Zwergwal (Balaenoptera rostrata)

[737] Der bekannteste Vertreter dieser Gruppe, welche verhältnismäßig reich an Arten zu sein scheint, ist der Zwerg-, Sommer- oder Schnabelwal, »Pikewhale« (Hechtwal) der Engländer, »Waagevhal« der Norweger, »Tikagulik« der Grönländer, »Tschikagleuch« der Kamtschadalen etc. (Balaenoptera rostrata, Balaena rostrata und boops, Rorqualus minor, Balaenoptera Davidsoni), das kleinste bekannte Mitglied seiner Familie, dessen Länge, wohl kaum 10 Meter übersteigt. Bei einem von Scammon gemessenen Weibchen betrug die Gesammtlänge 8,2 Meter, die Länge der Brustflosse 1,25 Meter, deren Breite 35 Centim., die Breite der Schwanzflosse 2,3 Meter. Der Leib ist verhältnismäßig sehr zierlich gebaut, und der Name »Hechtwal« deshalb gerechtfertigt; die Rückenlinie wölbt sich, mit Ausnahme der Erhöhung um die Spritzlöcher und der Fettflosse, in sanften, die Bauchlinie in etwas stärkeren Bogen; der Kopf spitzt sich scharf gegen die weit und in schiefer Richtung von oben nach unten gespaltene Schnauze zu; das kleine Auge liegt etwas hinter und über dem Kieferwinkel, das ungemein kleine Ohr schief hinter dem Auge; die Spritzlöcher, welche nach vorn sich erweitern, stehen auf der Mitte des Kopfes zwischen und vor den Augen; die im ersten Drittel des Leibes etwa in mittlerer Seitenhöhe eingelenkte Brustflosse ist langgestreckt und spitzig, an ihrer Vorderseite fast gerade, an der Hinterseite von der sehr verschmälerten Einlenkungsstelle flach gewölbt, die Rückenflosse, deren Höhe etwa 25 Centim. beträgt, schief nach hinten gerichtet und stumpf sichelförmig, die Schwanzflosse ziemlich lang, am hinteren Rande wenig ausgeschweift, der Kiel des Schwanzes verhältnismäßig flach; die oberseits vollkommen glatte Haut zeigt auf der Unterseite eine große Anzahl, etwa sechzig bis siebzig, gleichlaufende, dicht aneinanderstehende, schmale und seichte Falten, welche wie gewöhnlich am Rande des Unterkiefers beginnen, in der Mitte aber fast über den ganzen Unterleib sich erstrecken. Ein düsteres Schieferschwarz ist die Färbung der ganzen Oberseite, von der Spitze des Oberkiefers an bis zur Einlenkungsstelle der Brustflossen herab, sowie der Schwanzspitze, einschließlich der Schwanzflosse, ein mehr oder minder röthliches Weiß die der Unterseite; die Brustflossen haben oben die [737] Farbe der Oberseite, in ihrer Mitte jedoch ein weißes Querband und sehen unterseits ebenso weiß aus wie der Bauch. Bei einzelnen Stücken bemerkt man einige Haare an der Spitze des Ober- und Unterkiefers; dieselben können jedoch auch vollständig fehlen.


Zwergwal (Balaenoptera rostrata). 1/75 natürl. Größe.
Zwergwal (Balaenoptera rostrata). 1/75 natürl. Größe.

Wir dürfen annehmen, daß der neuerdings von Scammon unterschiedene Spitzkopfwal mit dem Zwergwale gleichartig ist. Das Verbreitungsgebiet desselben erstreckt sich demnach über alle rings um den Nordpol gelegenen Meere. Von hier auswandert er mit Beginn des Winters nach Süden hinab und kommt dann auch an den europäischen, beziehentlich an den ost- und westamerikanischen und ostasiatischen Küsten vor. In der Davisstraße und Baffinsbai sieht man ihn, laut Brown, nur in den Sommermonaten, nicht aber im Winter, während dessen er selbst im Süden Grönlands zu den seltensten Erscheinungen zählt. Daß er weite Wanderungen unternimmt, geht am besten aus den vielen Strandungen gerade dieses Wales an den verschiedensten Küsten Nord- und Westeuropas hervor. Unterwegs verweilt er, je nach Laune und Belieben, längere und kürzere Zeit an nahrungversprechenden Orten, unter Umständen auch während des ganzen Sommers schon an der norwegischen Küste, bringt in Busen und selbst in größere Flüsse ein und reist mit Beginn des Frühjahres in nördlicher Richtung zurück. In ähnlicher Weise durchstreift er einen nicht unbeträchtlichen Theil des Großen Weltmeeres, von der Behringsstraße bis zur Küste von Mejiko hinab, kehrt im Laufe des Sommers wieder nach Norden zurück, jagt und fischt im Behringsmeere und durchschwimmt auch wohl von hier aus die Behringsstraße, um sich im nördlichen Eismeere eine Zeitlang aufzuhalten. In seinen Sitten und Gewohnheiten ähnelt er in vieler Hinsicht dem Finnwale, als dessen Junges er von den Walfängern angesehen zu werden pflegt. Gewöhnlich [738] sieht man ihn einzeln, seltener paarweise und nur dann und wann einmal in größeren Gesellschaften, bald dicht unter der Oberfläche, bald in einer beträchtlichen Tiefe schwimmend, bald mit den bekannten Spielen sich vergnügend. Wenn er an die Oberfläche emporkommt, um zu athmen, wirft er rasch und unter wenig Geräusch einen schwachen und niedrigen Strahl aus, vergleichbar dem, welchen junge Finnwale emporschleudern, wiederholt den Luftwechsel mehrere Male nach einander und versinkt dann für geraume Zeit in der Tiefe. Auf seinen Wanderzügen besucht er nicht allein Buchten aller Art, sondern gesellt sich auch furchtlos zu den Schiffen und taucht in deren Nähe auf und nieder; im hohen Norden dagegen hält er sich mehr an die Eisfelder, schwimmt oft auf weite Strecken unter denselben weg und erscheint dann hier und da in einer Spalte, um Luft zu schöpfen, erhebt sich dabei auch so hoch, daß man den größten Theil seines Kopfes wahrnehmen kann. Wie seine Verwandten nährt er sich vorzugsweise, wenn nicht ausschließlich von kleinen und mittelgroßen Fischen, vielleicht auch Kopffüßlern, und verfolgt seine Beute mit solcher Gier, daß er gerade bei seiner Jagd sehr häufig auf den Strand läuft und in vielen Fällen dadurch sein Leben verliert. Ueber die Zeit der Paarung, der Trächtigkeit und der Geburt fehlen bis jetzt noch genauere Berichte; doch glaubt man, daß das Weibchen elf bis zwölf Monate trächtig gehe und dann ein Junges von etwa 2,5 Meter Länge zur Welt bringt. Scammon fand in der Gebärmutter des von ihm untersuchten Weibchens im Oktober einen fast ausgetragenen Keimling, welcher jedoch kaum 2 Meter lang war.

An den amerikanischen Küsten, und zwar an den westlichen und nördlichen ebensowohl wie an den östlichen, jagt man den Zwergwal nicht, wenigstens nicht regelmäßig, an den nord- und mitteleuropäischen höchstens, wenn er sich in der Nähe des Landes sehen läßt. Unter solchen Umständen sollen sich die Fischer Norwegens, Islands und der Färöerinseln vereinigen, einen Halbkreis um ihn bilden und ihn nun durch Rufen und Schreien so zu erschrecken suchen, daß er auf den Strand oder in seichtes Wasser läuft, wo man über ihn herfallen und ihn tödten kann. Speck und Fleisch gelten als wohlschmeckend und sollen sich eingesalzen lange aufbewahren lassen; auch der Thran wird gerühmt.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Dritter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Zweiter Band: Raubthiere, Kerfjäger, Nager, Zahnarme, Beutel- und Gabelthiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 737-739.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Gellert, Christian Fürchtegott

Die Betschwester. Lustspiel

Die Betschwester. Lustspiel

Simon lernt Lorchen kennen als er um ihre Freundin Christianchen wirbt, deren Mutter - eine heuchlerische Frömmlerin - sie zu einem weltfremden Einfaltspinsel erzogen hat. Simon schwankt zwischen den Freundinnen bis schließlich alles doch ganz anders kommt.

52 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon