Wisent (Bos Bison)

[389] Obwohl mit Sicherheit angenommen werden muß, daß der Wisent (Bos Bison, Bonassus und priscus, Bonassus Bison) an Größe abgenommen hat, ist er doch immer noch ein gewaltiges Thier. Ein im Jahre 1555 in Preußen erlegter Wisentstier war 7 Fuß hoch und 13 Fuß lang, dabei 19 Centner 5 Pfund schwer. Heutzutage erreicht auch der stärkste Stier selten mehr als eine Höhe von 1,8 und eine Länge von 3,5 Meter, bei einem Gewichte von sechs- bis achthundert Kilogramm. Der Wisent erscheint uns als ein Bild urwüchsiger Kraft und Stärke. Sein Kopf ist mäßig groß und durchaus nicht plump gebaut, vielmehr wohlgestaltet, die Stirne hoch und sehr breit, der Nasenrücken sanft gewölbt, der Gesichtstheil gleichmäßig nach der Spitze zu verschmächtigt, die Schnauze plump, die Muffel breit, den ganzen Raum zwischen den großen, runden, schief gestellten Nasenlöchern einnehmend, das Ohr kurz und gerundet, das Auge eher klein als groß, seine Umrandung über die Gesichtsfläche erhöht, der Hals sehr kräftig, kurz und hoch, unten bis zur Brust gewammt, der Leib, welcher auf kräftigen, aber nicht niedrigen, mit großen, länglichrunden Hufen und ziemlich kleinen Afterhufen beschuheten Beinen ruht, massig, vom Nacken bis zur Rückenmitte stark gewölbt, von hier an bis zum Kreuze sanft abfallend, der Schwanz kurz und dick. Die weit seitlich angesetzten, verhältnismäßig zierlichen, runden und spitzigen Hörner biegen sich zuerst nach außen, sodann nach oben und zugleich etwa nach vorn, hierauf nach innen und hinten, so daß die Spitzen fast senkrecht über die Wurzeln zu stehen kommen. Ein überall dichter und reicher, aus langen, meist gekräuselten Grannen und filzigen Wollhaaren bestehender Pelz deckt den Leib, verlängert sich aber auf dem Hinterkopfe zu einem, aus schlichten Haaren gebildeten, breiten, nach vorn über die Stirn und seitlich über die Schläfe herabfallenden Schopfe, längs des Rückens zu einem mäßig hohem Kamme, am Kinne zu einem zopfig herabhängenden Barte und am Unterhalse zu einer die ganze Wamme einnehmenden, breit herabwallenden Mähne, bekleidet auch das Gesicht sehr reichlich, beide Ohrränder fast zottig und bildet an der Spitze der Brunstruthe einen dichten Busch, am Ende des Schwanzes eine starke und lange, bis über die Fesselgelenke herabreichende Quaste. Ein mehr oder weniger ins Fahle spielendes Lichtbraun ist die allgemeine Färbung des Pelzes, geht aber auf den Kopfseiten und am Barte in Schwarzbraun, auf den Läufen in Dunkelbraun, an der Schwanzquaste in Schwarz und auf dem über den Scheitel herabhängenden Haarbusche in Lichtfahlbraun über. Die Wisentkuh ist merklich kleiner und zierlicher gebaut als der Stier, ihr Gehörn schwächer, die Mähne weit weniger entwickelt als bei letzterem, in der Färbung ihm jedoch gleich. Das neugeborene Kalb hat merklich lichtere Färbung.

Bis in die neuere Zeit war es eine noch unentschiedene Frage, ob der Wisent außer in Russisch-Lithauen auch im Kaukasus vorkomme, beziehentlich ob er mit dem dort lebenden Wildstiere gleichartig sei. Wir wußten und wissen noch heute wenig von diesem Thiere. Der erste, welcher vor mehr [389] als zweihundert Jahren, jedoch nur nach Hörensagen, über das Vorkommen eines »wilden Büffels« an der Grenze von Mingrelien spricht, ist der Pater Archangelo Lamberti. Zu Ende des vorigen Jahrhunderts theilt hierauf Güldenstädt mit, daß er in einer Höhle am Uruch oder Iref, einem Zuflusse des Terek, vierzehn Wisentschädel gefunden habe. Eichwald sammelte im Anfange unseres Jahrhunderts Nachrichten über das Vorkommen des noch lebenden Wildstieres am nördlichen Abhange des Elbrus bis zum Flusse Bubuk, welcher sich ebenfalls in den Terek ergießt, sowie in dem Gebiete des Agar, welcher sich mit dem Kuban vereinigt; aber erst Baer vermochte, auf Grund eines im Jahre 1836 durch Baron von Rosen eingesandten Felles die Gleichartigkeit des kaukasischen Wildstieres und des Wisent zu beweisen. Von nun an liefen mehrere im wesentlichen übereinstimmende Berichte über den Wildstier des Kaukasus ein, bis hier im Jahre 1866 ein junger männlicher Wisent gefangen und an den Thiergarten zu Moskau abgeliefert wurde. Auf die Bitten der thierkundlichen Gesellschaft zu Moskau hatte Großfürst Michael Auftrag gegeben, zu beobachten, ob der Wisent noch im Kaukasus lebe, und wenn dies der Fall sei, keine Anstrengung zu scheuen, um womöglich ein lebendes Thier zu erhalten. Ein Einwohner des Dorfes Kuvinsk im Kreise Zelentschuk, Adjeff mit Namen, war so glücklich, dem Befehle des Großfürsten nachkommen zu können. In einem Fichtenwalde bei dem Flecken Atcikhar bemerkte er eine aus funfzig Stück bestehende Wisentherde, unter welcher sich eine Kuh mit ihrem etwa sechs Monate alten Kalbe befand. Es gelang ihm, sich heranzuschleichen, und die Mutter mit einem Schusse zu erlegen, worauf die ganze Herde mit dem Jungen davon rannte. Da an eine Verfolgung der flüchtig gewordenen Thiere nicht zu denken war, traf er mit seinen Genossen Vorbereitungen, um einen Imbiß zu nehmen. Noch damit beschäftigt, hörten die glücklichen Jäger das Brummen des Kalbes, welches zur Leiche seiner Mutter zurückgekehrt war; Adjeff schlich heran, umklammerte den Hals des Thieres und hielt dasselbe fest, obgleich er von ihm eine weite Strecke fortgeschleift, wiederholt gegen Bäume und Steine gestoßen und an der Brust nicht unbedeutend gequetscht wurde; erst den auf seinen Ruf herbeigekommenen Gefährten gelang es, des kleinen Unbandes Herr zu werden und denselben in das nächste Dorf zu bringen. Hier nun wurde das Thier zuerst mit Kuhmilch, später mit Baumblättern und allerlei Kräutern ernährt, während des ganzen Sommers im Dorfe gehalten und im September von Adjeff und einem Fähndriche nach Moskau gebracht, woselbst es am 19. December 1866 in vollständig befriedigendem Zustande ankam und sich als echter, von den im Walde von Bialowies lebenden Artgenossen nicht verschiedener Wisent erwies. Somit steht fest, daß unser europäischer Wildstier noch eine zweite Zufluchtstätte hat und wenigstens für die nächste Zeit gegen Ausrottung gesichert sein dürfte.

Nordmann, Tornau und Radde haben inzwischen weiteres über Vorkommen, Lebensweise und Jagd des kaukasischen Wisent mitgetheilt. Ersterer berichtet Ende der dreißiger Jahre, daß der Wisent in der Nähe der Hochstraße von Taman nach Tiflis nicht mehr vorhanden sei, im Inneren der Gebirgszüge des Kaukasus jedoch keineswegs selten auftrete. Bereits in Gelintschik erfuhr er, daß er am Kuban Gegenden gebe, in denen das Thier in größerer Anzahl vorkomme. Weiter südlich in Affhasien zeigten ihm eingeborene Fürsten Hörner des Wildstieres, welche zu Trinkgeschirren dienten. Im Spätherbste erfuhr er in Kelasur, einer affhasischen Ortschaft, daß infolge starken Schneefalles im Hochgebirge Wisente in den vom Stamme Psöh bewohnten Thälern sich gezeigt hätten. Nach allen von Nordmann gesammelten Nachrichten bewohnt das Thier ständig eine Strecke von mindestens zweihundert Kilometer Durchmesser, das Gelände vom Kuban bis zum Ursprunge des Psib oder Kapuetti nämlich. Roullier erzählt, wohl auf mündliche Berichte Tornau's sich stützend, von einer kaukasischen Wisentjagd an der großen Selentschuga und bemerkt, daß die Thiere nicht bloß an diesem Flusse, sondern auch in dem felsigen und zerklüfteten Ufergebiete des Urup und der großen Laba sowie in den Nadelholzwaldungen des Hauptkammes unter der Grenze des ewigen Schnees sich finden. Auf Befragen konnte Radde dem Akademiker von Brandt, dessen eingehenden Berichten über den Wisent ich vorliegendes [390] entnehme, mittheilen, daß noch im Jahre 1865 ausgedehnte Kieferwaldungen westlich vom Maruchagletscher Wisente beherbergten und sie dort in Rudeln von sieben bis zehn Stück vorkamen.

Nach den Ermittelungen Nordmanns bleiben die Wisente am Kuban jahraus, jahrein auf denselben Ständen, sumpfigen Stellen des Waldes; im Lande der Abachen dagegen wandern sie im Sommer auf die Gebirge und kehren erst mit Eintritt des Winters wieder in die tieferen Thäler zurück. Auf diesen Wanderungen scheinen sie bestimmte Wege zu gehen, ebenso wie sie ihre Wechsel auf das genaueste einhalten. Tornau, welcher als Gefangener der Bergvölker drei Jahre im Gebirge lebte und Wisentjagden beiwohnte, sah mehrmals die Lagerplätze der Thiere und Pfade, welche sie sich zuweilen sogar an den steilsten Schroffen bahnen, um von einem Felsenthale aus zu einem Bache und damit zur Tränke zu gelangen. An der Selentschuga vernahm er eines Tages lautes, von den stampfenden Schritten einer Wisentherde und brechenden Zweigen herrührendes Geräusch und bekam bald darauf gegen zwanzig Kühe und Kälber zu Gesicht, welche einem riesigen, gesenkten Hauptes einherschreitenden, dem gewohnten Tränkplatze zuwandernden Stiere folgten. Dieser wurde durch Tornau's Begleiter verwundet, und das Aufnehmen der Rothfährte führte zur Entdeckung des Tränkplatzes. In der Nähe desselben legte sich die Jagdgesellschaft in der folgenden Nacht in den Hinterhalt, wobei jeder Jäger, um gegen etwaige Angriffe gesichert zu sein, zwischen Geröllstücken sich verbarg. Als die Morgenröthe anbrach, wurden im Gebirge die Wisente, zunächst als dunkle, sich bewegende Flecken, bemerkt. Sie näherten sich stetig, wiederum unter Anführung des erwähnten Stieres und gelangten endlich zum Tränkplatze. Als der Führer zu trinken sich anschickte, sank er, von sieben Kugeln durchbohrt, zusammen; alle übrigen aber entflohen so schnell, daß die ihnen nachgesandten Schüsse sie nicht mehr erreichen konnten.

Der Bestand der Wisente im Walde von Bialowies betrug im Jahre 1829 nach einer vorgenommenen Zählung oder Schätzung siebenhundertundelf Stück, worunter sich sechshundertdreiunddreißig ältere befanden, vermehrte sich im folgenden Jahre bis auf siebenhundertzweiundsiebzig Stück, verminderte sich aber im nächsten Jahre, infolge der inzwischen stattgefundenen staatlichen Umwälzungen, wieder bis auf sechshundertsiebenundfunfzig Stück. Die später erfolgten Verschärfungen der Schutzgesetze waren der Vermehrung so günstig, daß man im Jahre 1857 die Anzahl aller im Bialowieser Walde lebenden Wisente auf achtzehnhundertachtundneunzig Stück annehmen konnte; doch fragt er sich sehr, ob der Bestand wirklich die angegebene Höhe erreicht hat: denn nach neueren Nachrichten soll man wohl von Seiten der Regierung glauben, daß die Anzahl der Thiere zwischen funfzehnhundert und zweitausend beträgt, in Wirklichkeit aber, nach gewissenhaften Schätzungen der Forstbeamten, nur ihrer acht- bis neunhundert annehmen dürfen. Im Jahre 1863 zählte man achthundertundvierundsiebzig Stück.

Im Sommer und Herbste lebt der Wisent an feuchten Orten des Waldes, gewöhnlich in Dickungen versteckt; im Winter zieht er höher gelegenes und trockenes Gehölz vor. Sehr alte Stiere leben einsam, jüngere während des Sommers in Rudeln von funfzehn bis zwanzig, während des Winters in kleinen Herden von dreißig bis funfzig Stück. Jede einzelne Herde hat ihren festen Stand und kehrt immer wieder nach demselben zurück. Bis zum Eintritte der Brunstzeit herrscht Einigkeit unter solchem Trupp; zwei verschiedene Herden aber vertragen sich anfangs nicht gut mit einander, und die kleinere weicht so viel als möglich der größeren aus.

Die Wisente sind ebensowohl bei Tage wie bei Nacht thätig, weiden aber am liebsten in den Abend-und Morgenstunden, zuweilen jedoch auch während der Nacht. Verschiedene Gräser, Blätter, Knospen und Baumrinde bilden ihre Nahrung; sie schälen die Bäume ab, soweit sie reichen können, und reiten jüngere, biegsame Stämme nieder, um zu der Krone zu gelangen, welche sie dann meist gänzlich vernichten. Ihr Lieblingsbaum scheint die Esche zu sein, deren saftige Rinde sie jeder anderen bevorzugen; Nadelbäume dagegen lassen sie unbehelligt. Im Winter äsen sie sich fast ausschließlich von Rinden, Zweigen und Knospen der ihnen zugänglichen Laubbäume, außerdem auch wohl von Flechten und trockenen Gräsern. Das im Bialowieser Walde auf den Wiesen [391] geerntete Heu wird für sie aufgeschobert, anderes nehmen sie, nachdem sie die Umhegungen niedergebrochen haben, gewaltsam in Besitz. Frisches Wasser ist ihnen Bedürfnis.

Obwohl die Bewegungen der Wisente schwerfällig und plump erscheinen, sind sie doch, bei Lichte betrachtet, lebhaft genug. Der Gang ist ein rascher Schritt, der Lauf ein schwerer, aber schnell fördernder Galopp, wobei der Kopf zu Boden gesenkt, der Schwanz emporgehoben und ausgestreckt wird. Durch Sumpf und Wasser waten und schwimmen sie mit Leichtigkeit. Unter ihren Sinnen steht der des Geruches oben an; Gesicht und Gehör sind minder, Geschmack und Gefühl zu durchschnittlicher Höhe entwickelt. Das Wesen ändert sich mit den Jahren. Jüngere Thiere erweisen sich als muntere, lebhafte und spiellustige, auch verhältnismäßig gutmüthige, zwar nicht sanfte und friedfertige, aber doch auch nicht bösartige Geschöpfe, ältere dagegen, zumal alte Stiere erscheinen als ernste, fast mürrische, leicht reizbare und jähzornige, jeder Tändelei abholde Wesen. Im allgemeinen lassen zwar auch sie Menschen, welche sie nicht behelligen wollen, ruhig an sich vorübergehen; allein die geringste Veranlassung kann ihren Zorn erregen, und sie äußerst furchtbar machen. Im Sommer pflegen sie dem Menschen stets auszuweichen, im Winter gehen sie gewöhnlich niemand aus dem Wege, und es ist schon vorgekommen, daß Bauern lange warten mußten, eh es einem Wisent gefiel, den von ihm gesperrten Fußpfad zu verlassen, auf welchem es für jenen kein Ausweichen gab. Wildheit, Trotz und Jähzorn sind bezeichnende Eigenschaften auch dieser Wildrinder. Der erzürnte Wisent streckt die bläulichrothe Zunge lang heraus, rollt das geröthete Auge, sein Blick wird grimmig, und mit beispielloser Wuth stürzt er auf den Gegenstand seines Zornes los. Jüngere Thiere sind immer scheuer und furchtsamer als die alten Stiere, unter denen namentlich die einsiedlerisch lebenden zu einer wahren Geisel für die Gegend werden können. Sie scheinen ein besonderes Vergnügen darin zu finden, mit dem Menschen anzubinden. Ein alter Hauptstier beherrschte eine Zeitlang die durch den Bialowieser Wald führende Straße, wich nicht einmal Fuhrwerken aus und richtete viel Unglück an. Wenn er auf einem durchziehenden Schlitten gutes Heu witterte, erhob er gewaltsam seinen Zoll, indem er trotzig vor die Pferde trat und den Fuhrmann mit Gebrüll aufforderte, ihm Heu herabzuwerfen. Verweigerte man, ihm das verlangte zu gewähren, und versuchte man, die Peitsche gegen ihn anzuwenden, so gerieth er in furchtbaren Zorn, hob den Schwanz empor und stürzte mit niedergebeugten Hörnern auf den Schlitten los, packte ihn und warf ihn mit einem einzigen Stoße über den Haufen. Reisende, welche ihn neckten, schleuderte er einfach aus dem Schlitten heraus. Pferde bekunden von vornherein Furcht und Abscheu vor dem Wisent, und pflegen durchzugehen, wenn sie ihn wittern. Tritt ihnen aber der entsetzliche Stier plötzlich in den Weg, so geberden sie sich wie unsinnig, bäumen, werfen sich nieder und verrathen auf jede Weise ihr Entsetzen.

Die Brunstzeit, welche gewöhnlich in den August, manchmal auch erst in den September fällt, währt zwei oder drei Wochen. Um diese Zeit sind die Wisente im besten Stande, feist und kräftig. Eigenthümliche Spiele und ernste Kämpfe unter den Stieren gehen dem Sprunge voraus. Dem liebestollen Thiere scheint es ein besonderes Vergnügen zu bereiten, mittelstarke Bäume aus der Erde zu wühlen und auf diese Weise zu fällen. Dabei kann es geschehen, daß sich die Wurzeln in dem Gehörn verwickeln und von den Trägern nicht gleich abgeworfen werden können. Dann laufen diese lärmend und tobend mit dem sonderbaren Kopfschmucke umher, ärgern sich schließlich und beginnen zu kämpfen, erst vielleicht nur scherzhaft, später aber in sehr ernsthafter Weise, stürzen zuletzt rasend auf einander los und prallen derart mit den Hörnern zusammen, daß man glaubt, beide müßten unter der Wucht des Stoßes zusammenbrechen. Allein auch ihre Stirn hält kräftige Stöße aus, und die Hörner sind so biegsam, als wären sie aus Stahl gebaut. Nach und nach gesellen sich die alten Einsiedler der Herde zu, und nunmehr werden die Zweikämpfe noch viel bedeutsamer; denn jenen muß ein jüngerer, schwächerer Stier entweder weichen oder erliegen. Im Jahre 1827 fand man im Bialowieser Walde einen dreijährigen todten Stier, welchem ein Bein zerschmettert und ein Horn an der Wurzel abgesprengt worden war. Und nicht bloß umgebrachte[392] Stiere findet man nach der Brunstzeit, sondern auch getödtete Kühe. Sie haben das Kreuz gebrochen, »weil ihnen die Last des auf sie springenden Stieres zu schwer war (?)«.

Sofort nach Beendigung der Brunst trennen sich die alten Einsiedler wieder von der Herde und kehren zu ihrem stillen, beschaulichen Leben zurück. Die Kühe kalben neun Monate nach der Brunstzeit, gewöhnlich im Mai oder anfangs Juni. Vorher haben sie sich von der Herde abgesondert und im Dickichte des Waldes in einer einsamen, friedlichen Gegend einen geeigneten Platz ausgesucht. Hier verbergen sie sich und ihr Kalb während der ersten Tage, treten aber bei etwaiger Gefahr mit außerordentlichem Muthe für dessen Sicherheit ein. In der ersten Jugend drückt sich das Kalb im Nothfalle platt auf den Boden nieder, hebt und dreht das Gehör, öffnet Nüstern und Augen und schaut ängstlich nach dem Feinde, während die Alte sich anschickt, diesem entgegenzutreten. Jetzt ist es für Menschen und Thier gefährlich, einer Wisentkuh sich zu nahen: sie nimmt ohne weiteres den Gegner an, rennt ihn zu Boden und zerfleischt ihn mit den Hörnern. Einige Tage nach seiner Geburt folgt das Kalb seiner Mutter, welche es mit außerordentlicher Zärtlichkeit behandelt. Solange es noch nicht ordentlich gehen kann, schiebt sie es sanft mit dem Kopfe vorwärts; wenn es unreinlich ist, leckt sie es glatt; beim Säugen stellt sie sich auf drei Beine, um ihrem Sprößling das Euter leichter zu bieten, und während es schläft, wacht sie für dessen Sicherheit.

Diese Kälber sind niedliche, anmuthige Thiere, obgleich schon in der Jugend das in ihnen liegt, was im Alter aus ihnen werden soll. Sie wachsen sehr langsam und haben wahrscheinlich erst im achten oder neunten Jahre ihre volle Größe erlangt. Das Alter, welches die Wisente überhaupt erreichen können, wird auf etwa dreißig bis funfzig Jahre angegeben. Kühe sterben ungefähr zehn Jahre früher als Stiere; aber auch diese werden im Alter gewöhnlich blind oder verlieren die Zähne und sind dann nicht mehr fähig, gehörig sich zu äsen, können namentlich nicht mehr die jungen Zweige abbeißen, welken rasch dahin und gehen schließlich zu Grunde.

Im Vergleiche zu anderen Rindern vermehren sich die Wisente langsam. Im Walde von Bialowies hat man in Erfahrung gebracht, daß die Kühe kaum alle drei Jahre einmal trächtig werden, und bei nur einigermaßen gereifterem Alter oft eine Reihe von Jahren hinter einander unfruchtbar bleiben, dann jedoch manchmal wieder empfangen. Im Jahre 1829 warfen von zweihundertachtundfunfzig Kühen nur dreiundneunzig; von den übrigen hundertfünfundsechzig war der größte Theil unfruchtbar, der kleinere Theil zu jung. Hierin dürfte eine der Ursachen des Aussterbens der Wisente gefunden werden.

Gegen ihre Feinde wissen sich die gewaltigen Thiere vortrefflich zu vertheidigen. Bären und Wölfe können den Kälbern gefährlich werden, aber nur dann, wenn die Mutter durch irgend welchen Zufall ihr Leben verloren hat und das Junge unbeschützt ist. Bei sehr tiefem Schnee soll es vorkommen, daß hungrige Wölfe auf einen erwachsenen vereinzelten Wisent sich stürzen, ihn mit vereinten Kräften anfallen, durch Umhertreiben ermatten und schließlich, wenn auch erst nach harten Verlusten, erlegen. Einige Berichterstatter wollen behaupten, daß drei Wölfe genügen, um einen Wisent zu überwältigen, indem der eine das angefallene Thier durch sein beständiges Hin- und Herspringen beschäftigen und seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen trachten soll, während die beiden anderen von hinten an ihn schleichen und ihm eine Wunde beizubringen suchen. Ich bezweifle diese Angaben, weil ich glaube, daß jeder Wisentstier einen Wolf, welcher sich an ihm festgebissen hätte, mit einem einzigen Schlage seiner Läufe zerschmettern oder durch sein Gewicht erdrücken würde, noch ehe derselbe eine gefährliche Wunde gerissen hätte.

Julius Cäsar berichtet, daß derjenige sich hohen Ruhm erwarb, welcher einen Ur oder einen Wisent erlegte, und alle alten Lieder preisen mit vollstem Rechte solche Helden. Noch im Mittelalter kämpften Ritter und Freie mannhaft mit Auer und Wisent. Jene pflegten zu Rosse, diese zu Fuße zu jagen, beide die Lanze als Angriffswaffe zu wählen. Immer gingen die Jäger selbander aus: der eine näherte sich dem wüthenden Thiere und suchte ihm einen tödtlichen Stoß beizubringen, [393] der andere bemühte sich, durch Schreien und Schwenken rother Tücher dessen Aufmerksamkeit von dem Angreifer ab- und auf sich zu lenken, bis jener, vielleicht noch durch die Hunde unterstützt, ihm seine Lanze in den Leib stoßen konnte. Nach Ueberlieferungen, an denen insbesondere die Jagdgeschichte Ungarns und Siebenbürgens reich ist, bildete die Wisentjagd das mannhafteste und erregendste Vergnügen der ritterlichen Magyaren und Edlen der benachbarten Länder, wogegen das Volk, um des gewaltigen Thieres Herr zu werden, auf seinem Wechsel Fallgruben errichtete und den in die tückisch verborgene Tiefe gestürzten Wisent einfach erschlug. Zur Zeit der früheren ungarischen Könige nahm die Wisentjagd unter dem damals üblichen Waidwerke die hervorragendste Stelle ein, blieb daher auch dem Könige, beziehentlich dem regierenden Fürsten vorbehalten. Ueber solche Jagden liegen mehrere Berichte vor. »In demselbigen Jahre (1534)«, heißt es in einer deutschen Handschrift, »haben die wilden Ochsen, so in den Gebirgen von Girgaw (Gyergyo im Szeklerlande) scharenweis hausen und von die Zeckeln (Schecklern) ›Begyin‹ oder ›Beögin‹ genannt, viel Schaden gethan, auch Menschen und Weiber, so in Wald gangen, gemordet mit den Füßen. Darumb hat der Majlath Istvan nach alter Gewohnheit und Gebrauch der alten Woywoden auf Fabianistag grosse Jagd halten lassen, allwo viel Herren und Edelleut zusammenkumben seynd und auch viel und wacker gezechet worden.« Hundert Jahre später jagte man noch mit ebensoviel Gepränge. »Aus besonderer Güte und Gnade Gottes«, so schreibt Georg Rakoczy I., Fürst von Siebenbürgen, an Paul Bornemisser im Jahre 1643, »ist das Bündnis zwischen Uns und den Königen von Schweden und Frankreich zum Heile Unseres geliebten Vaterlandes zu Stande gekommen. Um ein Zeichen Unserer Erkenntlichkeit den Uns wohlwollenden Gesandten obbenannter Mächte zu geben, ordneten Wir denselben zu Ehren eine bei Uns übliche Wisentjagd an, die in Unseren Csiker-und Gyergyoergebirgen am 27. laufenden Monats abgehalten wird. Unser gnädiger Wunsch ist, daß Euer Liebden an dieser Jagd theilnehmen, weshalb Wir Euer Liebden den Auftrag ertheilen, am 23. laufenden Monats auf dem von Uns bestimmten Versammlungsplatze in Unserer Gyergyoerburg, allwo auch Wir mit den Gesandten und vielen hochgestellten Edelherren erscheinen werden, pünktlich einzutreffen sammt ihrem Jagdgefolge, insbesondere den zur Wisentjagd nöthigen Grubengräbern, sowie Hatzleuten, Jagdhunden und Gewehren.« Im Walde von Bialowies erschienen die Herrscher früherer Jahrhunderte mit zahlreichem Gefolge, boten alle Beamten des Waldes auf, zwangen die umwohnenden Bauern zu Treiberdiensten und bewegten somit eine Mannschaft von zwei-bis dreitausend Köpfen, welche ihnen die Wisente nach den Orten treiben mußte, wo sie auf sicheren Kanzeln sich angestellt hatten. Von einer der glänzendsten Jagden, welche König August III. im Jahre 1752 abhielt, berichtet heute noch eine sechs Meter hohe Spitzsäule aus weißem Sandstein in deutscher und polnischer Sprache. An dem einen Tage wurden zweiundvierzig Wisente, dreizehn Elenthiere und zwei Rehe erlegt. Die Königin allein schoß zwanzig Wisente nieder, ohne auch nur ein einziges Mal zu fehlen, und hatte dabei noch immer Zeit zum Lesen eines Romans. Die Schützen waren den Thieren, welche niedergemeuchelt wurden, unerreichbar. Um einen Begriff von der Großartigkeit der damaligen Jagd zu geben, will ich bloß noch anführen, daß auf des Königs Befehl schon Monate vor derselben viele tausende von Leibeigenen aufgeboten wurden, um das Wild von allen Seiten des damals noch viel bedeutenderen Waldes nach der zur Jagd bestimmten Abtheilung hinzutreiben. Dort wurden die scheuen Thiere eingelappt und zuerst durch drei Meter hohe Netze, später durch ein noch höheres Holzgatter umfriedigt. Dicht neben dem Gatter war ein Söller errichtet worden, auf welchem der König mit den vornehmsten seiner Gäste Platz nahm. Etwa zwanzig Schritte von diesem Söller entfernt war eine Lücke in den Umhegungen gelassen, durch welche alles hier eingeschlossene Wild getrieben wurde. Sobald ein Wisent stürzte, bliesen die Jagdgehülfen auf ihren Halbhörnern. Nach der Jagd besichtigte der Hof unter Hörnerklang die gefallenen Stücke, deren Wildpret unter die umwohnenden Bauern vertheilt wurde. Dann ließ der König das erwähnte Denkmal setzen, zum ewigen Gedächtnis seiner ritterlichen Thaten.

[394] Am 18. und 19. Oktober 1860 stellte der Kaiser von Rußland eine Jagd an. Der Kaiser selbst schoß sechs Wisentstiere und ein Kalb, zwei Elen-, sechs Damhirsche, drei Rehe, vier Wölfe, einen Dachs, einen Fuchs und einen Hasen. Der Großherzog von Weimar und die Prinzen Karl und Albrecht von Preußen erlegten acht andere Wisente. Die Jagd wurde in einem besonderen Werke in russischer Sprache ausführlich beschrieben.

Ueber den Fang der Thiere berichtet Dimitri Dolmatoff, Aufseher der kaiserlichen Wälder der Provinz Grodno. Der Kaiser von Rußland hatte der Königin Victoria zwei lebende Wisente für den Thiergarten in London versprochen und gab deshalb Befehl, einige derselben zu fangen. Die Jagd wurde auf den 20. Juli festgesetzt. Mit Tagesanbruch versammelten sich dreihundert Treiber und achtzig von den Jägern des Waldes, deren Flinten bloß mit Pulver geladen waren, und suchten zunächst die nächtliche Fährte der Wisente. Es war ein heiterer, windstiller Tag. Dreihundertundachzig Menschen umstellten in aller Stille das einsame Thal, in welchem die Wisentherde sich aufhielt. Schritt für Schritt und mit der größten Ruhe drang man in das Dickicht ein. Als die Grenze des Thales erreicht wurde, erblickten Dolmatoff und sein Begleiter Graf Kisseleff, welcher den kaiserlichen Befehl überbracht hatte, die auf einem Hügel gelagerte Wisentherde. Die Kälber sprangen, den Sand mit ihren flinken Füßen hoch aufwerfend, munter umher, kehrten bisweilen zu ihren Müttern zurück, rieben sich an ihnen, leckten sie und hüpften wieder ebenso munter davon. Ein Stoß ins Horn endete urplötzlich dies Stilleben. Schreckerfüllt sprang die Herde auf und schien durch Gehör und Gesicht den Feind erkundschaften zu wollen. Die Kälber schmiegten sich furchtsam an ihre Mütter. Als das Gebell der Hunde erschallte, ordnete sich die Herde eiligst in der gewohnten Weise. Die Kälber wurden vorangestellt, und der ganze Trupp bildete die Nachhut, erstere vor einem Angriffe der Hunde schützend.

Als die Herde an die Treiberlinie kam, wurde sie mit gellendem Geschrei und blinden Schüssen empfangen. Die alten Wisente durchbrachen wüthend die Treiberlinie und stürzten weiter, ohne sich um die Menschen, welche sich ängstlich gegen die Bäume drückten, viel zu kümmern. Doch war man so glücklich, jetzt schon zwei Junge zu fangen. Ein etwa drei Monate altes Kalb wurde ohne große Mühe gebändigt, ein anderes, etwa funfzehn Monate altes, warf acht Mann zu Boden und entfloh, ward aber von den Hunden verfolgt und im Garten eines Försters zum zweitenmal gefangen. Vier andere Kälber, ein Männchen und drei Weibchen, wurden später erhascht. Eins der weiblichen Jungen war erst einige Tage alt. Man brachte es sogleich zu einer Kuh, deren graue Farbe dem Felle des Wisent entsprach. Die Kuh nahm sich des wilden, bärtigen Jungen mit vieler Zärtlichkeit an, und das Kalb saugte zum allgemeinen Erstaunen vortrefflich, starb aber leider nach sechs Tagen an einer Geschwulst im Nacken, an welcher es schon, als es gefangen wurde, gelitten hatte. Die übrigen Kälber nahmen am ersten Tage ihrer Gefangenschaft keine Nahrung zu sich, und nur das drei Monate alte Junge begann am folgenden Tage an der Hauskuh zu saugen, war auch sehr munter und lebendig. Alle anderen, mit Ausnahme des älteren, schlürften zuerst die Milch aus der Hand eines Mannes, und tranken sie dann begierig aus einem Eimer. Nach kurzer Frist verlor sich ihr wilder Blick; sie legten ihre Scheu ab und zeigten sich ausgeräumt und muthwillig. Wenn man sie aus dem Stalle in den geräumigen Hof gelassen hatte, freute sich jedermann über die Schnelligkeit ihrer Bewegungen. Sie sprangen mit der Leichtigkeit einer Ziege umher, spielten aus freiem Antriebe mit den Kälbern zahmer Kühe, kämpften mit ihnen und schienen, obwohl stärker, ihnen großmüthig den Sieg zu überlassen. Der männliche, funfzehn Monate alte Wisent behielt längere Zeit seinen wilden, drohenden Blick, erzürnte sich, sobald ihm jemand nahte, schüttelte mit dem Kopfe, leckte mit der Zunge und wies seine Hörner; aber nach zwei Monaten war auch er ziemlich zahm und bekundete Neigung zu dem Manne, welcher ihn bisher gefüttert hatte. Von nun an konnte man ihn freier halten.

Man bemerkte an allen diesen Thieren, daß sie gern mit den Füßen auf dem Boden scharrten, Erde in die Höhe warfen und sich wie Pferde bäumten. Sobald sie aus dem Stalle kamen, wurden [395] sie muthig, erhoben stolz den Kopf, öffneten ihre Nüstern, schnaubten und machten die lustigsten Sprünge. Sie empfanden es schwer, daß sie eingesperrt waren, und blickten sehnsuchtsvoll bald nach den ungeheuren Waldungen, bald nach den grünen Wiesen; ja es schien, als ob sie Heimweh hätten oder sich ihre ungezwungene Freiheit zurückwünschten; denn immer kehrten sie gesenkten Hauptes und traurig in den Stall zurück. Gegen ihren Pfleger bewiesen sie warme Zuneigung. Sie sahen ihm nach, wenn er ging, begrüßten ihn durch Entgegenkommen, wenn er sich nahte, scheuerten sich an ihm, leckten ihm die Hände und hörten auf seine Stimme.

Die sieben Gefangenen waren an zwei von einander entfernten Orten eingestellt worden. Die beiden auf der ersten Jagd gefangenen Männchen vertrugen das ihnen gereichte Futter sehr gut; die übrigen, welche nur Milch tranken, aber nicht saugten, litten eine Woche lang am Durchfall, wahrscheinlich weil die Milch, welche von fern herbeigeschafft werden mußte, nicht immer frisch und süß war; denn ihr Unwohlsein verlor sich, als sie warme Milch vom Euter der Kuh weg erhielten. Beide Stierkälber leckten Salz, die übrigen verschmähten es wie der ältere Stier die Milch. Dieser bekam daher vom ersten Tage an Hafer mit Häcksel gemengt, Heu von den Waldwiesen, Rinden und Blätter der Esche und verschiedene Waldkräuter. Als die übrigen Kälber nicht mehr mit Milch genährt wurden, erhielten sie dasselbe Futter. Sie tranken täglich mehrmals Wasser, die jüngeren Thiere aber erst, nachdem es mit Milch versetzt worden war. Das reichliche und abwechselnde Futter, ein Stall, welcher sie im Winter vor der Kälte und im Sommer vor den Mückenstichen schützte, war ihrem Gedeihen sehr förderlich, und sie wuchsen schnell heran. Ihren Hunger oder Durst gaben sie durch ein schweineähnliches Grunzen zu erkennen.

Später brachte man die schon halb gezähmten Thiere von Bialowies nach Grodno, zwanzig deutsche Meilen weit. Das für St. Petersburg bestimmte Paar, zwei Stiere, befanden sich in einem länglichen Käfige, welcher mit Stroh bedeckt und in zwei Abtheilungen geschieden war, so daß sich die Thiere niederlegen konnten, ohne sich von einander zu entfernen. Der neue Käfig und das Schaukeln des Wagens schien sie mit Furcht zu erfüllen. Sie verhielten sich zwar ruhig, fraßen aber in den ersten vierundzwanzig Stunden nicht, legten sich auch nicht nieder. Schon am zweiten Tage betrugen sie sich wie gewöhnlich. Das für London bestimmte Paar ward in einem geräumigen und bedeckten Käfige fortgeschafft. Der Stier zeigte sich während der ganzen Reise aufs höchste verstimmt und brüllte oft und ingrimmig. Zu Grodno brachte man beide Paare in einen geräumigen Stall und trennte sie hier anfänglich nur durch Querbalken; sie fielen aber so wüthend über einander her, daß man sie trennen mußte; denn die Scheidewände hielten sie durchaus nicht ab: sie zertrümmerten diese mit wenigen Stößen. Sonderbarerweise griffen die drei Stiere gleichzeitig die einzige Kuh an und würden sie ohne Hinzukommen der Wärter getödtet haben. Erst allmählich gewöhnten sie sich an einander.

Ich sah die Wisente zuerst im Thiergarten zu Schönbrunn. Sie bewohnten dort seit mehreren Jahren einen Stall, vor welchem sich ein mit dicken Stämmen umhegter Hof befand. Sehr starke, metertief im Boden steckende und noch außerdem durch Strebepfeiler befestigte Eichenpfosten trugen die Querbalken der Umhegung. Als ich die Thiere besuchte, hatte die Kuh ein noch saugendes Kalb, und ihre Besorgnis für dasselbe drückte sich unverkennbar in ihrem ganzen Wesen aus. Um die seltenen Geschöpfe so gut als möglich zu sehen, trat ich etwas näher an die Umhegung, als dies ihr lieb sein mochte; denn plötzlich senkte sie den Kopf, schoß brüllend, die blaue Zunge lang aus dem Halse streckend, auf mich los und rannte mit ihrem Kopfe derartig gegen die Balken an, daß selbst die eichenen Stämme zitterten. Ein anderes Geschöpf würde sich bei solchem Stoße den Schädel in Stücke zertrümmert haben: der Wisent wiederholte seine Kraftanstrengungen drei- bis viermal hintereinander, ohne sich im geringsten zu schädigen.

Später habe ich mehrere andere in verschiedenen Thiergärten gesehen, beobachtet und Erkundigungen über sie eingezogen. Sie waren und sind sich alle gleich. So leutselig sie sich in der Jugend betragen, mit zunehmendem Alter bricht ihre rasende Wildheit durch, und nicht einmal die [396] Wärter dürfen ihnen trauen. Sie lassen sich zwar auf dem Kopfe krauen und nehmen ihren Pflegern das Futter aus der Hand; dieselben müssen sich aber doch fortwährend aufs äußerste in Acht nehmen, um dem wie Strohfeuer auflodernden Zorn der Wisente zu entgehen. Störrisch und unlenksam bleiben sie immer, obwohl sie nach und nach mit ihren Bekannten bis zu einem gewissen Grade freundlich verkehren. Jede Veränderung ihrer Lage und Gewohnheiten aber wandelt ihre behagliche Stimmung sofort in das Gegentheil um. Es erfordert unendliche Geduld, einen durch mehrere Jahre in der Gefangenschaft gehaltenen Wisent an einen anderen Ort zu bringen. Eine Kuh, welche in einen benachbarten Raum geschafft werden sollte, wurde durch zwanzig starke Männer an dicken Seilen, die ihr um den Kopf gebunden waren, festgehalten: eine einzige Bewegung des Thieres aber war genügend, alle Leute mit einem Male zu Boden zu werfen. Jedenfalls werden die Wisente im eingeschlossenen Raume, auch wenn sie tagtäglich mit Menschen zusammenkommen, in der Regel nicht zahmer als im Freien. Die Wisente, welche man zwischen Taplaken und Leuküschken in Preußen hegte und fütterte, fielen nicht nur niemals einen Menschen an, sondern wurden zuletzt so dreist, daß sie den Leuten nachliefen und sie um Futter bettelten, weil sie gewöhnt worden waren, von den Vorübergehenden fast immer etwas zu erhalten. Roth soll auch bei ihnen heftigen Zorn erregen, ein in schreiende Farben gekleideter Mensch daher mehr oder weniger gefährdet sein. Und doch scheint es möglich zu sein, die unholden Thiere bis zu einem gewissen Grade unter die Botmäßigkeit des Menschen zu beugen. »Mein Vater«, schreibt mir Lázár ferner, »erzählte als Familienüberlieferung, daß Graf Franz Lázár im Jahre 1740 bei Gelegenheit eines in Hermannstadt tagenden Landtages in einem mit Wisente bespannten Wagen umherfuhr. Besagter Graf hatte die Thiere in seinen Waldungen in Gyergyo einfangen und zähmen, auch durch reiche Verzierung und Vergoldung der Hörner so herausputzen lassen, daß das absonderliche Gespann allgemeine Bewunderung erregte.«

In unseren Thiergärten halten die Wisente bei einigermaßen geeigneter Pflege vortrefflich aus, schreiten auch ohne Umstände zur Fortpflanzung, vermehren sich sogar stärker als im Freien. Nach den Beobachtungen von Schöpff beträgt ihre Trächtigkeitsdauer zweihundertundsiebzig bis zweihundertvierundsiebzig Tage. Die Mutter behandelt das neugeborene Junge mit größter Zärtlichkeit, falls dasselbe nicht von menschlicher Hand berührt wird, wogegen sie in die größte Wuth geräth und diese an dem harmlosen Kälbchen ausläßt, wenn sich ein Wärter wider ihren Willen mit letzterem zu schaffen macht. Der Stier muß stets von der trächtigen Kuh getrennt werden, weil ein Familienleben in engem Raume bei diesen Thieren nicht durchzuführen ist. Ein am 22. Mai 1865 in Dresden geborenes Wisentkalb wurde von seinem Erzeuger sofort aufgegabelt und durch die Einfriedigung des Geheges geschleudert. Hier kam es wieder auf die Beine zu stehen, und man brachte es nunmehr in den Stall zu der inzwischen von dem Stiere getrennten Mutter; diese aber, nachdem sie es berochen und wahrscheinlich gefunden hatte, daß es von menschlicher Hand berührt worden war, warf es sofort in die Höhe und stampfte es zu Tode. Schon mehrere Wochen vor der Geburt zeigt sich auch die sanfteste Wisentkuh wild und bösartig, und wenn sie geboren und ihr Kalb angenommen hat, benimmt sie sich regelmäßig so, wie ich oben geschildert habe.

Mehrere Naturforscher haben die Ansicht verfochten, daß der Wisent einen gewissen Antheil an der Entstehung einzelner Rassen unseres Rindes habe; nach den neueren Erfahrungen scheint jedoch das Gegentheil erwiesen zu sein. Zwischen Wisent und Hausrind besteht ein heftiger Abscheu, und selbst wenn man, wie es im Bialowieser Walde geschehen ist, jung eingefangene Wisentkälber stets mit zahmen Rindern zusammenhält, ändert sich dieses Verhältnis in der Regel nicht. Als man versuchte, eine junge Wisentkuh mit einem Hausstiere zur Paarung zu bringen und diesen dicht neben ihr einstellte, durchbrach sie wüthend den Verschlag, welcher sie von ihm trennte, fiel ihn rasend an und trieb ihn mit Wuth und Kraft aus dem Stalle, ohne daß der seinerseits nun ebenfalls gereizte Stier Gelegenheit gefunden hätte, sich ihr zu widersetzen. Und doch liegen auch in dieser Beziehung Belege für das Gegentheil vor. »Im Csiterkreise«, schreibt [397] Franz Sulzer in einem, im Jahre 1781 erschienenen Werke, »verliebte sich ein Wisentstier in eine mit der Herde täglich zur Weide gehenden Kuh und wurde mit dieser so vertraut, daß er zu nicht geringem Schrecken der Dorfbewohner allabendlich derselben nicht allein das Geleite bis zur Hausthür gab, sondern auch in ihren Stall eindrang. Schließlich gewöhnten sich die Leute an dieses zarte Verhältnis und trieben allmorgendlich den Wisentstier mit seiner Liebsten zur Weide.«

Ueber den Schaden und Nutzen des Wisent ist jetzt kaum noch zu reden. Im Bialowieser Walde kommen die Zerstörungen, welche dieses Wild, um sich zu nähren, oder aus Uebermuth anrichtet, nicht in Anschlag, der Nutzen aber ebensowenig. Das Fleisch wird gerühmt; sein Geschmack soll zwischen Rindfleisch und Hirschwildpret in der Mitte liegen und namentlich das Fleisch von Kühen und Kälbern sehr gut sein. Die Polen betrachteten das eingesalzene Wisentfleisch als einen vorzüglichen Leckerbissen und benutzten es zu Geschenken an fürstliche Höfe. Das Fell gibt ein starkes und dauerhaftes, aber lockeres und schwammiges Leder und wird gegenwärtig höchstens verwendet, um Riemen und Stränge daraus zu schneiden. Die Hörner und Hufe wurden zu allerlei Gegenständen verarbeitet, denen man eine gewisse schützende Kraft zuschrieb. Unsere Vorfahren verfertigten hauptsächlich Trinkgeschirre aus den schönen festen Hörnern; die Kaukasier gebrauchen solche heute noch anstatt der Weingläser. Bei einem Gastmahle, welches ein kaukasischer Fürst dem General Rosen zu Ehren gab, dienten funfzig bis siebzig mit Silber ausgelegte Wisenthörner als Trinkbecher.

Dasselbe Schicksal, welches sich am Wisent nahezu erfüllt hat, steht seinem einzigen Verwandten, dem Bison, bevor. Auch er verbreitete sich früher fast über die ganze Nordhälfte der westlichen Erde und ist bereits in vielen Ländern gänzlich vernichtet, wird auch von Jahr zu Jahr weiter zurückgetrieben und mehr und mehr beschränkt. Der Weiße und der Indianer theilen sich mit dem Wolfe in Verfolgung des Thieres, und der Wolf ist von diesen drei schlimmen Feinden der mindest gefährliche, vertilgt wenigstens nicht mehr, als er zu seiner Nahrung bedarf, wogegen der Mensch dem Bison rücksichtslos entgegentritt und innerhalb seiner Herden ungleich größere Verheerungen anrichtet, als nothwendig wäre. Noch durchziehen Millionen der stolzen Thiere die ungeheuren Steppen im Westen Nordamerikas, aber es bleichen schon gegenwärtig tausendmal mehr Schädel erlegter Bisons in der Prairie, als heutigen Tages noch »Büffel« in ihr leben. Als die Europäer ihre Niederlassungen in Nordamerika zu gründen begannen, fand man den Bison au den Küsten des Atlantischen Weltmeeres, allein schon zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts sah man es als eine denkwürdige Begebenheit an, daß ein Bison am Cap Fear River erlegt wurde. Zu Ende des vorigen Jahrhunderts war der Bison zahlreich in Kentucky, im Westen von Pennsylvanien und in Ohio; jetzt findet er sich nur noch im oberen Laufe des Missouri und westlich vom Mississippi, vom Großen Sklavensee, unter dem 60. Grade nördlicher Breite, bis zum Rio Grande. Sonst war gedachter See seine Grenze nach Norden hin und das Felsgebirge die Mauer, welche ihn von dem Nordwesten schied; jetzt ist er bereits bis zum 65. Grad nördlicher Breite vorgedrungen, wie ein Verfolgter, welcher Schutz in Einöden sucht, und ebenso hat er sich über das Gebirge einen Weg gebahnt, um in den nordwestlichen Ebenen Zuflucht zu finden. Auch diese Fluchtversuche werden ihn von seinem endlichen Schicksale nicht erretten können. Indianer und Weiße sitzen ihm beständig auf dem Nacken und das Morden, die Vernichtung gehen unaufhaltsam ihren Gang.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Dritter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Zweiter Band: Raubthiere, Kerfjäger, Nager, Zahnarme, Beutel- und Gabelthiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 389-398.
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