Muntjak (Cervulus Muntjac)

[175] Der Muntjak oder Kidang (Cervulus Muntjac, Cervus Muntjac, moschatus und subcornutus, Prox und Stylocercus Muntjac), die bekannteste Art dieser Gruppe, erreicht etwa die Größe unseres Rehbocks; seine Länge beträgt 1,2 Meter, seine Höhe am Widerrist 65 Centim. Die Geweihstangen des Männchens sitzen auf sehr langen Rosenstöcken, sind schräg nach rückwärts gerichtet, biegen sich anfangs etwas nach außen und vorwärts und krümmen sich dann plötzlich gegen die Spitze hakenförmig nach rück- und einwärts. Zuerst sind sie nur einfach, später erhalten sie einen kurzen, starken, spitzigen, nach vor- und aufwärts gerichteten Augensproß. Sehr eigenthümlich sind die Rosenstöcke, welche ziemlich nahe aneinander stehen, sich aber bald von einander entfernen, etwa 8 Centim. hoch aufsteigen, bis zur Rose von einer dicht behaarten Haut, welche längs der Rosenkante einen büschelförmigen Haarwuchs trägt, überdeckt werden und mit einer sehr niederen, aus einer einfachen Reihe großer Perlen gebildeten Rose endigen. Mit zunehmendem Alter wird der Rosenstock stärker, wie sich auch die Anzahl der Perlen an ihm vermehrt. An den Stangen selbst sieht man wohl tiefe Längsfurchen, aber keine Perlen. Im übrigen ist der Muntjak ein ziemlich schlank gebauter, kräftiger Hirsch von gedrungenem Leibe, mit mittel langem Halse, kurzem Kopfe, hohen und schlanken Läufen und einem kurzen, flockig behaarten Wedel. Die Behaarung ist kurz, glatt und dicht, das Haar dünn, glänzend und spröde, die Färbung auf der Oberseite gesättigt gelbbraun, nach der Mitte des Rückens dunkler, bis ins Kastanienbraune, am Hinterhalse mehr zimmetbraun, an der Schnauze gelbbraun, längs der Vorderseite der Rosenstöcke dunkelbraun gestreift, auf der Außenseite der Ohren dunkelgelbbraun; auf der Innenseite derselben wie am Kinne, der Kehle, am Hinterbauche und den Innenseiten der Beine, den Hinterbacken und dem unteren Theil des Schwanzes weiß; Vorderbauch und Brust sind gelblicher, zu beiden Seiten weiß gefleckt, die Vorderläufe dunkelbraun, am Rande der Schienbeine weiß, hinten schwarz gestreift; über den schwarzen Hufen liegt ein kleiner weißer Fleck. Das Geweih ist weißlich, etwas ins Gelbliche ziehend. Abänderungen kommen häufig vor.

Sumatra, Java, Borneo und Banka sowie die Malaiische Halbinsel bilden die Heimat des Muntjak. Laut Horsfield erwählt er sich zu seinem Aufenthalte gewisse Gegenden, an welche er dann so große Anhänglichkeit zeigt, daß er sie freiwillig niemals verläßt. Mancher Ort ist als bevorzugter Stand unseres Hirsches seit Menschengedenken bekannt. Nicht allzu hoch gelegene Gegenden, in denen Hügel und Thäler abwechseln, und noch mehr solche, welche sich an den Fuß der höheren Gebirge anlehnen oder größeren Wäldern nähern, scheinen alle diesem Wilde zusagende Bedingungen in sich zu vereinigen. Auf Java sind so beschaffene Standorte sehr gewöhnlich; dort deckt sie ein langes Gras und Sträucher und Bäume von mittlerer Höhe, welche in Gruppen zusammentreten oder kleine Dickichte bilden und nur durch schmale Streifen angebauten Bodens unterbrochen werden oder in die tieferen Wälder übergehen. Hier trifft man den Muntjak zu zweien, außer der Brunstzeit aber auch in kleinen Familien an. An solchen Stellen, welche außerdem reich an Wasser, aber arm an Menschen sind, findet unser Hirsch alles ihm nöthige im Ueberflusse vor und lebt hier in höchst angenehmer Weise, fast unbehelligt von seinem Erzfeinde. Im übrigen ist noch [175] wenig über seine Lebensweise bekannt. Man weiß bloß, daß seine Brunstzeit in die Monate März und April fällt, und daß dann die während des übrigen Jahres einzeln umherstreifenden Böcke die Riken in den Dickichten aufsuchen, beschlagen, eine Zeit mit ihnen vereinigt leben und sie dann wieder verlassen. Ueber die Dauer der Trächtigkeit und die Zeit des Satzes mangeln Beobachtungen; man kennt auch noch nicht die Zeit, in welcher der junge Bock zum erstenmale aufsetzt.


Muntjak (Cervulus Muntjac). 1/12 natürl. Größe.
Muntjak (Cervulus Muntjac). 1/12 natürl. Größe.

Mehr haben wir, dank den genauen Berichten des genannten gelehrten Reisenden, über die Jagd erfahren. Die Eingeborenen, welche die in jener Gegend zerstreuten Weiler und Dörfer bewohnen, geben sich nicht viel mit der Jagd des Kidang ab, umsomehr aber finden die Vornehmen des Landes ein Vergnügen an derselben.

Der Kidang hinterläßt eine sehr spürbare Fährte und wird deshalb von den Hunden leicht und sicher aufgenommen. Wenn er sich verfolgt sieht, geht er nicht, wie der Hirsch, in die Weite, sondern läuft anfangs so schnell als möglich, bald aber langsamer und vorsichtiger in einem großen Bogen fort, sobald als möglich wieder nach seinen ursprünglichen Standorte sich wendend. Die Eingeborenen, welche alle Sitten des Thieres gut kennen, behaupten, daß der Muntjak ein kraftloses und faules Geschöpf ist. Wenn man ihn einige Male im Kreise umhergetrieben hat und die Verfolgung fortführt, soll er seinen Kopf in einem dicken Busche verbergen und in dieser Stellung fest und bewegungslos verweilen, ohne der Annäherung des Jägers Beachtung zu schenken, gleichsam als fühle er sich hier in vollständiger Sicherheit. Gelingt es dem Jäger nicht, ihn am ersten Tage zu erbeuten, so braucht er nur am nächstfolgenden dahin zurückzukehren, wo er ihn zuerst auftrieb; er findet ihn dann sicher an derselben Stelle.

Viele der reichen Gewalthaber halten bloß zum Zwecke dieser Jagd starke Meuten von Hunden, welche regelrecht abgerichtet werden. Diese, gemeiniglich mit dem Namen Pariahunde belegt, stammen von der eingeborenen Art her, welche die Insel bewohnt, und leben eigentlich in einem Zustande unvollkommener Zähmung. Ihr Leib ist mager und ihr Gehör aufgerichtet; sie sind wild [176] und heftig, ihrem Herrn selten besonders zugethan, werden auch von den Eingebornen wie von den übrigen Mahammedanern wenig geachtet und oft nicht gut behandelt. Meistens schlecht gezogen, ekeln sie die Europäer an; aber sie sind sehr feurig, muthig und zum Zwecke der Jagd unübertrefflich. Sobald sie die Spur des Wildes gefunden haben, nehmen sie hitzig die Verfolgung auf, und der Jäger kann ihnen dann langsam folgen; denn gewöhnlich kommt er noch rechtzeitig zur Stelle, wo Hunde und Hirsch mit einander im Kampfe liegen. Der Muntjak ist ein sehr muthiger Gesell und versteht sein kleines Geweih mit Kraft und Geschicklichkeit zu gebrauchen. Viele Hunde werden verwundet, wenn sie ihn angreifen, und manche tragen auf Nacken und Brust oder am Unterleibe Verletzungen davon, welche ihnen das Leben kosten. Aber der Hirsch, welcher kein zähes Leben hat, unterliegt zuletzt doch den vereinigten Angriffen der Hunde, oder wenn nicht, sicher einem Schusse des Meutenführers.

In Banka hängt man zwischen zwei nahe stehende Bäume Schlingen und zäunt von den Bäumen aus in schiefer Richtung zwei Wände, welche mehr und mehr sich verbreitern. Mit Hilfe der Hunde treibt man den Kidang da hinein und regelmäßig auch in die tückisch gelegten Schlingen zwischen den Bäumen, welche ihm Ausweg und Rettung zu gewähren scheinen. Außer dem Menschen stellen unserem Hirsche Tiger und Panther eifrig nach. Doch das milde Klima mit seinem Reichthum an Nahrung sagt ihm so außerordentlich zu, daß alle Verluste, welche Mensch und Raubthier seinem Bestande bringen, schnell gedeckt werden.

Die Gefangenschaft hält der Kidang in seinem Vaterlande sehr gut und auch in Europa recht leidlich aus. Man findet ihn oft im Besitze der Europäer und Eingebornen; doch verlangt er, wenn er sich wohl befinden soll, einen weiten Raum und ausgewähltes Futter. Im allgemeinen zuthunlich und anhänglich an seinen Pfleger, ist er doch ein echter Hirsch, jähzornig, leicht reizbar und dann boshaft wie seine Verwandten. Bei der Vertheidigung wie beim Angriffe gebraucht er nicht allein das Geweih, sondern auch seine Zähne, fährt, laut Schmidt, wie ein bissiger Hund auf den Gegner los und bringt diesem unter Umständen wenn auch nicht gefährliche, so doch schmerzhafte Wunden bei. Wahrscheinlich verfährt er bei Kämpfen mit Nebenbuhlern ebenso.

Das Wildpret des Kidang wird gern von den Europäern gegessen; die Eingebornen aber genießen es nur dann, wenn es vom Bocke herrührt, weil gewisse Eigenheiten in den Sitten der Weibchen ihnen Abscheu vor diesen beigebracht haben; auch glauben sie wohl, daß der Genuß ihnen Krankheiten erzeuge und dergleichen mehr. Die Decke findet keine Verwendung.

Den Hirschen reiht sich naturgemäß ein Wiederkäuer an, welcher bis in die neueste Zeit als Antilope angesehen werden konnte, obschon die absonderliche Bildung seines Gehörns, welches sich von den Gewaffen aller übrigen Hornthiere unterscheidet, jener Ansicht widersprechen mußte. Ebenso aber, wie die wissenschaftliche Beschreibung dieses merkwürdigsten aller Wiederkäuer, welchen wahrscheinlich schon der alte Hernandez unter dem Namen »Teutlamazame« als in Mejiko lebend aufführt, erst in das Jahr 1815 fällt, blieb es unseren Tagen vorbehalten, einen bis dahin hartnäckig festgehaltenen wissenschaftlichen Irrthum zu berichtigen und damit dem Thiere die ihm gebührende Stellung innerhalb seiner Ordnung anzuweisen.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Dritter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Zweiter Band: Raubthiere, Kerfjäger, Nager, Zahnarme, Beutel- und Gabelthiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 175-177.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Diderot, Denis

Die geschwätzigen Kleinode oder die Verräter. (Les Bijoux indiscrets)

Die geschwätzigen Kleinode oder die Verräter. (Les Bijoux indiscrets)

Die frivole Erzählung schildert die skandalösen Bekenntnisse der Damen am Hofe des gelangweilten Sultans Mangogul, der sie mit seinem Zauberring zur unfreiwilligen Preisgabe ihrer Liebesabenteuer nötigt.

180 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon