Goral (Nemorhoedus Goral)

[266] Der Goral (Nemorhoedus Goral, Antilope, Capricornis und Hemitragus Goral) hat die Größe einer Ziege. Seine Länge beträgt etwas über 1 Meter, die des Schwanzes 10, mit dem Haarpinsel 20 Centim., die Höhe am Widerrist 70 Centim.


Goral (Nemorhoedus Goral). 1/10 natürl. Größe.
Goral (Nemorhoedus Goral). 1/10 natürl. Größe.

Das Gehörn des Bockes ist etwa 60 Centim. lang, kurz, dünn, gerundet; an der Wurzel stehen beide Stangen sehr nahe zusammen, gegen das Ende hinbiegen sie sich von einander ab. Die Anzahl der Wachsthumsringe schwankt zwischen zwanzig und vierzig. Als Artkennzeichen gelten: gedrungener Leib mit geradem Rücken, schmächtige Beine, mittellanger Hals und kurzer, nach vorn zu verschmälerter Kopf mit eiförmigen, großen Augen und langen, schmalen Ohren, kurzes, dichtes, etwas abstehendes, zumal an Leib und Hals lockeres Haarkleid von grauer oder röthlichbrauner Färbung, welches oben an den Seiten und auch unten, mit Ausnahme eines schmalen gelben Längsstreifens am Unterleibe, schwarz und röthlich gesprenkelt, an Kinn und Kehle sowie einem von hier aus hinter den Wangen nach dem Ohre zu verlaufenden Streifen weiß, auf dem längs des Rückens verlaufenden Haarkamme aber schwarz ist. Die Hörner der Rike sind kürzer und schwächer als die des Bockes, beide Geschlechter aber sonst gleich gestaltet und gefärbt.

Das Verbreitungsgebiet des Goral beschränkt sich, laut Adams, auf den unteren und mittleren Gürtel des westlichen Himalaya. In der Nähe von Musori ist er gemein. Wilde und rauhe, steile und felsige, aber mit Gras bewachsene Höhenzüge bilden seine beliebtesten Wohngebiete. Selten sucht er den Schatten der Waldungen auf, lebt vielmehr auf Felsen und steinigen Abhängen. Er schlägt sich stets in starke Rudel und Herden, äst sich von den verschiedenartigsten[266] Gräsern und Kräutern des Gebirges und dem Gelaube der Bäume, zieht morgens ins Geklüfte und zu den Quellen, und steigt während des Tages mehr und mehr im Gebirge empor, auf demselben Wege abends wieder nach unten zurückkehrend.

Alle Bewegungen des Goral stehen denen des Klippspringers kaum oder nicht nach: die Einwohner von Nepal sehen in ihm das schnellste aller Geschöpfe. Aeußerst furchtsam, scheu und flüchtig, mit vortrefflichen Sinnen begabt, klug und listig, läßt er sich schwer beschleichen und noch weniger verfolgen. Aufgescheucht, stößt er, wie die Gemse, einen scharfen Schneuzer aus und eilt sodann mit überraschender Schnelligkeit seines Weges dahin, gleichviel ob derselbe auf guten und gangbaren oder aber auf halsbrechenden Pfaden dahinführe. An den schroffsten Felswänden klettert er mit derselben Leichtigkeit wie die Gemse.

Ueber die Fortpflanzung wissen wir noch nichts; wohl aber ist es bekannt, daß jung eingefangene Thiere, welche man durch Ziegen groß ziehen läßt, sehr leicht zahm werden, während ältere Gefangene auch bei der sorgfältigsten Behandlung immer scheu und wild bleiben. Dabei sind sie schwer zu halten, weil sie, wie die Steinböcke, an den Wänden emporklettern und regelmäßig zu entfliehen wissen, wenn man nicht besondere Vorkehrungen trifft.

Ein Goral, welcher sich im Besitze eines englischen Statthalters befand und auf einem viereckigen Platze gehalten wurde, versuchte mehrmals, die etwa drei Meter hohe Umzäunung zu überspringen, und erreichte auch bei jedem Satze fast die erwünschte Höhe. Nach Europa ist bis jetzt noch kein lebender Goral gekommen, und selbst die Bälge dieser Thiere gehören zu den Seltenheiten in den Museen.


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Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Dritter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Zweiter Band: Raubthiere, Kerfjäger, Nager, Zahnarme, Beutel- und Gabelthiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 266-267.
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