Dickhornschafe (Ovis montana)

[358] Mit dem Dickhornschafe (Ovis montana, californiana, cervina und pygargus, Capra montana, Aegoceros montanus) wird ein in Kamtschatka lebendes Wildschaf für gleichartig erachtet, obgleich es sich durch sein im wesentlichen zwar gleichartiges, jedoch merklich schwächeres Gehörn unterscheidet.

Richardson und nach ihm Audubon geben an, daß das Dickhornschaf vom 68. Grade nördlicher Breite an bis ungefähr zum 40. hinab das Felsgebirge bewohnt und östlich von ihm nicht gefunden wird. Dagegen belebt es westlich dieses Gebirges alle Landstrecken, welche man kennen lernte, namentlich auch Kalifornien, immer und überall aber die wildesten und unzugänglichsten Gebirgsstrecken gedachter Gegenden, insbesondere einen Theil des Felsgebirges, welcher von den französischen und kanadischen Jägern Mauvaises Terres genannt worden ist. Audubon gibt eine sehr ausführliche Beschreibung dieses öden Landstriches, dessen Bergzacken er mit Zuckerhüten vergleicht, welche theilweise stehen, theilweise aber umgefallen oder in Brocken zerschlagen sind und eine Wildnis bilden, wie sie nur ein Gebirge aufweisen kann. Schroff steigen die kegelförmigen Berge hunderte von Meter über die Ebene, auf welcher sie fußen, empor und sind dem Menschen nur hier und da zugänglich. Das Wasser hat in ihnen entsetzlich gewüthet, und jeder Regenguß macht eine Besteigung unmöglich. An einzelnen Stellen findet sich dürftiger Baumschlag, unter dessen Schutze dann saftiges Gras emporwächst, an anderen gewahrt man tiefe Höhlen und hier und da Sulzen, in denen vom Regen ausgelaugtes Salz abgelagert wird. Die Dickhornschafe finden gerade in einem so beschaffenen Gebirge alles, was sie für ihr Leben beanspruchen. Sie bilden sich Wege auf den schmalen Gesimsen, welche an den Kegelbergen sich hinziehen und sind so im Stande, auch die steilsten Wände auszunutzen; die Höhlen und Grotten gewähren ihnen erwünschte Lagerplätze, das saftige Gras eine ihnen zusagende Weide und die salzhaltigen Stellen endlich Befriedigung eines Bedürfnisses, welches, wie wir sahen, allen Wiederkäuern überhaupt gemeinsam ist. Daß sie, seitdem sie den Menschen kennen gelernt, die wildesten Theile dieser Wildnis bevorzugen, ist selbstverständlich; demungeachtet kann man sie noch häufig genug wenigstens sehen, wenn man mit dem Dampfboote die Zuflüsse des »Vaters der Ströme« befährt. So sah Prinz Max von Wied die ersten dieser Thiere auf der Spitze eines hohen Uferfelsens stehen, von wo aus sie ruhig das im Strome dahinbrausende Dampfschiff betrachteten, auf welchem dieser ausgezeichnete Naturforscher sich befand.

Die Kunde, welche wir über das Dickhornschaf besitzen, ist dürftig genug, zumal was die Lebensweise anlangt. In letzter Hinsicht ist der erste Bericht Richardsons immer noch maßgebend; weder der Prinz noch Audubon wissen ihm wesentliches hinzuzufügen. Die Leibesbeschreibung dagegen läßt nichts zu wünschen übrig. Erwachsene Böcke haben eine Länge von 1,9 Meter, wovon nur 12 Centim. auf den Schwanz kommen, bei 1,05 Meter Schulterhöhe; das Schaf ist 1,4 bis 1,5 Meter lang und 90 bis 95 Centim. hoch. Jene erreichen ein Gewicht von 175 Kilogramm, da das Gehörn allein bis 25 Kilogramm wiegen kann; dieses wird 130 bis 140 Kilogramm schwer. Die Gestalt ist gedrungen, muskelkräftig, der Kopf dem des Steinbocks ähnlich, groß, auf dem Nasenrücken völlig gerade, das Auge ziemlich groß, das Ohr klein und kurz, der Hals dick, der Rücken wie die Brust breit und stark, der Schwanz schmal, der Schenkel sehr kräftig, der Lauf [358] stark und gedrungen, der Huf kurz, vorn fast senkrecht abgeschnitten, der Af terhuf breit und stumpf. Die Länge des gewaltigen Gehörnes, längs der Krümmung auf der äußeren Seite gemessen, beträgt 68 Centim., die Länge, längs der Krümmung der unteren Kante gemessen, 46 Centim., der Umfang an der Wurzel 35 Centim., der Umfang in seiner Mitte 31 Centim., die Entfernung der Spitzen beider Hörner von einander 56 Centim. Die platt gedrückten, oder richtiger, außen geradseitigen, hinten von der stark vorspringenden Ober- und Außenkante an in einem fast regelmäßigen Bogen gewölbten, daher einen von denen der Argali durchaus verschiedenen Querschnitt zeigenden, mit vielen Querrunzeln bedeckten Hörner stehen an ihrem Grunde dicht beisammen, wenden sich hierauf etwas nach vorn und außen, drehen sich sodann nach hinten, biegen sich in einem fast kreisförmigen Bogen nach unten und vorn und kehren sich mit der verwendeten, sanft abgerundeten Spitze wieder nach außen und oben. Eine Vergleichung dieses Gehörns mit dem des Argali ergibt folgendes. Bei dem Dickhornschafe erscheinen die Hörner nie seitlich zusammengedrückt und flach, sondern bleiben im Querdurchschnitt breit und tragen zu förmlichen Leisten verschmälerte Kanten, während die Hörner des Argali seitlich stark zusammengedrückt sind und ein plattenartiges Ansehen gewinnen.


Dickhornschaf (Ovis montana). 1/16 natürl. Größe.
Dickhornschaf (Ovis montana). 1/16 natürl. Größe.

Die Ausbuchtungen oder sogenannten Jahresringe stehen bei dem Dickhornschafe sehr einzeln und lassen nur undeutliche, oft unterbrochene schwache und schmale Querfurchen erkennen, wogegen die Wülste bei dem Argali sich sehr nahe stehen und viel weiter über das Horn, bis zu etwa vier Fünftel der Gesammtlänge desselben, sich erstrecken. Das Gehörn des Argali ist außerdem gewöhnlich noch stärker als der Hauptschmuck seines Verwandten. Die bedeutend schwächeren, denen der Ziegen ähnlichen, scharf zugespitzten Hörner des weiblichen Dickhornschafes biegen sich in einem einfachen [359] Bogen nach oben, hinten und außen. Das Haar hat keine Aehnlichkeit mit Wolle, ist hart, obwohl sanft anzufühlen, leicht gewellt und höchstens fünf Centimeter lang, seine vorherrschende Färbung ein schmutziges, längs des Rückens dunkelndes Graubraun; der Bauch, die innere und hintere Seite der Beine, die Hinterschenkel und ein Streifen über dem Schwanze nach dem Rücken zu, welcher mit dem Spiegel mancher Hirscharten verglichen werden kann, das Kinn und ein Fleck auf graubraunem Grunde in der Gegend des Kehlkopfes sind weiß; der Kopf ist hellaschgrau, das Ohr außen dem Kopfe gleich, innen dagegen weißlich, die Vorderseite der Läufe dunkler als der Rücken, schwärzlich graubraun nämlich, der Schwanzrücken lichter als der Rückenstreifen. Alte Böcke sehen oft sehr hellgrau, manchmal fast weißlich aus. Im Herbste und Winter mischt sich viel Braun in das Grau ein; der Hinterrücken und die Einfassung der Schenkel aber bleiben immer rein weiß.

Die erste Nachricht über das Dickhornschaf gaben zwei Heidenprediger aus Kalifornien um das Jahr 1697. »Wir fanden«, sagt Pater Picollo, »in diesem Lande zwei Arten von Thieren, welche wir noch nicht kannten und haben sie Schafe genannt, weil sie einigermaßen diesen ähneln. Die eine Art ist so groß wie ein ein- oder zweijähriges Kalb, sein Haupt aber dem eines Hirsches ähnlich und sein sehr langes Gehörn wiederum dem eines Widders. Der Schwanz ist wie das Haar gesprenkelt, aber kürzer als beim Hirsche, die Hufe dagegen sind groß, rund und gespalten wie beim Ochsen. Ich habe von diesem Vieh gegessen; sein Fleisch ist sehr zart und schmackhaft. Die zweite Art von Schafen, von denen einige weiß und andere schwarz sind, unterscheiden sich wenig von den unserigen; sie sind etwas größer, haben auch eine gute Menge mehr Wolle, und diese ist sehr gut, läßt sich leicht spinnen und weben.«

Gegenwärtig wissen wir, daß das Dickhornschaf an geeigneten Stellen noch ziemlich häufig vorkommt. Der Prinz von Wied sah am Yellowstonefluß noch Rudel von funfzig, achtzig und mehr Stück, Audubon in derselben Gegend eine Herde von zweiundzwanzig; Richardson gibt an, daß die Thiere gewöhnlich in Trupps von drei bis dreißig auftreten. Schafe und Lämmer pflegen besondere Herden zu bilden, wogegen die alten Widder sich, mit Ausnahme der Brunstzeit, in besonderen Gesellschaften zusammenhalten oder auch wohl einsiedeln. Im December finden sie sich bei den Schafen ein, und dann kommt es, wie bei anderen gleichstrebenden Böcken, auch zu furchtbaren Kämpfen zwischen ihnen. Sonst aber leben die Thiere friedlich unter einander nach Art unserer Hausschafe, denen sie überhaupt in ihrem Wesen sehr ähneln. Die Schafe lammen im Juni oder Juli, zuerst ein einziges, später regelmäßig zwei Junge, welche von ihren Müttern sehr bald in die unzugänglichsten Höhen geführt werden.

In ihrer Lebensweise unterscheiden sich die Dickhornschafe nicht von ihren Verwandten, nicht einmal wesentlich von den Steinböcken. Wie diese sind sie unübertreffliche Meister im Bergsteigen. Jene Wege rund um ihre Felskegel bilden sie gar nicht selten an Stellen, wo die Wand hunderte von Metern jach abfällt. Vorsprünge von höchstens dreißig Centimeter Breite werden für die schwindelfreien Thiere zur gebahnten Straße, auf welcher sie in voller Flucht dahin rennen, zum größten Erstaunen des Menschen, der es nicht begreifen kann, daß ein Thier dort noch sich zu erhalten vermag. Sobald sie etwas fremdartiges gewahren, flüchten sie zu steilen Höhen empor und stellen sich hier an den vorspringenden Kanten auf, um ihr Gebiet zu überschauen. Ein schnaufender Nasenton gibt bei Gefahr das Zeichen zur Flucht, und auf dieses hin stürmt die Herde in rasender Eile davon. Wenn die Gegend ruhig ist, steigen die Thiere übrigens gern in die Tiefe herab und kommen dann oft auf die Wiesenstellen und Grasplätze in den Schluchten oder an die Ufer der Flüsse, um sich zu äsen. Den Höhlungen des Gebirges, an deren Wänden Salpeter und andere Salze ausblühen, statten sie täglich Besuche ab, um sich zu sulzen, und solche Plätze sind es denn auch, wo sie dem Menschen noch am leichtesten zur Beute werden. Drummont, ein erfahrener Jäger, berichtete Richardson, daß die Dickhornschafe in allen Gegenden, welche von dem Jäger selten beunruhigt werden, wenig scheu sind und dem Waidmann ohne Schwierigkeit die erwünschte Annäherung gestatten, böse Erfahrungen aber auch sie bald und dann überaus scheu [360] machen. Wo sie den Menschen kennen gelernt haben, fürchten sie ihn ebenso sehr wie ihren zweitschlimmsten Feind, den Wolf. Ihre Aufenthaltsorte gewähren ihnen den besten Schutz. Die entsetzlichen Einöden erfordern einen Jäger, welcher die Bedürfnisse anderer Menschen kaum kennt und gefaßt sein muß, tage- und wochenlang allerlei Mühsale und Beschwerde zu ertragen, ganz abgesehen von den Gefahren, welche die Beschaffenheit der MauvaisesTerres mit sich bringt.

Bis jetzt hat es noch nicht gelingen wollen, das Dickhornschaf zu fangen; die Gewohnheit der Mutter, ihre Jungen baldmöglichst nach den wildesten Felsgegenden zu führen, mag dazu das ihrige beitragen. Ein Herr M'Kenzie versprach, wie der Prinz mittheilt, seinen Jägern ein gutes Pferd, wenn sie ihm ein Lamm dieses Schafes verschaffen würden, jedoch vergeblich. Es war selbst den ausgelerntesten Wildschützen Amerikas unmöglich, den verhältnismäßig sehr hohen Lohn zu verdienen.

Das Wildpret wird von den Weißen, wie von den Indianern gegessen, hat aber einen schafartigen Geruch, welcher namentlich bei dem Bocke und zumal während der Brunstzeit sehr merkbar wird. Die dauerhafte und starke, jedoch weiche und schmiegsame Haut wird von den Indianern zu ihren schmucken Lederhemden sehr gesucht.

Ebensowenig wie über den Ursprung anderer Wiederkäuer, welche in den Hausstand übergingen und zu vollständigen Hausthieren wurden, sind wir im Stande etwas bestimmtes über die Stammvaterschaft unseres Hausschafes anzugeben. Die Meinungen der Naturforscher gehen bei dieser Frage weit auseinander. Einige glauben, daß alle Schafrassen von einer einzigen wilden Stammart herrühren, welche vermuthlich schon seit undenklichen Zeiten vollständig ausgestorben oder gänzlich in den Hausstand übergegangen, also nirgends mehr zu finden ist, andere sprechen die Ansicht aus, daß, wie bei den Hunden, mehrere Wildschafarten in Betracht gezogen und die zahllosen Rassen des Hausschafes als Erzeugnis fortgesetzter Kreuzungen jener Rassen und ihrer Nachkommen angesehen werden müssen; diese wollen in dem Mufflon, jene in dem Argali, einzelne auch wohl in dem Arui, mehrere in dem Scha (Ovis Vignei) Kleintibets die Stammart erkennen, andere, denen ich mich anschließen muß, gestehen offen und ehrlich ihre Unkenntnis ein und betonen mit Recht, daß bloße Annahmen die Lösung der Frage nicht fördern können. Selbst die sorgfältigsten Untersuchungen der spärlichen Knochenfunde und die Vergleichung der Darstellungen auf uralten Denkmälern erweisen sich, dem außerordentlich großen Formenspiele der Schafrassen gegenüber, als fast bedeutungslos. Rütimeyer fand in den Schweizer Pfahlbauten die Ueberbleibsel einer kleinen Schafrasse mit dünnen, langen Beinen und ziegenähnlichen Hörnern, welche von allen bekannten, gegenwärtig lebenden Schafrassen abweicht; es ergibt sich hieraus jedoch nichts anderes, als daß Schafe schon in sehr früher Zeit im Hausstande des Menschen eine Rolle gespielt haben müssen. Wir erkennen auch das gerade Gegentheil jener Befunde, indem wir auf den Denkmälern Schafe dargestellt sehen, welche mit heute noch lebenden Rassen wesentlich übereinstimmen, und werden anderseits durch unsere Landwirte belehrt, wie leicht es ist, Schafe durch beharrlich fortgesetzte Kreuzungen zu verändern. Aus den steinernen Geschichtstafeln auf den egyptischen Denkmälern scheint wenigstens eins hervorzugehen, daß das Schaf später als andere Wiederkäuer in den Hausstand des Menschen übergegangen sein muß. »Es ist auffallend«, sagt Dümichen, »und darf ich nicht unterlassen, in diesem Werke darauf aufmerksam zu machen, daß von den Wiederkäuern, Schaf, Ziege und Rind, welche heute die hauptsächlichsten Herden des Nilthales bilden, das erstere auf den alten egyptischen Denkmälern noch gar nicht auftritt. Was in Bezug auf das gegenwärtig über ganz Egypten so allgemein verbreitete Huhn und ebenso in Bezug auf Pferd und Kamel gesagt werden kann, gilt von dem Schafe. An den Wänden der dem fünften und vierten Jahrtausend vor Christi Geburt angehörigen ältesten Grabkapellen, welche sich um die Pyramiden von Giseh und Sakarah gruppiren und gerade an vorzüglichen Darstellungen so unendlich reich sind, begegnet uns auch nicht eine einzige Abbildung eines Schafes. Rinder und [361] Ziegen und ebenso verschiedene, von den alten Egyptern gezähmte und in großen Herden gehaltene Antilopenarten sehen wir daselbst wiederholt einzeln und gruppenweise abgebildet, Schafe jedoch findet man nirgends unter denselben. Daß etwa deshalb, weil der Widder das dem Amon von Theben geheiligte Thier war, die alten Egypter aus ehrfurchtsvoller Scheu das Schaf unter die von ihnen dargestellten Hausthiere nicht mit eingereiht haben sollten, läßt sich nicht annehmen; denn dann würden sie ja aus demselben Grunde es auch später nicht abgebildet haben und ebenso andere Thiere, wie z.B. die gerade auf den ältesten Denkmälern so zahlreich dargestellten, dem Langhornschlage angehörenden Rinder, aus denen der heilige Apis genommen wurde, abzubilden haben unterlassen müssen. Es darf vielmehr aus diesem gänzlichen Fehlen der Abbildungen des Schafes auf den ältesten Denkmälern der Schluß gezogen werden, daß eben dieses Thier zu dem erst später in das Nilthal eingeführten gehörte. Das in Afrika heimische Mähnenschaf, von welchem das Berliner egyptische Museum ein paar mumificirte Köpfe besitzt, kommt einige Male auch in Abbildungen auf den Denkmälern vor, und wie Professor Hartmann geneigt ist anzunehmen, soll ein in einem Grabe von Giseh und ein in einem Grabe des Ti in Sakarah und noch ein drittes in einem Grabe von Beni Hassan angebrachtes Bild besagtes Mähnenschaf darstellen. Könnte wohl das egyptische Hausschaf von diesem Thiere abstammen? Der Thierkundige wird diese Frage zu beantworten wissen; ich beschränke mich darauf, der mumificirten Köpfe und der Abbildungen dieses Thieres, sowie des gänzlichen Fehlens der Schafe in der ältesten Zeit des egyptischen Reiches hier Erwähnung zu thun. Unter den herdenweise dargestellten Hausthieren der alten Egypter begegnet uns nun zwar auf den späteren Denkmälern des neuen Reiches das Schaf auch noch nicht; wohl aber kommen vereinzelte Darstellungen desselben nun vor, wie z.B. das schöne von Prisse mitgetheilte Bild eines Widderkampfes in einem Grabe von Gurna, auf welches mit Recht kürzlich wieder der hochverdiente Chabas in seinem bei Besprechung des Kamels erwähnten Werke aufmerksam gemacht hat. Auch aus Stein gehauene Widder, wie solche reihenweise, namentlich als einfassender Schmuck zu beiden Seiten der großen Processionsstraßen, aufgestellt wurden, begegnen uns bei den Tempeln des neuen Reiches häufig, und ebenso wird in den Inschriften jener Zeit nicht selten das hieroglyphisch ›Serau‹ und häufiger noch mit abgefallenem er ›Sau‹ genannte Hausschaf erwähnt, welches von Fitzinger seiner Zeit unter der Bezeichnung Assuanschaf (Ovis aries syenitica) oder Hängeohrschaf (Ovis aries catotis) als eigene Art aufgeführt wurde.« Besagte Rasse kennzeichnet sich laut Hartmann, durch eine Rammsnase, lange, ziemlich breite Schlappohren, nicht selten starke, nach außen, unten und wieder nach oben gebogene, also einmal gewundene Hörner, sowie ein mit langer, dichter Wolle bewachsenes Fell; der Schwanz ist in der Mitte sechs bis acht Centimeter dick und endigt mit einer dünneren Klunker. Von dieser Rasse gibt es wieder mehrere Spielarten und an den Schafbildern, welche die Alten auf Denkmälern gegeben haben, sind die bezeichnenden Rassenmerkmale unseres heutigen Breitschwanzschafes (Ovis aries platyura) wohl zu erkennen: die Rammsnase wie die mehr oder weniger langen, breiten und schlaffen Ohren, der bald fettere, bald dünnere Schwanz. Nun ist aber bemerkenswerth, daß die Alten den Hörnern ihrer Widder eine nach hinten und außen, dann nach unten und wieder nach hinten und außen verlaufende Drehung verleihen, an dem durch Lepsius von Djebel Barkal nach Berlin gebrachten Granitwidder sind die oben genannten Merkmale der Spielart gut ausgeprägt, ebenso wie es scheint, an dem von Trémaux unter den Ruinen von Sobah oberhalb Chartums am Blauen Nile gefundenen Steinwidder, an welchem man aber ein gekräuseltes Wollvlies dargestellt hat, wie solches doch den um Napata und Sobah gezüchteteten behaarten Hausschafen fehlt. Ob dies nun aus Laune des Bildhauers geschehen oder deshalb, weil sich derselbe einen Widder aus Oberegypten oder Nubien zum Vorbilde gewählt, bleibt zweifelhaft. Auch Dümichen fand auf seiner ersten, der Erforschung der Denkmäler gewidmeten Reise, welche er bis oberhalb Chartums ausdehnte, während eines mehrwöchentlichen Aufenthaltes auf den Ruinenstätten des alten Sobah im Jahre 1863 einen zweiten Widder, welcher dem [362] von Trémaux mitgebrachten gleicht und gegenwärtig dem Hofe des Regierungsgebäudes von Chartum zur Zierde gereicht.

Aus den Mittheilungen der genannten Forscher geht also hervor, daß man wenigstens in den späteren Zeiträumen des egyptischen Reiches Hausschafe züchtete, welche den noch heute im Nilthale lebenden sehr ähnlich waren; die Frage über deren Abstammung wird jedoch hierdurch ihrer Lösung keineswegs näher geführt, weil die in Rede stehenden Rassen ebensowenig als andere irgend einer wilden Stammart gleichen. Gerade in der Unähnlichkeit mit den wilden stimmen die zahmen unter sich überein. Die Unterschiede zwischen den Rassen bestehen hauptsächlich in der Windung des Gehörnes, in der Länge und Bildung des Schwanzes und in der Behaarung. »Alle bis jetzt bekannten Wildschafe«, sagt Fitzinger, »zeichnen sich durch beträchtliche Kürze ihres Schwanzes aus, während man unter den zahmen Schafen eine verhältnismäßig nur sehr geringe Menge von Rassen trifft, welche dieses Merkmal mit ihnen theilen. Daß eine solche Veränderung durch außerordentliche Einflüsse bewirkt werden könnte, ist gänzlich unerklärbar, da man durchaus nicht zu begreifen vermag, wie durch derlei Einwirkungen sogar eine Vermehrung der Wirbel stattfinden könne. Man muß sich hier von den alten Gewohnheiten und von einem übererbten Vorurtheil lossagen und kommt sicherlich bald zu der Ansicht, daß, wie bei den meisten übrigen Hausthieren, auch beim zahmen Schafe eine größere Anzahl von Stammarten angenommen werden müsse.« Um seiner Meinung Gewicht zu verleihen, führt Fitzinger zehn verschiedene Hauptstämme von Schafrassen auf, welche seiner Ansicht nach als Arten zu bezeichnen sind: außer dem Mufflon noch das Fettsteiß-, Stummelschwanz-, Kurzschwanz-, Zackel-, Land-, Fettschwanz-, Langschwanz-, Hängeohr-, Langbein- und Mähnenschaf. Stichhaltige Gründe vermag er nicht beizubringen, und wir kommen deshalb unter seiner Führerschaft nicht um einen Schritt weiter.

Neuerdings hat sich auch Darwin mit der Rassenfrage beschäftigt und dieselbe von einem anderen Gesichtspunkte beleuchtet. Ich will das wichtigste seiner Bemerkungen im Auszuge hier folgen lassen, umsomehr, als die große Menge zwar von Darwins Werken spricht, dieselben auch wohl abfällig beurtheilt, aber nicht liest. Nach den sorgfältigsten Erhebungen dieses ausgezeichneten Forschers hat fast jedes Land seine eigenthümliche Rasse, und viele Länder haben viele bedeutend von einander abweichende Rassen. Als eine der am schärfsten ausgeprägten Formen gilt die morgenländische mit langem, nach Pallas zwanzig Wirbel enthaltendem Schwanze, welcher so mit Fett durchsetzt ist, daß er, weil man ihn für einen Leckerbissen hält, zuweilen auf ein kleines Wägelchen gelegt wird, welches das lebende Thier mit sich herumfährt. Obwohl Fitzinger diese Rasse für eine bestimmte Stammform hält, so scheint sie doch in ihren Hängeohren das Zeichen einer langen Knechtschaft an sich zu tragen. Dasselbe gilt für diejenigen Schafe, welche zwei große Fettmassen am Rumpfe haben, während der Schwanz verkümmert ist. Die in Angola heimische Spielart der langschwänzigen Rasse zeigt merkwürdige Fettmassen hinten auf dem Kopfe und unter den Kiefern. Nach Hodgsons Meinung ist eine solche Zunahme des Schwanzes nichts weiter als ein Beweis der Entartung des ursprünglichen Alpenthieres. Die Hörner bieten endlose Verschiedenheiten dar, fehlen bei dem Weibchen nicht selten und vervielfältigen sich anderseits bis auf vier, ja selbst auf acht, in welchem Falle sie von einer, in eigenthümlicher Weise sich erhebenden Leiste am Stirnbeine entspringen. Auffallend erscheint, daß nach Youatts Wahrnehmung Vermehrung der Hörner allgemein, aber nicht ausnahmslos von größerer Länge und Grobheit des Vlieses begleitet ist. Als ein Merkmal der Gattung Schaf gilt das Vorhandensein eines Paares von Milchdrüsen; demungeachtet gibt es, nach Hodgson, auch bei echten Schafen einzelne Rassen, welche vier Zitzen haben. Genau dasselbe gilt für die Klauenschläuche, welche vorhanden sein und fehlen können. Merkmale, welche offenbar erst im Zustande der Zähmung erlangt wurden, drücken sich entweder ausschließlich bei den Männchen aus oder erscheinen doch bei diesen in höherer Entwickelung als bei den Weibchen: so fehlen den Mutterschafen in manchen Rassen die Hörner gänzlich, obwohl sie bei den Weibchen wilder Arten vorzukommen [363] pflegen; bei den Widdern der wallachischen Rasse erheben sie sich fast senkrecht von dem Stirnbeine aus und erlangen dann eine schöne Schraubenkrümmung; bei den Mutterschafen dagegen treten sie fast unter rechten Winkeln vom Kopfe ab und werden dann in eigenthümlicher Weise verdreht. Auch die Rammsnase, welche mehrere ausländische Rassen kennzeichnet, ist, nach Hodgson, nichts anderes als ein Ergebnis des Hausthierstandes. Leichter als andere Hausthiere werden Schafe durch unmittelbare Einwirkung der Lebensbedingungen verändert: so entartet das fettschwänzige Kirgisenschaf nach wenigen in Rußland erzogenen Geschlechtern, und seine Fettmassen verschwinden; so verliert die Karakulrasse, welche ein feines, lockiges Vlies erzeugt, dasselbe, wenn sie aus ihren Weidegebieten bei Bokara nach Persien oder in eine andere Gegend versetzt wird. Auch große Wärme wirkt verändernd auf das Vlies: in Antigua z.B. verschwindet schon nach dem dritten Geschlechte die Wolle, um einem Haarkleide Platz zu machen. Anderseits aber leben viele wolltragende Schafe in den heißen Ländern von Indien, und wenn Lämmer in den niedrigeren und wärmeren Theilen der Cordilleren rechtzeitig geschoren werden, erhalten sie ihr Vlies, während sich, geschieht ersteres nicht, die Wolle in Flocken loslöst und nun für immer ein kurzes, glänzendes Haar wie bei einer Ziege sich bildet. Verschiedene Schafrassen gedeihen Geschlechter hindurch in ihrer Eigenart ausschließlich auf bestimmten Oertlichkeiten und scheinen demnach diesen auf das genaueste angepaßt zu sein: Marschall erzählt, daß eine Herde schwerer Lincolnshire- und leichter Norfolkschafe zusammen auf einer großen Weide gezüchtet wurden, deren einer Theil niedrig, fruchtbar und feucht, deren anderer Theil hochgelegen und trocken und mit dürftigem Pflanzenwuchse bedeckt war; wurden sie ausgetrieben, so trennten sie sich regelmäßig von einander, die schweren Schafe gingen auf den fruchtbaren Theil, die leichteren auf die dürftigere Weide, so daß beide Rassen, obgleich Gras in Fülle vorhanden war, sich so getrennt hielten wie Raben und Tauben. Während einer langen Reihe von Jahren hat man Schafe aus den verschiedensten Theilen der Erde nach dem Londoner Thiergarten gebracht; die aus heißen Klimaten stammenden überstehen hier aber niemals das zweite Jahr, sondern sterben an Schwindsucht. Aehnliches ist auch in anderen Theilen Englands in Erfahrung gebracht worden, indem hier auf einzelnen Gütern Krankheiten gewisse Schafrassen plötzlich wegrafften, welche andere nicht berührten. Nicht einmal die Trächtigkeitsdauer ist beständig, verändert sich vielmehr ebenfalls nach den Rassen und verkürzt sich bei den edelsten derselben, und ebenso erweist sich die Fruchtbarkeit je nach den Rassen verschieden; einige erzeugen bei einer Geburt Zwillinge und selbst Drillinge, wogegen andere bekanntlich nur ein einziges Lamm werfen. Daß zweckmäßig durchgeführte Zuchtwahl bei mehreren Schafrassen erhebliche Veränderungen hervorgerufen hat, bezweifelt derjenige, welcher nur irgend etwas über diesen Gegenstand weiß, nicht im geringsten. Selbst die Neigung zur Veränderlichkeit kann durch sorgfältige Zuchtwahl aufgehoben werden, und es erscheint möglich, daß gewisse, beispielsweise feinwollige Schafrassen überall gehalten werden, wo nur fleißige Menschen und sachverständige Züchter leben. Wie bei anderen Hausthieren läßt sich endlich nachweisen, daß neue Rassen plötzlich entstanden: so wurde 1791 in Massachusetts ein an den Dachshund erinnerndes Widderlamm mit kurzen, krummen Beinen und langem Rücken geboren und zum Stammvater der Otterrasse, welche nicht über die Hürden springen konnte und deshalb werthvoll zu sein schien, schließlich aber ausstarb, weil man sie durch Merinos ersetzte; bis dahin hatten sie ihre Merkmale in größter Reinheit fortgepflanzt, auch, wenn sie mit anderen Rassen gekreuzt wurden, Nachkommen erzeugt, welche mit seltenen Ausnahmen, anstatt Blendlingsformen zu zeigen, entweder der einen oder der anderen Rasse glichen. Ebenso wurde im Jahre 1828 ein Merinowidderlamm geboren, welches sich durch seine lange, glatte, schlichte, seidenartige, mit einem Worte vorzügliche, Wolle auszeichnete. Bis zum Jahre 1833 hatte der Besitzer Graux so viele Widder erzogen, daß er seine ganze Herde nach und nach umändern konnte und wenige Jahre später im Stande war, von seiner neuen Zuchtrasse zu verkaufen. Der erste Widder und seine unmittelbaren Nachkommen waren kleine Thiere mit großem Kopfe, langem Halse, schmaler Brust und langen Seiten; dieser Fehler aber wurde durch [364] sorgfältige Kreuzungen und Zuchtwahl beseitigt. »Läge«, so schließt Darwin, »der Ursprung dieser beiden Rassen ein oder zwei Jahrhunderte zurück, so würden wir keinen Nachweis über deren Geburt haben und viele Naturforscher ohne Zweifel behaupten, daß jede Form von einer unbekannten Stammform abstamme oder mit ihr gekreuzt worden sei.«

Nach vorstehendem erscheint die Ansicht gerechtfertigt zu sein, daß auch die verschiedenen Schafrassen nichts anderes sind als ein Kunsterzeugnis des Menschen, veränderlich in Gestalt und Größe, Gehörnbildung und Vlies, Lebensart, Betragen und allen sonstigen Eigenschaften. Eine Aufzählung der von diesem oder jenem Naturforscher und Züchter mit mehr oder minder Recht unterschiedenen und beschriebenen Rassen erscheint daher fast bedeutungslos, gehört mindestens nicht in den Rahmen unseres Werkes.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Dritter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Zweiter Band: Raubthiere, Kerfjäger, Nager, Zahnarme, Beutel- und Gabelthiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 358-365.
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