Pampashirsch (Cervus campestris)

[162] Die bekannteste Art dieser Untersippe, der Pampashirsch (Cervus campestris, C. leucogaster, Mazama und Blastoceros campestris), ein für unsere Familie mittelgroßes Thier von 1,1 bis 1,3 Meter Leibeslänge und 10 Centimeter Schwanzlänge, am Widerrist 70 Centim., [162] am Kreuz 75 Centim. hoch, hat Hirschgestalt und Färbung. Sein Geweih erinnert an das unseres Rehes, ist aber schlanker, feiner und durch die längeren Sprossen unterschieden. Es krümmt sich nur wenig nach rückwärts, in der unteren Hälfte etwas nach außen, in der oberen wieder nach innen. Der Augensproß entspringt etwa 5 Centim. über der Rose und ist etwa 10 Centim. lang; oben bildet sich aus der Stange eine zweizackige Gabel, deren Sproß gerade nach aufwärts gerichtet ist, während sich das Ende der Gabel nach rückwärts kehrt. Zuweilen finden sich Geweihe, von deren Stange an der Vorderseite noch ein zweiter nach vorwärts gekehrter Sproß sich abzweigt.


Pampashirsch (Cervus campestris). 1/12 natürl. Größe.
Pampashirsch (Cervus campestris). 1/12 natürl. Größe.

Die Länge des Geweihes beträgt selten mehr als 25 Centim. Stangen von 30 Centim. Länge gehören zu den Ausnahmen. Das Haar ist dick, rauh, brüchig und glänzend, auf der Ober- und Außenseite licht-röthlichbraun oder fahl-gelbbraun, an den Seiten, am Vorderhalse und auf der Innenseite der Gliedmaßen am lichtesten. Die Untertheile, also Kinn, Kehle Brust und die Längsstreifen an der Innenseite der Schenkel sind schmutzig-, der Bauch, die Hinterseite der Schenkel, die Unterseite des Schwanzes und die Schwanzspitze reinweiß, die Ohren außen licht-röthlichbraun, innen weißlich. Ein weißer Ring umgibt das Auge, und weiße Flecken stehen an der Spitze der Oberlippe.

Der größte Theil Südamerikas ist die Heimat dieses überall häufigen Hirsches. Nach Rengger kommt er hauptsächlich auf offenen und trockenen Feldern in den wenig bevölkerten Gegenden vor, während er, selbst wenn er heftig verfolgt wird, die Nähe von Sümpfen und die Wälder meidet. Er lebt paarweise und in kleinen Rudeln; alte Böcke einsiedeln. Bei Tage ruht er im hohen Grase und hält sich so still in seinem Bette, daß man dicht neben ihm vorbeireiten kann, ohne daß er sich bewegt. Dies thut er, weil er sich dadurch zu verbergen sucht; denn seine Sinne sind schärfer und seine Bewegungen schneller und gewandter als bei vielen anderen Hirschen. [163] Nur sehr gute Pferde können ihn einholen; wenn er aber einigen Vorsprung hat, vermag ihn auch der beste Renner nicht zu erreichen. Nach Sonnenuntergang zieht er auf Aesung aus und streift dann während der ganzen Nacht umher. Das Thier setzt nur ein Kalb, entweder im Frühlinge oder im Herbste. Nach wenigen Tagen führt es dasselbe dem Hirsche zu, und beide Eltern bekunden große Sorgfalt und Liebe für das Kleine. Sobald Gefahr droht, verstecken sie es im hohen Grase, zeigen sich selbst dem Jäger, führen ihn von der Spur des Kalbes ab und kehren dann auf Umwegen wieder zu diesem zurück. Wird das Junge gefangen, so entfernen sie sich, falls sie nicht von den Hunden verfolgt werden, niemals weit von dem Jäger, sondern gehen unruhig in großen Kreisen um ihn herum und nähern sich, wenn sie die meckernde Stimme des Kalbes vernehmen, sogar auf Schußweite. Ein Paar dieser Hirsche verfolgte Rengger, welcher ein Junges mit sich wegführte, einmal eine halbe Stunde lang.

Jung eingefangen wird der Pampashirsch außerordentlich zahm. Er lernt alle Mitglieder des Hauses kennen, folgt ihnen überall hin, gehorcht ihrem Rufe, spielt mit ihnen und beleckt ihnen Hände und Gesicht; mit Haushunden und Pferden lebt er nicht nur friedlich, sondern neckt sie zuweilen mit Stößen; fremde Personen und fremde Hunde meidet er. Rohe und gekochte Pflanzen der verschiedensten Art ernähren ihn; auf Salz ist er, wie seine Verwandten, besonders erpicht. Bei schöner Witterung vergnügt er sich im Freien; in den Mittagsstunden käut er wieder; bei Regenwetter begibt er sich unter Dach.

Der erwachsene Hirsch gibt einen sehr unangenehmen, den Ausdünstungen des Negers ähnelnden Geruch von sich, namentlich in der Brunstzeit. Dann ist er so stark, daß man ihn sogar an Stellen wahrnimmt, wo eine Viertelstunde vorher ein Männchen vorbeigekommen ist. »Ich warf einst mit Kugeln«, sagt Rengger, »in die Geweihe des Gua-zu-y, und ließ dieselben nur so lange daran, bis ich das Thier getödtet hatte; dennoch hatten sie schon einen so stinkenden Geruch angenommen, daß ich mich ihrer während vierzehn Tagen nicht mehr bedienen konnte. Auch besitze ich ein paar Geweihe, an denen die noch vorhandene Hautbedeckung des Rosenstockes, jetzt nach Verlauf von acht Jahren, noch jenen Negergeruch wahrnehmen lassen. Der Geruch stellt sich nicht vor dem ersten Altersjahre ein und soll, wie mir ein Jäger versichert, ganz wegbleiben, wenn man das Thier in der Jugend verschneidet.«

Um den Gua-zu-y zu erlegen, muß man Treibjagden anstellen. Einige Jäger zu Pferde bilden auf dem Felde einen Halbkreis und erwarten das Wild, welches ihnen andere mit Hülfe der Hunde zutreiben. So wie sich einer dem Hirsch genugsam genähert hat, sprengt er plötzlich auf ihn zu und wirft ihm die Kugeln in die Geweihe oder zwischen die Läufe. Eine Hauptregel ist, daß sich der Jäger nicht zu früh gegen das nahende Thier in Bewegung setzt, sonst wird er schon aus der Ferne von diesem bemerkt und ist dann nicht mehr im Stande, das flüchtige Geschöpf einzuholen. Wird der Hirsch lange gejagt, so macht er, wie unser Reh, häufig Seitensprünge, um die Hunde von der Spur abzubringen, und versetzt sich endlich an einer Stelle, wo er hohes Gras findet. Im Falle der Noth zeigt er Muth und vertheidigt sich gegen Hunde und Menschen entweder mit dem Geweih oder durch Schlagen mit den Vorderläufen. Zuweilen gelingt es auch, wenn man mit Vorsicht die Felder durchreitet, vom Pferde herab einen Gua-zu-y im Aufspringen zu schießen. Außer dem Menschen hat dieses Wild bloß den Cuguar zu fürchten.

Das Wildpret der jungen Thiere ist angenehm, das der alten Ricken etwas zäh, das der Hirsche, wegen der Ausdünstung, gänzlich ungenießbar. Die Haut benutzt man gegerbt zu Reitdecken und Bettunterlagen.


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Auch das Reh vertritt eine besondere Untersippe (Capreolus), deren Merkmale in dem drehrunden, wenig verzweigten, gabelig verästelten, rauhen Geweih ohne Augensprossen zu suchen sind. Das Gebiß besteht aus 32 Zähnen, da die Eckzähne fehlen oder doch nur sehr selten vorkommen.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Dritter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Zweiter Band: Raubthiere, Kerfjäger, Nager, Zahnarme, Beutel- und Gabelthiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 162-164.
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