Mähnenschaf (Ovis tragelaphus)

[340] An die Spitze der zu schildernden Wildschafe dürfen wir eine Art stellen, welche wegen des Mangels der Thränengruben und des noch wenig entwickelten Gehörns an die Ziegen erinnert: das Mähnenschaf (Ovis tragelaphus, Ammotragus tragelaphus), Vertreter einer gleichnamigen Untersippe (Ammotragus), ein wegen seiner lang herabfallenden Mähne sehr ausgezeichnetes Thier. Der Bau ist gedrungener als bei den meisten übrigen Schafen, der Leib sehr kräftig, der Hals kurz, der Kopf gestreckt, aber zierlich, an der Stirn breit, nach der Muffel zu gleichmäßig verschmächtigt, der Nasenrücken gerade, das Auge groß und wegen der erzfarbenen Iris, aus welcher der quergestellte Stern deutlich hervortritt, ungewöhnlich lebhaft, das Ohr klein, schmal und von beiden Seiten her gleichmäßig zugespitzt, die Muffel sehr klein und schmal, auf die Umrandung der Nasenlöcher beschränkt. Das auf der Stirn aufgesetzte Gehörn biegt sich anfangs ein wenig nach vorn, sodann gleichmäßig nach hinten und außen, mit den Spitzen etwas nach unten und innen, hat dreieckigen Querschnitt, bildet auf der Vorderseite eine breite, sanft gewölbte, in der Mitte kantig vorgezogene Fläche, wogegen die innere und untere Seite eben und scharfkantig erscheinen, und ist von der Wurzel bis zur Spitze auf allen Seiten mit dicht aneinanderstehenden, wenig erhabenen, welligen Wülsten bedeckt, welche nur an der abgeplatteten Spitze fehlen. Der mittellange, breite, zu beiden Seiten behaarte, am Ende gequastete Schwanz reicht mit seinem Haarbüschel bis über die Hackengelenke herab; die Läufe sind kurz und kräftig, die Hufe hoch, die Afterhufe klein und im Haar versteckt. Das Vlies besteht aus starken, harten, rauhen, nicht besonders dicht stehenden Grannen und feinen, gekräuselten, den Leib vollständig bekleidenden Wollhaaren. Jene verlängern sich auf dem Oberhalse, im Nacken und auf dem Widerriste zu einem aufrechtstehenden kurzen, mähnigen Haarkamme und entwickeln sich vorder- und unterseits zu einer reichen und vollen, fast bis auf den Boden herabfallenden Mähne, welche an der Kehle beginnt, einen längs des Halses verlaufenden, am Unterhalse sich theilenden und beiderseits in der Schlüsselbeingegend weiterziehenden Streifen einnimmt, aber auch noch auf die Vorderläufe sich fortsetzt, indem diese unterhalb des Elnbogengelenkes durch einen vorn, außen und hinten angesetzten mähnigen Busch geziert sind, ebenso wie oberseits die ebenfalls verlängerten Haare der Halsseiten, welche hier wie dicke Polster aufliegen, sie verstärken. Endlich bemerkt man noch zu beiden Seiten des Unterleibes kammartig aufgekräuselte Haare, wogegen das Vlies im übrigen sehr gleichmäßig entwickelt ist. Das einzelne Haar hat an der Wurzel hellgraue, hierauf dunkel braunschwarze, gegen die Spitze hin rehbraune Färbung und endet entweder mit einer fahlgelben oder mit einer schwarzen Spitze; nur ein längs des Nackens verlaufender, jedoch nicht die ganze Breite des Kammes einnehmender Mittelstreifen und der obere Theil der Kehlmähne werden durch mehr oder weniger braunschwarze Haare hergestellt. Es bildet somit ein sehr gleichmäßiges Fahlrothbraun die vorherrschende Färbung des Thieres, wogegen der erwähnte Streifen schwarz erscheint; der Mittelbauch ist dunkelbraun, ein verlängerter Haarkranz über den Hufen, welcher diese theilweise bedeckt, dunkel kastanienbraun; der Augenbrauenbogen, das Maul, ein Fleck hinter dem Ohre in der Kieferfuge, die Hinterschenkel, die Vorderläufe hinten, die untere Hälfte der Hinterläufe und die Innenseite des Schwanzes haben isabellgelbe, Achselgegend und Innenseite der Oberarme und Schenkel weißlich isabellgelbe, die langen Mähnenhaare, mit Ausnahme einiger schwarz gespitzten, einen Fleck bildenden, isabellfahlbraune Färbung. Das Weibchen unterscheidet sich hauptsächlich durch die schwächere Mähne vom Männchen; denn sein Gehörn ist ebenfalls groß und kräftig. Vollkommen erwachsene Böcke erreichen, einschließlich des etwa 25 Centim. langen Schwanzes, eine Gesammtlänge von 1,8 bis 1,9 Meter, bei einer Schulterhöhe von 95 Centim. [340] bis 1 Meter, erwachsene Schafe eine Gesammtlänge von 1,55 Meter bei 90 Centim. Schulterhöhe; das Gehörn kann, der Krümmung nach gemessen, bei jenen 65 bis 70 Centim., bei diesen 35 bis 40 Centim. lang werden.

Bereits im Jahre 1561 beschrieb Cajus Britannicus das Mähnenschaf, dessen Fell ihm aus Mauritanien gebracht worden war. Seitdem verging lange Zeit, ehe wieder etwas über das Thier verlautete; erst Pennant und später Geoffroy erwähnen es von neuem. Letzterer fand es in der Nähe von Kairo im Gebirge auf; andere Forscher haben es am oberen Nil und in Abessinien beobachtet.


Mähnenschaf (Ovis tragelaphus). 1/15 natürl. Größe.
Mähnenschaf (Ovis tragelaphus). 1/15 natürl. Größe.

Am häufigsten tritt es im Atlas auf. Ueber seine Lebensweise war nichts bekannt, und auch ich würde, da mir das Thier auf meinen Reisen nie vorgekommen ist, höchstens über das Gefangenleben berichten können, hätte Dr. Buvry nicht nachstehendes mir mitgetheilt.

»Das Mähnenschaf wird im südlichen Algerien von den Einheimischen im allgemeinen Arui genannt, während der Widder Feschtâl, das Schaf Massa und das Junge Charúf heißen. In der Provinz Konstantine bewohnt das Thier die Südabhänge des Aurasgebirges; nach den Angaben der Araber soll es jedoch auch in den dieses Gebirge begrenzenden Steppen und selbst in der Sandwüste des Wadi-Sinf angetroffen werden. Im Westen findet es sich auf dem Djebel-Amúr und in der Provinz Orân auf dem Südabhange des Djebel-Sidi-Schëich. Unzweifelhaft wird es in den höheren Theilen des Gebirges, in dem marokkanischen Atlas noch häufiger sein als in Algerien, da Unzugänglichkeit und Abgeschiedenheit vom menschlichen Verkehr, welche jenen Theil des Gebirges auszeichnen, einem Wiederkäuer nur zusagen können.

Der Arui liebt die höchsten Felsengrate der Gebirge, zu denen man bloß durch ein Wirrsal zerklüfteter Stein- und Geröllmassen gelangen kann, und deshalb ist seine Jagd eine höchst [341] mühselige, ja oft gefährliche. Dazu kommt, daß sie nicht viel Gewinn verspricht; denn das Mähnenschaf lebt einzeln, und nur zur Bockzeit, welche in den November fällt, sammeln sich mehrere Schafe und dann auch die Widder, halten einige Zeit zusammen und gehen hierauf wieder zerstreut ihres Weges. Gelegentlich der Paarung kommt es zwischen den Widdern oft zu überaus hartnäckigen Kämpfen. Die Araber versichern, daß man bei solchen Gelegenheiten in Zweifel sein müsse, was man mehr bewundern solle, die Ausdauer, mit der sich die verliebten Böcke gesenkten Kopfes halbe Stunden und länger einander gegenüber stehen, oder die Furchtbarkeit des gegenseitigen Anpralls, wenn sie gegen einander anrennen, oder endlich die Festigkeit der Hörner, welche Stöße aushalten, die, wie man glauben möchte, einem Elefanten die Hirnschale zerschmettern müßten.

Die Nahrung des Arui ist beziehentlich dieselbe wie bei den übrigen wildlebenden Schafen und Ziegen: saftige Alpenpflanzen im Sommer, dürre Flechten und trockene Gräser im Winter; vielleicht mögen ihm auch einzelne von den niederen gestrüppartigen Gebüschen willkommen sein.

Die Jagd auf das Mähnenschaf hatte ich mir leichter vorgestellt, als sie war. In Begleitung Ali-Ibn-Abels verließ ich die Oase Biskra und ritt in nordöstlicher Richtung nach dem Djebel el Melch, einem Theil des Aurasgebirges, welches hier ziemlich steil in die Ebene abfällt und, wie gewöhnlich, am Fuße mit wüsten Halden und zerspaltenen und zerrissenen Felsstücken bedeckt ist. Wir mußten lange suchen, ehe wir einen Weg durch das Wirrsal fanden und konnten immer noch von Glück sagen, daß überhaupt einer vorhanden war; denn ohne Weg würden wir schwerlich nach oben gekommen sein. Mühselig kletterten wir einige Stunden fort und mochten eine Höhe von sechszehnhundert Meter über dem Meere erstiegen haben: da winkte eine frische plätschernde Quelle zur Ruhe. Wir schlürften entzückt das köstliche Wasser und entdeckten dabei die Fährte eines Arui. Das Mähnenschaf, welches heute hier getrunken, war mir so gut als sicher: ich wußte, daß es wieder hierher zurückkehren würde. Gleichwohl ließ uns die Ungeduld nicht recht zur Ruhe kommen, und noch ehe wir uns gehörig erfrischt hatten, begannen wir weiter nach oben zu steigen, in der Hoffnung, vielleicht schon jetzt etwas von dem Thiere zu sehen. Aber vergebens waren unsere Anstrengungen. Wir kletterten den ganzen Tag umher, ohne auch nur ein Anzeichen des Wildschafes zu finden. Die Nacht brach schnell herein und nöthigte uns ein Unterkommen zu suchen. Ein Felsenabhang in der Nähe jener Quelle mußte uns Herberge geben. Der Morgen graute noch nicht, als wir schon auf dem Anstande lagen. In erwartungsvoller Stille mochten wir etwa anderthalb Stunden gelegen haben: da schritt langsamen Ganges ein gewaltiger Feschtâl zu uns heran. Jede Bewegung war edel und stolz, jeder Schritt sicher, fest und ruhig. Vorsichtig suchte er den sanftesten Strand; jetzt bückte er den Kopf zum Trinken: da blitzte das Feuer aus unseren beiden Gewehren. Mit einem Schrei sank der Widder zusammen; aber plötzlich raffte er sich wieder auf und dahin ging es in rasender Eile, mit Sätzen, wie ich sie vorher noch nie geschaut. Gemsengleich, sicher und kühn, jagte er dahin, und wir standen verblüfft und schauten ihm nach. Doch getroffen war er, und weit konnte er unseres Erachtens nicht gekommen sein: also auf zur Verfolgung! Aber Stunde um Stunde verlief und immer noch eilten wir hinter dem Thiere drein, dessen Fährte jetzt durch die Blutspuren dem scharfen Auge meines arabischen Begleiters nur zu deutlich war. Vier bis fünf Stunden mochte unsere Verfolgung gedauert haben, da führte die Fährte nach einem Felsengrate hin, welcher schroff und steil sechzig Meter tief nach einem Kessel abfiel. Hier verlor sich jedes Zeichen. Es schien uns unmöglich, daß der Widder da hinab einen Sprung gewagt hätte. Wir standen lange Zeit rath- und thatlos da, bis endlich der Araber doch einen, wie er sagte, wohl vergeblichen Versuch machen wollte, da hinab zu kommen. Er kletterte zur Tiefe nieder und hatte den Boden des Kessels kaum erreicht, als mich ein lauter Freudenschrei benachrichtigte, daß seine Bemühungen vom besten Erfolge gekrönt sein müßten; unten lag der Widder verendet.

Nach den Ringen der Hörner zu urtheilen, mochte das Thier acht bis zehn Jahre alt sein aber mein Araber und die übrigen, welche ich später befragte, meinten einstimmig, daß dieser Bock [342] noch keineswegs zu den großen gezählt werden könne, und versicherten, weit schwerere gesehen zu haben. Für uns war nicht daran zu denken, unsere Jagdbeute aus dem Kessel heraus zu schaffen; es blieb mir deshalb nichts anderes übrig, als den Widder gleich hier abzuhäuten.

Die Araber sind große Liebhaber des Fleisches dieser Wildschafe, und auch ich muß gestehen, daß der Schlegel, welchen der Schêch Ali trotz seines Seufzens zur Tiefe schleppen mußte, mir vortrefflich geschmeckt hat. Das Wildpret steht dem des Hirsches sehr nahe, ist aber nach meiner Ansicht weit feiner. Aus den Fellen bereiten die Araber Fußdecken; die Haut wird hier und da gegerbt und zu Saffian verwandt.

Obwohl der Arui zu den selteneren Thieren gezählt werden muß, wird derselbe doch manchmal jung von den Gebirgsbewohnern in Schlingen gefangen und dann gewöhnlich gegen eine geringe Summe an die Befehlshaber der zunächstliegenden Kriegsposten abgegeben. In den Gärten des Gesellschaftshauses zu Biskra sah ich einen jungen Arui, welcher an einer fünf Meter hohen Mauer, der Umhegung seines Aufenthaltsortes, mit wenigen, fast senkrechten Sätzen emporsprang, als ob er auf ebener Erde dahinliefe, und sich dann auf der kaum handbreiten Firste so sicher hielt, daß man glauben mußte, er sei vollkommen vertraut da oben. Oft machte er sich das Vergnügen, außerhalb seines Geheges zu weiden, und wenn in einem Garten irgend etwas seine Leckerkeit erregt hatte, fiel es ihm gewiß zum Opfer; denn Hag und Mauer waren nirgends so hoch, daß der Spring- und Kletterkünstler nicht darüber weggekommen wäre. Er entfernte sich oft weit von seinem Wohnorte, kehrte aber immer aus eigenem Antriebe und auf demselben Wege zurück. Gegen die Menschen zeigte er sich nicht im geringsten furchtsam, kam zu jedem hin und nahm ohne Umstände Brod und andere Leckereien, welche man ihm vorhielt, aus der Hand.«

Neuerdings ist das Mähnenschaf öfters lebend nach Europa gekommen, und gegenwärtig in Thiergärten keine Seltenheit. Ueber sein Gefangenleben läßt sich wenig sagen, weil das Thier, abgesehen von seiner Kletterfertigkeit, hervorragende Eigenschaften nicht bekundet. Unserem Hausschafe gegenüber zeigt es allerdings eine gewisse Selbständigkeit und Eigenwilligkeit, ist auch leiblich weit beweglicher als dasselbe, übertrifft selbst ein solches, welches im Gebirge groß geworden, unter Leitung von Ziegen klettern gelernt hat und ganz andere Fähigkeiten offenbart als das leiblich wie geistig verkommene Geschöpf, welches uns Flachländern Fleisch und Wolle liefert; diese leibliche Beweglichkeit darf jedoch nicht zu falschen Schlüssen auf das geistige Wesen verlocken: denn das Mähnenschaf ist ebenso dumm und beschränkt, ebenso halsstarrig oder eigensinnig, ebenso scheu und furchtsam wie das Hausschaf, läßt sich daher schwer behandeln und zähmen und erweist sich keineswegs immer so gutartig, als es nach vorstehender Schilderung Buvrys scheinen möchte. Seinen Wärter lernt es kaum von anderen Menschen unterscheiden, ihn wenigstens nicht als Pfleger und Freund, sondern höchstens als einen ihm willigen Diener erkennen, welcher regelmäßig Futter bringt; in ein wirkliches Freundschaftsverhältnis zu ihm tritt es nie. So lange es jung ist, flieht es den täglich gesehenen Mann wie alle anderen Menschen, im Alter stellt es sich trotzig und störrisch zur Wehre. Ein gewisser Ernst, welchen man fast Murrsinn nennen könnte, zeichnet es aus; das neckische Wesen der Ziegen fehlt ihm vollständig. Es kann wegen einer Kleinigkeit in Zorn, wegen einer Geringfügigkeit in Wuth gerathen und pflegt dann in beiden Fällen zu beweisen, daß es sich seiner Stärke wohl bewußt ist. Wenn er will, nimmt der Bock es mit dem stärksten Maune auf, indem er seinen Gegner einfach über den Haufen rennt. Mit anderen Thieren scheint das Mähnenschaf leichter als mit dem Menschen in ein gewisses Einvernehmen zu treten; von einem wirklichen Freundschaftsverhältnisse kann aber auch in diesem Falle nicht gesprochen werden. Ihm auffallende oder gefährlich scheinende Thiere, Hunde z.B., fürchtet er und rennt bei ihrem Erscheinen mit der allen Schafen eigenen Sinnlosigkeit wie toll gegen die Gitterwände an; mit ihm nahe stehenden Verwandten, Ziegen und Schafen, Steinböcken oder Mufflons, verträgt es sich zwar zuweilen, selten jedoch längere Zeit: denn sobald es, mindestens der Bock, in ihnen einen ihm ebenbürtigen Genossen erkennt, kämpft er ebenso wie mit anderen Böcken seiner Art beharrlich, ernst und ausdauernd, [343] falls die Liebe ins Spiel kommt, thatsächlich auf Leben und Tod, da er unter Umständen nicht eher ruht, als bis einer der Kämpen leblos auf dem Platze bleibt. Die Brunst erhöht auch seine unliebenswürdigen Eigenschaften, namentlich seine Rauf- und Stoßlust in besonderem Grade und macht den Bock sogar zuweilen weiblichen Thieren der eigenen Art gefährlich. Dem entsprechend pflegt man erwachsene Mähnenschafe nach ihrem Geschlechte getrennt, alte Böcke selbstverständlich einzeln, zu halten, sie auch bloß dann zu den weiblichen Thieren zu lassen, wenn die Brunst auf beiden Seiten erkennbar geworden und man im Stande ist, die Paarung zu beaufsichtigen. Nach alledem kann man das Mähnenschaf nicht als einen angenehmen Gefangenen bezeichnen: durch seine Größe, seine Gestalt und die eigenthümliche Haarmähne macht es einen gewissen Eindruck auf den Beobachter, ist aber wenig geeignet, diesen länger zu fesseln.

Einhundertundsechzig Tage nach der Paarung, manchmal auch einen oder zwei Tage früher, oder zwei bis drei Tage später, bringt das Mähnenschaf ein oder zwei Lämmer zur Welt, kleine, niedliche und bereits nach wenigen Stunden höchst bewegliche, auch sehr muntere Thierchen, welche wegen ihrer Kletterlust mehr an Zicklein als an Hauslämmer erinnern. Vierundzwanzig Stunden alt, besteigen sie bereits alle Höhen, welche in ihrem Gehege sich finden, mit ersichtlichem Vergnügen, und wenn sie ihr Leben erst auf zwei oder drei Tage gebracht haben, legen sie eine Behendigkeit und Gewandtheit an den Tag, daß man wohl einsieht, wie schwer es halten mag, sie im Freien zu fangen. Allgemach gehen die ersten kindischen Sprünge in spielendes Necken über: eines der Geschwister jagt hinter dem anderen her, und dieses stellt sich schließlich trotzig zur Wehre, ohne jedoch ernstlich mit dem Kameraden zu kämpfen. Die Mutter folgt allen Bewegungen ihrer Sprößlinge mit etwas weniger Gleichmuth, als wir bei den Schafen zu sehen gewohnt sind, steigt auch wohl dann und wann den übermüthigen Kleinen nach oder lockt sie durch ein blökendes Mahnen zu sich heran, worauf beide fast gleichzeitig das Euter zu verlangen pflegen und, nach Art der Hauslämmer und Zicklein saugend, durch heftige Stöße gegen das Euter möglichst viele Milch zu gewinnen streben. Bei günstiger Witterung wachsen sie rasch heran, beginnen etwa vom achten Tage ab einzelne Hälmchen aufzunehmen, fressen, einen Monat alt geworden, bereits von allem Futter, welches der Alten gereicht wird, saugen jedoch noch immer und entwöhnen sich erst gegen die Brunstzeit hin, oder richtiger, werden von der Alten nicht mehr zugelassen.

Man hat in der Neuzeit auch auf das Mähnenschaf sein Augenmerk geworfen und die Absicht ausgesprochen, es in den Hausstand überzuführen oder doch in unserem Hochlande einzubürgern. Die Möglichkeit des Gelingens nach einer oder der anderen Richtung hin kann nicht in Abrede gestellt werden. Unser Klima legt keine Hindernisse in den Weg, und auch die Züchtung verursacht kaum nennenswerthe Schwierigkeiten; es fragt sich jedoch, ob sich das Mähnenschaf als Hausthier oder Wild wirklich nutzbringend erweisen dürfte. Wie unser Hausschaf ist es wählerisch, beansprucht die beste Nahrung und eine sorgfältige Pflege, weil es ungeachtet seiner kraftvollen Erscheinung leicht und oft ohne erklärliche Ursache zu Grunde geht. So ist man zur Zeit herzlich froh, wenn man in Thiergärten einen gewissen Bestand erhält, dem entsprechend auch durchaus noch nicht im Stande, so viele Mähnenschafe zusammenzubringen, als zum Aussetzen in Gebirge oder zur Bildung einer Herde erforderlich wären. Einzelne Thiergärten züchten allerdings mit Glück, in anderen dagegen ist binnen wenig Wochen der ganze Bestand der Mähnenschafe ausgestorben, ohne daß man die Ursache erklären konnte. Solche Erfahrungen mindern die Hoffnung auf ein Gelingen der Einbürgerung in erheblicher Weise und lassen es ebenso sehr fraglich erscheinen, ob ein Aussetzen in Gebirge zu günstigeren Ergebnissen führen würde.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Dritter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Zweiter Band: Raubthiere, Kerfjäger, Nager, Zahnarme, Beutel- und Gabelthiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 340-344.
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