Assapan (Pteromys volucella)

[282] Der Assapan, wie gedachtes Flatterhörnchen in Nordamerika genannt wird (Pteromys volucella, Sciurus und Sciuropterus volucella), beinah die kleinste, einschließlich des 10 Centim. langen Schwanzes nur 24 Centim. lange Art der Sippe, trägt ebenfalls einen überaus weichen und zarten Pelz, und ist oberseits gelbbräunlichgrau, an den Seiten des Halses lichter, auf den Pfoten silberweiß und an der ganzen Unterseite gelblichweiß, der Schwanz aschgrau mit bräunlichem Anfluge, die Flughaut schwarz und weiß gerandet, das Auge schwärzlichbraun. Das Thierchen lebt gesellig in den Wäldern des gemäßigten und warmen Nordamerika, ganz in der Weise der Ljutaga, [282] wird aber öfter als diese gefangen, zu uns gebracht und hält die Gefangenschaft bei entsprechender Pflege jahrelang ohne ersichtlichen Nachtheil aus und schreitet im Käfige selbst zur Fortpflanzung.

Ueber Tages liegen die Flughörnchen, so verborgen als möglich, in sich zusammengeknäuelt in ihrem Käfige. Schlaftrunken gestatten sie dem Beobachter jede Maßnahme. Von der sinnlosen Wuth eines aus dem Schlafe gestörten Siebenschläfers bemerkt man bei ihnen nichts; sie lassen sich in die Hand nehmen, drehen, wenden, besichtigen, ohne von ihrem scharfen Gebisse Gebrauch zu machen. Höchstens einen Versuch zum Entschlüpfen wagen sie, und ihr seidenweiches Fellchen ist so glatt und schlüpfrig, daß sie wie Quecksilber aus der Hand gleiten. Erst ziemlich spät nach Sonnenuntergang, selten vor neun Uhr abends, werden sie munter. Am oberen Rande des Schlafkästchens, welches man ihnen, als Ersatz ihres Nestes, nicht vorenthalten darf, wird das runde Köpfchen sichtbar, der Leib folgt, und bald sitzt eines der Thierchen in anmuthiger Eichhornstellung, die Flatterhaut in sanft geschwungener Linie halb an den Leib gezogen, halb hängen lassend, auf der schmalen Kante seiner Lagerstätte.


Assapan (Pteromys volucella). 1/2 natürl. Größe.
Assapan (Pteromys volucella). 1/2 natürl. Größe.

Die kleinen, voll entfalteten Ohren spielen wie die schnurrenbesetzte Nase oder die großen dunkeln Augen, um Käfig und Umgebung zu prüfen. Wenn nichts Verdächtiges bemerkt wurde, gleitet das Flughörnchen wie ein Schatten zur Tiefe hinab, gleichviel ob an schiefer oder senkrechter Fläche, immer mit dem Kopfe voran, ohne daß man ein Geräusch wahrnimmt oder die durch die Flatterhaut größtentheils verdeckten Gliedmaßen sich bewegen sieht. An der geflochtenen Decke des Käfigs, die Oberseite nach unten gekehrt, rückt es weiter, als ginge es in gebräuchlicher Stellung auf einer ebenen Fläche; über dünne Zweige seiltänzert es mit unübertrefflicher Sicherheit und Geschicklichkeit in gleichmäßiger Eile dahin; über den Boden huscht es schneller als eine Maus; den ganzen Raum des Käfigs durchmißt es, die volle Breite der Flatterhaut entfaltend, in pfeilschnellem Sprunge und klebt einen Augenblick später, ohne auch nur einen Versuch zur Herstellung des Gleichgewichtes gemacht zu haben, auf einer Sitzstange, als sei es ein zum Aste gehöriger Knorren. Währenddem nimmt es ein Bröckchen, eine Nuß, ein Weizenkorn, einen Fleischbissen aus dem Futternapfe, trinkt, mehr schlürfend als leckend, aus dem Trinkgefäße, wäscht sich das Köpfchen mit Speichel, kämmt das Haar mit den Nägeln der [283] Vorderfüße, glättet es sodann mit den Trittflächen der Pfötchen und dreht und wendet, streckt und beugt sich dabei, als ob die Haut ein Sack wäre, in welchem der Leib nur lose steckt. Inzwischen sind auch die Genossen ihrem Schlafkästchen entrückt und hocken und sitzen, kleben und hängen, laufen und klettern in allen nur denkbaren Stellungen eines Nagers auf Sitzstangen, an den Wänden, in Winkeln und Ecken des Käfigs.

Nachdem Hunger und Durst einigermaßen gestillt und alle Theile des Pelzes gebührend geordnet worden sind, regt sich die Lust zu freierer und spielender Bewegung. Eine kurze Weile sitzt das Flughörnchen wie überlegend auf einer und derselben Stelle. Dann folgt ein Sprung mit voll ausgebreiteter Fallhaut, quer durch die Weite des Käfigs. Einen Augenblick nur klebt es an der entgegensetzten Wand; denn unmittelbar nach der Ankunft am Zielpunkte hat es sich rückwärts geworfen, ist, einen Zweig, eine Sitzstange benutzend, zum Ausgangspunkte zurückgekehrt und ebenso rasch irgendwo andershin geeilt. Auf und nieder, kopfoberst, kopfunterst, hin und her, oben an der Decke weg, unten auf dem Boden fort, an der einen Wand hinauf, an der anderen herab, durch das Schlafkästchen, an dem Futternapfe vorüber zum Trinkgeschirr, aus diesem Winkel in jenen, laufend, rennend, springend, gleitend, schwebend, hängend, klebend, sitzend: so wechselt das unvergleichlich behende Geschöpf von Augenblick zu Augenblick, so stürmt es dahin, als ob es tausend Gelenke zugleich regen könne, als ob es nicht eine zu überwindende Schwere gäbe. Es gehört eine länger währende und sehr scharfe Beobachtung dazu, um dem sich bewegenden Flughörnchen überhaupt folgen, die einzelnen Bewegungen desselben unterscheiden und deuten zu können, und wenn eine Gesellschaft dieser alle übrigen Kletterer beschämenden Geschöpfe durcheinander rennt, springt und schwebt, ist dies überhaupt gänzlich unmöglich. Ueberraschend wirkt namentlich die Jähheit des Wechsels von einer Bewegung zur anderen. Das Flughörnchen beendet auch das tollste Jagen jederzeit nach Ermessen und Belieben, so daß das Auge des Beobachters, bei dem Versuche ihm zu folgen, noch immer umherschweift, während es bereits wieder auf einem bleistiftdünnen Zweige sitzt, als sei es nie in Bewegung gewesen.

Unter sich höchst verträglich, anscheinend auch harmlos gutmüthig, überfallen die Flughörnchen doch ohne weiteres jedes kleine Thier, insbesondere jeden kleinen Vogel, und machen ihm ohne Gnade und Barmherzigkeit den Garaus. Angesichts einer Beute zeigen sie sich ebenso mordgierig wie Raubthiere; ihre unbeschreibliche Gewandtheit und Mordlust mögen sie also verschiedenem Kleingethier sehr furchtbar machen. Auch vor gleichgroßen Säugethieren, anderen Nagern z.B., bekunden sie keine Furcht. Der Eindringling in ihr Gehege wird zuerst berochen, dann gekratzt und gebissen, mindestens geneckt und, wenn er nicht sehr wehrhaft ist, sicherlich vertrieben. Entschiedener Muth darf ihnen also ebensowenig abgesprochen werden wie Raub- und Mordsucht. Die Thierchen sind aber so einnehmend, daß man die letztgenannten Eigenschaften über ihre sonstigen vergißt und sie demgemäß unbedenklich für die anziehendsten aller Nager erklärt.


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Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Zweiter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Dritter Band: Hufthiere, Seesäugethiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 282-284.
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