Windspielantilope (Neotragus Hemprichii)

[255] Die Windspielantilope, Beni Israel der Bewohner Massauas, Edro der Tigrier (Neotragus Hemprichii, Antilope Hemprichiana, Nanotragus Hemprichii), ist einer der zierlichsten Wiederkäuer, welche es gibt. Der Bock trägt ein kleines Hörnerpaar mit zehn bis zwölf Halbringen an der unteren Hälfte der Außenseite und mit nach vorn gebogenen Spitzen, welche von dem stark entwickelten Haarschopfe fast verdeckt und durch die sehr langen Ohren gänzlich in den Schatten gestellt werden. Der Leib ist gedrungen, der Schwanz ein kurzbehaarter Stummel; die Läufe sind mittellang, aber außerordentlich schwach, die Hufe lang, schmal und zugespitzt, die Afterklauen kaum bemerklich. Sehr feine und ziemlich lange Haare decken den Leib. Das Kleid erscheint fuchsig und graubläulich, weil die einzelnen, an der Wurzel graubräunlich aussehenden Haare vor der dunklen, aber kaum bemerklichen Spitze licht oder röthlich umrandet sind. Auf dem Rücken geht die Färbung in das Rothbraune, auf dem Nasenrücken und der Stirn in das Fuchsrothe über; die Vorderschenkel sind oft gefleckt, die unteren Theile und die Innenseite der Läufe weiß. Ein breiter Streifen über und unter den Augen ist weiß; die Ohren sind schwärzlich gesäumt, die Hörner, Hufe und Thränen gruben schwarz.

In Abessinien wird man vom Meeresstrande an bis zu zweitausend Meter unbedingter Höhe unsere Beni Israel (zu Deutsch: Kinder Israel) an geeigneten Orten selten vermissen. Fast alle Zwergantilopen sind Bewohner der Buschwälder, an denen Afrika so reich ist. Dickichte, welche für andere, größere Antilopen so gut wie undurchdringlich sein würden, gewähren diesen Liliputanern prächtige Wohnsitze. Für sie findet sich auch zwischen den engsten Verschlingungen noch [255] ein Weg und in den ärgsten Dornen noch ein Pförtchen. Der Edro zieht das Thal entschieden der Höhe vor. Am liebsten sind ihm die grünen Waldsäume der Regenstrombetten. Hier gibt es herrliche Versteckplätze. Mimosen, Christusdornen, einige Wolfsmilchgesträuche und andere größere Pflanzen werden von einem wahren Netze von Schlingpflanzen umflochten und durchwebt. Es finden sich köstliche Lauben und nach außen vollkommen abgeschlossene Gebüsche, deren Inneres wohnlich und gänzlich verborgen ist, oder aber schmale Dickichte, welche jedoch auf lange Strecken hin ununterbrochen verbunden sind. Weiter von der belebenden Wasserader wegstellen sich die Büsche einzelner, und ein grünes, saftiges Gras kann dort sich erheben. Hier begegnet man dem Edro mit aller Sicherheit. Er lebt, wie die meisten seiner Verwandten, über welche wir Kunde haben, streng paarweise, niemals in Trupps, es sei denn, daß ein Pärchen einen Sprößling erhalten habe, welcher der Mutterpflege noch bedarf. Dann trollt auch dieser hinter den Eltern her.

Im Anfange wird es dem Jäger schwer, das kleine Thierchen zu entdecken; wenn man aber mit seinen Sitten und Gebräuchen vertrauter geworden ist, lernt man es auffinden, weil man folgerichtig zu Werke geht. Die Färbung des Felles, welche mit der Umgebung übereinstimmt und in dieser förmlich aufgeht, trägt wesentlich dazu bei, unsere Zwerge zu verbergen. »Das allergeübteste Auge«, sagt Drayson sehr richtig, »ist erforderlich, um ein Busch- oder Blauböckchen zu entdecken, weil sein Fell der Dämmerung des Unterholzes so vollständig gleicht, daß man das kleine Ding nicht bemerken würde, wenn nicht die im Laufe berührten Zweige sich bewegten. Gewöhnlich ist das Böckchen, lange bevor der Jäger sich überzeugen konnte, daß er es wirklich gesehen habe, schon auf und davon. Wenn ich so mit den Kaffern ging, deren Falkenaugen das Dickicht durchbohren, ist es mir oft vorgekommen, daß sie mit großer Bestimmtheit sagten: ›Dort geht ein Blauböckchen, sieh, dort ist es, dort, dort!‹ Aber für mich waren solche Fingerzeige vergebens. Ich mochte mich anstrengen und nach dem bezeichneten Fleck hinsehen, wie ich wollte: alles andere sah ich, nur nicht das Böckchen.« Genau so ging es mir im Anfange mit den Windspielantilopen. Doch das Jägerauge findet sich. Wenn man recht sorgfältig das Gebüsch absucht und seine Aufmerksamkeit hauptsächlich auf dunkle, freie Stellen im Gelaube richtet, sieht man die zierlichen Waldeskinder sicherlich. Gerade auf diese Blößen stellen sie sich, wenn sie aufgescheucht werden. Ihre ungemein feinen Sinne und namentlich das mit den großen Ohren in Einklang stehende scharfe Gehör verrathen ihnen die Ankunft des Menschen lange vorher, ehe dieser eine Ahnung von ihrem Vorhandensein hat. Beim geringsten verdächtigen Geräusche springt der Bock auf und lauscht scharf nach der bezüglichen Seite hin; allein diese Untersuchung genügt ihm nicht: er muß auch sehen, und deshalb geht er langsam nach einem jener offenen Plätze, stellt sich dort starr wie eine Bildsäule auf und schaut dem herankommenden Feinde entgegen. Das Thier folgt in kurzer Entfernung seinem Gatten, überläßt aber diesem so lange als möglich die Sorge um die Sicherheit. Aufrecht steht der Bock da, den Kopf hoch erhoben; kein Glied außer dem Gehör bewegt sich. Nur der Haarkamm auf dem Kopfe wird so gesträubt, daß er die zarten und kurzen Hörner vollkommen überdeckt. So lauscht und äugt er scharf nach dem gefahrdrohenden Gegenstande hin. Eine neue Bewegung des Gefürchteten macht ihn erstarren: der Fuß, welcher erhoben ist, bleibt so, das Gehör rührt sich nicht, aber die Lichter richten sich auf den einen Punkt; nicht ein einziges Zeichen verräth das Leben des schlauen Geschöpfes. Sowie es ihm dünkt, daß Gefahr im Verzuge sei, duckt er sich nieder und schleicht, jeden Lauf so leise und gleichmäßig hebend, als ginge er in menschlicher Weise auf den Zehen, unhörbar in das Dickicht zurück, verläßt es auf der entgegengesetzten Seite, eilt in den dünner bestandenen Buschwald hinaus und kehrt, einen großen Bogen um den Feind beschreibend, wieder nach seinem grünen Verstecke zurück. Am liebsten wendet er sich, wenn er einmal Nachstellungen erfahren hat, rückwärts; getrieben aber, geht er in Bogen nach vorwärts, immer wieder den grünen Waldsaum berührend und von neuem in ihm sich verbergend. Das Thier folgt ihm in geringer Entfernung auf Schritt und Tritt getreulich nach. So lange nicht ein Schuß fiel oder ein Hund sich zeigte, trollt auch das [256] aufgescheuchte Pärchen bald wieder gemächlich dahin. Unmittelbar vor dem Flüchtigwerden stößt der Bock einen scharfen Schneuzer aus, welcher sechs-, ja achtmal wiederholt wird, wenn man auf ihn schoß, ohne ihn zu treffen oder sogleich zu tödten. Selten flüchtet das Pärchen weit weg. Bereits nach wenigen Sätzen trollt es wieder; der Bock hält an, sichert, geht weiter, sichert von neuem und unterbricht seinen Lauf schließlich alle zehn bis zwanzig Schritte weit. Wurde aber auf den Edro geschossen, gleichviel ob mit oder ohne Erfolg, so flüchtet er während der ersten vier- bis sechshundert Meter, welche er zurücklegt, überaus eilfertig. Dann erst zeigt sich seine ganze Beweglichkeit. In weiten Bogensätzen jagt er dahin, die Vorderläufe im Sprunge dicht an den Leib gelegt, die hinteren wie den Kopf lang vorgestreckt. Eine so in voller Flucht dahineilende Zwergantilope ist sehr schwer zu erkennen. Die Bewegung erfolgt so rasch, und die gewohnte Gestalt des Thieres hat sich so gänzlich verändert, daß das Auge ein durchaus fremdartiges Geschöpf zu erblicken vermeint. Nicht selten ist man geneigt, den zierlichen Wiederkäuer für einen Hasen zu halten, und erst nach einiger Uebung lernt man ihn auch während seines vollsten Laufes richtig erkennen.

An dem einmal gewählten Standorte scheint jedes Paar der Windspielantilope treulich festzuhalten, so lange es von dort nicht vertrieben oder ihm in der Nähe ein noch besserer Versteckplatz geboten wird. An einigen Regenstrombetten in der Samhara Abessiniens, welche ich während meines kurzen Aufenthaltes viermal berührte, fand ich den Edro immer genau auf denselben Stellen, wo ich ihn früher gesehen oder bezüglich erlegt hatte. Die meinem Gewehre entgangenen Paare waren bis auf ihren Busch hin wieder auf den alten Stand gerückt; der überlebende Theil eines durch mich zersprengten Pärchens hatte den Stand wahrscheinlich verlassen, und dieser war dann durch ein anderes ersetzt worden. An jenen Regenstrombetten kann der Jäger schon von weitem den Busch oder den Theil der Dickung bestimmen, in welchem er Windspielantilopen finden wird: der dickste, verschlungenste Busch, und wenn er nicht mehr Raum bedeckt als fünfundzwanzig Geviertmeter, ist sicherlich ihr eigentliches Haus. Fern ab von solchen besonders begünstigten Stellen trifft man das Thierchen bloß in Gebirgsthälern an, in deren Grunde Dickichte in ähnlicher Weise sich ausbreiten, und wohl nur gezwungen besteigt es die Gehänge und Kämme der Berge. Man begegnet ihm allerdings noch in ziemlich bedeutender Höhe über dem Meere, nie aber auf Bergwänden und Bergrücken.

Alle Zwergantilopen äsen sich vorzugsweise von dem Blätterwerk der Gebüsche, in denen sie hausen. Dem Beni Israel gibt wahrscheinlich die Mimose den größten Theil seiner Nahrung. Außer den zart gefiederten Blättern, denen man es gleich anzumerken meint, daß sie solchen kleinen Leckermäulern wohl genügen müssen, werden aber grüne Triebe und Knospen auch nicht verschmäht, und oft sieht man, wie südafrikanische Jäger versichern, die gewandten Geschöpfe sogar an schiefen Stämmen der Buschwälder emporsteigen, um sich an höheren Aesten zu äsen. Mir hat diese Angabe durchaus nichts auffallendes, weil ich das Baumklettern der Wiederkäuer wiederholt und zwar von den kleinen Ziegen des Innern Afrikas gesehen habe.

Auch der Beni Israel schlägt sich, wie die Gazelle, seichte Kessel aus, in denen er seine Losung absetzt. Diese, in Gestalt, Größe und Färbung Hasenschroten gleich, gibt dem Jäger jederzeit den sichersten Anhaltspunkt zu der nicht unwichtigen Bestimmung, ob das Pärchen, von welchem der Kessel herrührt, noch zu finden sein wird oder bereits getödtet, bezüglich vertrieben wurde. Gewöhnlich findet sich ein solcher Abort der reinlichen Thiere zwischen zwei dichteren Büschen, unweit der Laube, welche den Lieblingsaufenthalt bildet.

Ueber die Fortpflanzung der Zwergantilopen sind bisher nur sehr dürftige Angaben gemacht worden. Auch ich erfuhr wenig. Wann die Windspielantilope auf die Brunst tritt, kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen, ebensowenig auch, wie lange sie hochbeschlagen geht. Ein abessinischer Jäger erzählte mir, daß zur Zeit der Brunst, welche zu Ende der großen Regenzeit fallen soll, die Böcke ihre Hörnchen, so klein diese auch sind, mit großer Wuth und vielem Nachdrucke zu gebrauchen [257] wissen; doch muß ich hierbei wiederholen, daß die Abessinier nicht eben die zuverlässigsten Erzähler sind, weil sie den Leuten nach dem Munde reden, alle Fragen ohne weiteres bejahen und die Antwort auch noch mit hübschen Geschichten ausschmücken. Unter den hunderten der Beni Israel, welche ich sah, habe ich übrigens nicht einen einzigen überzähligen Bock beobachtet, vielmehr überall und immer nur Pärchen bemerkt. Ehrenberg gibt den Monat Mai als Satzzeit des Beni Israel an; ich habe aber bereits im März und häufiger im April Junge bei den Pärchen gesehen. In der zweiten Hälfte des März waren fast alle von mir erlegte Riken, wie ich zu meinem größten Bedauern fand, hochbeschlagen; im April sah ich die Pärchen mit ihren Sprößlingen und erhielt selbst ein vor wenig Tagen gesetztes Kälbchen.

Es scheint, daß in Habesch nur die jungen, eben gesetzten und noch unbehülflichen Beni Israel gefangen werden; wenigstens konnte ich, ungeachtet meiner Bemühungen, erwachsene Thiere nicht erhalten. Die Kaffern dagegen legen ihren Zwergböckchen Schlingen in den Weg, welche durch einen der Läufe der Antilopen zugezogen werden, oder stellen ihnen, wenn es ihnen nur um das Wildpret zu thun ist, solche, welche ein Schnellgalgen zuschnürt. Man biegt zu diesem Ende einen Baum um, bindet an ihn die Schlinge, stellt sie in einen der leicht erkenntlichen Gänge im dichten Gebüsch und richtet einen Pflock so, daß er von dem laufenden Wilde weggestoßen wird. Der Hals desselben steckt dann bereits in der Schlinge; der Baum richtet sich plötzlich auf, der arme Schelm baumelt und ist nach wenigen Minuten eine Leiche.

Wenn man erst die Sitten des Edro kennen gelernt hat, ist seine Jagd ebenso einfach als ergiebig. Zwei Jäger brauchen sich keine große Mühe zu geben. Der eine folgt dem satzweise dahinflüchtenden Pärchen, der andere bleibt dort stehen, von wo es aufging. Oft genug kommt der verfolgende zum Schuß, sicher der, welcher sich anstellt. Ist die Jagdgesellschaft größer, so bildet sie einen einfachen Halbmond und läßt durch Treiber oder durch Hunde den Buschrand an beiden Ufern des Regenstromes absuchen. Nach einigen Schüssen geht der Beni Israel regelmäßig zurück und muß die Schützenlinie kreuzen. An Orten, wo er noch keine Nachstellungen erfuhr, bleibt er häufig ruhig auf den Blößen in der Dickung stehen, vielleicht, weil er seine Gleichfarbigkeit mit der Umgebung überschätzt. Anfänglich gebrauchte ich bei meinen Jagden die Büchse, später das Schrotgewehr, und dieses ist auch die einzige geeignete Waffe zur Jagd unseres Thierchens. Ganz abgesehen, daß der Zwerg, wenn er selbst nur auf siebzig oder achtzig Schritte draußen steht, mit der Büchse auf das Korn genommen sein will, hat der Jäger selten Freude, wenn er seine Lieblingswaffe benutzte, weil die Kugel fast regelmäßig ein so ungeheures Loch in den kleinen Körper reißt, daß er das erlegte Wild nicht gern mehr ansehen mag. Das Schrotgewehr kommt übrigens auch zu seinem Rechte; denn eine in voller Flucht dahinjagende Zwergantilope ist vor jedem Sonntagsschützen sicher: sie verlangt ein sehr gutes Auge und eine geübte Hand. Zudem wimmeln dieselben Büsche, in denen das Zwergböckchen lebt, von Frankolinen und Perlhühnern, welche man doch auch nicht gern unbehelligt wegfliegen läßt, aber selbstverständlich mit der Büchse nicht erlegen kann.

Wenn man bei der Jagd der Windspielantilope festhält, daß der Bock sich immer höher und stolzer trägt als das Thier, und daß er auf der Flucht regelmäßig vorauseilt, erspart man sich bald den Kummer, ein Thier, zumal ein hochbeschlagenes, zu erlegen; an anderen Kennzeichen vermochte ich die Geschlechter nicht zu unterscheiden, selbst wenn ich auf vierzig bis funfzig Schritte zum Schuß kam.

Das Wildpret des Beni Israel ist ziemlich hart und zähe, obwohl noch immer eine leidliche Speise. Es eignet sich fast mehr zur Bereitung von Suppe als zum Braten. Auf Draysons Rath habe ich mich hauptsächlich an die Leber der Zwergantilope gehalten und muß jenem Gewährsmanne Recht geben, daß sie ein wahrer Leckerbissen ist.

Ueber alt gefangene Zwergantilopen habe ich selbst keine Beobachtungen sammeln können, und das er wähnte Kälbchen blieb, ungeachtet der sorgfältigsten Pflege, nur wenige Tage am Leben. [258] Meine Frau, deren ganz besonderer Liebling das wirklich reizende Geschöpf war, hielt ihm eine melkende Ziege und überwachte seine Ernährung mit der größten Sorgfalt. Es besäugte auch seine Pflegemutter ohne besondere Umstände und schien in den ersten Tagen seiner Gefangenschaft sich wohl zu befinden. Bereits hatte es sich an seine Pflegerin so gewöhnt, daß es nicht die geringste Furcht mehr vor ihr zu erkennen gab und zu den schönsten Hoffnungen berechtigte. Da bekam es plötzlich eine Geschwulst an der Kehle, und am folgenden Tage war es eingegangen. Von anderen Beobachtern erfahre ich, daß man Zwergantilopen schon mehrmals in der Gefangenschaft gehalten hat. Außerhalb ihres Vaterlandes erliegen sie freilich bald den Einflüssen des fremden Klimas, und es ist deshalb sehr schwer, sie lebend bis nach Europa zu bringen. Allein am Kap und in anderen Theilen Afrikas hat man sie längere Zeit im Zimmer oder im Gehöfte gehalten. Man sagt, daß jung eingefangene bald warme Anhänglichkeit an ihren Pfleger zeigen, seinem Rufe folgen, sich gern berühren, krauen, auf dem Arme umher tragen lassen und überhaupt dem Menschenwillen widerstandslos sich ergeben. Eine überaus große Gutmüthigkeit, Sanftmuth und Liebenswürdigkeit wird gerühmt. Brod, Möhren, Kartoffeln und Grünzeug genügen zur Ernährung der Gefangenen, Früchte und Blüten verschmähen sie auch nicht, Salz belecken sie, wie die meisten anderen Wiederkäuer, mit Vergnügen, Wasser ist ihnen ein Bedürfnis. Sie halten sich so rein, daß man sie ohne Sorge zum Genossen der Wohnstube wählen könnte; nur ihr Harn riecht unangenehm. Wenn sie sich nach ihrem Pfleger sehnen, stoßen sie ein leises Blöken aus; die Furcht geben sie durch Schneuzen zu erkennen. Dies kann man namentlich bei Gewittern bemerken: sie schnaufen bei jedem heftigen Donnerschlage. Oft pressen sie eine klebrige, ölige Schmiere aus den Furchen, welche ihre Thränengruben vertreten. Diese Masse riecht wie Moschus, und die Thiere scheinen entschiedenen Wohlgefallen an diesem Geruche zu bekunden. Im übrigen behalten sie auch in der Gefangenschaft ihre Sitten bei. So legen sie niemals ihre Schreckhaftigkeit ab, fliehen eiligst davon, wenn jemand, zumal ein Fremder, eine rasche Bewegung macht, versuchen sogar sich zu ducken und zu verbergen; allein schon nach kurzer Zeit zeigen sie gegen Bekannte dieselbe Zutraulichkeit wieder wie vorher.

Nach Europa kommen lebende Zwergantilopen außerordentlich selten herüber. Die hauptsächlichste Ursache scheint darin zu liegen, daß es schwer hält, den zarten und hinfälligen Thierchen unterwegs ein passendes Futter zu verschaffen. Erst nachdem ich afrikanische Freunde darauf aufmerksam gemacht hatte, daß alle Zwergantilopen Zweigfresser sind und mit getrockneten Baumblättern anstatt mit Heu gefüttert werden müssen, gelang es mir, von Sansibar aus einen nahen Verwandten der Windspielantilope, das Moschusböckchen (Neotragus moschatus), zu erhalten. Das ungemein zierliche Geschöpf war auf der Ueberreise sorgfältig gepflegt und sehr zahm geworden, zeigte daher bei der Ankunft von der wilden Scheu anderer frischgefangenen Antilopen keine Spur, fühlte sich sofort in dem ihm angewiesenen Raume heimisch und nahm es dankbar an, wenn man sich mit ihm beschäftigte und ihm schmeichelte. Jede Bewegung war höchst anmuthig. Beim Gehen hielt sich das Thierchen gewöhnlich sehr gestreckt, Kopf und Hals niedergebogen, die Schritte wurden fast regelmäßig mit Auf- und Niederschnellen des Schwanzes begleitet. Ein sorgfältig ausgewähltes Futter, der Hauptsache nach aus geschnittenen Möhren, Kartoffeln, Kohl und etwas Kleie bestehend, wurde gern genommen, außerdem aber frische Baumzweige mit oder ohne Blätter in genügender Menge gereicht. Nebenbei äste sich mein gefangenes Böckchen von Grasspitzen, welche es eins nach dem anderen abbiß und gemächlich kaute. Der einzige Laut, welchen ich vernahm, war ein Schneuzen und ein leises, lammartiges Blöken.

Nächst dem Menschen ist der schlimmste Feind der Zwergantilopen wohl überall der Leopard. In Habesch zieht er gerade die Dickichte, wo sich Edros aufhalten, allen übrigen Jagdplätzen vor. Wenn auch die Windspielantilopen den ganzen Tag über in Bewegung sind, zeigen sie doch in den Frühstunden und noch mehr gegen Abend eine besondere Regsamkeit. Um diese Zeit begegnet man der gewandten Katze häufig genug auf ihren Schleichwegen, und noch viel öfter mag [259] sie vorhanden sein, ohne daß man eine Ahnung hat. Ein alter italienischer Jäger, der schon genannte Pater Filippini, versicherte mir, daß der Leopard nur dann in die Dörfer komme, wenn ihm seine Antilopenjagd mißglücke, und ich habe keinen Grund, an der Glaubwürdigkeit dieser Angabe zu zweifeln. Im Süden mag der Serwal und im Sudân die Falbkatze dem widerstandsunfähigen Zwerge ebenfalls nachstellen, und höchst wahrscheinlich nimmt auch der Raubadler hier und da wenigstens ein Kälbchen weg. Ob die in Afrika so häufigen Schakale und Füchse sowie die wilden Hundearten ebenfalls zu den Feinden des Beni Israel und seiner Verwandten gezählt werden müssen, wage ich nicht zu behaupten; ich kann bloß sagen, daß ich Schakale und Füchse in den von Beni Israel bewohnten Dickichten häufig gesehen habe.


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Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Dritter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Zweiter Band: Raubthiere, Kerfjäger, Nager, Zahnarme, Beutel- und Gabelthiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 255-260.
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