Moschusochse (Ovibos moschatus)

[374] Der Schaf- oder Moschusochse (Ovibos moschatus, Bos moschatus) vereinigt in wundersamer Weise die Merkmale der Schafe und Rinder in sich, und es erscheint deshalb gerechtfertigt, ihn als Vertreter einer besonderen Sippe zu betrachten. Durch den Mangel einer Kehlwamme und einer nackten Muffel, die Kürze des stummelhaften Schwanzes, die verschiedenartig, d.h. unter sich nicht gleich gebildeten Hufe und das Vorhandensein von nur zwei Zitzen unterscheidet sich das Zwittergeschöpf ebenso bestimmt von anderen Rindern, als es sich den Schafen annähert. Auch die Vergleichung seines Schädels und Gerippes mit denen anderer Rinder und der Schafe führt zu demselben Ergebnis wie die Untersuchung der äußeren Theile; ja einzelne Zergliederer wollen finden, daß seine Verwandtschaft mit den Schafen eine innigere sei als die mit anderen Rindern. Gleichwohl dürfen wir ihn, unbeschadet der wissenschaftlichen Strenge, den letzteren beizählen. Ein wahrscheinlich vollständig ausgewachsener Stier des Berliner Museums gibt mir Gelegenheit, ihn eingehend zu beschreiben. Die Gesammtlänge beträgt einschließlich des nur 7 Centimeter langen Schwanzes 2,44 Meter, die Schulterhöhe 1,1 Meter. Der auf kurzen und kräftigen Beinen ruhende Leib ist massig, vorn und hinten gleich hoch, der Hals kurz und dick, der Schwanz eigentlich nur ein im Pelze versteckter Stummel, der Kopf sehr plump, verhältnismäßig schmal und hoch, die Stirne größtentheils durch die Hörner verdeckt, die Augenbrauengegend wulstig aufgetrieben, das länglich-eiförmige und nicht gerade kleine Ohr im Pelze versteckt, das Auge klein, [374] das Nasenloch groß, eiförmig, schief gestellt und von einem nackten Rande umgeben, welcher nebst einem über die Oberlippe zum anderen Nasenloche laufenden, unbehaarten Streifen die bei den übrigen Rindern so große Muffel darstellt, das Maul groß und plump, durch seine dicken Lippen ausgezeichnet. Das Gehörn bedeckt fast die ganze Stirn, da sich die an der Wurzel stark verbreiterten und abgeflachten Hörner in der Mitte so weit nähern, daß nur eine schmale, tiefe Furche zwischen ihnen übrig bleibt; die Hörner selbst sind bis gegen ihre Mitte der Länge nach gewulstet und diese Erhöhungen als feine Streifen auf der Spitze noch zu erkennen: sie biegen sich zuerst, dicht an den Kopf sich anlegend, ein wenig nach hinten, sodann, ungefähr bis zum unteren Rande des Auges, gerade nach unten, wenden sich hierauf nach vorn und außen und kehren sich endlich mit ihren scharfen Spitzen wieder nach oben.


Schafochse (Ovibos moschatus). 1/15 natürl. Größe.
Schafochse (Ovibos moschatus). 1/15 natürl. Größe.

Die Hufe sind groß, breit und rund, die Afterhufe klein und hoch angesetzt. Die Hörner haben lichthorngraue, die Hufe dunkle Färbung. Ein außerordentlich dicker Pelz bekleidet den Leib, in auffallender Dichtigkeit auch das Gesicht und die Beine. Die verhältnismäßig starken Grannen sind überall lang und mehr oder minder wellig, verlängern sich aber vom Kinne an bis zur Brust zu einer fast den Boden streifenden Mähne, bilden zu beiden Seiten, namentlich an dem Hintertheile einen bis zu den Hufen herabreichenden, 60 bis 70 Centim. langen Behang und decken ebenso in reichlicher Menge den Widerrist, hier einen kissenartigen Sattel darstellend, welcher hinter den Hörnern beginnt und den Hals von beiden Seiten überdeckt, selbst noch die Ohren einhüllt. Nur die vom Kinne an nach hinten zu mehr und mehr sich verlängernde Mähne besteht aus schlichten, das übrige Vlies durchgehends aus welligen, die Umrandung des Rückensattels aus lockigen, büschelartig zusammengefilzten, die Bekleidung des Gesichts, welche nur an den Lippen sich verkürzt und spärlich zeigt, noch immer aus dichten, bis 9 Centim. [375] langen, pelzigen Haaren. Mit Ausnahme des Gesichtes und der mit glatten, nur etwa 5 Centim. langen Haaren bekleideten Beine sproßt überall zwischen den Grannen ein reiches Wollhaar hervor, welches die ganze Decke flockig durchzieht und auf dem Hinterrücken jene überwuchert, so daß hier ein lichterer schabrackenar tiger Flecken zum Vorscheine kommt. Die allgemeine Färbung ist ein dunkles Umberbraun, welches im Gesicht und an den Haaren der Mähne ins Dunkelbraune übergeht und auf dem Sattel sich lichtet; die Lippen, ein den vorderen mähnigen Sattel umgebender Streifen und die von Wollhaaren gebildete Stelle auf dem Hinterrücken sehen graubraun, der Untertheil der Beine und ein die Hörner hinterseits einfassender, unter der mähnigen Decke versteckter Querstreifen graulich-fahlweiß aus. Abgesehen von den Grannen, welche den ersterwähnten Sattel umgeben und an der Spitze sich lichten, hat das einzelne Haar durchgehends gleichmäßige Färbung. Ein von unseren Nordfahrern eingefangenes, wenige Tage altes Kälbchen ähnelt bereits fast vollständig dem Alten, ist in ein dichtes Fell gehüllt und unterscheidet sich hinsichtlich seiner Färbung nur dadurch, daß die Beine weiter herauf graufahl und der Rücken und die Aftergegend lichter als bei dem Alten sind.

Abgesehen von einer Angabe Gomara's, eines spanischen Reisenden und Geschichtsschreibers aus der Mitte des sechszehnten Jahrhunderts, welche von »langhaarigen, im Reiche Quivira lebenden Schafen von der Größe eines Pferdes mit sehr kurzem Schwanze und erstaunlich großen Hörnern« handelt und auf unseren Schafochsen bezogen, ebenso gut aber auch bezweifelt werden kann, erfahren wir zuerst durch Jeremie, einen französischen Reisenden und Pelzjäger, etwas bestimmtes über den Moschusochsen, und zwar in seinem 1720 erschienenen Berichte über die Länder der Hudsonsbai. Zwischen dem Churchill-und Seehundsflusse, also am westlichen Ufer der Hudsonsbai, unter dem 59. Grade nördlicher Breite, traf gedachter Berichterstatter, wie er mittheilt, eine Art von Rindern an, welche er Moschusochsen nannte, weil sie so stark nach besagtem Stoffe rochen, »daß es zu gewissen Zeiten unmöglich war, deren Fleisch zu genießen. Man tödtete diese Thiere bei tiefem Schnee mit Lanzenstichen, da sie nicht im Stande waren zu entfliehen.« Jeremie läßt sich dann aus der Wolle des Thieres Strümpfe anfertigen, welche schöner und weicher sind als solche aus Seide, und kennzeichnet auch in dieser Beziehung das fragliche Thier zur Genüge. Später erhalten wir durch Hearne, Richardson, Parry und Franklin weitere Nachrichten über den Schafochsen, bis endlich unsere deutschen Nordfahrer, und kurz darauf die Polarisleute ihn in Ost- und Westgrönland auffinden und seine Kunde, wenn auch nicht wesentlich bereichern, so doch hier und da vervollständigen oder, was ebenso wichtig, das früher bekannte bestätigen. Versucht man alle Mittheilungen zusammenzufassen, so gewinnt man etwa folgendes Lebensbild des Thieres.

Innerhalb des vorstehend geschilderten weiten Gebietes belebt der Schafochse alle Oertlichkeiten, welche ihm wenigstens zeitweilig Unterkommen und Nahrung gewähren. Er nimmt, zu Herden von wechselnder Stärke geschart, vorzugsweise in Thälern und Niederungen seinen Stand, und seine Anzahl scheint nach Norden hinauf zuzunehmen: so wenigstens glauben unsere Nordfahrer im Osten Grönlands beobachtet zu haben. Sie begegneten Herden, welche aus zwanzig bis dreißig Stück bestanden, ihre Vorgänger noch zahlreicheren. Mocham zählte am nördlichen Ufer des Siddongolfes, westlich vom Kap Smith der Melville-Insel, auf einer Strecke von zwei deutschen Meilen einhundertundfunfzig Stück und auf der in Tafelbergen bis zu 250 Meter aufsteigenden Halbinsel zwischen Murray-Inlet und Hardybai siebzig, welche im Umkreise einer halben deutschen Meile weideten. Im Verhältnisse zu den Kühen gibt es immer nur wenige Stiere bei der Herde, selten mehr als zwei oder drei vollkommen erwachsene, weil dieselben um die Brunstzeit heftige Kämpfe miteinander bestehen und sich gegenseitig vertreiben, wobei wohl auch, wie die oft gefundenen Leichname von Stieren zu beweisen scheinen, einer den anderen ums Leben bringt. Während des Sommers halten sich diese Herden im Norden des festländischen Amerika mit Vorliebe in der Nähe von Flüssen auf, ziehen aber mit einbrechendem Herbste nach den Wäldern zurück; gleichzeitig [376] sammeln sie sich auch zu größeren Scharen, wogegen sie früher mehr vereinzelt weideten. Wenn eine feste Eisdecke es ermöglicht, sieht man sie in langen Zügen von einer Insel zur anderen wandern, um ein zeitweilig an Nahrung reiches Gebiet aufzufinden, welches sie, nachdem sie es ausgenutzt, genau in derselben Weise verlassen. Wie weit sie ihre Wanderungen ausdehnen, weiß man übrigens noch nicht; denn nach den neuesten Erfahrungen der Polarisleute will es scheinen, als ob sie im höchsten Norden Grönlands Sommer und Winter auf einer und derselben Stelle verweilen. Eine schneefreie und mit einer verhältnismäßig üppigen Pflanzenwelt bestandene Ebene in der Nähe von Dankgotthafen unter 810 38' nördlicher Breite war während des Aufenthaltes gedachter Nordfahrer von Moschusochsen zahlreich bevölkert, und die Thiere blieben hier auch während des Winters, obgleich es so kalt war, daß man mit Kugeln aus gefrorenem Quecksilber eine fünf Centimeter dicke Bohle durchlöchern konnte, und sie alle Nahrung unter dem Schnee hervorscharren mußten. Einzig und allein ihre unendliche Genügsamkeit ermöglicht es ihnen, den furchtbaren Winter zu überstehen. Langsam und bedächtig durchwandern sie die Schneewüste, um nach einer ihnen Unterhalt versprechenden Oase zu gelangen, und geduldig und beharrlich gewinnen sie die wenigen verdorrten Grashalme, welche hier und da aus dem Schnee hervorragen. Mit der Schneeschmelze beginnt für sie die an Sorgen ärmste, aber doch nicht aller Leiden bare Zeit. Gegenüber einem solchen Winter, welcher ihnen außer den Halmen und einzelnen Blättern der unter dem Schnee vergrabenen Pflanzen nur noch Flechten bietet, ernähren sie sich jetzt ohne Mühe von den wenigstens zeitweilig mit einiger Ueppigkeit gedeihenden, oben namentlich aufgeführten Kräutern und Bäumchen, haben aber nunmehr wie alle übrigen Thiere viel von den Mücken zu leiden und gleichzeitig die Härung zu überstehen, welche wegen des dicken Wollvließes nicht so leicht vor sich geht, sie zwingt, oft im Schlamme und Moraste sich zu wälzen, um sich von dem lästigen Pelze zu befreien, und sie längere Zeit an eine und dieselbe Stelle zu fesseln scheint, da sie erst, nachdem sie sich vollständig gehärt haben, wieder stetig und ruhig ihres Weges weiter ziehen.

Gegen Ende des August rindern die Thiere, und Ende Mai, also nach neun Monaten, bringen die Kühe ihr Kalb zur Welt: ein kleines, ungemein niedliches Geschöpf, welches von der Alten auf das zärtlichste geliebt und nöthigenfalls mit größtem Muthe vertheidigt wird. Bei einer ihrer Schlittenreisen trafen unsere Nordfahrer in einem breiten Thale mit verhältnismäßig üppiger Pflanzenwelt elf ausgewachsene Schafrinder und drei Kälber, welche dort friedlich weideten. Einige von den Thieren ließen die Fremdlinge anfänglich scheinbar furchtlos und unbekümmert nahe herankommen, nahmen dann aber doch Reißaus; drei andere dagegen, denen zwei Kälber folgten, setzten sich in Vertheidigungsstellung, drängten sich dicht aneinander, senkten die Köpfe und schnaubten ängstlich und wild, ohne jedoch wirklich zum Angriffe zu schreiten. Die Kälber standen hinter den ausgewachsenen Thieren und wurden stets wieder zurückgeschickt, wenn sie neugierig hervorkommen wollten. Ein paar wohlgezielte Schüsse jagten die muthigen Thiere in die Flucht, und nunmehr legten die Alten, Bullen wie Kühe, eine bemerkenswerthe Sorgfalt an den Tag, daß auch bei dem schnellsten Laufen keines von den Kälbern zurückbleibe. Letztere eilten, obgleich sie höchstens vierzehn Tage alt sein konnten, auf ihren wie bei so vielen jugendlichen Vierfüßlern unverhältnismäßig langen und dünnen Beinen mit überraschender Geschwindigkeit davon und kamen ihren Feinden bald aus dem Gesichte. Das Kalb behält bis zur Vollendung seines Wachsthums die helle Färbung und kleidet sich erst dann in die Tracht der Alten.

Ungeachtet der plumpen Gestalt der Schafochsen bewegen sich diese mit bewunderungswürdiger Leichtigkeit, laut Roß, mit der Gewandtheit und Behendigkeit der Antilopen. Ziegen gleich klettern sie auf den Felsen umher, ohne irgend welche Anstrengungen erklimmen sie scharfe Steilungen, und schwindelfrei blicken sie von der Höhe in die Tiefe hinab. »Es war wirklich ein schöner Anblick«, so schildert Copeland, »sie an einem steilen, mit losen Steinen bedeckten Abhange mit wahrhaft überraschender Behendigkeit da hinaufspringen zu sehen, wo ein Mensch die größte Mühe [377] gehabt haben würde, überhaupt nur festen Fuß zu fassen. Wie Thiere, welche in Herden leben, zu thun pflegen, blieben sie beim Steigen immer dicht bei einander; denn wenn sie anders gehandelt, so würde der, welcher am weitesten unten war, einem regelrechten Steinhagel ausgesetzt gewesen sein, welcher durch die vordersten in ihrem Eifer, uns zu entkommen, herabgeschleudert werden mußte.« Wurde Copeland beim ersten Zusammentreffen mit Schafochsen durch ihre große Behendigkeit und Schnelligkeit in Erstaunen gesetzt, so wuchs seine Verwunderung, als er später erfuhr, wie sie an dem Abhange eines Basaltkegels hinaufjagten, welcher so steil war, als Basalttrümmer nur irgend sein können. In höchstens drei oder vier Minuten hatten sie eine Höhe von einhundertundfunfzig Meter erstiegen, welche ihre Verfolger derartig anstrengte, daß diese eine volle halbe Stunde brauchten, um dasselbe zu erreichen. Auch hierin also beweisen sie ihre Verwandtschaft mit den Schafen, haben wenigstens unter den Rindern nur einen einzigen Genossen, den Jak, welcher einigermaßen mit ihnen wetteifern könnte.

Ueber die höheren Fähigkeiten der Thiere lauten die Urtheile verschieden, was sich wohl am besten daraus erklärt, daß wirklich beobachtungsfähige Europäer nur sehr selten mit ihnen zusammenkommen. Das kleine blöde Auge spricht nicht für eine besondere Entwickelung des Gesichtssinnes, das im Pelze fast versteckte Ohr ebensowenig für eine bemerkenswerthe Schärfe des Gehöres; der Geruch dagegen scheint ungeachtet der verkümmerten Muffel fein, mindestens ebenso ausgebildet zu sein wie bei den Schafen; über Geschmack und Gefühl läßt sich nach den bis jetzt vorliegenden Berichten schwer ein Urtheil fällen, doch liegt kein Grund vor, anzunehmen, daß diese beiden Sinne nicht ebenso gut sein sollten wie bei anderen Rindern. Dasselbe dürfte auch wohl für ihren Verstand Gültigkeit haben. Angesichts des Menschen benehmen sich wenigstens diejenigen Schafochsen, welche bis dahin kaum, vielleicht niemals mit dem Erzfeinde der Thiere zusammengekommen, oft ungeschickt und rathlos, bekunden aber bald, daß sie von der Furchtbarkeit des plötzlich in ihren höchstens vom Wolfe oder Eisbären heimgesuchten Gefilden auftretenden Gegners binnen kurzem eine richtige Vorstellung gewinnen, demgemäß ihre frühere Zutraulichkeit aufgeben und in Erkenntnis der sie bedrohenden Gefahr rechtzeitig flüchten. Anfänglich bleiben sie, um mit unseren Nordfahrern zu reden, »wie festgebannt stehen, starren den gänzlich unbekannten Feind an und kommen erst langsam und bedächtig zu einem Entschlusse.« Arglos wie sie sind, nähern sie sich auch wohl dem ihnen noch fremden Wesen und geben durch mancherlei Bewegungen und plumpe Späße ihre Verwunderung zu erkennen: so beliebten am Kap Philipp Broke vier Moschusochsen in herablassender Weise mit Payer zu scherzen, indem sie einen Angriff auf dessen Meßtisch ausführten. Diese Zutraulichkeit schlägt aber bald in das Gegentheil um. »Wird«, heißt es im Berichte unserer Nordfahrer, »eine Moschusochsenfamilie oder eine Herde mit Jungen überrascht, so drängen sie sich entweder zusammen, nehmen die Kälber in die Mitte und senken die Köpfe, als ob sie zur Vertheidigung sich anschicken wollten, oder der als Wache aufgestellte Ochse ergreift die Flucht, und die anderen jagen ihm nach. Dann ist es immer eine vergebliche Mühe, ihnen, wenngleich noch so gedeckt, anschleichend zu folgen; denn diese Thiere sind in ihrem Vorpostendienste bewunderungswürdig.« Letztere Angabe haben wir wahrscheinlich ebenso zu verstehen, wie ähnliche auf Gemsen und andere Antilopen, Wildziegen, Wildschafe und sonstige Wiederkäuer bezügliche Bemerkungen über das Wachestehen einzelner Glieder der Herde, insofern hier wie dort alle wachsam sind, dasjenige Stück aber, welches zuerst eine wirkliche Gefahr erkennt oder eine vermeintliche zu erkennen glaubt, zur Flucht sich anschickt, und die übrigen ihm folgen. Schleichen sich mehrere Jäger gleichzeitig von verschiedenen Seiten her auf eine ruhig weidende Herde von Schafochsen an, so drängen sich diese zuweilen, anstatt flüchtig zu werden und sich zu zerstreuen, dichter zusammen und gestatten den Jägern, mehrere Schüsse auf sie abzugeben. Dann entspricht die Jagd allerdings den Auffassungen unserer Nordfahrer, welche sie als eine durchaus harmlose bezeichnen; schwerlich aber läßt sich ein so abfälliges Urtheil fällen, wie von ihnen geschieht, indem sie sagen, daß eine solche Jagd nicht schwieriger sei als das Abschießen einer rings [378] um eine Sennhütte gelagerten Ziegen- oder Kuhherde von dieser aus. »Sobald der Jäger die Thiere erblickt«, heißt es weiter, »hat er sich platt auf den Bauch und eine Patrone neben sich zu legen, das Gewehr in Anschlag zu bringen, sich völlig ruhig zu verhalten und erst dann zu schießen, wenn jene neugierig herbeieilend in nächster Nähe sind. Sollte er demungeachtet nichts treffen, so möge er mit Feuern immer fortsetzen; endlich wird doch eines der Thiere fallen.« Es mag sein, daß einer oder der andere unserer Nordfahrer Erfahrungen gesammelt hat, welche zu solchem Ausspruche zu berechtigen scheinen; gleichwohl halte ich es für unrichtig, eine derartige Beobachtung zu verallgemeinern, umsomehr als Wahrnehmungen früherer Beobachter entschieden dagegen sprechen. Verwundete Thiere gerathen in Wuth und stürzen grimmig auf den Jäger zu, welcher von Glück zu sagen hat, wenn er nicht überrannt oder von den spitzigen Hörnern durchbohrt wird. Ersteres erfuhr Tramnitz, welcher als der gewandteste Jäger unter unseren Nordfahrern geschildert wird, an sich selbst, als er einmal allein auf die Jagd der Schafochsen ausging, aber nicht nur ohne Beute, sondern auch mit verdorbenem Gewehr und zerrissener Kleidung zurückkehrte, weil ihn ein Stier umgeworfen und getreten hatte; letzteres behaupten die Indianer, welche versichern, daß die Thiere ihre Waffen ebenso gut wie andere ihrer Verwandten zu gebrauchen wissen und selbst Bären und Wölfe tödten. Auch die Eskimo, für welche die Herden der von ihnen »Umingarok« genannten Schafochsen einen Gegenstand der eifrigsten Jagd bilden, betrachten diese nicht als durchaus ungefährliche Thiere, umsomehr, als sie kein Feuergewehr besitzen und ihr Wild nach alter guter Art mit Pfeilen erlegen müssen. Wie Roß mittheilt, beginnen sie bereits im Herbste ihre Jagdzüge, nähern sich mit ebenso viel Geschick als Muth den Herden, reizen die Stiere, bis diese auf sie zustürzen, wenden sich dann schnell zur Seite und stechen ihnen entweder ihre Lanze in den Wanst oder senden ihre Pfeile auf sie ab. Einmal traf Roß selbst auf einen Schafochsen und ließ ihn durch seine Hunde stellen. Das Thier zitterte vor Wuth und stieß beständig nach den Hunden, welche ihm aber stets geschickt auswichen. Ein Eskimo, welcher die Jagd mitmachte, schoß in großer Nähe einen Pfeil nach dem anderen auf den Ochsen ab; doch alle prallten wirkungslos von seinem dichten Haarpelze zurück. Nun feuerte Roß aus einer Entfernung von wenigen Schritten und durchschoß dem armen Schelme das Herz, so daß er lautlos zu Boden stürzte. Der Eskimo war schnell bei der Hand, fing das Blut auf, vermischte es mit dem Schnee und löschte damit seinen Durst. Aeltere, besonders vereinzelte Stiere setzen, nach Angabe unserer Nordfahrer, dem Feuer selbst nach leichter Verwundung die größte Kaltblütigkeit entgegen und »begnügen sich, ihren Körper durch das Senken des unverwundbaren Kopfes und durch Vermeidung einer ihre Seiten gefährdenden Stellung zu decken. Es geschah, daß eins dieser Thiere einen Schuß auf die durch die riesigen Hörner gepanzerte Stirne aus einem Wenzelgewehre, mit welchem Eisbären der Länge nach durchschossen wurden, ertrug, ohne das geringste Zeichen einer empfundenen Störung zu bekunden; denn die Kugel fiel zu einer Scheibe platt gedrückt auf den Boden herab.«

Dem Fleische haftet stets ein merklicher Moschusgeruch an; derselbe ist jedoch bei Kühen keineswegs so heftig, daß er jenes ungenießbar machen kann, wie das bei Stieren, welche während der Brunstzeit getödtet wurden, der Fall sein soll. Unsere Nordfahrer fanden den Geschmack der Moschuskühe vortrefflich, und andere Europäer urtheilen genau ebenso. In der Gegend des Fort Wales treiben die Indianer einen einträglichen Tauschhandel mit dem Fleische des von ihnen erlegten Wildes. Sie hängen es, nachdem sie es in größere Stücke zerschnitten haben, in der Luft auf, lassen es vollständig austrocknen und liefern es dann in die Niederlassungen der Pelzjäger ab, wo es gern gekauft wird. Wolle und Haar werden von Indianern und Eskimos hoch geschätzt. Erstere ist so fein, daß man daraus sicherlich vortreffliche Gewebe erzeugen könnte, wenn man ihrer genug hätte. Aus dem Haare bereiten sich die Eskimos ihre Moskitoperrücken, aus den Schwänzen Fliegenwedel und aus der Haut gutes Schuhleder.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Dritter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Zweiter Band: Raubthiere, Kerfjäger, Nager, Zahnarme, Beutel- und Gabelthiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 374-379.
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