Argali (Ovis Argali)

[348] Die zuerst beschriebene Art dieser Gruppe ist der Argali oder Argalei der Mongolen, Archar der Kirgisen, der Ugulde der Sojoten und Burjäten (Ovis Argali, Aegoceros und Caprovis Argali, Ovis Ammon), ein gewaltiges Schaf von der Größe eines dreivierteljährigen Kalbes. Ein von Brandt bestimmter Argalibock des Berliner Museums ist kräftig, aber keineswegs unzierlich gebaut, der Kopf stark und breit, im Gesichtstheile nach der Muffel zu gleichmäßig verschmächtigt, das Auge mittelgroß, das Ohr klein, schmal, stumpf geendet, der Hals gedrungen, [348] der Schwanz sehr kurz; die Beine sind hoch und schlank, die Hufe schmal und kurz, die im Haar versteckten Afterhufe klein. Die mächtigen dreiseitigen breiten Hörner kehren die schmale Grundlinie des Dreiecks ihres Querschnittes nach vorn und oben, die Spitze nach unten, stehen an der Wurzel dicht beisammen, biegen sich zuerst nach hinten und außen, sodann nach unten und seitwärts, mit der Spitze aber wieder nach hinten und oben, beschreiben also, von der Seite gesehen, beinahe einen vollen Kreis, wenden sich, von vorn betrachtet, das rechte links, das linke rechts am Raume und sind von der Wurzel an mit deutlich hervortretenden, rings um das ganze Horn laufenden, wellenförmigen oder wie ineinander verflochtenen Wülsten bedeckt, zwischen denen man in Abständen von durchschnittlich 16 Centim. die Jah reswachsthumringe als tiefere Furchen bemerkt. Dichtstehende, wellige und brüchige Grannen, welche sich nur am Vorderhalse und am Widerriste etwas verlängern, nebst feinen, kurzen Wollhaaren bilden das, eine mit kurzen, straffen Haaren bekleidete Stelle in der Achselgegend hinter dem Oberarme ausgenommen, überall sehr gleichmäßige Haarkleid, dessen vorherrschende Färbung, ein mattes Fahlgrau, im Gesicht, auf den Schenkeln, in der oberen Hälfte der Läufe, an den Rändern des Spiegels und am Hinterbauche in ein merklich dunkleres Bräunlichgrau, im Vordertheile der Schnauze, auf dem breiten Spiegel, in der unteren Hälfte der Beine aber in Graulichweiß übergeht. Die einzelnen Haare sind an der Wurzel weißlich, nehmen nach und nach fahlbraune Färbung an und enden meist mit helleren Spitzen. Einschließlich des 11 Centim. langen Schwanzes beträgt die Gesammtlänge 1,93 Meter, die Höhe am Widerriste 1,12 Meter, die Höhe vom Boden bis zum Kopfe 1,46 Meter; die Hörner messen an der vorderen Querseite 7 Centim., an der Breitseite 14 Centim., längs der Krümmung aber von der Wurzel bis zur Spitze 1,22 Meter und stehen mit den Spitzen 93 Centim. auseinander. Das merklich schwächere Schaf ähnelt bis auf die kleineren, namentlich kürzeren Hörner dem Bocke.

Das Verbreitungsgebiet des Argali erstreckt sich von den Bergen des Bezirkes von Akmolinsk an bis zum Südostrande der mongolischen Hochebene und vom Altai an bis zum Alatau, möglicherweise noch weiter südlich. Innerhalb der so umschriebenen Grenzen gehört er jedoch keineswegs allen Gebirgszügen an, ist hier und da wohl auch neuerdings ausgerottet worden: so, laut Radde, in den dreißiger Jahren in Daurien. Im Süden vertritt ihn der Katschkar, im Osten das Dickhornschaf oder ein demselben sehr nahe stehender Verwandter, im äußersten Nordosten das Schneeschaf. Alle übrigen Wildschafe seiner Größe, welche neuerdings von Sewerzoff, Brooke und Peters aufgestellt worden sind, beruhen auf einzelnen Stücken und unterscheiden sich nur durch etwas abweichende Bildung des Gehörns und kaum erheblich veränderte Färbung des Felles; sie halte ich daher günstigsten Falles für Abarten oder Stämme der vier genannten Wildschafe, nicht aber für besondere Arten.

Der Argali meidet feuchte, waldbedeckte Gebirge, und ebenso bedeutendere Höhen. Bergzüge von sechshundert bis tausend Meter über dem Meere, welche reich an nacktem Gefelse, deren Abhänge spärlich bewaldet und deren Thäler breitsohlig sind, bilden seine bevorzugten Wohnplätze. Hier lebt er im Winter wie im Sommer auf annähernd demselben Gebiete, da er höchstens von einem Bergzuge zum anderen wechselt. In Gegenden, wo er keine Verfolgungen zu erleiden hat, dient nicht selten ein einzelner Bergstock einer und derselben Herde viele Jahre nach einander zum Aufenthalte. Bis gegen die Paarungszeit gehen Böcke und Schafe getrennt ihres Weges dahin, erstere in Trupps von drei bis fünf Stücken, letztere meist einzeln; kurz vor der Paarzeit vereinigen sie sich zu kleinen Herden von durchschnittlich zehn, höchstens funfzehn Stücken.

Ihr Tageslauf ist in bemerkenswerther Weise geregelt. Sie sind Tagthiere. Am frühen Morgen verlassen sie die gesichertsten Stellen ihres Wohngebietes, schwer zu ersteigende und freie Umschau gewährende Felsplatten nahe der Gipfel der Berge, steigen gemächlich an den Gehängen herab und weiden hier, am Fuße der Berge und in den Einsattelungen zwischen ihnen, auch in den breiteren Thälern oder auf den Ebenen um die Berge. Während dem erklimmt bald ein, bald das andere Thier den nächsten Felsen, um zu sichern, verweilt, je nach Bedürfnis oder Laune, mehrere [349] Minuten bis zu einer halben Stunde auf solcher Warte und gesellt sich hierauf wiederum zu den übrigen. Gegen Mittag erklettert die Herde eine steil abfallende Hochfläche, thut sich nieder und pflegt, träumerisch wiederkäuend, längerer oder kürzerer Ruhe. Ist die Gegend unsicher, so übernimmt auch jetzt noch ein oder das andere Stück die Wache; wurde die Herde seit langer Zeit nicht gestört, so ruhen alle ohne Besorgnis. Gegen Abend treten sie nochmals auf Aesung, trinken, nachdem sie vorher etwas Salz geleckt haben, und steigen endlich langsam wieder bergaufwärts, um noch vor dem Verglühen des Abendrothes ihre Schlafplätze zu erreichen.

Während des Sommers äst sich der Argali von allen Pflanzen, welche auch dem Hausschafe behagen, während des Winters begnügt er sich mit Moos, Flechten und vertrocknetem Grase. Dann steigt er auf die Felsspitzen und Grate, wo der Wind den Schnee weggefegt und die Flechten bloßgelegt hat. Wählerischer als in der Aesung zeigt er sich beim Trinken, da er stets zu bestimmten Quellen kommt und diese anderen entschieden bevorzugt. Salzige Stellen werden des allbeliebten Leckerbissens wegen oft besucht. Bei Unwohlsein reinigt er sich mit Küchenschellen und anderen scharfen Anemonen. Solange der Schnee nicht allzudicht liegt, bekümmert der Winter trotz seiner Armut ihn wenig; denn sein dichtes Vlies schützt ihn gegen die Unbilden des Wetters. Es wird gesagt, daß er sich bei dichtem Schneefalle einschneien lasse und unter seiner Schneedecke so stätig verweile, daß es dem Jäger möglich werde, ihn im Liegen mit der Lanze zu erlegen: wahrscheinlich gilt dies höchstens für solche Winter, welche ihn bereits aufs äußerste heruntergebracht haben.

Die Zeit der Brunst wird verschieden angegeben. Nach den Mittheilungen, welche Przewalski durch die Mongolen wurden, tritt der Argalibock im Südosten der hohen Gobi bereits im August auf die Brunst, nach den Angaben, welche ich von den Kirgisen erhielt, im südwestlichen Sibirien nicht vor Mitte Oktober. Schon vorher nehmen die alten Böcke bestimmte Stände ein und lassen hier jüngere oder schwächere überhaupt nicht zu. Mit gleichstarken kämpfen sie um den Stand und um die Schafe. Ihre Streitigkeiten werden nach Art der Widderkämpfe ausgefochten. Beide Recken gehen stolz auf einander los, erheben sich auf die Hinterfüße und prallen mit den mächtigen Gehörnen unter weit vernehmbarem Getöse zusammen. Zuweilen, jedoch sehr selten, geschieht es, daß einer den anderen in den Abgrund stößt; ebenso kommt es vor, daß beide sich verfangen, die Gehörne nicht mehr lösen können und Raubthieren oder Menschen zur Beute werden oder, verhungernd, elendiglich zu Grunde gehen. Nach beendeter Brunst enden die Kämpfe, und der stärkste Widder führt, unangefochten von anderen, die jetzt vereinigte Herde.

Sieben Monate nach der Paarung bringt das Argalischaf ein oder zwei Lämmer zur Welt, eine jüngere Mutter regelmäßig wahrscheinlich nur eins, eine ältere dagegen deren zwei. Die Lämmer sind merklich größer als die des Hausschafes: ihre Länge beträgt 65, die Schulterhöhe 54 Centimeter. Die vorherrschende, gleichmäßig graufahle Färbung geht auf dem Vorderkopfe und Schnauzenrücken in Dunkelgrau, auf dem Spiegel in Graulichisabell, auf der Unterseite, zumal in der Achsel- und Weichengegend, in Blaßgelb über; ein kurzer Streifen auf dem Kreuze sieht ebenfalls dunkelgrau aus. Die Lämmer folgen den Müttern wenige Stunden nach ihrer Geburt auf allen Wegen, auch den schwierigsten Pfaden, nach und eignen sich bald deren Lauf- und Kletterfertigkeit an. Droht ihnen in den ersten Tagen ihres Lebens eine Gefahr, welcher sie noch nicht zu entrinnen vermögen, so ducken sie sich, wahrscheinlich auf ein Zeichen ihrer Alten, in dem Gefelse zwischen Steinen nieder, legen Hals und Kopf platt auf den Boden, werden gewissermaßen zu einem lebendigen Steine und entziehen sich dadurch dem Auge vieler Feinde, zumal diese durch die vor ihnen weiterflüchtende Alte gefesselt und abgelenkt werden. In dieser Lage verbleiben sie bis das Mutterschaf zurückkehrt, liegen bis dahin sehr fest, wie ein Hase im Lager, und entfliehen, gleich letzterem, erst, wenn ein laufender Feind in unmittelbare Nähe gelangt ist. Wird ihre Mutter unversehens getödtet, so verstecken sie sich ebenfalls und in gleicher Weise. Sie sind allerliebst, anmuthig, behend und gewandt in jeder Bewegung, saugen nach Art aller Zicklein, unter derben Stößen gegen das Euter, umspringen spiellustig die Alte und blöken, wenn sie hungrig [350] werden, fast wie Hauslämmer, jedoch merklich gröber. Bis zur nächsten Brunstzeit bleiben sie in Gesellschaft ihrer Mütter, besaugen diese aber so lange, als die Alte es duldet.

Die Bewegungen des Argali entsprechen seinem kräftigen, gedrungenen und dennoch nicht unzierlichen Baue. Sein gewöhnlicher Lauf, ein rascher Trab, wird auch, wenn ihm ein Berittener folgt, nicht wesentlich beschleunigt, weil er so schnell fördert, daß kein belastetes Pferd nachkommen kann; die schnellste Gangart, welche ich sah, ist ein ungemein leichter Galopp, bei welchem Vorder- und Hintertheil des Thieres abwechselnd hoch aufgeworfen werden. Während der Flucht ziehen gesellte Argalischafe fast unwandelbar in einer Reihe hinter einander, ganz ebenso, wie Stein- und Gemswild zu thun pflegen. Auf dem Gefelse bewegen sie sich mit ebenso viel Kraft und Geschick als Behendigkeit und Sicherheit, erklimmen, anscheinend ohne alle Anstrengung, steil abfallende Felsenwände, überspringen ohne Besinnen weite Klüfte oder setzen ohne Bedenken in bedeutende Tiefen hinab. »Die Erzählungen, daß sich der Bock bei Gefahr in tiefe Abgründe stürzt und dann immer auf die Hörner fällt«, sagt Przewalski, »sind reine Erfindungen. Ich habe durch eigene Anschauung mich selbst davon überzeugt, daß ein Argali aus einer Höhe von sechs bis zehn Meter herabsprang, aber immer auf die Füße fiel, ja, daß er sich sogar bemühete, am Felsen herabzugleiten, um den Fall abzuschwächen«. In den Arkâtbergen südlich von Semipalatinsk, wo ich in Gemeinschaft meiner Reisegefährten auf Argalischafe jagte und eines erlegte, habe ich ähnliches beobachtet, nämlich gesehen, wie ein Mutterschaf mit seinem Lamme über eine fast senkrecht abfallende Bergwand herabkam, ohne eigentlich den Halt unter den Hufen zu verlieren. Selten handeln Argalis ohne Besinnung; ebenso selten beschleunigen sie ihren Lauf zu unüberlegter Eile; ebenso wenig aber mindern sie die ihnen eigene Schnelligkeit in Lagen, welche bei weniger geübten Bergsteigern Bedenken erregen würden, gleichviel, ob sie auf- oder abwärtsklettern. Getrieben, bleiben sie oft stehen, erklettern während der Flucht auch regelmäßig alle im oder am Wege liegende Höhen oder Berggipfel, um von ihnen aus zu sichern, und setzen erst, wenn die Treiber ihnen wiederum näher gekommen, ihren Lauf fort; nur beim Ueberschreiten weiterer Thäler ziehen sie ohne Unterbrechung dahin.

Ihre Sinne scheinen vortrefflich und einheitlich entwickelt zu sein. Sie sehen, hören und wittern ausgezeichnet, sind lecker, wenn sie es sein können, und werden wohl auch hinsichtlich des Gefühls nicht verkürzt sein. In ihrem Wesen spricht sich Bedachtsamkeit und Selbstbewußtsein aus; auch Urtheils- und Erkennungsvermögen darf man ihnen zugestehen. Da, wo wiederholte Verfolgung sie gewitzigt hat, zeigen sie sich stets vorsichtig, wenn auch nicht gerade scheu, unter entgegengesetzten Umständen überraschend vertrauensselig. Die Kirgisen, mit denen wir jagten, mahnten zur Befolgung aller Jagdregeln, welche man vorsichtigem Wilde gegenüber anzuwenden hat; Przewalski dagegen fand den Argali im Sumachadagebirge so wenig scheu, daß der Jäger bis auf fünfhundert Schritte auf eine Herde zuschreiten konnte, ohne ein Mitglied derselben zu beunruhigen. Die Thiere waren hier, wo Chinesen und Mongolen, aus Mangel an Gewehren, ihnen kaum nachstellen, so an den Menschen und sein Treiben gewöhnt, daß sie häufig neben dem Vieh der Mongolen weideten und mit ihm zur Tränke kamen, trotzdem die Jurten meist in der Nähe einer solchen errichtet waren. »Als wir«, so erzählt der treffliche Forscher, »zum ersten Male in der Entfernung eines halben Kilometers von unserem Zelte eine am grünen Abhange des Berges ruhig weidende Herde dieser stolzen Thiere erblickten, wollten wir unseren Augen nicht trauen.« Im Gefühle ihrer Sicherheit dachten die Argalischafe hier nicht einmal daran, Wachen auszustellen, und weideten ohne solche auch in Senkungen, bis zu denen ein geschickter Jäger mühelos sich anschleichen konnte. Derartige Unvorsichtigkeit lassen sie sich in der Kirgisensteppe gewiß nicht zu Schulden kommen. Bemerkenswerth und für das Wesen der Argali- und anderer Wildschafe bezeichnend, ist alberne, unter Umständen höchst gefährliche Neugier. Schon der alte Steller erzählt, daß die Jäger Kamtschatkas das auf den dortigen Gebirgen lebende Dickhornschaf, beziehentlich dessen Verwandten, durch eine aus ihren Kleidern gefertigte Puppe beschäftigen und währenddem auf [351] Umwegen bis in Schußnähe anschleichen; Przewalski erfuhr vom Argali dasselbe und erprobte die Wahrheit der mongolischen Aussage, indem er sein Hemd auf den in den Boden gepflanzten Ladestock hing und hierdurch die Aufmerksamkeit einer auf der Flucht begriffenen Wildschafherde für eine Viertelstunde fesselte.

Ungeachtet solcher Listen erfordert die Jagd auf Argalischafe einen geübten Jäger und noch mehr einen sicheren Schützen. Die Oertlichkeit legt dem Waidmann in der Regel besondere Schwierigkeiten nicht in den Weg. In den Arkâtbergen trieben die uns behilflichen Kirgisen reitend und vermochten den Argalischafen zu Pferde fast überallhin zu folgen. Auch in anderen von diesem Wilde bewohnten Gebirgen ist ein Fußgänger wohl selten um den Weg verlegen. Die Jagdschwierigkeiten beruhen darin, daß der Argali nicht überall getrieben und noch weniger allerorten beschlichen werden kann, unter allen Umständen aber einen unbedingt tödtlichen Schuß erhalten muß. Dem Argalischafe, welches ich erlegte, hatte ich vorher eine Kugel schief von hinten her durch die Brust gejagt; gleichwohl lief es noch über tausend Schritte, kletterte, als wäre ihm nichts geschehen, an einem steil abfallenden Berge empor und würde verloren gegangen sein, hätte ich ihm nicht den Weg abgeschnitten und eine zweite Kugel durch die Brust geschossen. Przewalski erfuhr dasselbe und bemerkt, daß es sehr schwer sei, ein Argalischaf im Feuer zu fällen, weil es den schwersten Verwundungen erst spät erliege, mit zerrissenen Lungen noch mehrere hundert Schritte weit laufe und dann erst niederstürze. Nach seinen Erfahrungen sind die Morgen- und Abendstunden zur Jagd besonders geeignet. »Ein Schuß«, sagt er, »erfüllt die ganze Herde mit Furcht: sie stürzt dann im vollen Laufe nach der entgegengesetzten Seite, bleibt aber auch jetzt bald wieder stehen, um sich über die Gefahr zu vergewissern und verweilt manchmal so lange auf einer und derselben Stelle, daß es dem Jäger möglich ist, sein Gewehr, selbst einen Vorderlader, wiederum zum Schusse fertig zu machen. Stürzt ein angeschossenes Stück der Herde verendend zu Boden, so halten alle übrigen im Laufe an, betrachten ihren gefallenen Genossen und bieten sich währenddem, anscheinend verwirrt, dem Jäger zu fernerem Schusse.« Das Wildpret wird von den Kirgisen sehr geschätzt, ist auch in der That vortrefflich, obschon etwas streng von Geschmack.

Außer dem Menschen stellen dem erwachsenen Argali Tiger, Wolf und Alpenwolf nach, jedoch in seltenen Fällen mit Erfolg. Eher gelingt es diesen Raubthieren, ein Argalilamm zu erbeuten; der schlimmste Feind des letzteren aber ist der Steinadler. Sein scharfes Auge läßt sich nicht täuschen, wenn ein Argalilamm, wie beschrieben, in Stein sich verwandelt, und das junge, hilflose Säugethier ist rettungslos verloren, wenn seine Mutter nicht rechtzeitig wiederkehrt. Während unserer Jagden in den Arkâtbergen brachten uns die Kirgisen ein von dem gewaltigen Raubvogel zerrissenes Lamm. Wir hatten dessen Mutter vor den Treibern flüchten und bald darauf zurückkehren sehen; die kurze Frist ihrer Abwesenheit war aber doch hinreichend gewesen, in Gestalt des Adlers sein Verderben herbeizuführen.

Unsere Jagdgenossen fingen zwei muntere Argalilämmer ein und brachten sie lebend zu den Jurten. Ohne Umstände nahmen sie das Euter einer zu Ammendiensten gezwungenen Ziege und würden unzweifelhaft gediehen sein, hätten sich die Kirgisen entschließen können, ihnen, wie von unserem Jagdgeber, General von Poltoratski, befohlen, ebenso viele Aufmerksamkeit wie ihren Hausthieren zu widmen. Solche Lämmer in größerer Anzahl zu erlangen und großzuziehen, dürfte nicht allzuschwierig sein. Gelänge es, sie zu zähmen: man würde an ihnen ein Hausthier gewinnen, welches große Bedeutung erlangen könnte. Dieses, dem strengen Winter wie dem glühenden Sommer der Steppe trotzende Thier würde zur Einbürgerung in anderen Gegenden sich eignen wie kaum ein zweites.

Der berühmteste Reisende des Mittelalters, Marco Polo, welcher Ende des dreizehnten Jahrhunderts das Innere Asiens durchwanderte, erzählt, daß er auf der östlich von Bokara, etwa fünftausend Meter über dem Meere gelegenen Hochebene von Pamir viele wild lebende Thiere, [352] insbesondere aber riesige Schafe gesehen habe. Die Hörner derselben hätten eine Länge von drei, vier oder selbst sechs Handbreiten und würden von den Hirten als Gefäße zur Aufbewahrung ihrer Nahrungsmittel benutzt. Viele von besagten Wildschafen fielen den Wölfen zur Beute, und man finde daher große Mengen von Gehörnen und Knochen, aus denen die Hirten Haufen aufzuthürmen pflegten, um den Reisenden die Richtung des Weges anzugeben, wenn Schnee die Ebene decke. Im ersten Drittel unseres Jahrhunderts erwähnt Burnes in seiner Reise nach Bokara desselben Thieres, welches, nach den ihm gewordenen Mittheilungen, bei den Kirgisen den Namen Rasse, bei den Bewohnern der tieferen Gelände den Namen Kuschgar führt, größer als eine Kuh, aber kleiner als ein Pferd, von weißer Färbung ist, unter dem Kinne lang herabhängende Haare zeigt, in den kältesten Höhen lebt, seines hochgeschätzten Fleisches halber von den Kirgisen gern gejagt, mit Pfeilen erlegt wird und nach glücklicher Jagd zwei Pferde erfordert, um die gewaltige Last seines Leibes fortzuschaffen. Leutnant Wood, Begleiter von Burnes und Verfasser einer Reisebeschreibung nach den Oxusquellen, unterscheidet zwischen Rasse und Kuschgar und berichtet über den letzteren ungefähr das nachstehende: »Wir sahen, nachdem wir in einer Höhe von dreizehntausendfünfhundert Fuß und in der Nähe der Oxusquellen angekommen waren, in allen Richtungen zerstreute Schafhörner liegen, die Ueberreste der Ausbeute kirgisischer Jäger. Einzelne dieser Hörner waren von einer überraschenden Größe und gehörten einem Thiere an, welches zwischen Ziege und Schaf mitteninnen zu stehen scheint und die Steppen des Pamir in Herden von vielen hunderten bewohnt. Die Enden der gewaltigen Hörner ragten über den Schnee hervor und zeigten uns die Richtung des Weges an. Da, wo wir größere Mengen von ihnen im Halbkreise aufgethürmt fanden, erkannten unsere Führer die Lager einer kirgisischen Sommeransiedelung«. Der selbe Reisende fügt später hinzu, daß er eines der Schafe im Fleische gesehen habe. »Es war ein stolzes Thier, so hoch wie ein zweijähriges Füllen, mit ehrwürdigem Barte und zwei prachtvollen Hörnern, welche mit dem Kopfe so schwer wogen, daß es eine große Anstrengung erforderte, sie vom Boden aufzuheben. Der ausgeweidete Leib gab eine volle Ladung für einen Pony. Das Wildpret war zähe und schlecht, soll aber im Herbste viel besser sein und dann einen feinen Wildgeschmack haben.« Nach Vergleichung eines Paares von Wood mitgebrachter Hörner des Thieres erkannte Blyth, daß besagtes Schaf weder mit dem Argali noch mit seinen amerikanischen Verwandten übereinstimme, und beschrieb es unter dem Namen des Pamirschafes, es zu Ehren seines ersten Beschreibers Marco Polo benennend. Bis in die neueste Zeit erfuhren wir nichts näheres über das ausgezeichnete Thier, und es blieb erst Sewerzoff und Przewalski vorbehalten, uns nicht allein mit Gestalt und Färbung, sondern auch mit der Lebensweise dieses größten aller bisher beschriebenen Wildschafe bekannt zu machen. Sewerzoff, welcher im Thianschan nicht weniger als vier von ihm als verschieden angesehene Wildschafarten gefunden und beschrieben hat, traf zuerst im Hochlande des oberen Naryn auf die Spuren des bis dahin nur nach dem Gehörn bekannten Wiederkäuers und sammelte nicht bloß eine größere Anzahl von Schädeln mit den Gehörnen, sondern war auch so glücklich, mehrere Katschgare, wie er sie nennt, zu erbeuten. Fast gleichzeitig mit ihm, im Jahre 1874, beschrieb auch Stolicza, und drei Jahre später Przewalski dasselbe Schaf, und somit sind wir gegenwärtig in erwünschter Weise unterrichtet.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Dritter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Zweiter Band: Raubthiere, Kerfjäger, Nager, Zahnarme, Beutel- und Gabelthiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 348-353.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Grabbe, Christian Dietrich

Hannibal

Hannibal

Grabbe zeigt Hannibal nicht als großen Helden, der im sinnhaften Verlauf der Geschichte eine höhere Bestimmung erfüllt, sondern als einfachen Menschen, der Gegenstand der Geschehnisse ist und ihnen schließlich zum Opfer fällt. »Der Dichter ist vorzugsweise verpflichtet, den wahren Geist der Geschichte zu enträtseln. Solange er diesen nicht verletzt, kommt es bei ihm auf eine wörtliche historische Treue nicht an.« C.D.G.

68 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon