Schirrantilope (Tragelaphus scriptus)

[242] Häufiger als jeder andere Waldbock gelangt die in Westafrika lebende Schirr-, Streifen- oder Hieroglyphenantilope (Tragelaphus scriptus, Antilope scripta und maculata) lebend in unsere Thiergärten. Die Gesammtlänge des erwachsenen Bockes beträgt 1,6 Meter, wovon etwa 15 Centim. auf den Schwanz kommen, die Schulterhöhe etwa 85, die Kreuzhöhe 90, die Länge der Hörner 20 Centim. Das an und für sich dichte und lange Haarkleid entwickelt sich längs des ganzen Rückens zu einer kammartigen Mähne und verlängert sich ebenso an dem hinteren Theile der Schenkel wie an dem Wedel, von welchem es fächerförmig nach allen Seiten hin ausstrahlt. Seine Färbung ist eine sehr bunte, indem namentlich drei Farben mit einander abwechseln. Da die am Kopfe und Halse vorherrschend rostroth, an der Wurzel grau gefärbten Haare schwärzliche und grauliche Spitzen haben, erscheinen diese Theile anders als der übrige Leib, der Kopf fahlgrau, Hals, Vorderleib und Rücken dunkel rehgrau, wogegen die Leibesseiten und Hinterschenkel die rein rostrothe Färbung zeigen. Schwarzbraun sind Nasenrücken, Vorderbrust, Vorderarm und die Fesselgegend, braunschwarz die Kammhaare des Vorderrückens, braunschwarz mit weißen Spitzen die des Hinterrückens, weiß endlich ein Fleck unter dem Auge, ein anderer dicht daneben am Unterkiefer, ein dritter hinten am Grunde des Ohres, Oberlippe und Kinn, ein quer gestellter Kehlfleck und ein breites halbmondförmiges Band zwischen Hals und Brust, Achsel- und Weichengegend, Vorder- und Hinterläufe vorn und innen vom Hand- oder Fuß- bis zum Fesselgelenk, ein Fleck auf den Fesseln selbst, die nicht allein je nach den Stücken, sondern auch je nach der einen und anderen Seite des Thieres verschiedene Geschirrzeichnung, [242] bestehend aus einem mäßig breiten, in der unteren Leibeshälfte verlaufenden Längsstreifen, mehreren schmalen, senkrecht und in ziemlich gleichweiten Abständen sich herabziehenden, manchmal auch sich kreuzenden Querstreifen, welche von jenem aufgenommen werden oder in ihm endigen, und runden und eiförmigen Flecken, welche auf dem Oberarme einzeln und spärlich, auf dem Oberschenkel theils gehäuft, theils in einer gebogenen Linie stehen sowie endlich die seitlichen Haare des übrigens rostbraunen Schwanzes. Die Iris ist dunkelbraun, die Muffel schwarz, das Gehörn graulich hornfarben, der Huf glänzend schwarz.

Ueber das Freileben der Waldböcke wissen wir bis jetzt nur soviel, daß diese anmuthigen Geschöpfe paarweise in den Waldungen leben, sich hier im dichtesten Gebüsch aufhalten, nicht gerade scheu sind, vom Jäger unbemerkt gern bis auf einige Schritte Entfernung stehen oder liegen bleiben und dann mit behenden und gewandten Sprüngen davoneilen.


Schirrantilope (Tragelaphus scriptus). 1/14 natürl. Größe.
Schirrantilope (Tragelaphus scriptus). 1/14 natürl. Größe.

Während der großen Hitze des Tages regen sie sich nicht, treten vielmehr erst gegen Abend zur Aesung heraus, bleiben, wie es scheint, einen guten Theil der Nacht munter, äsen sich am Morgen nochmals und begeben sich dann zur Ruhe. Ihre Paarzeit fällt in diejenigen Monate ihrer Heimat, welche wir mit unserem Herbste vergleichen können, der Satz in den Beginn der Regenzeit, welche, wie schon wiederholt bemerkt, unserem Frühlinge entspricht. Dann folgt das eine Kälbchen, welches das Thier zur Welt bringt, beiden Eltern geraume Zeit, trennt sich jedoch schon vor der nächsten Paarungszeit von ihnen und sucht nun mit anderen seines gleichen sich zu vereinigen, ein Pärchen oder höchstens einen kleinen Trupp bildend. Die Stimme der südafrikanischen Art erinnert nach Harris in so hohem Grade an das Bellen eines Hündchens, daß man sich leicht täuschen kann. Obwohl das Fleisch aller Wildböcke nicht geschätzt wird, jagt man ihnen doch überall mit einem [243] gewissen Eifer nach, weil die Jagd höchst anziehend ist und ebenso geschickte Jäger als geübte Hunde erfordert. Nur mit Hülfe der letzteren gelingt es, Waldböcke zum Schusse zu bringen; die Bewegungen dieses Thieres sind jedoch so behend, und die Oertlichkeit bietet so viele Schwierigkeiten dar, daß in der Regel nur ein sehr gewandter Schütze Beute gewinnt. Schwächeren Hunden gegenüber vertheidigen sich ältere Waldböcke mit überraschendem Muthe und oft mit Erfolg.

Wenige Antilopen gleicher Größe halten sich leichter in Gefangenschaft als Waldböcke. Ihre Aesung im Freien besteht zwar vorzugsweise in zarten Blättern, Knospen und Trieben, welche sie mit ihrer ungemein langen und höchst beweglichen Zunge abbeißen; sie gewöhnen sich jedoch sehr rasch an das Futter unserer Hausthiere, zeigen sich überhaupt anspruchslos und verursachen dem Pfleger kaum besondere Mühe. So nur erklärt es sich, daß wir Schirrantilopen so häufig lebend erhalten. Bei uns zu Lande verlangen sie selbstverständlich Schutz gegen die ihnen ungewohnte Witterung und im Winter einen warmen Stall, dauern aber, falls man ihnen diese Bedingungen erfüllt, vortrefflich aus und pflanzen sich auch ziemlich oft im Käfige fort. Wenn man sich viel mit ihnen beschäftigt, werden sie sehr zahm, beanspruchen, daß man ihnen schmeichelt und befinden sich augenscheinlich nur dann wohl, wenn sich jemand viel mit ihnen abgiebt. Launisch und wetterwendisch sind aber auch sie. Aus der Spiel- und Necklust, welche sie anfänglich zeigen, wird leicht bitterer Ernst; im buchstäblichen Sinne des Wortes sich in den Nacken werfend, nehmen sie eine ganz sonderbare Stellung an, wölben ihren Nacken zu einem Katzenbuckel, sträubenden Haarkamm, spreizen das Haar des erhabenen Wedels und biegen sich dann plötzlich nach vorn und unten, um zu stoßen. In dieser Haltung erinnern sie lebhaft an einzelne Hirsche; der Eindruck, welchen sie auf den Beschauer machen, ist aber ein ungleich zierlicherer, wie sie überhaupt zu den anmuthigsten Arten ihrer Familie zählen.


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Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Dritter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Zweiter Band: Raubthiere, Kerfjäger, Nager, Zahnarme, Beutel- und Gabelthiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 242-244.
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