Bobak (Arctomys Bobac)

[297] Was der Prairiehund in der neuen, ist der Bobak (Arctomys Bobac, Mus arctomys) in der alten Welt: ein Bewohner der Ebenen. Die Leibeslänge des erst in neuerer Zeit von dem [297] Alpenmurmelthiere unterschiedenen Bobak beträgt 37 Centim., die Schwanzlänge 9 Centim.; der ziemlich dichte Pelz ist fahl rostgelb, auf der Oberseite, infolge der Einmischung einzelner schwarzbrauner Haarspitzen, etwas dunkler, auf dem Scheitel, an der Schnauze, den Lippen und Mundwinkeln sowie in der Augengegend einfarbig bräunlich rostgelb, am Schwanze dunkel rostgelb, an der Schwanzspitze schwarzbraun, der Haargrund oben dunkel graubraun, unten heller braun, an Vorderhals und Kehle grauweißlich. Die Jungen sind trüber gefärbt als die Alten; aber auch unter diesen gibt es, nach Radde's Untersuchungen, mancherlei Spielarten.

Von dem südlichen Polen und Galizien an verbreitet sich der Bobak über ganz Südrußland und das südliche Sibirien bis zum Amur und nach Kaschmir. Er bewohnt nur Ebenen und steinige Hügelländer und meidet ebenso Waldungen wie sandige Stellen, welche ihm den Bau seiner tiefen Wohnungen nicht gestatten. Radde traf ihn auf geeigneten Oertlichkeiten Sibiriens überall häufig an, und Adams fand ihn in breiteren Thälern Kaschmirs noch in Höhen von zwei bis dreitausend Meter über dem Meere. Hier haust er in fruchtbaren Niederungen, in denen während des Sommers eine reichhaltige aber niedrigwachsende Pflanzenwelt den Boden deckt, dort sucht er die von Fruchterde entblößten Ebenen und Gehänge auf. Immer und überall lebt er in Gesellschaften von beträchtlicher Anzahl und drückt deshalb manchen Gegenden ein absonderliches Gepräge auf: unzählige Hügel, welche man in den Grassteppen Innerasiens bemerkt, verdanken ihre Entstehung vornehmlich diesen Murmelthieren, welche durch ihr munteres Leben den Reisenden ebenso zu fesseln wissen, wie sie, ihres Fleisches halber, für den Steppenbewohner und verschiedene Thiere bedeutungsvoll werden.

In allen Bobaksiedelungen herrscht während des Sommers ein ungemein reges und betriebsames Leben. Die bereits im April oder spätestens im Mai geborenen Jungen sind um diese Zeit halberwachsen und treiben es schon ganz wie die Alten, wenn sie auch deren Erfahrung noch nicht besitzen. Mit Sonnenaufgang verlassen sie mit den Alten den Bau, lecken gierig den Nachtthau, ihre einzige Labung in den meist wasserlosen Steppen, von den Blättern, fressen und spielen dann bis gegen Mittag lustig auf den vor ihren Höhlen aufgeworfenen Hügeln, verträumen den heißen Nachmittag auf wohlbereitetem Lager im Innern des Baues und erscheinen gegen Abend nochmals außerhalb des letzteren, um noch einen Imbiß für die Nacht zu nehmen. Ungern nur weiden sie die in unmittelbarer Nähe ihrer Röhrenmündungen wachsenden Kräuter ab, bilden sich vielmehr zwischen diesen schmale Pfade, welche sie bis zu ihrem oft vierzig und funfzig Meter entfernt gelegenen Weidegebiete führen; ebenso ungern aber begeben sie sich auf Stellen, von denen aus sie nicht in kürzester Frist mindestens einen Nothbau erreichen können. So lange keinerlei Gefahr droht, geht es in der Siedelung fast genau in derselben Weise her wie in einem Dorfe der Prairiehunde, und ebenso verschwinden die Bobaks, sobald sie die Annäherung eines Wolfes, Hundes, Adlers oder Bartgeiers und bezüglich eines Menschen wahrnehmen, auf den bellenden, von vielen wiederholten Warnungsruf eines wachsamen Alten hin, augenblicklich, nach Art ihrer Verwandtschaft kopfüber in ihre Löcher sich stürzend. Im Juni beginnen sie mit dem Eintragen der Wintervorräthe, betreiben ihre Heu- und Wurzelernte jedoch noch lässig; später werden sie eifriger und fleißiger. Die zunehmende Kühle belästigt und verstimmt sie ungemein. Schon in der letzten Hälfte des August sieht man sie am Morgen nach einer kühlen Nacht taumelnden Ganges, wie im Schlafe, langsam von ihren Hügeln schleichen, und von ihrer Munterkeit ist fortan wenig mehr zu bemerken. In den Steppen Südostsibiriens ziehen sie sich ziemlich allgemein in der ersten Hälfte des September in ihre Winterbehausungen zurück, verstopfen den Eingang der Hauptröhre mit einem ungefähr meterdicken Pfropfen aus Steinen, Sand, Gras und ihrem eigenen Kothe und führen nunmehr bis zum Eintritte des Winters noch ein Halbleben in der Tiefe ihrer Wohnungen.

Die Baue haben, bei übereinstimmender äußerer Form, eine in sehr bedeutenden Grenzen schwankende innere Ausdehnung und sind in der Regel da am großartigsten, wo der Boden am härtesten ist. »Gewöhnlich«, beschreibt Radde, dessen Schilderung ich folge, »beträgt die Entfernung [298] des Lagers von der Mündung des Ausganges fünf bis sieben, selten bis vierzehn Meter. Dieser Haupteingang theilt sich oft schon einen oder anderthalb Meter unter der Oberfläche der Erde gabelförmig in zwei bis drei Arme, deren jeder nicht selten nochmals sich spaltet. Die Nebenarme enden meistens blind und geben die Stoffe zum Verschließen des Haupteinganges her. Alle aber, welche nicht blind enden, führen zu der geräumigen Schlafstelle.« Das Nest, in welchem sie überwintern, ist ein anderes als jenes, in welchem sie zur Sommerzeit lagern. Die mit ihren Sitten sehr vertrauten heidnischen Jäger versichern, daß sie die gesammelten Grashalme, bevor sie dieselben zum Polstern des Winternestes verbrauchen, zwischen dem oberen Theile des Vorderfußes und der Bauchseite weichreiben, um ein möglichst behagliches Lager zu bekommen.

Innerhalb des sorgfältig verschlossenen Baues herrscht stets eine Wärme über dem Gefrierpunkte, die Tungusen sagen, eine solche wie in ihren Jurten. Anfänglich scheinen die Bobaks in ihrer Winterherberge noch ziemlich munter zu sein. Sie müssen von den eingetragenen Vorräthen fressen, denn sie erzeugen beträchtliche Kothhaufen; sie müssen auch ziemlich spät noch munter sein, weil weder der Tunguse noch der Iltis, welche beiden die Murmelthiere ausgraben, ihrer vor Eintritt des Winters habhaft werden können. Doch endlich fordert die kalte Jahreszeit ihr Recht: vom Dezember bis Ende Februars verfallen auch die Bobaks in todähnlichen Schlaf, und erst im März ermuntern sie sich wieder zu neuem Leben. Sie sind die ersten Winterschläfer, welche auferstehen. So wie sie meinen, daß der Frühling sich naht, graben sie den im vorigem Herbste verschlossenen Eingang ihrer unterirdischen Wohnung auf und kommen, feist wie sie vor dem Einwandern waren, wiederum an das Tageslicht, zuerst, noch von der Kälte unangenehm berührt, nur in den Mittagsstunden, angesichts der belebenden Sonne, später öfter und länger, bis sie es endlich wieder treiben wie früher.

Anfänglich geht es ihnen schlecht genug. Das von ihnen geschonte Gras auf und neben ihren Hügeln ist von den Kühen abgefressen worden, und sie finden einen öden, kaum aufgethauten Boden, auf welchem in der Nähe des Einganges zu ihrer Höhle nur die hohen, trockenen Brennesselstämmchen, vom Winde ihrer verdorrten Blätter beraubt, und einige braune Rhabarberstengel ihnen zur Nahrung sich bieten. Sproßt das erste Gras hervor, so wird es noch nicht viel besser; denn der Genuß dieses Grases verursacht ihnen heftigen Durchfall. Kein Wunder daher, daß sie rasch abmagern, kaum auf den Beinen sich halten können und ihren vielen Feinden leichter als je und so lange bestimmt zur Beute werden, als der pflanzenspendende Mai ihnen nicht wieder zu vollen Kräften und der alten Lebenslust verholfen hat. Während ihrer Hungersnoth nimmt nicht allein der Adler einen und den andern Bobak weg, sondern auch der Wolf, welcher bis dahin den Herden folgte, findet es bequemer und minder gefährlich, der Murmelthierjagd obzuliegen, lauert, hinter den Hügeln versteckt, stundenlang auf das ihm sichere Wild, springt, wenn der infolge seines Elendes gleichgültiger gewordene Nager einige Schritte weit von dem sichern Baue sich entfernt hat, ihm nach, packt und zerreißt ihn und verzehrt ihn mit Haut und Haar.

Zu diesen natürlichen, keineswegs erschöpfend aufgezählten Feinden gesellt sich der Mensch. Um die Zeit des Erwachens oder ersten Erscheinens der Bobaks sattelt der jagdtreibende Tunguse oder Burjäte sein Pferd, ladet seine Büchse und zieht auf die Murmelthierjagd. »Nach langem Winter«, schildert Radde, »während dessen er selten Fleisch aß und sein Leben kümmerlich in kalter Jurte fristete, ist er begierig, sich einen Braten zu holen, welcher an Güte mit jedem Tage abnimmt. Er weiß aus jahrelanger Erfahrung, daß die Bobaks im Winter nichts von ihrem Fette verlieren und ihre Höhlen so feist verlassen, wie sie im Herbste in dieselben sich legten; aber er weiß auch, daß sie nach wenigen Tagen des Lebens im Freien magerer werden und bis zum Mai so elend aussehen, daß es sich nicht lohnt, sie zu tödten. Mit seiner Kugelbüchse legt er sich hinter die Anhöhe eines Murmelthierbaues und wartet mit Geduld, ohne sich zu regen. Ein alter Bobak, schon gewitzigt durch vorjährige Erfahrungen, guckt vorsichtig aus dem Loche, zieht den Kopf aber rasch wieder zurück. Der Tunguse hört nur den kurzen, dem Bellen des Hundes vergleichbaren [299] Schrei des Thieres und bleibt, die auf der Gabel ruhende Büchse zum Abfeuern bereit, ruhig liegen. Nicht lange währt es, und der kurzgeschwänzte, gelbbraune Erdbewohner kriecht ganz hervor, erhebt sich und blickt um sich, setzt sich wieder nieder, schlägt den Schwanz einige Male aufwärts, bellt und läuft drei bis vier Schritte vom Eingange weg, um eine weitere Aussicht zu gewinnen. Eine Sekunde später kracht der Schuß, und der Bobak stürzt zusammen. Zunächst löst der Schütze der Beute die Eingeweide heraus: denn diese verderben den Geschmack; hierauf sucht er, falls er Hunger hat oder auf Reisen fern von seiner Jurte sich befindet, eiligst trockenen Mist zusammen, zündet ihn an, erhitzt einige Feldsteine in der Glut, schiebt dieselben sodann in den Bauch des Murmelthieres, legt dieses auf die Satteldecke und verzehrt es nach etwa zwei Stunden ohne alle Zuthaten mit dem besten Appetite. Doch das ist nur ein Nothgericht, besser wird die Beute in der Jurte zubereitet.

Frau und Kinder erwarten den ausgezogenen Jäger schon lange. Sie haben seit gestern bloß den dünnen Aufguß eines Krautes getrunken und freuen sich alle auf das zähe Fleisch des Bobaks. Rasch werden die erlegten Beutestücke enthäutet, und während dem kommt in dem eisernen Kessel, aus welchem abends die Hunde fraßen, Wasser zum Sieden. Ernsthaft ertheilt der Jäger seinem die Felle abstreifendem Weibe die Ermahnung, das Menschenfleisch recht sorgsam vom Murmelthierfleische zu sondern, damit ersteres ja nicht mitgesotten und zum Aerger der Gottheit verzehrt werde. Dem verwundert ihn fragenden Fremdlinge aber erzählt er folgendes:

Unter der Achsel des Murmelthieres findet man zwischen dem Fleische eine dünne, weißliche Masse, deren Genuß verboten wurde, da sie der Ueberrest des Menschen ist, welcher durch den Zorn des bösen Geistes zum Bobak verdammt wurde. Denn Du mußt wissen, daß alle Murmelthiere einst Menschen waren, von der Jagd lebten und ausgezeichnet schossen. Einst aber wurden sie übermüthig, prahlten, jedes Thier, selbst den Vogel im Fluge, mit dem ersten Schusse zu tödten und erzürnten dadurch den bösen Geist. Um sie zu strafen, trat dieser unter sie und befahl dem besten Schützen, eine fliegende Schwalbe mit der ersten Kugel herabzuschießen. Der dreiste Jäger lud und schoß; die Kugel riß der Schwalbe jedoch nur die Mitte des Schwanzes weg. Seit jener Zeit haben die Schwalben einen Gabelschwanz; die übermüthigen Jäger aber wurden zu Murmelthieren.«

»Inzwischen ist die Suppe fertig geworden. Das Fleisch wird zuerst und zwar ohne Brod und Salz verzehrt, in die Brühe aber Mehl geschüttet, zu einem dünnen Kleister zusammengequirlt und dieser sodann aus hölzernen Schalen getrunken.«

Oben auf den höchsten Steinhalden der Alpen, wo kein Baum, kein Strauch mehr wächst; wo kein Rind, kaum die Ziege und das Schaf mehr hinkommt, selbst auf den kleinen Felseninseln mitten zwischen den großen Gletschern, wo im Jahre höchstens sechs Wochen lang der Schnee vor den warmen Sonnenstrahlen schwindet: ist die Heimat eines schon seit alter Zeit wohlbekannten Mitgliedes der Familie, dessen Leben zwar in allen wesentlichen dem der bereits geschilderten Verwandten gleicht, infolge des Aufenthaltes aber doch auch wieder in mancher Hinsicht abweichendes zeigt. Die Römer nannten dieses Thier Alpenmaus, die Savoyarden nennen es Marmotta, die Engadiner Marmotella, die Deutschen, beide Namen umbildend, Murmelthier. In Bern heißt es Murmeli, in Wallis Murmentli und Mistbelleri, in Graubünden Marbetle oder Murbentle, in Glarus Munk.

Gegenwärtig ist uns Mitteldeutschen das Thier entfremdeter worden, als es früher war. Die armen Savoyardenknaben dürfen nicht mehr wandern, während sie vormals bis zu uns und noch weiter nördlich pilgerten mit ihrem zahmen Murmelthiere auf dem Rücken, um durch die einfachen Schaustellungen, welche sie mit ihrem Ein und Allem in Dörfern und Städten gaben, einige Pfennige zu verdienen. Dem Murmelthiere ist es ergangen wie dem Kamele, dem Affen und dem Bären: es hat aufgehört, die Freude der Kinder des Dörflers zu sein, und man muß jetzt schon weit wandern, bis in die Alpenthäler hinein, wenn man es noch lebend sehen will.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Zweiter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Dritter Band: Hufthiere, Seesäugethiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 297-300.
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