Rappenantilope (Hippotragus niger)

[227] Eine von Harris entdeckte zweite Art der Gruppe, die Rappenantilope (Hippotragus niger, Antilope und Ozanna nigra), steht an Größe hinter der Verwandten kaum zurück, da auch sie fast 3 Meter an Gesammtlänge und 1,5 Meter an Schulterhöhe erreicht, trägt mächtige, 80 Centimeter lange, seicht nach außen und hinten gebogene, bis zu drei Vierteln der Länge mit dreißig stark hervortretenden, unvollständigen Ringen gezierte Hörner, hat merklich kürzere und schmälere, nur 25 Centim. lange, gerade zugespitzte Ohren, eine aus lockeren Haaren bestehende Nacken- und Rückenmähne, eine deutliche Halsmähne, einen lang zugespitzten Kopf und einen stark bequasteten Schwanz. Die vorherrschende Färbung ist ein tiefes, glänzendes Schwarz, welches hier und da einen Schimmer in das Tiefnußbraune zeigt; ein breiter Streifen, welcher über jedem Auge beginnt und zur Seite der Schnauze gegen die Muffel verläuft, der Vordertheil und die Unterseite der Schnauze sowie die Brust, der Bauch und die obere Hälfte der Innenseite der Hinterschenkel, endlich noch die Innenseite der Ohren sind weiß, die Ohren an ihrer Wurzel und ein Fleck am Hinterkopfe, die Unterschenkel außen und innen aber hellnußbraun. Das Weibchen ist merklich kleiner als das Männchen, trägt kleinere, ähnlich gebogene Hörner und hat tiefnußbraune, hier und da ins Schwärzliche spielende Färbung.

Während man früher annahm, daß diese beiden Roßantilopen dem Süden Afrikas eigenthümlich seien, wissen wir jetzt, daß das Innere Afrikas ihre eigentliche Heimat ist, und die Nachbarländer der Ansiedelungen am Vorgebirge die südliche Grenze ihres Verbreitungsgebietes darstellen. Nach Norden hin reicht dieses im Osten bis zum Atbara, im Westen bis zum Senegal und Gambia. Die Rappenantilope scheint mehr dem Osten anzugehören, kommt aber ebenfalls diesseits des Gleichers vor. Beide Arten bewohnen Gebirgsgegenden, namentlich felsige, dürftig mit niederem Buschwerk bewachsene Bergzüge, bilden kleine Trupps von sechs bis höchstens zwölf Stücken, von denen jeder einzelne ein ziemlich großes Gebiet zu behaupten scheint, bewegen sich mit Kraft, stehen aber an Ausdauer hinter vielen ihrer Verwandten zurück.

Zu ihren Eigenthümlichkeiten gehört, daß die Böcke immer die Leitung übernehmen, niemals die Altthiere. Der wachsame Anführer benachrichtigt bei Gefahr seine Herden durch ein Schneuzen, darauf hinsammelt sich augenblicklich alles um ihn, und dahin gehts in wilder Flucht. Die Brunst beginnt gegen das Ende der Regenzeit. Sie würde dem Jäger die beste Gelegenheit geben, gute Beute zu machen, falls er diese brauchen könnte; denn gerade zur Brunstzeit verbreiten die Männchen einen so durchdringenden Bockgeruch, daß nicht einmal eine Hottentottenzunge sich mit dem Fleische befreunden mag. Mit Beginn der nächstjährigen Regen, also zur Zeit des dortigen Frühjahres, setzt das alte Thier ein Junges, welches von beiden Eltern geführt und nöthigenfalls beschützt wird. Die Eingeborenen Westafrikas versichern ganz ernsthaft, daß diese Antilopen nur einmal während ihrer Lebenszeit der Mutterfreuden genießen könnten, weil sofort nach der Geburt die Säbelhörner des Weibchens unglaublich schnell wüchsen, schließlich hinten in den Rücken eindrängen und mehr und mehr sich verlängerten, bis sie endlich das arme Thier erdolchten.

Die Jagd der Roßantilopen soll wegen ihrer Vorsicht und Schnelligkeit äußerst schwierig sein. Bei Gefahr gehen die Böcke, wie die Buschmänner behaupten, dreist auf ihren Gegner los [227] und wissen ihre Hörner dann in gefährlicher Weise zu gebrauchen. Die Eingeborenen fangen die Pferdeantilopen wie alle anderen Wiederkäuer in Fallgruben. Gordon Cumming spricht von der Rappenantilope mit Begeisterung. »Während ich durch den Wald galoppirte«, sagt er, »erblickte ich eins der schönsten Thiere, welches die Schöpfung hat: einen alten Bock der schwarzen Antilope. Es ist das stattlichste und schönste Thier in Afrika. Sie war die erste, welche ich erblickte, und nie werde ich die Empfindung vergessen, welche sich meiner bei diesem, für einen Jäger so ergreifenden Anblicke bemächtigte. Der Bock stand mitten unter einer Herde Palas, uns gerade im Wege, hatte uns aber unglücklicherweise entdeckt, ehe wir ihn sahen. Ich rief meine Meute und lief ihm nach; der Tag war aber schwül und heiß, und die Hunde hatten keinen Muth mehr. Da mein Pferd keines von den besten war, blieb ich bald zurück, und das schöne Thier war schnell aus meinem Bereiche und entschwand meinen Augen für immer. Vergebens versuchte ich die Nacht zu schlafen: das Bild dieser Antilope schwebte mir noch immer vor.«

Eine allerliebste Jagdgeschichte erzählt Schweinfurth. »Einer meiner tagtäglichen Streifzüge durch Busch und Wald gestaltete sich mir spielend zu einem Jagdabenteuer unerhörter Art. So etwas kann man nur im Innern Afrikas erleben. Im tiefen Schatten eines Butterbaumes und versteckt von dem in seinem Schutze hoch aufgeschossenen Grase hatte ich wohl eine halbe Stunde lautlos zusammengekauert dagesessen, ganz versunken in die Zergliederung meiner Pflanzen. Meine drei Begleiter schliefen wie gewöhnlich den Schlaf der Gerechten; weit im Umkreise herrschte die feierliche Stille der Waldeinsamkeit, daß man den Tritt einer jeden Ameise am Boden zu hören vermochte; ab und zudrang ein feines Knistern von dem rastlosen Arbeiten in den Werkstätten der Termiten zu dem Ohre des Zeichnenden. Da schwankte ein riesiger Schatten an seinem Auge vorbei, und wie er den Blick erhob, stand ihm auf kaum Pistolenschußweite ein mächtiger Antilopenbock gerade gegenüber. Die Schönheit eines noch nie gesehenen Thieres erhöhte meine Ueberraschung, und mit pochendem Herzen starrte ich auf das räthselhafte Bild, welches gleichsam dem Erdboden entwachsen zu sein schien. Es war ein Bastardgemsbock von hellgrau-brauner Färbung, an der Brust mit langem Haar und weiß am Bauche. Von dem stolz gehobenen Kopfe mit seinem langen, spitzen und massiven Gehörn bis hinab zu den schwarzen Läufen mit den weißen Knöchelbinden stand der Bock frei da vor meinen Blicken, in solcher Majestät, wie ein gewaltiger Büffel, der drohend nach allen Seiten äugt und sichert, bevor er sich zur Fortsetzung seines Weideganges anschickt. Die rothbraune, steife Mähne, welche vom gebogenen Nacken her über den ganzen Widerrist sich erstreckte, gab seiner Erscheinung etwas unbeschreiblich Keckes und Herausforderndes. Rauschend legte sich das Gras vor seinen wuchtigen Tritten. Jetzt schwenkte er auf die Seite, mir die ganze Spiegelgegend zukehrend; man konnte die Fliegen erkennen, welche den hin- und herfuchtelnden Girafenschweif umkreisten, durch welchen diese Antilopenart ausgezeichnet ist, einer Quaste von dreiviertel Fuß langen schwarzbraunen Haaren vergleichbar, die auf schlankem Stiele befestigt ist. Von meinen Leuten regte sich keiner; behutsam streckte ich daher die Hand aus nach der neben mir liegenden Büchse, schob die Sicherheit zurück, und bei der nächsten Körperwendung des Thieres fiel meine Kugel mitten aufs Blatt, ein Ziel von kaum dreißig Schritte Entfernung. Mit mächtigem Satze fuhr der Bock in die Höhe; dann stand er einen Augenblick still, die Läufe gespreizt und wie betäubt mit etwas gesenktem Haupte. Eben wollte ich zur zweiten Büchse greifen, da gab es einen gewaltigen Krach, und das Jagdglück hatte mir die stolzeste Beute in den Schoß geworfen, in den Schoß – dann hätte es wohl noch gefehlt, daß ein Bastardgemsbock mir auf die offene Zeichenmappe fiele?

Der Schuß hatte meine Leute kaum wach gemacht: hier zu Lande war ein einziger Schuß des Blickes nicht werth, es bedurfte erst meines Triumphgeschreies, um sie auf die Beine zu bringen. Nun wurden wie gewöhnlich einige Neger aus den nächsten Hütten herbeigeholt, welche sich geschäftig an die Arbeit des Abhäutens und Zerwirkens machten. Der Kopf allein wog fünfunddreißig Pfund. Ich erfuhr von den Eingeborenen, daß der Manja, so nennen die Bongo diese Antilopenart, [228] zu den selteneren Thieren der Gegend gehört, obgleich er sich in allen Theilen des Gebietes wieder findet, und daß derselbe für gewöhnlich einzeln oder weit abgesondert von seinesgleichen der Aesung nachgeht. Er soll die einzige von den größeren Arten sein, welche den Jäger annimmt und Wuthanfälle hat wie ein wilder Büffel.«

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Dritter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Zweiter Band: Raubthiere, Kerfjäger, Nager, Zahnarme, Beutel- und Gabelthiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 227-229.
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