsichtlich der hochnordischen Eingeborenen. Für Grönländer und Eskimos ist die Beluga der wichtigste aller Wale, weil jene nicht allein den von ihr gewonnenen Thran sehr hoch schätzen, sondern auch ihr Fleisch als höchst nothwendige Wintervorräthe verwerthen. Brown schätzt die Anzahl der in Grönland alljährlich gefangenen Weiß- und Narwale auf fünfhundert, wovon die größere Menge auf erstere kommt. Die meisten fängt man mit Hülfe von Netzen, welche an den Eingängen der Fjorde und Busen oder in den Straßen zwischen Inseln aufgestellt werden. Genau in derselben Weise verfahren die Nord- und Ostsibirier, welche das Erscheinen der Beluga auch aus dem Grunde mit Freuden sehen, weil sie die Ankunft verschiedener, in den seichten Buchten oder in den Flüssen laichenden Seefische, namentlich des Dorsches, Schellfisches, der Schollen und Lachsarten, anzuzeigen pflegt. Einzelne Völkerschaften betrachten diesen Wal als ein in gewissem Grade heiliges Thier: so stecken die Samojeden Belugaschädel auf Pfähle als Opfer für ihre Götter, während sie den übrigen Theil der von ihnen erbeuteten Weißfische selbst genießen. Die meisten nordischen Völkerschaften stimmen darin überein, daß das Fleisch und der Speck der Beluga ein angenehmes Nahrungsmittel ist, und auch der alte Stel ler gibt ihnen hierin Recht. Brust- und Schwanzfinne gelten, wenn sie gut zubereitet wurden, als ganz besonderer Leckerbissen. Die Haut wird getrocknet und gegerbt und findet dann vielfache Verwendung. So fertigt man auf Kamtschatka Riemen an, welche ihrer Weichheit und Festigkeit wegen sehr geschätzt werden. Speck und Oel sind vorzüglich, leider aber in so geringer Menge vorhanden, daß sich nicht einmal die Kleinfischerei bezahlt macht.

Die hochnordischen Lande sind ebenso unwirtliche wie arme Landstriche. Sie allein vermögen nicht, den Menschen zu ernähren und zu erhalten. Der Getreidebau ist kaum der Rede werth; das tägliche Brod muß aus dem fernen, reicheren Süden eingeführt werden. Aber die Natur behandelt die Nordländer doch nicht so stiefmütterlich, als wir leicht glauben möchten. Was das Land ihnen verwehrt, ersetzt ihnen das Meer. Dieses ist der Acker, welchen der Nordländer bebaut; dieses ist seine Schatzkammer, sein Vorrathshaus, sein Ein und Alles. In keinem Theile der Erde weiter ist der Mensch so ausschließlich an das Meer gebunden wie im hohen Norden; nirgendwo ist die Noth größer als hier, wenn das Meer einmal seine reichen Schätze nicht in gewohnter Weise erschließt. Vogelfang und Fischerei: diese beiden Gewerbe sind es, welche die Nordländer ernähren. Jedermann betreibt sie und jedermann theilt deswegen auch die Mühen und die Sorgen, die Freuden und den Lohn, welche sie mit sich bringen.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Dritter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Zweiter Band: Raubthiere, Kerfjäger, Nager, Zahnarme, Beutel- und Gabelthiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 694-696.
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