Blindmaus (Spalax Typhlus)

[399] Die bekannteste Art dieser Familie ist die Blind maus (Spalax Typhlus, Mus und Marmota Typhlus, Spalax microphthalmos, Pallassii und xanthodon, Marmota podolica, Cuniculus subterraneus). Der Kopf ist stumpfschnäuzig und stärker als der Rumpf, der kurze, unbewegliche Hals so dick wie der schwanzlose Leib; die kurzen Beine zeigen breite Pfoten mit starken Zehen und Krallen. Die Augen haben kaum die Größe eines Wohnkornes und liegen unter der Haut verborgen, können also zum Sehen nicht benutzt werden. Die Körperlänge beträgt 17 Centim. An dem dicken Kopfe ist der Schädel abgeplattet, die Stirne flach, die Schnauze stumpf gerundet, die Nase dick, breit und knorpelig, mit runden, weit auseinander stehenden Löchern. Gewaltige, dicke und gleich breite, vorn meißelartig abgeschliffene Nagezähne ragen weit aus dem Maule hervor; die drei Backenzähne in jedem Kiefer zeigen keine Schmelzbuchten, und ihre Kauflächen ändern sich, sobald die Zahnkronen sich abzuschleifen beginnen, ununterbrochen. An den Füßen sind alle Zehen stark und mit tüchtigen Scharrkrallen versehen; an den Vorderfüßen stehen sie weit von einander ab und sind nur im Grunde durch eine kurze Spannhaut verbunden. Der Schwanz wird durch eine schwach hervorragende Warze angedeutet. Ein dichter, glatt anliegender, weicher Pelz, welcher auf der obern Seite etwas länger als auf der untern ist, bekleidet den Körper; starre, bor stenähnliche Haare bedecken die Kopfseiten von den Nasenlöchern an bis zur Augengegend und bilden eine bürstenartige Haarkante. Die Zehen sind nicht mit Haaren bekleidet, die Sohlen aber ringsum mit starren, langen, nach abwärts gerichteten Haaren eingefaßt. Im allgemeinen ist die Färbung gelbbräunlich, aschgraulich überflogen, der Kopf lichter, nach hinten hin bräunlich, die Unterseite dunkelaschgrau mit weißen Längsstreifen an der Hinterseite des Bauches und weißen Fleckchen zwischen den Hinterbeinen, die Wundgegend wie das Kinn und die Pfoten schmutzigweiß.

Die Blindmaus findet sich im südöstlichen Europa und im westlichen Asien, zumal im südlichen Rußland an der Wolga und am Don, in der Moldau und in einem Theile von Ungarn und Galizien, kommt auch in der Türkei und Griechenland vor; gegen Asien begrenzen Kaukasus und Ural ihre Heimat. Besonders häufig ist sie in der Ukraine. Im Altaigebirge vertritt sie eine merklich größere Art der Familie, der Zokor (Spalax – Siphneus – aspalax), dessen Lebensweise durchaus mit der ihrigen übereinstimmen und es rechtfertigen dürfte, wenn ich über jenen gewonnene Beobachtungen auf sie beziehe.

Wie fast alle Wurfmäuse wohnt sie in fruchtbaren Gegenden und haust in unterirdischen, weit verzweigten Bauen, deren Vorhandensein man an zahllosen Haufen erkennt. Letztere sind sehr groß, viel größer als die des Maulwurfs, aber nicht hohe, sondern auffallend flache Hügel. Der ungemein winkelige Gang verläuft in geringer Tiefe unter der Oberfläche, durchschneidet feuchte, mit Wasser förmlich gesättigte Thäler, überschreitet Bäche und klettert an den Gehängen der Bergwände empor. Hier und da zweigt sich ein Nebengang ab, mündet wohl auch auf der Oberfläche. Während des Winters werden die Gänge so dicht unter der Grasnarbe angelegt, daß ihre erdige Ueberwölbung höchstens zwei Centimeter dick zu sein pflegt und der darüber liegende Schnee die eigentliche Decke bildet. Die Blindmaus hält keinen Winterschlaf, arbeitet daher fortwährend, nach Versicherung der Kirgisen, am eifrigsten in den Mittagsstunden und bei Sonnenschein, am trägsten des Morgens und bei Regen. Beim Graben soll sie die starken Schneidezähne benutzen, um das Wurzelwerk zu durchnagen, beziehentlich die Erde, welche zwischen den Wurzeln liegt, zu zerkleinern. Die losgescharrte Erde wirft sie mit dem Kopfe in die Höhe und schleudert sie dann mit den Vorder- und Hinterbeinen zurück. Sie lebt ebensowenig gesellig wie der Maulwurf, viel [399] häufiger aber in größerer Nähe mit anderen ihrer Art zusammen. Um die Zeit der Paarung kommt sie manchmal, um sich zu sonnen, auch bei Tage auf die Oberfläche, eilt jedoch bei drohender Gefahr schleunigst wieder ihrem Baue zu oder gräbt sich, wenn sie nicht augenblicklich die Mündung findet, mit überraschender Schnelligkeit in die Erde ein, im Nu den Blicken sich entziehend. Häufiger noch als in den Mittagsstunden soll sie am frühen Morgen und in der Nachtzeit aus ihren Gängen hervorkommen.

So ungeschickt und täppisch, wie man gewöhnlich angibt, sind die Bewegungen der Blindmaus nicht. Ein Zokor, welchen ich laufen sah, huschte mit der Schnelligkeit einer Ratte über den Boden dahin, eilte einem Bache zu, stürzte sich kopfüber ins Wasser, schwamm rasch ein Stück in ihm fort und verschwand eilfertig in einem hier ausmündenden Loche.


Blindmaus (Spalax Typhlus). 1/2 natürl. Größe.
Blindmaus (Spalax Typhlus). 1/2 natürl. Größe.

Daß wenigstens diese Art ein trefflicher Läufer und Schwimmer ist, versicherten einstimmig alle von mir befragten Kirgisen, und dasselbe wird man wohl auch von der Blindmaus sagen können. Wie diese unterirdisch sich benimmt, weiß man nicht. Unter den Sinnen, welche sämmtlich wenig entwickelt sein dürften, scheint das Gehör eine hervorragende Rolle zu spielen. Man hat beobachtet, daß die Blindmaus gegen Geräusch sehr empfindlich ist und hauptsächlich durch den Gehörsinn geleitet wird. Wenn sie im Freien sich befindet, sitzt sie mit emporgerichtetem Kopfe ruhig vor der Mündung ihrer Gänge und lauscht höchst aufmerksam nach allen Seiten hin. Bei dem geringsten Geräusche hebt sie den Kopf noch höher und nimmt eine drohende Stellung an oder gräbt sich senkrecht in den Boden ein und verschwindet. Wahrscheinlich trägt auch der Geruch bei, den fehlenden Gesichtsinn bis zu einem gewissen Grade zu ersetzen. Ihr Wesen scheint mit dem anderer kleinen Nager übereinzustimmen. Man bezeichnet sie als ein muthiges und bissiges Geschöpf, welches im Nothfalle seine kräftigen Zähne in empfindlicher Weise zu gebrauchen weiß, ergriffen, heftig schnaubt und knirscht und wüthend um sich beißt. Ein von uns gefangener Zokor benahm sich ruhiger, versuchte nicht, sich zu befreien, zappelte auch nur wenig, als wir ihn im Genicke gepackt hatten und festhielten. In dem ihm angewiesenen Gefängnisse ließ er ein schwaches Quieken vernehmen; andere Laute hörten wir nicht.

[400] Die Blindmaus nährt sich, wenn nicht ausschließlich, so doch vorwiegend von pflanzlichen Stoffen, insbesondere von allerlei Wurzelwerk, im Nothfalle auch von Baumrinde. Finden sich in ihrem Wohngebiete Pflanzen mit tiefgehenden Wurzeln, so senkt sie ihre Gänge im Winter bis unter die hartgefrorene Kruste des Bodens, wenn nicht, schürft sie jene flachen Wege dicht unter dem Schnee. Wintervorräthe hat man in ihren Gängen noch nicht aufgefunden, wohl aber Nester, welche aus den feinsten Wurzeln zusammengebaut sind. In einem solchen Neste wirft das Weibchen im Sommer seine zwei bis vier Jungen.

Das Thier fügt dem Menschen im ganzen geringen Schaden zu, obgleich ihm viel böses nachgesagt wird, ebensowenig aber bringt es irgend welchen Nutzen. Die Russen glauben, daß es dem Menschen besondere Heilkräfte verleihen könne, indem derjenige, welcher Muth genug hat, es auf seine bloße Hand zu setzen, sich beißen zu lassen und es hierauf durch Erdrücken langsam umzubringen, später befähigt wäre, durch bloßes Auflegen der Hand Drüsengeschwülste aller Art zu heilen. Hierauf bezieht sich auch einer der Landesnamen, welcher soviel als »Drüsenarzt« bedeutet. Die Russen nennen unsere Wurfmaus übrigens »Slapusch« oder die Blinde; in Galizien heißt sie »Ziemni-bisak« und in Ungarn »Földi- kölök«.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Zweiter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Dritter Band: Hufthiere, Seesäugethiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 399-401.
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