Ondatra (Fiber zibethicus)

[376] Die Bisamratte oder Ondatra (Fiber zibethicus, Mus, Castor, Myocastor, Lemmus zibethicus, Ondatra zibethica), die einzige nutzbare Art dieser Familie, bildet gleichsam einen Uebergang von den Bibern zu den Wühlmäusen. Man kann sie als eine große Wasserratte mit langem Schwanze, breiten Hinterfüßen, stumpfer Schnauze und kurz behaarten und verschließbaren Ohren bezeichnen. Die Vorderfüße haben vier Zehen und eine Daumenwarze, die Hinterfüße fünf Zehen, welche wie der Mittelfuß seitlich mit langen Schwimmhaaren besetzt sind und ziemlich starke Krallen tragen. Der Schwanz ist nur hinten gerundet, übrigens seitlich zusammengedrückt, gegen das Ende zweischneidig und mit kleinen Schuppen besetzt, zwischen denen an den Seiten, diese besäumend, kurze, ziemlich dünnstehende, aber glatt anliegende Härchen hervortreten. In der Nähe der Geschlechtstheile befindet sich eine Drüse von der Größe einer kleinen Birne, welche nach außen mündet und eine weiße, ölige, sehr stark nach Zibet riechende Flüssigkeit absondert. Der Leib ist untersetzt, der Kopf rundlich, ziemlich kurz und breit, die Schnauze dick und abgestumpft, die Oberlippe gespalten und seitlich mit langen Schnurren besetzt: die Ohren sind fast unter dem Pelze versteckt, die Augen klein, die Hinterbeine entschieden länger als die vorderen. Das Fell ist dicht, glatt anliegend, weich und glänzend, sein Wollhaar außerordentlich zart, sein und kurz, das Grannenhaar stark glänzend und doppelt so lang als jenes. Die Oberseite hat braune bisweilen gelbliche Färbung, die Unterseite ist grau, hier und da röthlich angeflogen, der Schwanz schwarz; die Schwimmhaare an den Zehen sind weiß, die Krallen röthlich hornfarben. Selten finden sich dunkle Abarten, häufiger kommen Weißlinge vor. Erwachsene Männchen werden etwa 58 Centim. lang, wovon auf den Schwanz ungefähr die Hälfte kommt.

Die Ondatra bewohnt die zwischen dem 30. und 69. Grade nördlicher Breite gelegenen Länder Nordamerikas. Man glaubte früher, noch andere Arten dieser Sippe vermuthen zu dürfen, genauere Untersuchungen haben jedoch ergeben, daß nur die eine Art vorkommt. Am häufigsten findet sich das Thier in dem wasserreichen Kanada. Die grasigen Ufer größerer Seen oder breiter, langsam strömender Flüsse, stiller Bäche und Sümpfe, am liebsten aber nicht allzugroße, mit Schilf und Wasserpflanzen bedeckte Teiche, bilden die Aufenthaltsorte der als Pelzthier geschätzten Ratte. Hier bewohnt sie familien- oder volkweise eine bestimmte Stelle und bildet mit anderen ihrer Art ziemlich [376] feste Verbindungen. In ihrer Lebensweise ähnelt sie in mancher Hinsicht dem Biber; die Indianer nennen deshalb beide Thiere Brüder und behaupten, daß der ältere und gescheitere, die Bisamratte aber der dümmere sei. Die Baue sind, wie bei dem Biber, entweder einfache Kessel unter der Erde mit mehreren Ausgangsröhren, welche sämmtlich unter Wasser münden, oder Burgen über der Erde. Letztere, welche vorzüglich im Norden angelegt wer den, sind rund und kugelförmig oder kuppelartig und stehen auf einem Schlammhaufen, so daß sie den Wasserspiegel überragen. Ihre Wandungen werden aus Schilf, Rietgräsern und Binsen hergestellt und mit Schlamm gekittet; doch behaupten einige Beobachter, daß die ganze Hütte nur aus Schlamm bestände und nach und nach mit einer dünnen Schicht von angetriebenem Grase und Binsen sich bedecke. Im Innern enthält die Burg eine einzige Kammer von 40 bis 60 Centim. Durchmesser.


Bisamratte (Fiber zibethicus). 1/3 natürl. Größe.
Bisamratte (Fiber zibethicus). 1/3 natürl. Größe.

Zu ihr führt eine Röhre, welche auf dem Boden des Wassers mündet. Andere, blinde Röhren laufen von ihr aus und gehen ein Stück unter der Erde fort, werden auch nach Umständen mehr oder weniger verlängert; denn sie dienen eigentlich bloß dazu, um die Wurzeln der Wassergewächse einzuernten. Im Winter füttert die Ondatra ihre Kammern mit Wasserlilien, Blättern, Gräsern und Schilf weich aus und sorgt, nach Audubon, dadurch für Luftwechsel, daß sie die Kuppelmitte ihrer Hütte mit lose zusammengeschichteten Pflanzen bedeckt, welche eben genug frische Luft zu-, oder die verbrauchte ablassen. So lange der Sumpf oder Teich nicht bis auf den Grund ausfriert, lebt sie höchst behaglich in der warmen, durch die dicke über ihr liegende Schneedecke noch besonders geschützten Wohnung. Dringt die Kälte so tief ein, daß der Bisamratte freier Ausgang verwehrt wird, so leidet sie erheblich von dem Ungemache der Verhältnisse, und manchmal gehen viele hunderte einer Ansiedelung zu Grunde, weil es ihnen nicht gelingt, Athmungslöcher durch die Eisdecke zu brechen und diese durch Auskleidung von Schlamm für längere Zeit offen zu erhalten. Richardson, welcher diese Angaben über die Baue macht, fügt hinzu, daß nur in sehr strengen Wintern die Thiere in wirkliche Noth gerathen; denn sie bauen meist in tiefere Sümpfe und Teiche oder in die Nähe von Quellen, wo das Wasser nicht zufriert. Ist der Grund, auf welchem der Bau errichtet werden soll, zu tief, so wird er durch Anhäufung von Schlamm und Erde erhöht, ist er zu seicht, besonders ausgegraben. Dabei hält die Ondatra immer darauf, daß sie auch zu Zeiten der Ueberschwemmung gesichert ist und in der Nähe etwas zu fressen hat. Deshalb wählt sie am liebsten Gewässer, welche einen möglichst gleichmäßigen Stand haben und reich an Gewächsen sind.

[377] Die Nahrung besteht fast ausschließlich in Wasserpflanzen, obgleich man in den Bauen von mehreren auch ausgefressene Muschelschalen gefunden hat. An gefangenen beobachtete Audubon, daß sie Muscheln sehr gern verzehrten. Die weichschaligen wußten sie mit scharfen Bissen zu öffnen, bei den hartschaligen warteten sie, bis sie sich selbst aufschlossen, fuhren dann schnell zu und tödteten durch Bisse den Bewohner des festen Gehäuses. Wenn in der Nähe einer Ansiedelung Gärten und andere Pflanzungen liegen, erhalten diese oft Besuch von Biberratten und werden dann in empfindlicher Weise gebrandschatzt. Auch diese Wühlmäuse verwüsten weit mehr, als sie verzehren, weil sie zwischen den Wurzeln tiefe Höhlengraben und außer den Pflanzen, welche sie abbeißen, noch viele entwurzeln und umwerfen.

Audubon und Bachmann haben die Sitten und Gewohnheiten des Thieres gut beschrieben. »Biberratten«, heißt es in ihrem Werke, »sind sehr lebendige, spiellustige Geschöpfe, wenn sie in ihrem eigenen Elemente, im Wasser, sich befinden. In einer ruhigen Nacht kann man in einem Mühlteiche oder tiefen, abgelegenen Gewässer viele von ihnen sehen, wie sie sich belustigen und nach allen Richtungen hin und wieder schwimmen, lange, glänzende Streifen im Wasser hinterlassend, während andere einige Augenblicke lang bei Büscheln von Gras oder an Steinen oder Blöcken verweilen, von wo aus sie die auf dem Wasser schwimmende Nahrung erreichen können, und andere an den Ufern des Teiches sitzen, von wo aus sie dann eine nach der anderen, wie die Frösche, in das Wasser springen. Zuweilen sieht man eine von ihnen vollkommen ruhig auf der Oberfläche des Teiches oder Stromes liegen, ihren Leib weit ausgebreitet und so flach als möglich gehalten. Ab und zu gibt sie einen kurzen Schlag mit dem Schwanze, fast wie es der Biber thut, und verschwindet dann blitzschnell unter der Oberfläche des Wassers, an die Geschwindigkeit und Gewandtheit erinnernd, mit welcher manche Enten oder Steißfüße, wenn man einen Schuß nach ihnen abfeuerte, in die Wellentiefe sich zu stürzen pflegen. In einer Entfernung von zehn oder zwanzig Metern kommt das Thier später wieder zur Oberfläche empor und vereinigt sich vielleicht mit seinen Kameraden zur Jagd oder setzt das alte Spiel fort. Zu derselben Zeit beschäftigen sich andere mit Einsammeln des Futters an den grasigen Ufern, indem sie die verschiedensten Arten von Pflanzenwurzeln ausgraben und ruhigeren Plätzen zuführen. Es scheint, daß diese Thiere eine kleine, stille Gemeinde bilden, wel che weiter nichts verlangt, um glücklich zu sein, als ruhig und unbehelligt von dem Menschen zu bleiben. Wenn man sein Gewehr abschießt, während die Bisamratten so beschäftigt sind, beginnt eine entsetzliche Flucht und Verwirrung. Dutzende von ihnen tauchen auf den Knall oder verschwinden in ihren Höhlen und zwar mit einer Geschwindigkeit ohne Gleichen. Selbst bei Tage, wenn sie nur unvollkommen sehen, ist es außerordentlich schwer, eine im Schwimmen zu erlegen, weil sie, auch wenn man die besten Gewehre führt, in das Wasser getaucht sind, ehe der Hagel sie erreicht.« In die Enge getrieben, wehren sie sich übrigens, trotz ihrer Furchtsamkeit nach Kräften. Bulger erzählt von Biberratten, welche nicht nur seinem kleinen Hunde, sondern auch ihm nach Hamsterart entgegentraten und so angriffslustig sich zeigten, daß er sich genöthigt sah, sie mit dem Stocke abzuwehren und endlich zu erschlagen.

Ueber die Fortpflanzung der Ondatra wissen wir noch wenig. Im April und Mai, nachdem die Thiere ihre Winterbaue verlassen haben, paaren sich die Geschlechter, und das Weibchen wirft in seinem Baue oder in einer Erdhöhle drei bis sechs Junge, nach Einigen nur ein Mal, nach Anderen drei bis vier Mal im Jahre. Wie lange diese Jungen bei der Alten bleiben, wie lange ihr Wachsthum dauert usw., ist unbekannt. Jung eingefangene werden leicht zahm, wie überhaupt diese Wühlmaus sich durch ein auffallend mildes Wesen auszeichnet: Audubon sagt, daß man auch die größeren Jungen, ohne gebissen zu werden, mit der Hand fangen könne. Alte Thiere bleiben bissig und unzugänglich, sind auch nur in Kisten zu halten, welche vollständig mit Blech ausgeschlagen wurden. Eine Bisamratte, welche Sarrazin gefangen hatte, nagte in einer einzigen Nacht durch hartes Holz ein Loch von 8 Centim. Weite und 30 Länge und entwischte, indem sie einen großen und schweren Klotz, welcher ihr im Wege lag, verrückte. Auch das [378] Wühlen wenden sie oft zum Schaden der Mühlteichbesitzer an oder graben Löcher durch Flußdämme und setzen die anliegenden Wiesen dadurch der Ueberschwemmung aus. Doch verfolgt man sie weniger des Schadens wegen, welchen sie anrichten, als des Nutzens halber, den sie bringen. Das Fell wird, obwohl manche Menschen es wegen des ihm lange anhaftenden Zibetgeruches nicht gern haben, gegenwärtig zu Pelzen, Kragen und Muffen verwendet und besonders in Amerika und China verbraucht, das Fleich dagegen nur von Indianern gegessen; denn der erwähnte Zibet-oder Moschußgeruch durchdringt es so stark, daß es Europäern vollständig ungenießbar ist. Sarrazin wurde beim Zergliedern alter Biberrattenmännchen infolge des unerträglichen Geruchs mehrere Male ohnmächtig und verfiel endlich darauf, die Leichname vorher zu rösten, um nur seine nothwendigsten Arbeiten ausführen zu können. Dagegen versichert Audubon, daß der Bisamgeruch gar nicht so schlimm und nach seiner Meinung weit besser zu ertragen sei als der Gestank des Mink oder des Rothfuchses, vom Stinkthiere gar nicht zu reden.

Man lockt die Biberratte in Fallen, welche man mit Aepfeln ködert, stellt Schlageisen vor ihre Baue oder tödtet sie in ihren Hütten. Die Indianer wissen sehr genau, welche Hütten bewohnt sind, nahen sich unhörbar und stoßen einen scharfen Speer mit aller Kraft durch die Wände der Burg, die innensitzenden Zibetratten gewöhnlich anspießend. Die Fallen stellt man so, daß sie ins Wasser stürzen müssen, um die Gefangenen zu ersäufen. Unterläßt man dies, so werden diese von den Kameraden umringt und nach Rattenart behandelt, d.h. in Stücke zerrissen und sodann aufgefressen. Wenn eine Bisamratte geschossen und nicht augenblicklich aufgenommen worden ist, umgeben sofort die überlebenden den Leichnam ihres Gefährten und tragen ihn nach ihren Höhlen, um ihn seinem Mörder zu entziehen und ihn ungestört aufzufressen. Hier und da wendet man wohl auch Schwefel an und räuchert die Ratten aus ihren Bauen, oder man lauert an ihren Luftlöchern auf sie und spießt sie an, wenn sie dort erscheinen; kurz, es werden auch hier alle Mittel und Wege in Anwendung gebracht, um der Selbstsucht des Menschen Genüge zu leisten. Außerdem stellen Luchs und Fuchs, Mink und Marder, Adler, Uhu und Schneeeule der Bisamratte nach. Nach Lomer gelangen jährlich ungefähr drei Millionen Bisamfelle in den Handel, und wird für das Stück derselben, je nach ihrer Schönheit, 1 bis 3 Mark bezahlt.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Zweiter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Dritter Band: Hufthiere, Seesäugethiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 376-379.
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